Ein paar Worte zur RAF

„Ohne dass wir das deutsche Volk vom Faschismus freisprechen – denn die Leute haben ja wirklich nicht gewusst, was in den Konzentrationslagern vorging -, können wir es nicht für unseren revolutionären Kampf mobilisieren.“ – Ulrike Meinhof, 1972 (1)

Der Beginn

Am 14. Mai 1970 wurde Andreas Baader mit Waffengewalt aus dem Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen befreit, es gab einen Schwerverletzten. Dies gilt gemeinhin als Beginn der RAF als solcher und ihrem terroristischem Kampf als selbstbetitelte Stadtguerilla. Die RAF ist neben dem NSU ein Unikat in der jüngeren deutschen Geschichte, hielt sie doch über zwei Jahrzehnte den Staats- und Polizeiapparat auf Trab, zeichnet sich für 33 Tote verantwortlich und war in ihrer tatsächlichen Wirkmacht einerseits realpolitisch überschätzt, andererseits gab es großen Rückhalt in Teilen der Gesellschaft und eine unglaubliche Medienresonanz – bis heute. Über drei Generationen und dutzende Mitglieder geben Aktionen und Ideologie der RAF ein Spotlight auf eine der eher dunkleren Phasen der radikalen deutschen Linken.

Die Ursprünge der RAF liegen in der antiautoritären Protestwelle der 60er, welche durch verschiedene Ereignisse immer weiter in Richtung bewaffneter Widerstand radikalisiert wurde. Zu nennen wären neben vielen anderen die Ermordung von Benno Ohnesorg, das Attentat auf Rudi Dutschke, der Vietnamkrieg, der Sechs-Tage-Krieg und die Spiegelaffäre. Aus dem Spektrum der APO (außerparlamentarische Opposition) bildete sich nicht nur das, was später mal die Grünen werden würden. Es entstand auch eine heute fast unüberblickbare Ursuppe aus den sogenannten K-Gruppen, die sich auf Lenins Theorie des Imperialismus bezogen und in Mao auch gerne die Vollendung dieser Ideen sahen und ihn teilweise kanonisch eingeordnet haben. Die realen Begebenheiten im Ostblock und in China waren kaum bekannt und die Stimmungslage wurde durch sowjetische Agitation beeinflusst. Aus dieser Suppe rekrutierten sich dann nicht nur militante, sondern zum bewaffneten Kampf bereite Gruppierungen, wie zum Beispiel die Revolutionären Zellen, die Bewegung 2. Juni und eben die RAF.

Dunkle Zeiten

Warum ist die Zeit von Mitte der 60er bis in die 80er hinein ein düstere Episode der radikalen Linken in Deutschland? Weil sie mit ganz viel ideologischem Schwachsinn verbunden ist – der zu diversen Anschlägen, Attentaten und Toten geführt hat. Viele Linke in Westdeutschland solidarisierten sich in zynischer Weise und Unwissenheit mit der Sowjetunion, Mao, den Vietcong und sogar den Roten Khmer. Die Gründe dafür sind vielfältig, hängen mit der Theorie des leninschen Imperialismus und der Dimitroff-These zusammen, einer falschen Analyse des Faschismus und einem dogmatischen Denken. Auch die einzelnen Mitglieder der RAF starten mit verständlichen Kritikpunkten ihre Reise ins ideologische Abseits. Die Nichtaufarbeitung der NS-Zeit kotzt sie an, in der BRD wurden Kontinuitäten gerne weggeschwiegen oder unter den Teppich gekehrt, die Arbeiterklasse war immer noch unterdrückt.

Der Vietnamkrieg ließ in Westdeutschland den Antiamerikanismus wieder erstarken, dieses Mal zur Verteidigung der kommunistischen Vietcong und auch bedingt durch die Verbrechen der US-Streitkräfte sowie das Vorgehen gegen Kuba und anderswo in der Welt. Die USA waren die selbsterklärte Speerspitze des Antikommunismus. Gut, die Sowjetunion war auch nicht kommunistisch und nicht mal sozialistisch und das menschenverachtendere System nach innen, aber solche Details sind im Kampf der großen Ideologien unwichtig. Israel wurde mit dem Sechs-Tage-Krieg dieser Lesart nach selber zum Besatzer und Imperialisten (und hatte den unbedingten Support der verhassten Amerikaner) und verlor damit die Sympathien weiter Teile der radikalen Linken.

