Die Identitäre Bewegung – eine Bestandsaufnahme zur Demo am 17.06.2017

Die IB wollte es in Berlin noch einmal wissen. Nach der Blockade der schwach besuchten ersten Demo genau ein Jahr zavor sollte die Hauptstadt der BRD dieses Mal eine Machtdemonstration werden. Je nach Sichtweise standen die Anzeichen dafür auch ganz gut – ändern aber nichts an der Vollkatastrophe, die der 17.06.2017 für die IB darstellt. Weitere Informationen zur IB gibt es in unserem Interview mit Mensch Merz: https://rambazamba.blackblogs.org/2017/06/12/ueber-die-identitaere-bewegung-mensch-merz-im-interview/

Strukturentwicklung im letzten Jahr

Die IB wollte letztes Jahr einen Demo-Doppelschlag führen. Erst Wien, sechs später dann Berlin. In Wien fanden sich tatsächlich 800 bis 1000 Leute ein, kamen aber dank antifaschistischer Blockade nur 400 Meter weit. Berlin war ungleich schwächer besucht (etwa 120 Leute) und wurde ebenfalls blockiert, nach dem die IB schweigend durch menschenleeres Gebiet gezogen war. Die Strukturen und der Bekanntheitsgrad in Deutschland waren zu unterentwickelt, um neben der Hauptdemo in Wien vernünftig zu mobilisieren. Seit dem hat sich einiges getan.

In Halle hat sich mit der Kontra Kultur um Mario Müller eine relativ starke und unabhängige faschistische und gewalttätige Gruppe etabliert, welche personelle und logistische Unterstützung bei mehr oder weniger allen Aktionen in Deutschland liefert. Im Frühjahr gab es großes Outing von Identitären im Raum Hamburg/Schleswig-Holstein, in Dresden bestehen offensichtlich Verbindungen zur Burschenschaft Salamandria. Zum Aufbau von Strukturen arbeitet die IB eng mit Götz Kubitschek und seiner Initiative Ein Prozent zusammen. Diese sammelt Spenden und agiert zeitweise fast wie eine „Braune Hilfe“. In der Steiermark hat sich zudem in Österreich eine starke und eigenständige Regionalgruppe etabliert und stellt die Hegemonie der Wiener Gruppe in Frage.

 

Des weiteren wird ganz offensiv der Aufbau von Immobilienstrukturen forciert. In Wien und Graz gibt es eigene Büros für Schulungen, Workshops, Arbeiten und als Treffpunkt, in Rostock soll ebenfalls ein Büro eröffnet werden und in Halle will Kubitschek der Kontra Kultur ein ganzes Haus ermöglichen. Die IB setzt also auf Gebäude und Räumlichkeiten, die von Kaderwechseln unberührt bleiben. Die Aktionen in den letzten zwölf Monaten zeigen zudem für Deutschland eine starke regionale Fokussierung auf die neuen Bundesländer auf. Bis auf einen Bannerdrop am Kölner Hauptbahnhof im Zuge des Jahrestags der Sylvesternacht lassen sich keine größeren Aktionen verzeichnen. Daraus lässt sich schließen, dass der Aufbau von aktionsfähigen oder -bereiten Strukturen in den alten Bundesländern langsamer verläuft als in den neuen Bundesländern.

Harmlose Aktionen mit großem Echo

Die Frequenz von größeren Aktionen ist vor allem in Deutschland stark gestiegen. Wurden zu Beginn hauptsächlich Kleinstaktionen wie das Verteilen von Pfefferspray oder Sticker sowie Reisen zu bestimmten Orten auf den eigenen Kanälen (hauptsächlich Facebook) geteilt, steht die IB spätestens seit den Aktionen in Graz (Parteizentrale der Grünen) und Wien (Stürmung einer Theateraufführung) verstärkt im medialen Fokus. In Deutschland brachte sie der Bannerdrop auf dem Brandenburger Tor bundesweit in mehr oder weniger alle Medien. Größere Aktionen seit dem: Banner auf dem Balkon der Parteizentrale der Grünen, die #ibsterblockade vor der CDU-Zentrale, Bannerdrop von der Gedächtniskirche (kaum Echo da wenig Außenwirkung), die komische Stasisache vor dem Justizministerium (alle Berlin), das Banner auf der Businstallation in Dresden, Bannerdrop von der türkischen Botschaft in Wien, Crowdfunding für die App Patriot Peer und zuletzt die Aktion im Mittelmeer.

