Recherche: Einprozent und die rechten Ausschreitungen in der Bremer Straße in Dresden

24. Juli 2015: Nazis in der Bremer Straße

Heute vor zwei Jahren mündete eine NPD-Demonstration in Dresden in schwere Ausschreitungen, bei denen Flaschen und Böller auf Gegendemonstrant*innen geworfen wurden. Die vollkommen überforderte Polizei konnte kaum etwas gegen die etwa 200 Nazis und Rassist*innen ausrichten. Drei Menschen wurden verletzt, unter anderem erlitten zwei Teilnehmerinnen der Gegendemonstration Kopfverletzungen durch geworfene Glasflaschen.

Die Gewalt richtete sich einerseits gegen linke Demonstrant*innen, andererseits gegen Asylbewerber*innen, deren Einzug in das Zeltlager in der Bremer Straße für diesen Tag angekündigt war. Es war ein Angriff auf die Freiheit Andersdenkender und Andersaussehender.

Gerade in diesem Zusammenhang kann es nur als blanker Hohn verstanden werden, wenn mindestens zwei der damals Beteiligten am 17. Juli 2017 gegen einen Vortrag von Heiko Maas und gegen die angebliche Einschränkung der Meinungsfreiheit protestieren.

17. Juli 2017: Überschneidungen mit „Dresden 5k“ beim Anti-Maas-Protest

Heute vor einer Woche gelangten während des Vortrags von Heiko Maas sechs männliche Personen auf die Bühne. Sie hatten schwarze Tücher mit der Aufschrift „Stasi 2.0“ vor den Mündern, einer hielt ein Transparent mit der Aufschrift „Maas = Stasi“ in die Kameras. Nach Ende der Veranstaltung wurden mindestens zwei von ihnen vom russischen Sender „RT Deutsch“ interviewt.

Nach Angaben des Netzwerks „Ein Prozent für unser Land“ ist die Aktion der Einprozent-Gruppe „Dresden 5k“ zuzuordnen.

Einer der sechs Beteiligten war Ronny Thomas (1). Thomas kann auf eine langjährige Karriere in der lokalen Naziszene zurückblicken: 1997 NPD-Kreisverbandsvorsitzender, bis er wegen eines brutalen Angriffs auf Jugendliche zurücktreten musste. Er ist mehrfach vorbestraft, hat zwei Haftstrafen verbüßt. Zudem galt er jahrelang als Führungsfigur der „Freien Kräfte Dresden“ und betrieb die Website des „Aktionsbündnis gegen das Vergessen“, das sich für die Naziaufmärsche zum 13. Februar verantwortlich zeichnete. Nach deren Aufkommen beteiligte er sich an den sich bürgerlich gebenden rassistischen Initiativen in Dresden und Umgebung, etwa am 22. Oktober 2015 an der Blockade einer Geflüchtetenunterkunft in Dresden-Übigau und am 14. April 2016 an einer Demonstration des „Demokratischen Aufbruchs Sächsische Schweiz“ in Sebnitz.

Neben Ronny Thomas war mindestens eine zweite Person (2) der „Dresden 5k“-Truppe an den Ausschreitungen in der Bremer Straße beteiligt. In einem Video ist zu sehen, wie der blonde Mann in rotem Hemd von einer erhöhten Position aus Wasser an die anwesenden Nazis verteilt. Ob er und Thomas sich damals schon kannten, ist unklar.
Am dritten Oktober posierte er zusammen mit Edwin Wagensveld und Tatjana Festerling in einem Schlauchboot mit den Aufschriften „Und wer rettet uns?“ & „Wer Merkel wählt, wählt den Krieg! Es lebe EINPROZENT u. Festung Europa!“
Auch zu weiteren Veranstaltungen trat er als Einprozent-Mitglied auf, so am 3. April 2017, zusammen mit dem oben erwähnten Nazi Ronny Thomas. An diesem Tag hielt er auch das Pegida-Fronttransparent, direkt neben Bachmann Senior.
Ein Foto vom 26. Juni 2017 zeigt ihn zusammen mit zwei weiteren „Dresden 5k“-Mitgliedern, die sich an der Aktion gegen Maas beteiligt hatten.
Am 10. Juli 2017, der ersten Pegida-Demo nach dem G20-Gipfel in Hamburg, brachte unser „Dresden 5k“-Mann anwesenden Polizisten Geschenke, die sie aus Korruptionsgründen allerdings nicht annehmen konnten.

Als dritter an der Aktion gegen Maas Beteiligter sei der „Pfarrer Hans“ (3) erwähnt. Unter diesem Namen jedenfalls trat er am 10. April 2017 als Redner bei Pegida auf. Dort schürte er Hass gegen Muslime und Geflüchtete, die seiner Meinung nach Christen kreuzigen würden. Außerdem verglich er das Vorgehen von „Linksideologen“ mit den Taten der Nationalsozialisten 1933 bis 1945 und unterstellte unter anderem der Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau, zu „versuchen, das deutsche Volk auszulöschen oder zu Arbeitssklaven für hereinströmende Herrenmenschen zu machen“.
Einer Verlautbarung der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens zufolge ist Hans „kein Pfarrer und hat auch nie bei der sächsischen Landeskirche gearbeitet.“

Fazit

Im Netzwerk „Ein Prozent für unser Land“ sind zahlreiche Gruppen organisiert, die, finanziell ausgestattet, zu größeren und kleineren Aktionen befähigt werden. Man versteht sich als „Bürgernetzwerk“ von „unzufriedenen Demokraten“, als „seriöse Lobbyorganisation für verantwortungsbewusste, heimatliebende Bürger“. Artikel wie dieser zeigen allerdings: Beim genaueren Hinschauen stecken unter der bürgerlich-demokratischen Fassade oft extreme Rechte und Menschen, die mit ihnen und ihren Ideen paktieren.

Quelle Beitragsbild: Frank Stollberg @ Twitter

Amerika und der Antifaschismus

Antifaschistische Gruppen haben in Europa eine lange Tradition. Dies liegt vor allem an dem europäischen Faschismus in der 30ern in Italien und Deutschland vor allem, dem ein direkter Konterpart entgegen gesetzt werden musste. In Amerika gab es zwar auch faschistische Bewegungen mit positivem Bezug auf Nazi-Deutschland in dieser Zeit, diese waren aber eher klein.

Hinzu kommt, dass Amerika zur damaligen Zeit selbst noch mehrheitlich rassistisch und diskriminierend gegenüber Minderheiten war. Die Rassentrennung war Alltag (auch nach der offiziellen Aufhebung 1964), ultrakonservative Politiker im Amt bestärkten diese noch. Gruppen wie der KKK hatten 6 Millionen Mitglieder. Gerade mal hundert Jahre zuvor war ja auch erst die Sklaverei abgeschafft worden.

Nennenswerte militante Gegenwehr gab es erst in den 60ern mit Gruppen wie der „Black Panthers Party“ oder „Nation of Islam“. Zwar gab es auch schon vorher Vorreiter der Bürgerrechtsbewegung wie Martin Luther King oder Rosa Parks. Auffällig dabei ist, dass sich alles rund um PoC dreht. Andere Themen wie Homophobie, Sexismus, etc. waren eher Randphänomene.

Jedoch unterscheiden sich die Gruppen eklatant voneinander, sowohl in der Ideologie als auch in der Umsetzung. Martin Luther King engagierte sich nicht-gewalttätig und eher agitatorisch. Er versuchte Diskriminierungen zu beseitigen. Die Black Panthers Party dagegen schreckte nicht vor Gewalt zurück. Sie war maoistisch ausgelegt, im weiteren Verlauf wurden aber auch nationalistische Thesen vertreten. Noch kruder wurde es bei der Nation of Islam, die eine Vorstellung von „Black-Supremacy“ mit einem aggressiven Islamismus verband. Daran zeigt sich schon wie unterschiedlich die Vorstellungen vom Kampf gegen Unterdrückung war.

Alle Bewegungen litten unter massiver Kriminalisierung und Verfolgung durch die Behörden. Hinzu kam die Ablehnung durch die mehrheitlich weiße Gesellschaft. Auch heutzutage müssen PoC in Amerika noch stark Alltagsrassismus erfahren.