In der Folge wird Israel ohne Umschweife als faschistischer Staat bezeichnet und die RAF selber kommt zu dem Schluss, beim Attentat palästinensischer Terroristen bei den Olympischen Spielen in München 1972, die israelische Regierung hätte die Sportler verheizt wie die Nazis die Juden – Brennmaterial für die imperialistische Ausrottungspolitik.“ (2) Der Angriff auf die Sportler, ausgeführt von der Gruppe „Schwarzen September“, wurde positiv aufgenommen, schlecht war mal wieder Israel. Der allgemeine Duktus aus dieser Zeit hat sich bis heute in gewissen antiimperialistischen Kreisen nicht geändert, nur die Schlagworte werden dem Zeitgeist folgend etwas angepasst:

Die Zeitschriften der K-Gruppen sprechen in ihrer Berichterstattung eine eindeutige Sprache: So schreibt die „Rote Fahne“ der KPD/AO unter der Überschrift „Zionisten: Die Nazis unserer Tage“, daß die zionistischen Machthaber mit faschistischen Mitteln Palästina araberfrei“ machen. Die „Rote Fahne“ des „Kommunistischen Arbeiterbundes Deutschlands“ (KABD) spricht von München als Alibi um den Ausrottungsfeldzug bis zum zionistischen Endsieg zu führen.“ Der „Rote Morgen“ der KPD/ML sieht Israel als ein einziges KZ für Araber“ und der „Arbeiterkampf“ des KB sieht die Vergeltungsangriffe Israels auf palästinensische Guerillalager nach der Geiselnahme von München nach dem Vorbild der Nazis ausgeführt.“ (3)

You are getting it wrong

Wie die Gruppierungen der damaligen Zeit zu solchen Schlussfolgerungen gekommen sind? So sah die RAF zum Beispiel den Nationalsozialismus als Spielart des Imperialismus, der sich erst jetzt in seiner endgültigen Form zeige. Imperialismus sei also der wahre Faschismus – und jeder Kampf gegen ihn also antifaschistisch. Damit passen dann auch tote israelische Sportler*innen problemfrei mit vermeintlichem Antifaschismus zusammen. Die RAF dazu selber: „„Die Aktion des Schwarzen September war antifaschistisch. Sie hat den Zusammenhang zwischen dem alten NS-Faschismus und dem entfalteten Imperialismus als dem erst durch und durch faschistischen System hergestellt.(4) Es ist dementsprechend auch nicht weiter überraschend, dass sich Mitglieder der RAF von solchen palästinensischen Terroristen ausbilden ließen, die gerne Israel vernichten wollten. Die Zusammenarbeit deutscher Linker mit dem palästinensischen Terror gipfelte in der Geiselnahme am ugandischen Flughafen in Entebbe, als Deutsche der Revolutionären Zellen und Palästinenser die Geiseln explizit in Juden und Nichtjuden trennten – und die Nichtjuden freiließen – sowie der Entführung einer Passagiermaschine in Mogadischu zur Freipressung der RAF-Führungsriege in Stammheim durch Palästinenser.

