Aktivismus, Gewalt und Trauma – ein Interview

Interview mit Moshe Weintraub über Antifa, Gewalterfahrung und Trauma. Moshe Weintraub hat in Psychologie promoviert, ist Antifaschist und offensichtlich ein Tarnname. Das Interview führte Laura Stern. Für weitere Informationen oder Hilfe in eurer Nähe schaut bei Out of Action vorbei. Die sind genau darauf spezialisiert und in Berlin, Dresden, Hamburg, Köln, Leipzig und West (Duisburg über Wuppertal bis Dortmund) ansässig: https://outofaction.blackblogs.org/

MW=Moshe Weintraub AKA=Antifa Kampfausbildung

AKA: Nicht nur, aber auch im antifaschistischen Aktivismus, sind Menschen mit Gewalt konfrontiert. Wir sind auf Demos unterwegs, erleben Polizeigewalt, körperliche Auseinandersetzungen mit Faschos, dazu dann noch „übliche“ rassistische, sexistische, homophobe usw. Gewalt. Ganz grundsätzlich: Wie wirkt sich diese Gewalt auf die Psyche aus und gibt es unterschiedliche Arten, wie es sich auswirkt?

MW: Gewalt hat immer eine Auswirkung auf die Psyche und diese Auswirkungen können sehr vielseitig aussehen. Jede Person reagiert unterschiedlich auf Gewalt und auch auf Gewalt in unterschiedlichen Situationen. Wichtig ist zu verstehen, dass eine Reaktion der Psyche auf Gewalt ganz normal ist und nicht automatisch gleichzusetzen ist mit einer Anpassungsstörung oder Belastungsstörung, einer so genannten Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS).

Was sehr häufig vorkommt nach Gewalterfahrung ist eine innere Unruhe und eine erhöhte Aufmerksamkeit auf die Umgebung wenige Stunden oder am Folgetag nach der Erfahrung. Dies ist eine ganz normale Reaktion des Körpers und auch eine sinnvolle, da sie uns in einer feindseligen Umgebung sensibel gegenüber weiteren Angriffen machen soll. Wichtig ist, dass man der Psyche oder genauer dem Gehirn hier einfach die Zeit lässt, damit erst einmal umzugehen.

Es gab mal Ansätze bei Rettungskräften eines so genannten Debriefings. Die Idee war, dass die Personen nach traumatischen Erfahrungen zeitnah danach über die Erfahrung berichten sollten um so die emotionale Verarbeitung zu erleichtern. Mittlerweile hat sich gezeigt, dass diese Idee, die intuitiv viele haben, keine gute war. Denn wenn die Erfahrungen zu schnell intensiv besprochen werden, erhöht dies sogar die Chance einer PTBS.

AKA: Wie eben ja schon selbst angesprochen, haben viele entweder die Idee oder das Bedürfnis, darüber schnell zu sprechen. Entweder, um sich die Erlebnisse von der Seele zu reden, oder um einer (angenommenen) Verdrängung vorzubeugen. Warum ist das kontraproduktiv und von welchem Zeitraum reden wir?

MW: Das liegt daran, dass quasi die psychische Widerstandsleistung des Gehirns direkt danach nicht voll da ist, aber eine Konfrontation mit dem erlebten „erzwungen“ wird. Das Gehirn muss aber erst wieder die Chance haben sich zu erholen vom Stress der Erfahrung.

Das heißt natürlich nicht, dass man Gespräche über solche Erfahrungen komplett vermeiden sollte. Man sollte nur erst einmal dem Gehirn die Chance geben, selber zu arbeiten. Merkt man dann, dass z.B. die Unruhe nach ein paar Tagen, normalerweise zwei bis drei Tage, nicht aufhört, dann empfiehlt sich natürlich sich Hilfe zu suchen und Unterstützung einzufordern.
Solche Hilfe kann entweder von Bezugspersonen kommen, oder aber z.B. durch Out of Action Gruppen (https://outofaction.blackblogs.org) oder andere psychologische Hilfsangebote.