Eine neue Welle der Diskriminierung kam durch die „Alt-Right“-Bewegung auf. „White Supremacy“ und andere Ideologien dürfen wieder offen gezeigt werden. Diese waren zwar nie verschwunden, jedoch trauten sich die meisten Anhänger nicht dies in Zeiten von „political correctness“. Dies änderte sich jedoch rund um die Zeiten der Wahl von Donald Trump. Rassistische Gruppierungen witterten Morgenluft und griffen offen Andersdenkende, PoC, Muslime, Juden, LGBTIQ*-Personen an und fühlten sich sicher.

Um diesem etwas entgegenzusetzen, bilden sich neuerdings verstärkt antifaschistische Gruppen. Diese stellen sich rassistischen „Rallies“ entgegen. Dabei kommt es des Öfteren zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit „Alt-Right“-Anhängern – mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Der Antifaschismus ist also aus purer Notwendigkeit entstanden.

Das größte Ereignis dieser neuen antifaschistischen Bewegung in Amerika war wohl der Protest rund um die Vereidigung von Donald Trump. Antifaschistische Gruppen riefen zum Protest auf, der gewaltig ausfiel. Autonome Gruppen ließen ihrer Wut in den Straßen von Washington freien Lauf. Auch dort wurden wieder gewaltige Repressionsmaßnahmen durchgeführt. Aktivist*innen wurden zu 3 Jahren Haft verurteilt wegen „Vermummung, Sachbeschädigung und Angriffen auf Polizeibeamte“. Hier zeigt sich, dass der Staat keine Gnade zeigt, wenn es um Linke geht – woran uns das wohl erinnert.

Ideologisch zeigen sich einige Unterschiede, was sich jedoch historisch erklären lässt. Der antifaschistische Kampf in Amerika war immer auf Verteidigung ausgelegt und auf die Anti-Diskriminierungs-Agenda von Minderheiten. Eine vollständige ideologische Agenda gibt es nicht. Meist orientieren sich die Aktivist*innen eher an maoistischen/stalinistischen Ideen. Ausgeklügelte anarchistische Elemente – abseits des Sprühens des A – finden sich eher selten.

Dies muss jedoch auch ein Auftrag an amerikanische Aktivist*innen sein. Eine Selbstverteidigungshaltung ist gut und wichtig, dort darf es jedoch nicht aufhören. Auch ideologische Schulung und das Entwickeln einer tragfähigen Zukunftsvision gehören dazu. Dabei sollten sie jedoch darauf achten sich nicht in totalitären System zu verlieren, die sie ja gerade versuchen zu bekämpfen.

Autonome – Antifa – Schwarzer Block – Militanz – Extremismus

Im Zuge der ganzen Ereignisse rund um den G20-Gipfel und den Nachwehen hier noch mal ein paar Begriffserklärungen. In den Medien und in weiten Teilen der Gesellschaft werden einige Begrifflichkeiten synonym verwendet – daher ein paar Richtigstellungen.

Der Schwarze Block

DEN Schwarzen Block gibt es nicht, es ist schlichtweg nur eine Demotaktik. Schwarze Kleidung ohne auffällige Merkmale, die zur Identifizierung dienen könnten, hat sich als äußerst praktisch im Demoalltag erwiesen.Sowohl Polizei als auch Nazis wird dadurch die Identifizierung von Personen erschwert bis verunmöglicht. Und da es vor allem im Winter früh dunkel wird, ist dunkle Kleidung noch mal praktischer, um unauffällig zu bleiben. Außerdem macht schwarze Kleidung nach außen hin am meisten Eindruck – siehe Titelbild zum Artikel hier.

Diese ganzen Punkte sind auch kein großes Geheimnis, im Gegenteil. Es hat schon seine Gründe, warum Polizei- und Spezialeinheiten weltweit dunkel und vermummt auftreten. Die Taktik des Schwarzen Blocks war so erfolgreich, dass Faschos sie dann irgendwann kopiert haben und es so stellenweise auch auf Faschoverantstaltungen einen Schwarzen Block zu sehen gibt, z.B. in Plauen letztes Jahr. Da es sich hier um eine Taktik handelt, können dem Schwarzen Block auch keine Eigenschaften kollektiv zugeschrieben werden. Theoretisch könnte es beim nächsten Kirchentag oder beim CSD einen Schwarzen Block geben. Historisch kommt auch noch dazu, dass in den 60ern und 70ern die Cops gerne mal einfach so in Demos reingeprügelt haben und sich deshalb Personen dazu entschieden haben, sich vorne gegen die Polizei zu stellen, damit die Personen weiter hinten in der Demo nicht so im Fokus der Polizei stehen und sicher bleiben.

Antifa

Eigentlich recht einfach erklärt, der Name sagt alles: Personen oder Gruppen, die gegen Faschismus aktiv sind. Die Formen sind vielfältig und reichen von parlamentarischen Antifaschismus, Recherchearbeit, Stickerkleben und das Organisieren von Gegendemo bis hin zu Hausbesuchen und Automobilkritik. Wirklich einheitlich ist Feld nicht und es gibt auch nicht DIE Antifa. Antifa ist nur ein Label, den jede*r für sich selber mit Bedeutung füllen muss. Deshalb finden sich unter diesem Wort auch eigentlich komplett gegensätzliche Gruppierungen wie Stalinfans, undogmatische Kommunist*innen, Anarch@s und Bürgerliche zusammen – ob sie wollen oder nicht. Die jeweils zugrunde liegende Ideologie und Faschismusdefiniton führt dann neben der Militanzfrage gerne mal dazu, dass sich Personen oder Gruppierungen darüber streiten, wer jetzt die wirklich richtig echte Antifa sei. (Die Antwort ist dabei eigentlich ganz einfach: Wir oder gar nichts.)

Gesellschaftlich wird Antifaschismus immer gerne auf dumme Randalekiddies reduziert und von jeglichem politischen Inhalt getrennt. Die Gründe dafür sind vielfältig, einer der wichtigsten dürfte die eigene Bequemlichkeit sein. Die Bequemlichkeit, sich nicht mit komplexen Zusammenhängen und politischer Theorie zu beschäftigen, das eigene Verhalten zu reflektieren und zu verändern, die Gesellschaft und das eigene Umfeld kritisch zu sehen, unangenehmen Realitäten ins Auge zu blicken und natürlich auch die Bequemlichkeit, nichts machen zu müssen. Also schlichtweg die Bequemlichkeit, im eigenen Saft zu schmoren. Dabei ist Antifaschismus eine leider immer noch bittere Notwendigkeit und bildet eine Schnittstelle für mehr oder weniger alle Themenbereiche aus dem radikal linken Spektrum.

Autonome

Autonome Personen oder Gruppierungen wollen ganz simpel dem Namen nach autonom von der derzeitigen Gesellschaft sein. Das ist natürlich schwer, da es bis auf absolut selbstversorgende Einsiedler*innen keine Möglichkeit gibt, nicht am Kapitalismus teilzunehmen. Gesellschaft und Staat werden also von unten aus in Frage gestellt, was sich dann auch über autonome Strukturen und Räume äußert. Zum Beispiel besetzte Häuser, Arbeitskampf, genossenschaftliche Projekte und eine Stadt von unten. Alles ist hier unweigerlich mit dem Überwinden des Kapitalismus verbunden. Wie genau das dann im Detail aussehen soll, kann durchaus variieren. Autonom zu sein bedeutet für diese Personen meist auch Militanz. Aktiv zu sein gegen Nazis oder Kapital kann durchaus handfester werden. Generell ist dies aber ebenfalls ein heterogenes Feld. Wo es bei vielen bei Sitzstreiks aufhört, haben andere Personen aus diesem Spektrum auch kein Problem Waffen einzusetzen.

Militanz

Militanz ist nicht das Gleiche ist wie Gewalt. Militanz ist eine Grundhaltung, die Gewalt im Zweifelsfall nicht ausschließt und auch einen gewissen Organisierungsgrad beinhalten kann. Es muss sich dabei auch nicht um körperliche Gewalt handeln. Es geht vielmehr um eine Geisteshaltung, eine Bereitschaft. Du kannst theoretisch militant sein, ohne ein einziges Mal eine Person geschlagen oder ein Auto entglast zu haben. Aber du bist bereit dazu, es im Zweifelsfall zu tun. Der Organisierungsgrad hängt dabei von der Anzahl der Personen ab, die beteiligt sein. Auf Demos oder anderen Aktionen sind Bezugsgruppen Standard, die in der Regel zwischen zwei (dann als Tandem bezeichnet) und sechs oder sieben Personen umfassen. Bei Demos muss zudem eine Ordner*innenstruktur gestellt werden, Lautischutz, Scouts, erste Reihe, Bannerleute und dergleichen. Demos sollten zudem in Reihen laufen, um gegen Zugriffe von außen besser gewappnet zu sein.