Die RAF hatte den Nationalsozialismus also in das eigene antiimperialistische Weltbild eingebaut und sah ihn nur als Vorstufe zu dem, was in den 70ern nach antiimperialistischer Lesart so alles passierte. Hier liegt eine gänzlich falsche Faschismusanalyse zugrunde, die weder den strukturellen Aufbau der faschistischen Staaten (Führerprinzip, Ein-Parteiendiktatur, Totalitarismus) berücksichtigt, noch den völkischen Kern der Ideologie von Verschmelzung von Staat und Volk zur übermystifizierten „heiligen Nation“ (die Palingese nach Griffin). Auch die Einzigartigkeit der Shoa wird regelmäßig relativiert, z.B. wenn sich RAF-Häftlinge selber in eine Reihe mit ermordeten Juden und Jüdinnen stellen: „Unsere Isolation jetzt und das Konzentrationslager demnächst […] kommt raus auf: Vernichtungslager – Reformtreblinka – Reformbuchenwald – die „Endlösung“. So sieht’s aus.“ (5) Damit sollen nicht die Haftbedingungen in Stammheim verharmlost werden, es geht um die vorgenommene Gleichsetzung mit den Opfern der Shoa.

Weiter werden die Mittel der staatlichen Repression als faschistisch ausgemacht, die Repression von kapitalistischen Staaten sei der eigentliche Faschismus: „So wird die politische Situation in der Bundesrepublik der Siebziger-Jahre oft vermittels NS-Analogien beschrieben. Dabei wird der NS-Faschismus theoretisch auf eine präventive Bekämpfung der Linken verkürzt und die Beteiligung großer Teile der deutschen Bevölkerung bestritten. Gerade die RAF benutzt den Faschismusvorwurf gegen den Staat inflationär. So gebraucht das „Kommando Thomas Weisbecker“ der RAF in der nur einige wenige Sätze langen Anschlagserklärung zu den Bombenanschlägen in München und Augsburg im Mai 1972 vier explizite NS-Vergleiche. Wie anderen K-Gruppen auch, sieht das RAF Kommando die analysierte Faschisierung des Staates als von oben betriebene Reaktion auf die Klassenauseinandersetzungen und verortet ihre Aktionen als expliziten Widerstand dagegen.“ (6) Also nix mit völkisch und Judenhass als elementare Bestandteile der NS-Ideologie, diese sind nur Nebenprodukte in den Augen der RAF.

Mythos und heute


Was die RAF bis heute als linken Mythos in einigen Teilen des Spektrums in wohliger Idealisierung als positive
n Bezugspunkt erscheinen lässt, ist weniger die inhaltliche Analyse ihrer Texte und Standpunkte, es ist vielmehr das projezierte Rebellentum. Die RAF sah sich selber als Speerspitze der revolutionären Aktion und setzte die damaligen medialen Mittel bewundernswert zu ihrem Nutzen ein. Im Gegensatz zu den Revolutionären Zellen stellten sich Akteure der RAF bewusst in die Öffentlichkeit, Andreas Baader wird z.B. als egomanischer Frauenheld mit Geltungsdrang charakterisiert. Alle drei Generationen der RAF rekrutierten sich vorrangig aus der Suppe, in der auch die K-Gruppen mitschwammen, die dezentrale Struktur erschwerte die Festnahme der Mitglieder. Zudem genoss sie in studentischen und linken Kreisen eine Menge Rückhalt. Typische WG-Gespräche in den 70ern drehten sich auch gerne um die Frage, was denn nun zu tun sei, wenn ein RAF-Mitglied vor der Tür steht und Unterschlupf braucht. Wie weit wäre die WG bereit zu helfen?

Außerdem spricht das Angreifen von Einzelpersonen und symbolischen Orten und Institutionen jene Personen an, die von einem bewaffneten Umsturz der bestehenden Verhältnisse träumen. Und das am besten so früh wie möglich. Revolutionsromantik halt, von der RAF relativ erfolgreich vorgelebt. Der verkürzten Analyse, dass diese Anschläge irgendwas von Dauer bringen würden, waren schon die Anarchist*innen am Ende des 19. Jahrhunderts mit der „Propaganda der Tat“ erlegen – und wandten sich mangels Erfolg davon wieder ab. Rückblickend betrachtet hat die RAF nicht viel bis gar nichts bewegt. 1977 wurden die Gesetze im deutschen Herbst verschärft, Politik und Polizei haben sich etwa 25 Jahre intensiv mit linken Terrorist*innen beschäftigen müssen und die Verfolgung Linker blieb eine Kernaufgabe aller staatlichen Behörden. Darüber wurden rechte Umtriebe gerne mal übersehen, suchten die Nazis doch nicht so publikumswirksam die Öffentlichkeit mit Attentaten, Anschlägen und Entführungen. Auch zeigt die RAF exemplarisch viele ideologische Verirrungen auf, die durch ideologisches Kreisgewichse und überintellektuelle Herangehensweise bei gleichzeitiger Anpassung der Realität an die eigene Weltsicht entstehen – bis hin zur Negierung der Realität. Auch mit handfestem Antifaschismus hatte es die RAF nicht so. Ganz in der Tradition von Dimitroff sei das Kapital der Faschismus, warum sich also mit echten Neonazis wie der Wehrsportgruppe Hoffmann beschäftigen? Als große Antifaschist*innen im heutigen Sinne ist die RAF nicht bekannt, es wurde lieber gegen „das System“ gekämpft.

