Lest! Mehr! Schrott!

Immer mal wieder werden bestimmte Artikel/Filme/Clips/Songs durch bestimmte Kreise gejagt. Entweder zur allgemeinen Belustigung, Empörung oder Distanzierung. Das Phänomen ist nicht neu und auch nicht außergewöhnlich, es trifft auf so ziemlich alle Gruppen zu, die sich als solche von anderen unterscheiden lassen bzw. eine eigene Szene bilden. Gestern war auf Twitter und Facebook eine Kolumne aus dem Missy Mag fällig. Deborah Antmann hat sie verfasst, Jüdischer Feminismus 101 heißt sie. Die Aufreger sind schnell gefunden: Germanys Next Topmodel gar nicht mal so übel (wie das aus feministischer Praxis heraus zu vertreten sei, vor allem in Anbetracht der Objektifizierung, kompletten Ausschlachtung und Demontage der Teilnehmer*innen sowie den Gesundheitsidealen und -risiken, die propagiert werden, dürfte interessant werden), die unsäglichen Sprechortverweise, das Negieren eines „Universalfeminismus“ und damit das implizite Rütteln an einer überall nachprüfbaren Gleichstellung aller Menschen anhand objektiver Maßstäbe und natürlich vor allem dieser Satz hier:

„Dabei möchte ich das gar nicht, denn: Religion (solange sie nicht christlich ist) ist Widerstand! Eine Religion auszuüben, die nicht Teil christlicher Dominanzkultur ist, in die Synagoge oder Moschee oder oder oder zu gehen, ist strukturbedingt PER SE ein widerständiger und emanzipatorischer Akt.“

Ist doch egal

Aber genau das soll hier nicht das Thema sein. Daran empören, belustigen und arbeiten sich andere ab. Zum einen ist die Kolumne tatsächlich in jüdischer Tradition geschrieben und präsentiert daher eher einen Stream of Conciousness (Chaver Moshe Weintraub approves to that one), zum anderen ist es eben eine Kolumne. Es ist kein Leitartikel, keine Examensarbeit und keine Studie – sondern ein Meinungsbeitrag. So wie der Text hier auch einer ist. Im Englischen wird das auch gerne Mal als Opinion Piece bezeichnet, wenn dabei eine bestimmte Haltung oder Position zu einem Thema vertreten wird.

Grundsätzlich gibt es in Zeitungen und Zeitschriften viel Platz, der gefüllt werden will. Auch ohne Werbung. Wer einen Blog betreibt oder eine FB-Seite, kann das nachvollziehen. Wenn ständig Content selber erarbeitet werden muss, sieht man so ein Zeitung (vor allem eine Tageszeitung) mit anderen Augen. Und deshalb gibt es dann auch unterschiedliche Arten von Beiträgen in den Zeitungen. Damit es spannend bleibt und es auch für die Schreibenden interessanter wird, nicht immer nur eine Art von Beitrag machen zu müssen.

Und machen wir uns nichts vor: Natürlich kommt da ne Menge Schrott bei rum. Termindruck, schlechter Tag, Kreativloch, zu viele Artikel, miserable Schreibe und fehlende journalistische Fähigkeiten – die Liste ist lang und die Zahl schlechter Artikel immens. Auch in deinem Schreibmedium der Wahl gibt es Grütze zu lesen.

Raus aus der Filterblase!

Und mit Filterblase ist hier nicht nur der Algorithmus des sozialen Netzwerkes und der Suchmaschine der Wahl gemeint. Hier ist auch das Ausbrechen aus dem selbstgewählten Medienkokon gemeint. Wir neigen dazu, uns mit Menschen und Meinungen zu umgeben, die uns nahe sind. Was ja auch völlig ok ist. Nur führt das dann auch manchmal dazu, dass bestimmte Bereiche völlig unzugänglich sind. Die ganze Zeit über die AfD-Wähler*innen herziehen, alle Informationen aber ausschließlich aus Facebookkommentarspalten gezogen zu haben, ist halt etwas an der möglichen Realität vorbei. Wer wissen will, warum Leute AfD wählen, muss mit den Leuten sprechen.

Und aus diesem Grund hier die klare Empfehlung: Lest! Mehr! Schrott! Raus aus der bequem eingerichteten Welt des medialen Zuflusses und hinein in das ungestüme Wasser aus fremden und konträren Meinungen. Dazu zählt dann auch das Lesen von Medien wie Sezession, Junge Freiheit, Cicero, Bahamas, FAZ, Junge Welt, Kölner Stadtanzeiger, Missy Mag und eventuell sogar mal Boulevard *schauder*. Warum? Moshe Weintraub sagte im Gespräch über den Missy Mag-Artikel folgendes:

Ich finde 90% der Opinion Dinger in der Haaretz furchtbar und lese sie trotzdem, da sie mich dazu bringen Dinge zu hinterfragen – meine Meinung bestimme am Ende ich.Die Meinungen mögen einem nicht passen, aber so lange sie nicht menschenverachtend sind, sind es Meinungen.

Als Erinnerung: Wir reden hier von einer Kolumne, also einem Meinungsbeitrag, keinem Science Paper. Hier wird also schon per journalistischer Form festgelegt, dass es sich um eine Meinung handelt, nicht um die Wahrheit. Diese Meinung muss ich nicht teilen. Aber ich kann mir ganz viele verschiedene Meinungen anhören bzw. durchlesen und dann schauen, welche für mich Sinn ergibt. Vielleicht kann ja sogar der Argumentation in einem rechten Blatt etwas abgewonnen werden. Und wenn es nur das Verständnis ist, wie diese Logik funktioniert und wo sie fehl geht. Nur weil ich etwas lese, muss es noch lange nicht meine Meinung sein. Wenn ich aber immer nur das lese, was mir sowieso schon gefällt und zusagt, werde ich andere interessante Perspektiven gar nicht erst wahrnehmen.

Und daher noch mal der Appell: Lest! Mehr! Schrott! Diese Kolumne hier habt ihr ja auch durchgestanden.