Was all diese Aktionen ausmacht, ist ihr eigentlich harmloser Charakter. Sich mit einem Banner irgendwo hinstellen, Pyros abfackeln und dabei Fotos machen kann jede*r und ist vor Ort schnell gemacht. Außerdem gehört das seit Jahren zum Basisaktivismus im antifaschistischen Bereich. Die Aufmerksamkeit beruht hauptsächlich auf zwei Faktoren. Zum einen verkauft sich die IB selber als zeitgemäße Jugendbewegung und verköpert nach außen hin nicht das Klischeebild „Neonazi“, welches viele Menschen immer noch untrennbar mit radikal Rechten verbinden. Zudem ist das Corporate Disign der IB schlicht und effektiv. Zum anderen liegt es an den teilweise symbolträchtigen Orten, an denen die Aktionen stattfinden. Bannerdrops vom Brandenburger Tor oder der türkischen Botschaft zeigen einerseits eklatante Sicherheitsprobleme an teilweise sensiblen Stellen auf, bedürfen auf der anderen Seite vernünftiger Planung. Auch die Hebebühne, mit der die IB das Transparent in Dresden an den beiden Bussen angebracht hat, muss irgendwie organisiert und bezahlt werden.

Eine Aktion wie die im Mittelmeer ist eigentlich lächerlich und harmlos ohne Ende, erreicht durch die mediale Rezeption aber erst ihre volle Wirkung. Dieses Spiel spielt die IB ziemlich gut und schafft es immer wieder, sich in die Medien zu bringen. Damit wirkt sie nach außen einerseits größer als sie tatsächlich ist, produziert auf der anderen Seite aber auch wenig negative Nachrichten im Sinne von körperlicher Gewalt. Das dies nur die Außendarstellung ist und nicht der Realität entspricht, zeigt vor allem die Kontra Kultur in Halle. In den letzten Wochen gab es dort mehrere Angriffe von IBlern, teilweise mit Waffen.

Warum Berlin

In Sachen Aktionen ist Berlin in Deutschland eindeutig der Schwerpunkt. Nirgendwo fanden mehr größere Sachen statt. Dafür dürfte es einige Gründe geben: Berlin hat mit 3,5 Millionen Einwohnern und vielen Studis eine große urbane Zielgruppe für die IB und vor allem im Umfeld der Freien Universität Berlin einige Burschenschaften, aus denen sie rekrutieren kann und deren Strukturen genutzt werden können. Nicht umsonst gab es im Vorfeld der Demo am und auf dem Gelände der FU Sticker- und Plakatieraktionen. Außerdem parkten um die Demo zum Beispiel bei der Gothia-Burschenschaft diverse Autos von außerhalb.

Berlin ist zudem Bundeshauptstadt und besitzt viele historisch aufgeladene Orte und Gebäude, Ministerien und Sitze/Zentralen von Parteien, Stiftungen und Organisationen. Hier lässt sich also einiges mit Aktionen bearbeiten und ist attraktiv für eine Demo. Der Faktor „Im Herzen der Haupstadt“ darf auch nicht außer Acht gelassen werden, ist das für viele Faschist*innen tatsächlich ein wichtiger Punkt. Berlin ist zudem von den umliegenden Strukturen in Ostdeutschland relativ gut zu erreichen so müssen die Leute aus Halle, Hamburg oder Rostock nicht extra nach Wien fahren.

Ein weiterer wichtiger Punkt dürfte allerdings die dünne Personaldecke der IB sein. In Österreich werden zur Zeit die App Patriot Peer und die nächste Aktion im Mittelmeer geplant. Nebenbei noch eine Großdemo planen und durchführen dürfte die Kader dort überstrapazieren. Also wird die Demo an Berlin abgegeben, die mit Hilfe der anderen Strukturen in der Region dieses Projekt stemmen und sich so beweisen sollen.

Die Mobilisierung

Die IB hat von sich alles aufgefahren, was sie auffahren konnte. Auf sämtlichen Kanälen wurde massivst dafür geworben, in Berlin wurde erstmalig von der IB in mehreren Stadtteilen plakatiert. Auch andere Gruppen haben zur Teilnahme aufgerufen, zum Beispiel „Wir für Deutschland“ von Enrico Stubbe, die IB hat sich allerdings teilweise davon distanziert. Der Tenor war das übliche Gebrabbel von identitärer Jugend Europas, Patriotismus, Heimat und dem vermeintlichen Kampf als letzte Verteidiger gegen die Islamisierung.