Aus Sicht der 60er lässt sich diese Zeit besser einordnen. Massendemonstrationen auf der ganzen Welt, linke Utopien gegen die bürgerliche Gesellschaft waren en vogue und es gab ein großes Protestpotential. Viele Personen waren zum bewaffneten Widerstand bereit, in Russland hatte mit den Bolschewiki eine kleine Gruppe die Macht übernommen und sich danach in der Machtposition gehalten, weltweit gab es linke Bewegungen, Revolutionen und Kämpfe. Man konnte sich als Teil dieser Bewegung sehen und eventuell sogar die Revolution in Deutschland auslösen. Die Masse müsste nur einer revolutionären Avantgarde folgen. Also sind wir diese Avantgarde. Dabei verrannte sich ein ganzes Spektrum in einem ideologischen Irrgarten – trotz Frankfurter Schule, Gulag und Shoa. Die RAF ist das perfekte Lehrmaterial für eine Gruppe von Leuten, die wie z.B. Meinhof aus den richtigen Gründen anfangen und sich dann unterwegs komplett verirren und Täterschutz am deutschen Volk und Opfer-Täter-Umkehr am Staat Israel praktizieren und dank falscher Faschismusanalyse am völlig falschen Ende rauskommen.


Quellen:

(1) Ulrike Meinhof, als Zeugin der Verteidigung im Prozess gegen Horst Mahler, am 14.12.1972: „Auschwitz heißt, dass sechs Millionen Juden ermordet und auf die Müllkippe Europas gekarrt wurden als das, als was man sie ausgab – als Geldjuden. Der Antisemitismus war seinem Wesen nach antikapitalistisch. Mit der Vernichtung von sechs Millionen Juden wurde die Sehnsucht der Deutschen nach Freiheit von Geld und Ausbeutung mit ermordet… Ohne dass wir das deutsche Volk vom Faschismus freisprechen – denn die Leute haben ja wirklich nicht gewusst, was in den Konzentrationslagern vorging – können wir es nicht für unseren revolutionären Kampf mobilisieren.“

(2) Rote Armee Fraktion, Die Aktion des „Schwarzen September“ in München. Zur Strategie des antiimperialistischen Kampfes, in: ID Archiv 1997. S. 173
(3) Jens Benicke, Leninisten mit Knarren – War die Rote Armee Fraktion nur eine bewaffnete K-Gruppe?, Vortrag im Jour fixe der Initiative Sozialistisches Forum am 30. April 2008, S. 8 http://www.ca-ira.net/isf/beitraege/pdf/benicke-leninisten.pdf

(4) Rote Armee Fraktion, Die Aktion des „Schwarzen September“ in München. Zur Strategie des antiimperialistischen Kampfes, in: ID Archiv 1997. S. 167

(5) Gefangene aus der RAF, Hungerstreikerklärung vom 8. Mai 1973, in: ID Archiv 1997, S. 189.

(6) Jens Benicke, Leninisten mit Knarren – War die Rote Armee Fraktion nur eine bewaffnete K-Gruppe?, Vortrag im Jour fixe der Initiative Sozialistisches Forum am 30. April 2008, S. 6