Wichtig ist aber, dass wir an dieser Stelle auch noch nicht von einer PTBS sprechen. Eine Gewalterfahrung ist ein traumatisches Erlebnis, aber nicht zwangsläufig eine PTBS. Dies ist ein wichtiger Punkt.
Die Erfahrung von Gewalt ist immer schlimm, aber nicht immer folgt eine PTBS. Eine PTBS hat klare Symptome, sollte nicht selbst diagnostiziert werden und vor allem gehört sie in die Hände von professioneller Hilfe.
Eine PTBS ist gekennzeichnet durch eine klassische Triade aus Symptomen: Erhöhter Wachsamkeit/Schreckhaftigkeit, Vermeidung von Reizen, die an die Erfahrung erinnern oder damit verbunden sind und so genannte Intrusionen, also z.B. Flashbacks an die Situation selbst, bei denen die Person das Gefühl hat wieder in der Situation zu sein.

AKA: Ist denn eine traumatische Erfahrung immer mit einem Trauma verbunden und ist eine PTBS jetzt das, was gemeinläufig als“Trauma“ gesehen wird?

MW: Ein Trauma (griechisch für Wunde) ist eine Situation in der das eigene Leben oder die Unversehrtheit bedroht wurde oder man dies bei anderen miterlebt hat. Es gibt auch noch ein sekundäres Trauma, z.B. bei Menschen die viel in der Behandlung von Menschen mit PTBS arbeiten. Der Begriff Trauma wurde und wird leider häufig falsch verwendet. Vor allem in der klassischen Psychoanalyse wurden häufig Dinge als Trauma beschrieben, z.B. ein „Geburtstrauma“, die nach zeitgemäßer Definition kein Trauma sind. Deswegen ist es wichtig sich über den Begriff klar zu werden.

Eine Gewalterfahrung ist an sich ein Trauma. Dieses Trauma wird eine Reaktion hervorrufen, muss jedoch nicht zu einer klinischen Diagnose im Sinne einer PTBS führen.
AKA: Gibt es denn grundsätzlich grundverschiedene Arten von Taumata?

MW: Es gibt unterschiedliche Auslöser. Man kann das etwas kategorisieren – es gibt Traumata durch natürliche Geschehnisse, wie z.B. Erdbeben oder durch Menschen verursachte, wie z.B. Gewalt. Weiterhin gibt es einmalig auftretende – Erdbeben oder Überfall – oder langfristige Ereignisse – Folgesituationen durch Naturkatastrophen oder Gefangenschaft mit Gewalterfahrung. Die höchste Chance, dass ein Trauma zu einer Traumastörung, also einer PTBS führt ist durch Mensch langfristig, wobei hier auch in extremsten Situationen nur ca. 30-40% der Betroffenen eine Störung erleiden – wir reden hier also von Wahrscheinlichkeiten.

Dies heißt nicht, dass diese Personen schwächer sind, oder die Erfahrung der anderen Personen weniger traumatisch, sondern nur, dass das Gehirn des Menschen eben viele Wahrscheinlichkeiten hat.

AKA: Linke Aktivist*innen sind durch den Aktivismus erhöht dem Risiko von Traumata ausgesetzt. Wie ist denn deiner Meinung nach der Umgang damit innerhalb des linken Spektrums? Wir verstehen uns ja als solidarisch und stehen für einander ein. Wird das Thema offen und konstruktiv angegangen?