Extremismus

Ein politischer Kampfbegriff, der seit der Erstverwendung im Verfassungschmutzbericht 1973 Einzug in die politische Auseinandersetzung gehalten hat und inzwischen weite Teile des Diskurses der Mehrheitsgesellschaft prägt. Seit den 80ern gibt es Bemühungen, den Begriff nachträglich politikwissenschaftlich zu legitimieren, was bedingt durch seine Inhaltslosigkeit nicht wirklich gelingen kann. Als „extremistisch“ wird dabei alles angesehen, was nicht bestimmte Merkmale der angeblich „richtigen“ Mitte erfüllt. Hierbei wird postuliert, dass es eine Mitte gäbe – in Deutschland ist das die BRD mit dem Grundgesetz als Verfassung. Welche politischen Forderungen einzelne Ideologien jetzt haben und wie sie sich eine ideale Zukunft ausmalen, ist der Extremismustheorie egal. So werden dann ein deutsches Weltreich mit Unterjochung aller minderen Rassen, ein islamistischer Gottesstaat, eine stalinistische Diktatur und die befreite Gesellschaft alle in einen Topf geworfen und gelten als „extremistisch“. Der Extremismusbegriff wird inzwischen so undifferenziert verwendet, dass es nur ein „gut“ (nicht extremistisch) und ein schlecht (extremistisch) gibt. Inhalte zählen dabei nicht mehr, weshalb es eben ein politischer Kampfbegriff ist. Besonders anschaulich äußert sich die Extremismustheorie in den allseits bekannten Formulierungen „links und rechts -beides scheiße“, „ich bin weder links noch rechts“ und dem Klassiker „Linke und Rechte in einen Sack und draufhauen, du erwischst immer den Richtigen.“

Und wie geht das jetzt alles zusammen?

Jetzt wird es schwierig, da Viele keinen Bock auf Differenzierung haben. Du kannst ganz direkt gegen Neonazis aktiv sein, aber kein Interesse an autonomen Strukturen oder dem Ende des Kapitalismus haben. Du kannst autonom im Häuserkampf aktiv sein, aber kein Interesse oder keine Zeit für Aktionen gegen Faschos haben. Und du kannst auf antifaschistische und/oder autonome Demos gehen und nicht im Schwarzen Block mitlaufen. Natürlich es große Überschneidungen zwischen Antifaschismus und Autonomen, vor allem im Bereich der militanten oder autonomen Antifa. No shit Sherlock. Eine Sache wie in Hamburg mit den Gegendemos und Protesten ist aber eindeutig dem linksautonomen Bereich zuzuordnen, da es hier nicht direkt gegen Faschos ging, sondern ums große Ganze, sprich den Kapitalismus. Hätten wir das jetzt auch noch mal geklärt.

Wenn die „Guten“ so richtig lästern – das Elend des Lookismus

Am Samstag fand in Themar ein inzwischen wohlbekanntes Neonazikonzert statt. Etwa 6000 Personen aus dem neonazistischem und faschistischem Spektrum kamen zusammen und präsentierten gut dokumentiert, wie das gewaltbereite Neonaziklientel so aussieht. Unter dem Schutze des Demonstrationsrechts wurde dann auch in trauter Runde ordentlich dem deutschen Gruß gefrönt, die Polizei sah keine Veranlassung, die Veranstaltung zu beenden oder einzugreifen. Einige Fotos der Veranstaltung machen seit dem die Runde. Neben einem Polizisten bei einem vermeintlichen persönlichen Kontakt mit Faschos und diversen Nazi-Motiven und Slogans inklusive Liebeserklärungen an Hitler macht vor allem das Bild eines sehr korpulenten Mannes die Runde, auf dessen T-Shirt der Aufdruck „Nationalstolz kann man nicht zerbrechen“ auszumachen ist.

Scheinheilig auf der richtigen Seite

Was sich in den Kommentarspalten zu diesem Bild beobachten lässt, zeigt wieder einmal das massive Problem zwischen Anspruch und Wirklichkeit der eigenen vermeintlichen moralischen Überlegenheit, die sich im Zweifelsfall aber doch nur in dumpfester Überheblichkeit äußert. Vor allem schnelle Medien wie Facebook oder Twitter laden dazu ein, unreflektiert in die Tasten zu hauen und sich am bundesweiten Diffarmierungswettbewerb zu beteiligen. Nazis sind ja scheiße, also immer feste druff. Das dabei der eigene Anspruch flöten geht, ist egal. Jede Ingroup braucht offensichtlich ein Objekt, an dem dann mal lustvoll sämtlicher Anstand ins Gegenteil gekehrt und so richtig gelästert werden kann. Da man sich ja auf der richtigen Seite wähnt – gegen Nazis ist ja immer gut – kann ruhig das Niveau der schlimmsten Boulevardpostillen unterboten werden. Über die man sonst am Besten immer noch schimpft ob ihrer stupiden Triebbefriedigung auf Kosten anderer.

Machen wir uns nichts vor, wir haben alle in gewissem Maße schon selber an diesen Beleidigungsolympiaden teilgenommen. Und natürlich kokettieren viele Seiten, Accounts und Medien zu einem gewissen mit Empörung bzw. Zielgruppenbefriedigung. Hier geht es aber nicht um ein Kokettieren, hier geht es um die Masse an unterirdischen Kommentaren, die sich von Menschen auf der „richtigen“ Seite Bahn bricht – und berechtigte Zweifel aufkommen lässt, wie viel beim Thema Antifaschismus verstanden wurde. Wie konsequent setzt man die eigenen Ansprüche an sich selber um, wenn man sich wegen eines übergewichtigen Faschos ähnlich hetzend und diskriminierend geriert, wie das Objekt des Spottes? Es gibt ganze Seiten, die sich auf das Vorführen von Menschen stützen – und einen inhaltlichen Mehrwert über den Moment der Empörung hinaus oftmals vermissen lassen, von wirklich tiefgreifenden Analysen ganz zu schweigen.

Verteidigungsreflexe

Die Parallelen zur Causa Nazischlampe mit Alice Weidel sind offensichtlich. Ist der Ausdruck im direkten satirischen Kontext als Erwiderung auf ihre Forderung vom Ende der politischen Korrektheit zu verteidigen, da er die logische Konsequenz aus eben dieser Forderung darstellt und mit der daraufhin eingereichten Klage die Scheinheiligkeit Weidels offenbarte, nahmen ihn viele Leute einfach nur zum Anlass, endlich ungehindert eine Frau als „Schlampe“ bezeichnen zu können. Emanzipatorisch ist daran nichts, im Gegenteil. Es werden nur alte Muster unter dem scheinheiligen Deckmantel der „richtigen Seite“ repliziert. Und so verwundert es nicht, dass sich auch hier ein Autor findet, der den ganzen Lästerbros, -sis, inbetween und else einen Persilschein genau dafür ausstellt. Stefan Laurin mimt hier in einem Kommentar bei den Ruhrbaronen die Kronkartoffel gegen den eigenen Anspruch.

Wirklich anspruchsvoll fällt seine Verteidigung nicht aus, es solle hier das Ideal der Nazis (Herrenmenschen dies das) mit ihrer Wirklichkeit konfrontiert werden. In welche Tradition er sich damit stellt, kann in diesem Kommentar nachgelesen werden. Was Laurin weiterhin geflissentlich übersieht oder übersehen will – die meisten Kommentare geben sich ja nicht einmal den Anschein, hier irgendwie einen vermeintlichen Anspruch der Nazis und dessen Scheitern aufzuzeigen. Eine ideologische Auseinandersetzung findet nicht statt, da sie gar nicht gewollt ist. Hier wollen einfach nur Menschen ihrem Lästertrieb nachgeben, den sie sonst ja leider nicht so ausleben können. Es geht den meisten Kommentierenden bei diesem Bild um nichts anderes als Selbstbefriedigung und Circle Jerk. Und auf diese Doppelmoral kann konsequenter Antifaschismus nun wirklich gut verzichten.

