Die Extremismustheorie – Ursprünge, Inhalt und Auswirkungen

Der politische Diskurs in Deutschland wird seit Jahrzehnten von der Extremismustheorie bestimmt. Aufbauend auf die Totalitarismustheorie wurde mit ihr der Kampfbegriff „Extremismus“ geschaffen, später politikwissenschaftlich legitimiert und ist bis heute Basis für Behörden und Geheimdienste in Deutschland. Die Extremismutheorie beruht ausschließlich auf formalen, nicht auf inhaltlichen Kategorien und ist seit ihrer Entstehungszeit massiven Konjunkturen unterworfen. Ihr Einfluss ist in sämtlichen Medien nachzuvollziehen und wirkt sich massiv auf die Betrachtung politischer Thematiken aus. Im Folgenden soll dargelegt werden, wie die Extremismustheorie entstanden ist, welche Zielsetzungen damit einhergehen und wie sie auf das politische Geschehen einwirkt.

Ausgangspunkt – die französische Revolution  

 

Der Extremismustheorie liegt eine eindimensionale Betrachtung des politischen Spektrums zugrunde. Dieses bildete sich während der Anfangszeit der französischen Revolution heraus und bestimmt bis heute die Denkweise politischen Handelns. In der verfassungsgebenden Nationalversammlung positionierten sich die Abgeordneten nach ihrer politischen Ausrichtung. Rechts saßen die Royalisten und links saßen die Vertreter der neuen, noch zu formenden bürgerlichen Republik. Wichtig ist hier anzumerken, dass es sich bei der französischen Revolution um den Übergang von einem absolutistischen Staat mit feudalistischer Gesellschaft hin zu einem bürgerlichen Verfassungsstaat handelt, wie er bis heute als Idealbild westlicher Staaten und Gesellschaften betrachtet wird. Die Bezeichnungen verfestigten sich im Laufe der Jahrzehnte und wurden um eine ausgleichende Mitte erweitert. Der Ursprung der Termini „links“, „rechts“ und „Mitte“ im politischen Sinne liegt im Umbruch der Revolutionsjahre beginnend 1789 und der Sitzordnung im Nationalkonvent.

Viele politische Theorien und Ideologien von heute gab es damals noch nicht. Insbesondere politische Forderungen, die heute als „links“ gelten, haben ihren Ursprung in der Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft und der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, die mit ihr gemeinsam Einzug hielt und die Gesellschaft massiv in der Struktur änderte. Sozialistische, kommunistische (später als marxistisch bezeichnet) und anarchistische Ideen beginnen ab den 1820ern an Popularität zu gewinnen, vor allem ab 1840 durch Veröffentlichungen von Proudhon, Marx, Engels und Bakunin. Dennoch hat sich das „Links-Mitte-Rechts-Schema“ fest im politischen Diskurs verankert. Wer sich heute für einen bürgerlichen Verfassungsstaat in Richtung der BRD einsetzt, wäre 1789 ganz weit links gewesen.

Totalitarismustheorie – der italienische Kampf gegen Faschismus und Kommunismus

 

Mit diesem eindimensionalen Politikverständnis konnte dann in Italien die Totalitarismustheorie entstehen, welche den direkten Vorläufer der Extremismustheorie darstellt. Nach dem Ende des ersten Weltkriegs war Italien ein instabiler Staat, unterschiedlichste Gruppierungen versuchten die Macht im Staat zu erlangen.

Trotz großer Kriegsanstrengungen und hoher Verluste bekam der italienische Staat nach Kriegsende nur einen kleinen Teil der Gebiete zugesprochen, die er sich erhofft hatte. Als Sieger aus den politischen und gesellschaftlichen Spannungen ging der Bennito Mussolini hervor, der schließlich die konstitutionelle Monarchie in den Jahren 1922 bis etwa 1928 in einen faschistischen Staat umwandelte. Er prägte den Begriff des Faschismus in seiner heutigen Bedeutung und lieferte die Grundlage (sowohl ideologisch als auch organisatorisch) für alle folgenden faschistischen Bewegungen und Regime.

Das System, welches Mussolini zu etablieren gedachte, wurde vom Italiener Giovanni Avendola als totalitär bezeichnet. Der Begriff wurde dann ausgearbeitet, damit er anschlussfähig an liberale und (national)konservative Spektren war. Ziel war es, die beiden großen Gegenspieler der Zeit – Kommunismus (in Form der Bolschwiki in Russland) und Faschismus – gleichermaßen zu diskreditieren. Ausgangspunkt der Analyse war hier der „totale“ Anspruch auf Staat und Gesellschaft. Alles solle von der Ideologie durchdrungen werden. Welche das nun sei, ist der Theorie egal. Eine der bekanntesten literarischen Auseinandersetzungen mit dem totalitären Ansatz liefert George Orwell mit „1984“.

Die eindimensionale Einteilung in links (Kommunismus), rechts (Faschismus) und Mitte (alles dazwischen) bot hier die praktische Grundlage, um zwei inhaltlich völlig verschiedene ideologische Richtungen gleichzeitig zu stigmatisieren. Dabei war die „Mitte“ hier nicht gleichbedeutend mit dem, was heute als „Mitte“ verstanden wird. Dort fanden sich auch reaktionäre, nationalistische, christlich-fundamentalistische und royalistische Kreise. Auch in Deutschland wurden das bolschewistische Regime in Russland und das faschistische Regime in Italien gleichgesetzt. Federführend ist hier der Sozialdemokrat Kautsky zu nennen, ein früher Kritiker des Bolschewismus. Die SPD beging ihren zweiten Hochverrat an der eigenen Sache und bediente sich der monarchistisch-nationalistischen Freikorps um linksrevolutionäre Bestrebungen niederzuschießen. Bekannteste Opfer davon sind Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und die Münchner Rärerepublik. Zudem verband sich in Deutschland schnell die Angst vor dem Bolschewismus mit dem grassierenden Antisemitismus und wurde dann zur jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung. Einem Wahn, den hauptsächlich die Nazis unentwegt verbreiteten.