MW: Da lässt sich keine Allausage machen – du wirst Menschen finden, die damit offen und solidarisch umgehen, und andere, die Scham damit verbinden, wenn sie merken, dass nach Gewalterfahrung etwas nicht so ist wie sonst. Das Spektrum ist hier genauso heterogen wie die Gesellschaft.
Wichtig ist, dass man betroffenen Personen Raum lässt, um mit ihren Erfahrungen umzugehen, und Ressourcen bereitstellt, damit diese für sich sorgen können und das das Thema offen angesprochen werden kann, aber den Personen nicht aufgezwängt wird. Bezugspersonen oder -gruppen sollten hier über Möglichkeiten reden, aber auch ihre Grenzen. Welche Möglichkeiten und Ressourcen sind vorhanden, wie kann man sich Wissen aneignen und wo muss professionelle Hilfe geholt werden.

AKA: Ab welchem Punkt ist den professionelle Hilfe angebracht? Wie kann das grob festgemacht werden?

MW: Wenn man merkt, dass sich der Körper nicht mehr beruhigt, oder die oben beschriebenen Symptome, vor allem die Intrusionen wie Flashbacks auftauchen. Dies passiert, wenn es auftritt, häufig erst ein paar Wochen nach der Erfahrung.
Es ist also wichtig als ersten Schritt nach der Erfahrung erst einmal dem Gehirn etwas Zeit zu geben und für sich zu sorgen – dem eigenen Körper also erst einmal die Chance zur Erholung zu geben. Der nächste Schritt ist sich eventuell Unterstützung zu suchen, das Erlebte zu verarbeiten und für einen zu klären, was eine solche Erfahrung für einen bedeutet. Die Zeit zwischen den beiden Schritten kann sehr individuell sein, deswegen kann man hier keine Lösung nennen, die für jede Person oder jede Situation gilt.
Hilft all dies nicht und die Symptome bleiben oder kommen sogar wieder, dann sollte professionelle Hilfe aufgesucht werden.

AKA: Gibt es denn eine Gewöhnung an Gewalterfahrung und eine Schwächung der damit verbundenen Traumatisierung?

MW: Nein, schaut man sich z.B. Traumastörungen bei Soldat*innen an, so steigt die Wahrscheinlichkeit für eine Störung, je häufiger diese Personen im Kriegseinsatz war.

Jede Person hat auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten eine andere Widerstandsfähigkeit, je nach aktuellen Ressourcen und somit ist es eine Wahrscheinlichkeitsfrage.

AKA: Um mal vom Thema „Trauma“ wegzugehen: Wie ist denn der Umgang mit psychischen Erkrankungen innerhalb der (radikalen) Linken? Einerseits erfordert Militanz natürlich körperliche und geistige Bedingungen, die nicht alle erfüllen. Zum Beispiel sind die Kleinen und Zierlichen für die erste Reihe eher weniger geeignet. Andererseits sind wir für alle da und vor allem soll Aktivismus auch für alle möglich sein.

MW: Da muss jede Person seine eigene Grenze festlegen, genauso wie bei körperlichen Dingen auch. Da lässt sich keine Regel geben.

An sich ist hier auch das Thema, das der Umgang mit psychischen Störungen oder Syndromen sehr individuell ist. Es gibt hier, wie oben erwähnt, Menschen die damit offen umgehen und andere, die sich mit dem Thema einfach gar nicht beschäftigen und auch kein Auge dafür haben. Auch Linke sind Teil einer Gesellschaft und in ihrem Umgang, ihrer Einstellung und ihrem Wissen zu psychischen Störungen ähnlich heterogen wie die Gesellschaft aus der sie kommen.

Natürlich wird man hier auch Personen finden, die sich völlig ignorant zeigen oder denken, dass Personen nicht „hart“ genug sind für bestimmte Formen von Aktivismus. Man muss eingestehen, dass man auch Teil einer gesellschaftlichen Prägung ist. Wie in vielen anderen Punkten beginnt Gesellschaftsveränderungen hier bei einem selbst, also mit den Fragen, welche Einstellung und welches Wissen habe ich eigentlich zu dem Thema und wie gehe ich damit um, wenn dieses Thema in meiner näheren Umgebung auftritt.

AKA: Schönes Schlusswort, vielen Dank.