G20 – eine Nachbetrachtung

Wir wollen im Nachfolgenden anhand verschiedenerer Meinungen und Perspektiven ein Résumeé für die Proteste gegen den G20-Gipfel ziehen. Dafür haben wir 13 Thesen aufgestellt, zu der jede*r ihre/seine Meinung wiedergeben wird. Natürlich wird eine letztliche Antwort nicht möglich sein, doch nach den sich überschlagenden Ereignissen wollten wir auch für uns eine Klarheit schaffen. Klar ist: die Tage in Hamburg stehen für eine Zäsur. Für die Sicht der Außenwelt auf die radikale linke Szene und womöglich auch auf die radikale Linke untereinander. Kritik, auch untereinander, ist immer wichtig. Damit entsolidarisieren wir uns nicht von den einzelnen Akteur*innen generell, wollen aber auch eine kritische Perspektive einnehmen. 
Thesen
1. Grundsätzlich sind Proteste gegen den G20-Gipfel notwendig.
2. Eine (wie auch immer geartete) Eskalation war sowohl von Politik, Polizei als auch Demonstrierenden gewollt.
3. Die Polizei hatte niemals Interesse an einem Dialog mit der radikalen Linken und wollte wortwörtlich Blut sehen.
4. Die Inhalte der Proteste gegen G20 finden wegen der Ausschreitungen kaum Beachtung.
5. Die „Ergebnisse“ des Gipfeltreffens finden wegen der Ausschreitungen kaum Beachtung.
6. Die breite Öffentlichkeit hat sich auch vorher nicht für die Inhalte des Treffens und der Proteste interessiert.
7.  Die Ausschreitungen waren reiner Selbstzweck ohne politischen Hintergrund, ein Großteil der Randalierer*innen waren keine Linken.
8. Es muss jemand zur politischen Verantwortung gezogen werden.
9.Gipfel wie der G20 sind absolut unnötig.
10. Großstädte sind als Veranstaltungsorte solcher Gipfeltreffen ungeeignet.
11. Die Gewalt wurde von vornherein eingeplant, um von Seiten der Politik und der Polizei Wahlkampf zu machen.
12. Die Medien interessieren sich in den meisten Fällen nicht für Inhalte, sondern für spektakuläre Bilder.
13. Die Mehrheitsgesellschaft unterliegt einem massiven Doppelstandard und hat jetzt endlich wieder einen Grund, zum Teil menschenverachtend gegen alles (vermeintlich) linke zu hetzen.
ES: Erich Schwarz
TL: Tom Lewis
LS: Laura Stern
1. Grundsätzlich sind Proteste gegen den G20-Gipfel notwendig.
ES: Proteste sind immer legitim. Gerade bei solchen Großevents wie dem G20-Gipfel kann man direkt zeigen, was man von solchen Events hält. Aber es muss hier um die Inhalte gehen, die kritisiert werden. Eine Demo ist niemals reiner Selbstzweck, sondern verfolgt ein direktes Ziel. Und gerade wenn man sich anschaut, welche (lächerlichen) Ergebnisse der G20-Gipfel gebracht hat, war der Protest auf jeden Fall notwendig.
TL: 
Auch wenn ich solche Gipfel für notwendig halte, sind es die Proteste dagegen umso mehr. Wenn die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf diesem Gipfel liegt und hunderttausende gegen Kapitalismus, gegen Ausbeutung und Krieg protestieren, kann man damit ein mächtiges Zeichen setzen. Vor allem, wenn Diktatoren daran beteiligt sind, können diese kritisiert werden, was in ihren Ländern nicht möglich ist.
LS:
Ich sehe die Sache pragmatisch: Es ist ein großes Event, bei dem sowieso Interesse an einem Protest besteht. Also kann dieser auch aus dem radikal linken Spektrum heraus organisiert werden. Damit gelangen entsprechende Positionen an ein viel größeres Publikum als sonst. Es ist dann eine Frage der Umsetzung, ob und wie gut das dann gelingt. Diesen Gipfel als Agitationsmöglichkeit auszulassen, halte ich für nachlässig.
2. Eine (wie auch immer geartete) Eskalation war sowohl von Politik, Polizei als auch Demonstrierenden gewollt.
ES: Durch die Erkenntnisse, die sowohl der Polizei als auch der politischen Führung vorlagen, wussten sie, was auf sie zukommt. Im Vorfeld wurde ja auch kräftig Stimmung gemacht (auch von der linken Szene) und da auch die Repressionsschiene gefahren. Letztlich schaden aber die erzeugten Bilder allen. Der Polizei kann es aber am ehesten egal sein. Individuelle Disziplinar- oder gar Strafverfahren sind zwar wahrscheinlich, aber in der Mehrheitsgesellschaft wird dennoch am ehesten auf die linke Szene eingeschlagen. Die Polizei hat in den Augen vieler nichts falsch gemacht, dort wird dann eher die politische Führung dafür zur Verantwortung gezogen z.B. das Ganze überhaupt in Hamburg stattfinden zu lassen oder die chaotische Einsatzplanung.
TL: 
Davon ist auszugehen. Wenn man sich die Vorbereitungen auf beiden Seiten anschaut, stellt man fest, dass sowohl die Polizei, als auch die an den Ausschreitungen beteiligten Protestierenden sich darauf eingestellt haben, Gewalt anzuwenden und eine Eskalation herbeizuführen.
Was die Politik angeht, halte ich es tatsächlich nicht für eine böse Absicht, sondern eher für totale Selbstüberschätzung und Unverständnis der Situation. Wenn Olaf Scholz den G20 mit einem Hafengeburtstag vergleicht und die Bundesregierung der Überzeugung ist, es sei eine gute Idee, einen Gipfel etwa 500m entfernt von einem der größten alternativen Viertel Europas abzuhalten, dann ist das dumm, aber nicht bösartig.
LS:
Machen wir uns nichts vor: Ein Teil der in Hamburg Protestierenden wollte Riots und Gewalt. Das muss so klar und offen festgestellt werden. Wir haben es hier nicht mit dem AfD-Parteitag zu tun, sondern mit einem internationalen Großevent. Und vor allem im mediterranen Raum sind die Auseinandersetzungen viel brutaler als in Deutschland. Dafür läuft die Repression dort anders. Von Seiten der Polizei und der Politik wurde von vornherein auf Konfrontation gesetzt. Je näher der Gipfel kam, desto mehr wurde der Offensivkurs offensichtlich. Die Polizei wollte zu keinem Zeitpunkt die Rechte der Bürger*innen so weit es möglich wäre gewahrt wissen. Sie wollte mit aller Härte Tatsachen schaffen und sich selbst legitimieren. Die Räumung von Entenwerder am Sonntag und der völlig überflüssige Wasserwerfereinsatz am Dienstag haben das dann ganz konkret vor Ort deutlich gemacht. Der Tiefpunkt der polizeilichen Gewalttaktik war das Zusammenknüppeln der „Welcome to Hell“-Demo am Donnerstag. In Kombination mit den ganzen Schikanen und Rechtsbrüchen vor Ort ergibt sich dann eine Stimmung, die bei militanten Linken nicht zur Zurückhaltung führt. „Wir können machen, was wir wollen – und werden trotzdem gepfeffert. Dann können wir auch richtig loslegen, einen Unterschied macht das nicht wirklich.“ – so ähnlich dürfte ein vielgedachter Gedanke gelautet haben. Und ich bin auch der Meinung, dass dies alles vorher absehbar war. Bei einer Sache wie G20 gibt es enorm viele Gefahrenanalysen und -abschätzungen. Mit der Standortwahl Hamburg sind entsprechende Szenarien unter Garantie bis in höchste politische Ämter bekannt gewesen. Von daher: Die Eskalation wurde einerseits von allen Seiten zum Teil gewollt, von den anderen Teilen billigend in Kauf genommen.
3. Die Polizei hatte niemals Interesse an einem Dialog mit der radikalen Linken und wollte wortwörtlich Blut sehen.