Auf antifaschistischer Seite wurde dieses Mal überregional mobilisiert. Aus Hamburg und Leipzig gab es eine gemeinsame Anreise, in Berlin organisierte das BBgR den offiziellen Gegenprotest und hat als Marschroute die Blockade der IB-Demo vorgegeben. „Identitäre? Blockieren!“ war der Mobislogan. Und die Mobi zog spektrumsübergreifend, selbst der grüne Bundestagsabgeordnete Mutlu aus dem Wedding rief offen zum Blockieren auf. Die Strategie aus bürgerlicher und antifaschistischer Strategie hat voll gegriffen.
Die IB hatte als Startpunkt den S-Bhf Gesundbrunnen angemeldet – ein taktischer Fehler. Denn von dort zum Hauptbahnhof führt erst mal nur eine Straße, die Brunnenstraße. Der Weg durch den Wedding wurde durch die Gegendemo mit Startpunkt Leopoldplatz verhindert. In der Nähe vom Nordbahnhof sollten sich die offiziellen Routen kreuzen. Aus dem Antifaspektrum wurde in der Woche vor der Demo dann massiv zur Brunnenstraße mobilisiert. Denn dank des Bahndammes, auf dem der Bahnhof Gesundbrunnen liegt, und des direkt dahinter in Demolaufrichtung beginnenden Humboldthain-Parks kann die IB nicht einfach mal so umgeleitet werden. Eine Blockade möglichst früh würde die IB am Gesundbrunnen halten oder irgendwo auf der Brunnenstraße festsetzen. Von der offiziellen Gegendemo, welche zwei Stunden vor der IB-Demo starten sollte, wäre zudem Unterstützung und Zufluss von hinten bei ersten Blockaden möglich.

#dankeantifa

Und auch hier kann eigentlich nur ein Erfolg auf ganzer Linie vermeldet werden. Während die Gegendemo parallel in relativer Nähe zur IB-Route durch Wedding und Mitte zog, gab es erste Blockadeversuche, an der Ecke Stralsunder Straße blockierte ein Finger mit 150-200 Leuten und konnte nicht eben mal so geräumt werden. Obwohl die Polizei versuchte mit großflächigen Hamburger Gittern die Route freizuhalten, konnte natürlich unmöglich die komplette Route gesperrt werden. Die Brunnenstraße wurde an dieser Stelle dann auch in drei Richtungen blockiert, die offizielle Route konnte nicht gelaufen werden. Im Laufe der Zeit wurden weitere Blockaden auf möglichen Ausweichrouten und auf der Hauptstrecke gesetzt, insgesamt beteiligten sich mehrere hundert Menschen.

Die IB startete gegen 15 Uhr mit etwa 600 bis 700 Personen und lief knappe 800 Meter bis zum U-Bahnhof Voltastraße. Weiter sollte es auch nicht gehen, dank der Blockaden wurde die Demo nach zwei Stunden Stillstand beendet. Die Polizei hatte kurz zuvor mit ersten Räumungen angefangen, allerdings relativ harmlos. Wurden zu Beginn erste Blockadeversuche noch mit Pfeffer bearbeitet, setzte sich sich vermutlich die Erkenntnis durch, dass hunderte Personen nicht mal eben so geräumt werden können. Zudem wurde der Gegenprotest von einem weiten Spektrum getragen und es blockierten nicht nur Leute in schwarz. Berlin hatte ganz offensichtlich keine Lust auf die IB. Zum Ende der Demo gab es dann noch ein bisschen Capture the Flag und einige IB-Fahnen wechselten die Seite.

Die IB-Seite der Demo

Die IB selber spricht offiziell von 850 Teilnehmer*innen ihrer Demo. Diese Zahl ist wie immer mit Vorsicht zu genießen, wird standardmäßig bei sich hoch- und bei den anderen runtergerechnet. Realistische Angaben liegen bei 600 bis 700 Leuten, die die IB mobilisieren konnte. Damit wurden die 120 vom Jahr davor übertroffen, die 800 bis 1000 aus Wien aber auch nicht erreicht. Die Teilnehmenden kamen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum, so postete die IB Schwaben ein Gruppenbild mit etwa 15 Personen, die auf dem Weg nach Berlin seien. Unter den Teilnehmer*innen sind vor allem Bachmann und Däbritz von Pegida hervorzuheben, die wohl auch den Lauti organisiert haben. Die Kontakte der letzten Monate materialisieren sich also in einer handfesten Unterstützung.

In der ersten Reihe fanden sich Kader aus Halle, Berlin und Wien wieder. Das Publikum spiegelte aber mitnichten das Bild, dass die IB gerne hätte. So fanden sich diverse ältere Personen aus, aus Österreich wurde sogar Sandrea gesichtet. Die älteren Semester wurden allerdings auf die hinteren Plätze verwiesen, um nicht direkt vorne das Image zu stören. Weibliche Personen wurden auch prominent vorne positioniert, um den auffälligen Männerüberschuss zu kaschieren.