ES: Dass die Polizei keine Lust auf Dialog hatte, hat sie bereits im Vorfeld bewiesen. Überharte Einsätze gegen die Campierenden, Kriminalisierung im Vorfeld von Demonstrierenden, Stoppen der „Welcome to Hell“ Demo aus nichtigem Grund, nachdem im Vorfeld keine Auflagen erteilt wurden, etc. Die Polizei hatte nach meinen Beobachtungen tatsächlich Angst. Sie waren bereit Blut zu vergießen. Das sieht man auch an dem SEK-Einsatz. Sie ist ultrabrutal vorgegangen, keine Frage.
TL: 
Wenn man sich einen Hardliner wie Hartmut Dudde als Einsatzleiter engagiert, dann hat man generell kein Interesse an Dialog. Dafür gibt es Hardliner. Sie sollen nicht reden und diskutieren, sondern handeln.
Die vorher angekündigte Nulltoleranzpolitik der Einsatzleitung war schon ein Wink in diese Richtung, da damit nicht nur gesagt wird, dass man Randalierer*innen mit aller Macht der Staates bekämpfen will, sondern auch, dass man jede Form von Widerstand hart angeht. Auch wenn es sich dabei um eine friedliche Demo handelt.
LS:
Es gab kein Interesse an einem Dialog. Es sollten von vornherein Tatsachen durch schiere Macht und Überlegenheit geschaffen werden. Dudde wollte die direkte Konfrontation, hat sie gesucht und letztendlich auch gefunden.
4. Die Inhalte der Proteste gegen G20 finden wegen der Ausschreitungen kaum Beachtung.
ES: Letztlich ja. Die Medien berichten fast ausschließlich über die Ausschreitungen. Dass über 100.000 Menschen zu den Demos kamen und friedlich ihre Meinung gegen den Gipfel gezeigt haben, wird kaum wahrgenommen. Auch der militante Protest wie die Blockadeaktionen – wenn auch nur symbolisch erfolgreich – wird kaum wahrgenommen. Das Einzige, was medial und in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, sind die Ausschreitungen. Selbst in der (radikalen) linken Szene hat dieser kaum eine Relevanz, weil alle nur über die Bilder in der Sternenschanze diskutieren.
TL: 
Das ist leider immer so. Den heutigen Medien, vor allem im Zeitalter der Digitalisierung, sind spektakuläre Bilder immer wichtiger als Inhalte. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sämtliche Aufmerksamkeit den Ausschreitungen zuteilwurde, während die friedlichen Demonstrationen meistens nur eine Nebenbemerkung wert waren.
LS:
Die Gegenfrage hier ist doch, ob die Inhalte des Gegenprotestes ohne die Ausschreitungen wahrgenommen würden. Und da zeigt doch die Vergangenheit, dass dies bisher eher weniger der Fall war. Natürlich, bürgerliche Kampagnen wie gegen TTIP und CETA haben ihr Einzelanliegen sehr gut in die Öffentlichkeit gebracht. Wir reden hier von radikal linker Seite aber um einen kompletten Wechsel des Wirtschaftssystems. Selbst Personen, die sich seit Jahren gegen den Kapitalismus engagieren, „glänzen“ teilweise mit arg verkürzter Analyse und ner Menge Bauchgefühl. Das Thema ist einfach so komplex, es kann kaum massentauglich jenseits schon längst bekannter und abgedroschener Phrasen aufbereitet werden. Und Hand auf Herz: Wer liest sich schon Demoaufrufe durch? Kaum jemand. Es ist doch utopisch anzunehmen, dass ohne die Riots die harten Inhalte der Gegenproteste eine große Reichweite bekommen hätten. Und die der radikal Linken noch mal weniger.
5. Die „Ergebnisse“ des Gipfeltreffens finden wegen der Ausschreitungen kaum Beachtung.
ES: Hier sieht es ähnlich aus wie bei den Inhalten des Protestes. Die Inhalte werden kaum aufgearbeitet. Obwohl Erdogan und auch Trump gezeigt haben wie wenig sie an einem Dialog für eine bessere Welt interessiert sind. Dieser G20-Gipfel ist nämlich – anders als es uns manche Medien suggerieren wollen – kein nettes Kaffee trinken mit Philharmoniebesuch, sondern dort werden knallharte politische Entscheidungen getroffen. Bei dem Treffen sollten Afrika und besonders die Migrationspolitik im Vordergrund stehen. Letztlich führte dieses Treffen zu einer noch stärkeren Austeritätspolitik, während sich die Linken darüber in den Haaren haben, wer denn nun eigentlich an den Ausschreitungen schuld ist.
TL: 
Einerseits verhält es sich hier genauso, wie mit den Inhalten der Proteste. Auch die Ergebnisse dieser Gipfel gingen ein wenig in den Krawallen unter. 
Andererseits muss man dazu sagen, dass die meisten Menschen, sich sowieso nicht für den Gipfel an sich interessiert haben, geschweige denn überhaupt eine Ahnung hatten, worum es inhaltlich geht.
LS:
Wen interessieren schon die Ergebnisse und Beschlüsse? Wer was darüber wissen will, findet alle relevanten Informationen. Wir haben es hier mit Geopolitik und der Weltwirtschaft zu tun. Themen, die eher nicht bei*m Friseur*in besprochen werden. Sofern kein direktes Interesse besteht oder die Ergebnisse tatsächlich wichtig sind oder gar Auswirkungen auf die Gesellschaft hier haben, ist die Aufmerksamkeitsspanne doch eher gering. Meine These: Die Ergebnisse interessieren eh kaum, daran ändern auch die Ausschreitungen wenig.
6. Die breite Öffentlichkeit hat sich auch vorher nicht für die Inhalte des Treffens und der Proteste interessiert.
ES: Es wurde nach meiner Auffassung sehr wenig über die Formen des Protests und auch die Inhalte des Gipfeltreffen berichtet. Das mediale Bild wurde bereits dort von der Diskussion über die „gewaltbereiten Autonomen“ bestimmt. Die Protestinhalte waren ohnehin egal, aber für viele wurde der G20-Gipfel auf ein Stelldichein reduziert ohne tatsächliche Auswirkungen, was einfach nicht der Fall ist.
TL: 
Die mediale Berichterstattung befasste sich hauptsächlich mit der Vorbereitung der Polizei auf den Gipfel und mit allgemeinen Fragen, ob Trump und Putin sich unterhalten würden und ob diese Gespräche Ergebnisse bringen würden. Worum es in den Gesprächen wirklich gehen würde, schien aber nur wenige zu interessieren. 
LS:
Hier ist ein bisschen Selbstkritik fällig: Wir haben uns auch nicht wirklich inhaltlich mit G20 beschäftigt. Im Gegenteil, wir haben mit den Riots und entsprechenden Bildern kokettiert. Im Laufe der letzten Wochen ist mir dann klargeworden, dass dies falsch ist. Gegen Nazis oder Islamist*innen kann die Mobi im Vorfeld gerne so militant sein, wie sie will. Dabei haben wir es aber auch mit konkreten Ereignissen und Gruppierungen zu tun. Bei einem Komplex wie der Überwindung des Kapitalismus ist ein reiner Riotfetisch einfach viel zu kurz gegriffen und geht am Thema vorbei. Die Blockaden um den Hafen herum sind exakt der richtige Weg und entsprechen auch den Grundbetrachtungen, die zur Entwicklung des Generalstreikkonzepts geführt haben: Dem Kapitalismus seine Grundlage – die geordnete Warenproduktion – entziehen oder sie zumindest stören. Und zwar so, dass (theoretisch) kein Mensch zu Schaden kommt. Dieser Aufgabe sind wir nicht gerecht geworden. Und der Protest wurde eigentlich auf die Frage reduziert, wie hart die Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Linken wird. 
7.  Die Ausschreitungen waren reiner Selbstzweck ohne politischen Hintergrund, ein Großteil der Randalierer*innen waren keine Linken.