Alle Selbstdarstellung konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die IB sich hauptsächlich aus dem klassischen Faschospektrum rekrutiert und nicht die harmlos coole Seite der Heimatliebe darstellt. Klare Männerdominanz, faschistische Tattoos und Slogans, der Unterschied zu einer NPD-Demo ist auf vielen Bildern nur durch die Fahnen und weniger Hooloutfits auszumachen. Die Stimmung auf der Demo wird als immer aggressiver beschrieben, je länger die Blockade ging. Anwohner*innen vor Ort zeigten laut und deutlich ihre Ablehnung der IB, zurück kamen aggressive Pöbeleien und Rufe nach Abschiebung und dergleichen. Später versuchte die IB dann auch noch durch die Polizeiketten zu gelangen und es kam zu einigen Ausschreitungen. Die Polizei setzte Pfeffer ein. Nach offizieller Auflösung der IB durch Robert Timm versuchte die Demo zurück Richtung Gesundbrunnen auszubrechen, wurden aber größtenteils von den Cops gekesselt.

IB-Darstellung vs Realität – Fazit

Die Demo ist für die IB eigentlich ein Desaster auf fast allen Ebenen. Als Pluspunkt kann sie eigentlich nur für sich verbuchen, mit 600-700 Leuten relativ vernünftig in Berlin mobilisiert zu haben. Wirklich viel bleibt davon aber nicht übrig, wenn die teilweise internationale Anreise eingerechnet wird und dies die Hauptdemo darstellt. Die IB selber spricht von 850 Personen auf ihrer Demo und liegt damit über den realistischen 600-700. Der Punkt ist allerdings geschenkt, Zahlentricks gibt es auf fast allen Demos. Wichtiger ist, dass selbst nach eigener Angabe das eigene Ziel von über 1000 Leuten verfehlt wurde. Auch wird verschwiegen, dass weniger Menschen als in Wien erschienen sind. Stattdessen wird der Zuwachs zur letztjährigen Demo in Berlin herausgestellt – die aber nicht Hauptdemo war. In Posts auf der FB-Seite schreibt die IB zudem: „Die heutige Demonstration der Identitären Bewegung war trotz diverser Blockaden ein voller Erfolg.“ und „Generell können wir diese Demo als Erfolg verbuchen, denn sie konnte trotz einiger Blockaden von Linken erfolgreich durchgeführt und alle Redebeiträge abgehalten werden.“

Eine Demo wird eigentlich nur dann erfolgreich durchgeführt, wenn sie die komplette Route laufen kann und nicht nach 800 Metern stecken bleibt. Auch das alle Redebeiträge gehalten wurden – welch patriotischer Erfolg! Alles andere wäre angesichts der zwei Stunden in der Blockade auch ein Wunder gewesen. Auch andere Aussagen verwundern. So soll die Polizei einmal nicht geräumt haben (was sie nach etwa 90 Minuten in der Blockade dann doch tat), dann wieder zu sanft. Auch soll die Zivilgesellschaft keine vernünftige Mobilisierung mehr hinbekommen und sich zudem stark auf migrantische Personen stützten (so what?), während bei der IB aus ganz Europa junge Patriot*innen angereist wären. „Während man es über die üblichen Netzwerke der sogenannten „Zivilgesellschaft“ augenscheinlich nicht mehr schafft Menschen für politische Belange zu interessieren, reisten junge Identitäre auf eigene Kosten quer durch den Kontinent, um sich mit Gleichgesinnten in Berlin zu treffen.“

Die IB schafft es also nach eigener Aussage nicht, mehr Leute als die angeblich schwache Zivilgesellschaft zu mobilisieren – obwohl aus ganz Europa angereist wurde. Auch wird hier auf bundesweite Gegenmobilisierung hingewiesen, obwohl selber auch überall geworben wurde. Wenn also bei vermeintlich gleicher Mobilisierung die IB bedeutend weniger Leute mobilisieren konnte, obwohl aus sämtlichen Strukturen angereist wurde, sagt dies doch alles über die „Stärke“ der IB aus. Mehr ist einfach nicht drin. Auch wird immer wieder auf die jungen Leute verwiesen, die ein starkes Zeichen gesetzt hätten. Ein bedeutender Teil war aber deutlich über 30 und mitnichten jung. Auch folgenden Satz kann man vermutlich nur mit IB-Logik verstehen: „Die Linksextremisten konnten zwar blockieren, sind aber letztlich doch gescheitert.“

 

Die IB versucht verzweifelt aus ihrer durchschnittlichen Mobilisierung und einen Totalblockade irgendwie einen Erfolg zu machen. Die eigene Aggression wird komplett verschwiegen. Dabei hat diese Demonstration vor allem gezeigt: Trotz einem riesigen medialen Hype und einer vermeintlichen Abgrenzung zu Faschist*innen ist die IB einerseits definitiv keine Bewegung, andererseits eben doch klassisch faschistisch unterwegs. Ihre Versprechen konnte sie nicht einhalten und Berlin wird neben der Blockade in Wien eines der großen Debakel dieser Gruppierung bleiben. Da hilft auch alle Selbstdarstellung nichts.