ES: Zum Teil waren die Ausschreitungen sicher nicht politisch motiviert. Das war Riot ohne Sinn und Verstand. Einzelne Aktionen kann man zwar sicher als militant bzw. linksradikal motiviert betrachten wie z.B. die Weiterreichung von Lebensmitteln an Obdachlosen nach der Plünderung des REWE oder das Verbrennen von Porsche-Fahrzeugen. Letzteres kann man aus linksradikaler Sicht durchaus kritisch sehen. Dies erscheint mir als gelebte regressive Kapitalismuskritik. Wirklich antikapitalistisch ist das in meinen Augen nicht. Noch viel weniger ist es halt antikapitalistische Kritik Kleinwagen anzuzünden, kleine Blumenläden anzugreifen oder Ähnliches. Entweder da hat jemand Kapitalismuskritik mal so gar nicht verstanden oder es ging einfach nur um Krawalle der Krawalle wegen.
Nach den bisherigen Berichten war eine bunte Mischung an den Krawallen beteiligt. Auch Linke oder sich selbst als links bezeichnende Personen waren dabei. Die Verantwortung jedoch ausschließlich auf andere zu schieben sehe ich nicht als zielführend an. Das Thema des militanten Widerstands bzw, der Gewaltanwendung ist ein immer wiederkehrendes Thema in der radikalen Linken. Es muss eine Diskussion darüber geben, wie und zu welchem Zweck solch eine Militanz ein Mittel sein kann. 
TL: 
Dass die Randalierer*innen keine Linken waren, halte ich für ebenso eine undifferenzierte Aussage wie die Aussagen von Konservativen, die behaupten, alle Linken seien so. Auch wenn nachweisbar Neonazis und „Krawalltouristen“ beteiligt waren, so ist die Mehrheit doch dem linken Spektrum zuzuordnen.
Hier haben wir ein häufig vorkommendes Argument von uns Linken, dass wir einfach sagen „das waren keine Linken“ wenn man uns kritisiert. Das halte ich für falsch und unehrlich. Denn so setzen wir uns nicht mit internen Probleme auseinander, sondern schieben sie nur beiseite. Ich kann jemandem doch das Linkssein nicht absprechen, nur weil ich seine Art zu Denken oder zu agieren schlecht finde. Auch diese Leute sind links und wir müssen uns damit auseinandersetzen.
Nun zur eigentlichen Frage: Ich gehe davon aus, dass die meisten, die dort randalierten das eher aus Riot um des Riot Willens gemacht haben, also keinen wirklichen politischen Grund hatten. Zumindest sehe ich keinen Sinn darin einfach nur zu zerstören und ein linkes Viertel zu zerlegen. Diese Ausschreitungen haben sich also von jeglichem politischen Hintergrund entfernt, was jedoch nichts daran ändert, dass die Akteur*innen mehrheitlich links waren.
LS:
Ich schließe mich den anderen so weit erst einmal an. Wir müssen uns der Verantwortung stellen, dass die Ausschreitungen durch die Gegenproteste überhaupt erst möglich waren. Natürlich sind Personen genau deshalb angereist. So wie in Frankfurt/Main zur EZB-Eröffnung. Und natürlich feiern sich viele Linke für ihr Militanz und Gewalt, da lässt sich teilweise eine Gruppendynamik feststellen. Vor allem aus anarchistischer Sicht gibt es ja auch diverse Vorbilder in Sachen Zerstörung: Propaganda der Tat und Banküberfälle zum Beispiel. Dies bekämpft aber immer nur Symptome und nie die Ursache. Mir kommt es manchmal so vor, als würden einige nicht verstehen, was das Ende vom Kapitalismus dann tatsächlich bedeutet. Es ist eine Änderung der Art des Wirtschaftens und des Bankenwesens, nicht eine komplette Abschaffung all dessen. Auf der anderen Seite kann ich natürlich die Wut verstehen, die viele Menschen umtreibt. Nur ist Wut eben das Gegenteil von analytisch. Mir tun die Autos, Schaufenster und so weiter keinen Millimeter leid. Nur muss eben auch eine erschöpfende Antwort kommen, warum das jetzt alles gut sein soll. Auf welcher Ebene jetzt was genau wie erreicht wurde – und was genau nicht. Den Kapitalismus wird durch Riots niemand überwinden. 
8. Es muss jemand zur politischen Verantwortung gezogen werden.
ES: In solchen Fällen wird immer schnell ein Kopf gefordert. Dabei macht es recht wenig Unterschied, ob es jemand wie Scholz oder Dudde ist. Letztlich wird es kaum etwas ändern. Dies dürfte wenn überhaupt nur ein „Trostpflaster“ für die Betroffenen sein. 
TL: 
Sicher, nur bezweifle ich, dass das anständig gemacht werden wird. Es haben sich schon längst alle Olaf Scholz als Bauernopfer herausgesucht. Dieser hat zwar die dümmste Einschätzung in der Geschichte aller Fehleinschätzungen von sich gegeben, als er meinte, der G20 sei ja kaum schlimmer als ein Hafengeburtstag, doch hauptverantwortlich ist er nicht.
Scholz war nicht der Einsatzleiter der Polizei und es war auch nicht seine Idee, den Gipfel in Hamburg zu veranstalten. Er hat dem nur zugestimmt. Die Idee jedoch kam von der Bundesregierung. Daher sollte die politische Verantwortung größtenteils bei der Regierung liegen und nur zu einem Teil bei Scholz.
Allerdings haben alle bereits mit Scholz ihren Schuldigen, daher ist davon auszugehen, dass es für Merkel und Co keine Folgen haben wird.
LS:
Es wird sich schon wer finden, vielleicht hat Scholz sich mit seinen Aussagen zur Polizeigewalt selber dafür angeboten (oder anbieten müssen). Im Endeffekt ist das aber auch egal, ein Name ist nur ein Name und keine Analyse der Ereignisse vor Ort. Mir ist egal, wer da jetzt zurücktritt. Die Frage ist eher, was es in unsere Richtung für Konsequenzen gibt. Und da überschlägt sich die hochfeine demokratische Mitte gerade mit Forderungen, die Errungenschaften des bürgerlichen Staates auszusetzen und sich quasi selber abzuschaffen. Mich interessieren die Inhalte, nicht irgendwelche Namen. Wenn das Resultat dann ist, dass unfähige Personen den Hut nehmen müssen und Journalist*innen bei der nächsten Sache nicht mehr weggeprügelt werden, dann ist das natürlich eine konkrete Verbesserung. In dieser Richtung sehe ich nur im Moment nichts.
9. Gipfel wie der G20 sind absolut unnötig.
ES: Durch die G20-Gipfel wird sich morgen die Welt nicht verändern. Viele Entscheidungen werden auch an anderer Stelle getroffen. Der Kosten/Nutzen-Faktor ist immer äußerst hoch, selbst wenn man es an einem abgeschiedenen Ort wie Heiligendamm macht. Von daher wäre auch ein Abschaffen der G20-Treffen möglich.Es geht aber nicht darum das Reden an sich abzuschaffen, sondern ein solches Massentreffen. Es ist ja nicht so, dass diese Politiker*innen nie miteinander reden würden bzw. deren wichtigste Mitarbeiter*innen.
TL: 
Ich denke, dass solche Gipfel durchaus nötig und nützlich sein können. Man hat leider immer den Eindruck, dass die ganzen Staatscoberhäupter zusammenkommen, zwei Tage lang leere Worthülsen durch Konferenzsäle werfen und hinterher eine Erklärung abgeben, die mit so vielen Kompromissen versetzt ist, dass man im Prinzip auch ein leeres Blatt hätte abgeben können.
Das ist frustrierend aber dennoch ist es meiner Meinung nach besser, als wenn die Politiker*innen gar nicht miteinander sprechen. Jeder noch so kleine Erfolg dieser internationalen Gipfel ist den Aufwand wert. Man sollte sich nur für die Zukunft überlegen, wenn man einlädt, um am Ende auch etwas Handfestes vorweisen zu können. Ein Donald Trump hat für mich beispielsweise nichts auf einer solchen Veranstaltung zu suchen.
LS:
Ich kann nichts dagegen haben, dass Leute miteinander reden. Die Gegenfrage ist ja, wie es ohne diese Gipfel und Verhandlungen aussieht. Und da ist mir so ein Treffen dann schon lieber als nationalistisches Kleindenken. Vernünftige Kritik richtet sich deshalb nicht gegen den Gipfel an sich, sondern a) gegen konkrete Beschlüsse, b) mahnt an, was nicht beschlossen und besprochen wurde und c) stellt natürlich die Systemfrage. Dass so ein Treffen dann auch mal wieder ein Kuscheln mit Diktaturen und Autokratien mit sich bringt, ist aus radikal linker Sicht tatsächlich eher zu vernachlässigen. Der Punkt ist natürlich wichtig, aber sollte nicht der zentrale Kritikpunkt sein.
10. Großstädte sind als Veranstaltungsorte solcher Gipfeltreffen ungeeignet.
ES: Durch die Struktur von Großstädten ist ein Kontrollieren von Protestierenden nahezu unmöglich. Die Polizei hat durch ihre Einsatztaktik selbst zu einer Verschlimmerung der Lage beigetragen. Sie haben zu einem Versprengen der Gruppen geführt, wodurch die Randalierer*innen freie Hand bekamen und es zu der Eskalation kamen. Aber z.B. auch bei Heiligendamm gab es Fehler in der Polizeitaktik. Letztlich wird es überall Probleme geben. 
TL: 
Absolut. Nicht nur werden die Einwohner*innen der Stadt tage- und wochenlang in ihrer Freiheit eingeschränkt, es entsteht auch ein finanzieller Schaden für die Stadt.
Dazu ist eine Kontrolle einer Großdemo in einer Stadt viel schwerer, was im Endeffekt zu solchen Ausschreitungen führt, da es auf beiden Seiten Menschen gibt, die auf eine Eskalation aus sind.
LS:
Der Aufwand steht in einfach in keinerlei Verhältnis zum wie auch immer gearteten Nutzen. Ob ein Beschluss nun in der Sahara oder im Herzen Tokios beschlossen wird, ist dem Beschluss egal. Die Einschränkungen vor Ort allerdings nicht. Genua hatte doch eigentlich gezeigt, warum eine so unüberschaubare Großlage in einem Stadtgebiet nicht zu vertreten ist. 
11. Die Gewalt wurde von vornherein eingeplant, um von Seiten der Politik und der Polizei Wahlkampf zu machen.
ES: Das glaube ich nicht. Die innere Sicherheit steht bei allen Parteien auf dem Wahlkampfprogramm. Am ehesten profitieren dürften die Mitte/Rechts-Parteien. Warum sollte also ein SPD-Oberbürgermeister dies provozieren? Letztlich dürfte es der eigenen Partei eher schaden. 
TL: 
Geplant würde ich nicht sagen. Vielleicht bin ich naiv, aber mein Glaube an das Gute im Menschen hält mich davon ab, an eine von langer Hand geplante Eskalation zu glauben. Was ich aber glaube, ist, dass man es wohlwissend passieren ließ. 
Die Politik wusste, dass die Polizei eine harte Einsatztaktik auffahren würde und die Polizei wusste, dass sie viele Freiheiten haben würde.
LS:
Entsprechende Äußerungen gibt es diesem Zusammenhang jetzt öfter zu lesen. Für mich sind das aber reine Spekulationen, die ohne belastbare Beweise oder Indizien auch nur Spekulationen bleiben. So was driftet dann auch gerne in Richtung von Verschwörungstheorien „gegen die da oben“ ab, daher beteilige ich mich erst gar nicht daran. Gewalt und Ausschreitungen wurden in Kauf genommen – mehr kann ich nicht sagen.
12. Die Medien interessieren sich in den meisten Fällen nicht für Inhalte, sondern für spektakuläre Bilder.
ES: Krawallbilder verkaufen sich gut. Auch die regelrechte Hetzjagd der Bild, die vorher noch genüsslich die schlimmsten Bilder auf der Titelseite hatten, zeigt ein übles Ausmaß. Aber damit haben die Randalierenden letztlich diesen Medien einen riesigen Dienst erwiesen. Ob ohne Krawalle die Bilder der friedlichen Demonstration von 100.000 Menschen auf den Titelseiten gelandet wäre, lässt sich schwer sagen. Viele, die jetzt ohne Unterlass Krawallbilder für ihre Artikel nehmen, hätten es wahrscheinlich nicht getan.
TL: 
Auch Medien sind leider profitorientiert, daher denken viele Zeitungen vor allem daran, wie sie sich vermarkten können. Also ja, Bilder sind immer „besser“ als Inhalte.
LS:
„Die Medien“ ist an dieser Stelle eine für mich nicht haltbare Kollektivierung. Davon ab ist natürlich eine inhaltliche Auseinandersetzung immer schwieriger als seichte Unterhaltung. Ein Thema wirklich zu durchdringen, erfordert viel Arbeit und Zeit, erst Recht bei Antifaschismus und Kapitalismus. Es geht hier nicht um den Rasen nebenan, sondern tatsächlich ums Ganze. Und wer mit der Berichterstattung nicht zufrieden ist, kann problemfrei selber für eine bessere sorgen. Außerdem kommt hier das tiefsitzende Ressentiment gegenüber der Linken zum Tragen. Es geifert sich eben viel einfacher, wenn man nicht differenzieren muss. 
13. Die Mehrheitsgesellschaft unterliegt einem massiven Doppelstandard und hat jetzt endlich wieder einen Grund, zum Teil menschenverachtend gegen alles (vermeintlich) linke zu hetzen.
ES: Die Menschen haben jetzt einen Vorwand um gegen alles Linke zu hetzen. Hier zeigt sich ein erschreckender Schulterschluss der Mitte mit der extremen Rechte. Da werden scheinbar normale Bürger*innen auf einmal zu Verfechter*innen des sofortigen Erschießens oder Ähnlichem. Und denen erscheint das völlig normal. Wir haben es ja auf unserer eigenen Seite erlebt. Da fehlte jegliche Differenzierungsfähigkeit. Das ist echt erschreckend und sollte in der öffentlichen Diskussion einen deutlich größeren Platz einnehmen. 
TL: Doppelmoral sehe ich überall und gerade jetzt nach G20 verfallen viele Konservative erst recht ins Autoritär-Reaktionäre. Endlich sind die Linken wieder die Bösen!
Jetzt kann man mehr Überwachung fordern und alles für den Wahlkampf instrumentalisieren oder empört aus Talkshows verschwinden. Recht praktisch ist es auch, dass man die eigenen dummen Aussagen darüber, dass man keine drei Minijobs brauche, wenn man etwas Anständiges gelernt hätte, unter den Teppich kehren kann und sich nun künstlich aufregen kann. 
Was vielen (auch einigen Linken) fehlt ist differenziertes Denken. Die Politik hat Fehler gemacht und die Einsatztaktik der Polizei war alles andere als deeskalierend. Aber wir müssen auch die Randalierer*innen kritisieren. Das ist differenziert.
LS:
Linke Kritik ist seit über 200 Jahren gegen die Mehrheitsgesellschaft gerichtet. Progression und Emanzipation der bestehenden Verhältnisse fordern einerseits Akteur*innen in Machtpositionen heraus, andererseits wirkt der Aufbruch ins Ungewisse immer abschreckend auf Viele. Die Behäbigkeit in Verbindung mit Unwissenheit und tiefsetzender Ablehnung dessen, was als „links“ stigmatisiert wird, brechen sich jetzt wieder ungefiltert Bahn. Menschen fühlen sich dann wohl, wenn sie sich über andere erheben können. Und genau das bekommen wir jetzt ab. Die Äußerungen und Forderungen der letzten Tage führen uns allen direkt vor Augen, wie sich eine theoretisch aufgeklärte humanistische Gesellschaft von innen heraus faschisieren kann. War es vor zwei Jahren noch schick, sich gegen die Nazis der eigenen moralisch-ethischen Überlegenheit zu versichern, sind jetzt mal wieder Linken dran. Mit bürgerlicher Querfront nach ganz rechts inklusive. Der Deutschen reine Seele – unreflektierter Hass. Ich verzichte dankend.

Demobericht Halle 11.07. – Kick them out – gegen die IB

In Halle ist mit der „Kontra Kultur“ die momentan eigenständigste IB-Gruppe ansässig. Im Gegensatz zu vielen anderen Regionalstrukturen hat sie sich ein eigenes Profil geschaffen und ist nicht so sehr auf Kadersupport von außerhalb angewiesen. Die Nähe zum IfS von Götz Kubitschek in Schnellroda (etwa 50 Kilometer) und seiner rechten Stiftung „Ein Prozent“ resultieren in einer konstanten und direkten Zusammenarbeit. Als neuestes Projekt hat sich die Kontra Kultur mithilfe einiger Sponsoren (darunter natürlich „Ein Prozent“) ein Haus in der Adam-Kuckhoff-Straße 16 gekauft. Damit will die IB sich mit Immobilien eine dauerhafte Präsenz schaffen und komplett unter ihrer Kontrolle stehende Stützpunkte schaffen. Quasi rechte autonome Zentren.

Kick them out – Nazizentren dicht machen!

Dagegen wurde gestern am Dienstag in Halle demonstriert. Aufgerufen wurde zu einer antifaschistischen Demonstration, die am Steintor beginnen sollte. Parallel dazu hatte der Neonazi Sven Liebich in Halle zu einer Demo aufgerufen und auch die IB karrte Kader aus dem deutschsprachigen Einflussgebiet an, um nicht ganz unterzugehen. So kam unter anderem Luca Kerbl aus der Steiermark. Gemeinsame Anreisen zur Demo wurden aus Dresden und Leipzig organisiert. Die große Frage war, wie viele Personen dem Aufruf folgen würden – vor allem angesichts des G20-Protests und der massiven Negativberichterstattung über „Linksextremisten“ und „die Antifa“.

Um 19 Uhr zog die Demo schließlich los – selbst nach Polizeiangaben mit 700 Leuten! Es ging durch die historische Innenstadt von Halle, als erstes auf den Campus der Martin-Luther-Universität in Halle. Dort ist die Burschenschaft “Halle-Leobener Germania” ansässig – welche enge Kontakte zur IB pflegt. Ebenso wie in Dresden und Berlin stützt sich die IB hier direkt auf vorhandene Strukturen und Kader der Burschenschaften zum Aufbau und zur Rekrutierung. Außerdem soll so eine gewisse gesellschaftliche Verankerung erreicht werden. Und bei der Kundgebung auf Campus war das erste Mal richtig zu erkennen, wie viele Personen vor Ort waren. Anschließend zog die Demo zum IB-Haus in der Adam-Kuckhoff-Straße 16. Dort wurde sie von einem Häufchen Identitärer und sie unterstützenden Personen hinter der Polizeiabsperrung erwartet. Geben wir ihnen 50 Leute, die zudem teilweise aus Österreich angereist waren. Eine große Mobilisierung bekommt die IB auf lokaler Ebene also definitiv nicht hin.

Eindrücke und Fazit

Insgesamt kann die Demo eigentlich nur positiv hervorgehoben werden. Ab dem ersten Meter war sie bemerkenswert laut und entschlossen. Mit Ausnahmen der Kundgebungen gab es kaum 30 Sekunden, an denen keine Slogans gerufen wurden – sowohl vorne als auch hinten. Die Leute hatten offensichtlich Bock. Auch die 700-800 Teilnehmenden sind eine positive Überraschung. Nach der Berichterstattung über Hamburg zeigt dies, dass lokale Strukturen sich unabhängig von solchen Megaereignissen eigenständig vor Ort verankern und von dort mobilisieren können. Die Demo bestand nicht nur aus harten Antifas in schwarz, im hinteren Teil lief ein bunter Querschnitt der Gesellschaft mit. Halle hat offensichtlich keinen Bock auf die IB.

Die Polizei stoppte die Demo ein paar Mal und stresste wohl wegen aufgespannter Regenschirme, in den Seitenstraßen waren zum Teil vollvermummte und -behelmte Riotcops zu sehen – unnötig. Den Organisator*innen muss hier auch noch mal ein Lob für die gute Organisation ausgesprochen werden, neben der Demo wurden kontinuierlich Handzettel an die Passant*innen verteilt und über die IB aufgeklärt. So muss das laufen. Auch positiv vermerkt werden muss, dass Sören Kohlhuber die Demo begleitete. Trotz des Shitstorms, des ganzen Stresses um den G20-Gipfel und der Distanzierung einiger Zeitungen von ihm war er in Halle am Start.

Bekannte Gesichter

Götz Kubitschek und Frau Kositza plus ein Kind, Mario Müller, Alex Malenki, Luca Kerbl, Sven Liebich, Sven Ebert

Bild unten von Thomas Schade: https://www.flickr.com/photos/j_tschade/sets/72157683349939264/with/35696980072/

Handy auf der Demo-muss das sein?

Im Vorfeld zu den G20-Protesten wird auch viel über den Umgang mit den sozialen Medien diskutiert. Was soll an Fotos auf Twitter landen? Ist es sinnvoll die komplette Demo auf Facebook zu stellen? Und die allerwichtigste Frage: Wie genau mach ich das, um meine Mitaktivist*innen nicht zu gefährden?

Grundsätzlich gilt: das Smartphone ist eine Krake. Alles, was veröffentlicht wird, wird auch von der Gegenseite gesichtet. Die Polizei weiß schon seit langem wie sie damit umgehen muss. Nicht umsonst wird bei Durchsuchungen regelmäßig auch das Handy migenommen.

Also auch die Bilder, die niemals jemand zu Gesicht bekommen sollte, können dann gesichtet werden. So werden der Polizei Informationen gegeben, die zur weiteren Strafverfolgung genutzt werden können.

Ja, die Polizei filmt bereits alles mit. Aber durch die Fotos und Videos, die – ob freiwillig oder unfreiwillig – ans Licht kommen, wird den Repressionsbehörden die Arbeit erleichtert. So können sie umfangreiche Ermittlungen anstellen und eure Fotos helfen ihnen dabei andere Aktivist*innen hinter Gitter zu bringen.

Dafür müssen wir uns schützen. Die einfachste Möglichkeit wäre es natürlich das Smartphone zu Hause zu lassen. So haben die Behörden erst gar keine Chance gegen euch oder andere Ermittlungen anzustellen aufgrund eures Smartphones. Ganz zu schweigen von dem, was Anti-Antifa-Aktivist*innen mit solchen Fotos anstellen können.

Viele wollen das nicht. In der Tat kann ja auch ein Smartphone sinnvoll sein, um z.B. Polizeigewalt zu dokumentieren. Natürlich will auch niemand verbieten ein paar Demofotos zu schießen. Dabei sollten aber auch ein paar Grundregeln beachtet werden: nicht alles ist es wert fotografiert oder gar veröffentlicht zu werden.

Fotos, die veröffentlicht werden sollen, sollten grundsätzlich verpixelt werden. Ohne Ausnahme. Dafür gibt es einfache Programme wie Camera Obscura oder Pixelot. Damit werden die Meta-Daten des Bildes oder Videos gelöscht und durch einfache Klicks können Gesichter darauf unkenntlich gemacht werden. Diese Programme können kostenlos im App-Store runtergeladen werden. Etwas komplizierter aber dafür umfangreicher in den Funktionen ist PicsArt, funktioniert aber ähnlich.

Wir wollen dafür sensibilisieren wie man vernünftig mit dem Smartphone umgeht. Jede*r sollte sich darüber Gedanken machen. In dem modernen Leben nimmt es für viele einen großen Platz ein. Eine Demo oder gar die Großproteste in Hamburg sind kein Platz für Selfies oder Selbstdarstellung. Schützt euch und jede*n anderen!

Polizei stürmt genehmigtes G20-Camp in Hamburg

Die gestrigen Ereignisse von Hamburg in der Rekapitulation:

Aktivist*innen wollten gestern das vom Bundesverfassungsgericht erlaubte Protest-Camp aufbauen. Zunächst wurden sie von den Polizist*innen aufgehalten, die mit einem Großaufgebot vor Ort war.

Nach vielen hin und her durfte dann das Camp aufgebaut werden. Dabei wurden strenge Auflagen angesetzt, u.a. keine Schlafzelte.

Spät am Abend stürmte die Polizei das Camp. Angeblich weil Auflagen verletzt worden seien und auch Schlafzelte aufgebaut worden waren.

Mit brutaler Härte wurde gegen die Aktivist*innen vorgegangen. Es wird von mehreren Verletzten berichtet, darunter auch Schwerverletzte.

Die Polizei scheint bereits vor dem eigentlichen G20 zu eskalieren. Dies passt aber ins Bild. Kriminalisiert, verletzt und der demokratischen Grundrechte beraubt – interessiert die Polizei nicht.

Davon dürfen wir uns aber nicht einschüchtern lassen. Unsere Solidarität gilt allen Aktivist*innen vor Ort. Falls ihr vorhabt euch den Protesten anzuschließen, sucht euch eine Bezugsgruppe, informiert euch und lasst euch nicht einschüchtern.

Bildquelle: https://twitter.com/jan_augustyniak/status/881620794069180417