Die Totalitarismustheorie orientiert sich dabei alleinig an der organisatorischen Ausprägung von Staat und Gesellschaft, nicht an den ideologischen Ausrichtungen. Durch die Doppelstrategie gegen Bolschewismus/Kommunismus auf der einen und den Faschismus auf der anderen Seite fand die Theorie schnell größeren Anklang in den bürgerlichen Gesellschaften. Auch in den USA, wo ab 1935 eine erste wissenschaftliche Kategorisierung des Totalitarismusbegriffes vorgenommen wurde und 1939 ein erster Totalitarismuskongress stattfand.

Der Erfolg der Totalitarismustheorie in den westlichen Staaten lässt sich durch die historischen Umstände erklären. Im Laufe des 19. Jahrhunderts hatten sozialistische, kommunistische und anarchistische Kräfte großen Einfluss innerhalb der Gesellschaften durch den organisierten Arbeitskampf erlangt. Der Erfolg war so groß, dass z. B. im Deutschen Reich erst die Sozialistengesetze zur Repression erlassen wurden, Bismarck dann wegen der Unmöglichkeit der Unterdrückung die Sozialgesetzgebung einführte. Seine Hoffnung, so den Einfluss der Gewerkschaften zu verringern, erfüllte sich nicht. Gewerkschaften und Parteien organisierten sich zudem international. Mit dem Sieg des Bolschewismus in Russland war nun erstmals eine kommunistische Gruppe an der Macht. Die bestehenden bürgerlichen und konstitutionell-monarchistischen Systeme fürchteten, dass das internationale Proletariat dem Beispiel Lenins folgen und eine Weltrevolution beginnen würde. Aus diesem Grund griffen dann auch die Staaten der Entente in den russischen Bürgerkrieg ein. Mussolini auf der anderen Seite schaffte es in Italien, die nationalistischen Kräfte zu bündeln und seinerseits die Macht im Staat zu erlangen. Daran orientierten sich dann wiederum andere Kräfte in anderen Ländern, am bekanntesten Hitler in Deutschland, aber auch Personen wie Mossley im britischen  Empire.   

Für die bestehenden Systeme gab es also zwei konkrete Gefahren:

den Bolschewismus/Kommunismus und den Faschismus. Die Totalitarismustheorie erfasst praktischerweise beide, weshalb sie von bürgerlichen Kräften als auch Royalisten gefördert wurde. Auch das Narrativ, die Weimarer Republik sei durch einen Zangengriff aus Kommunismus und Faschismus untergegangen, führt den Tenor der Totalitarismustheorie fort. Dabei werden hier einerseits beide Ausrichtungen als gleich dargestellt und es findet auch eine Entschuldung der Kräfte statt, die nicht faschistisch waren, aber mit der NSDAP kooperierten oder größere ideologische Überschneidungen hatten. Die Vertreter der sogenannten „konservativen Revolution“, monarchistische und nationalistische Kreise seien hier genannt. So waren es nicht kommunistische Kräfte, die Hitler zur Regierungsverantwortung verhalfen, sondern von Papen und die DNVP. In der allgemeinen Erzählung wird aber auch immer der KPD eine Schuld am Untergang der Weimarer Republik und dem Aufstieg Hitlers gegeben, den bürgerlichen Kräften aber eher selten.

Entwicklung hin zum Extremismusbegriff in der BRD 

 

Während des Zweiten Weltkriegs verlor die Totalitarismustheorie dann kurzzeitig an Bedeutung. Schließlich brauchte man die Sowjetunion als Partnerin im Kampf gegen Japan. Mit Beginn des Kalten Krieges wurde die Theorie wieder bedeutsamer. teilte sich die Welt nun in den bürgerlich-kapitalistisch ausgerichteten Westen und den realsozialistischen Ostblock. In der BRD entwickelte sich aus der Totalitarismustheorie im Laufe der Zeit die Extremismustheorie. Um ein weiteres Scheitern ähnlich der Weimarer Republik zu verhindern, wurde zu Beginn der BRD das Konzept der „wehrhaften Demokratie“ entwickelt. Der Staat soll durch seine Organe dazu in der Lage sein, den Verfassungsstaat und die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ gegen später als extremistisch bezeichnete Bestrebungen zu verteidigen, die die parlamentarische Demokratie grundlegend außer Kraft setzen oder abschaffen wollen – von außen oder innen. Anfänglich war der Begriff „radikal“ in den Behörden gebräuchlich, wie man unter anderem an dem „Radikalenerlass“ sieht. Dieser traf mehrheitlich linksorientierte Personen.

Behörden und Geheimdienste wurden jedoch mit Personen besetzt, die z.T. tragende Rollen im NS-Staat inne hatten. Als exemplarisches Beispiel sei hier der BND angeführt, der aus der Organisation Gehlen hervorging. Reinhard Gehlen, erster Präsident des BND, war Wehrmachtsoffizier und integrierte diverse ehemalige NS-Kader in die neuen Behörde. Auch beim Verfassungsschutz und dem BKA wurden ehemalige NS-Kader tätig. Eine umfassende Aufklärung über die eigene Vergangenheit blieb oberflächlich und der Feind stand, wie schon ein paar Jahre zuvor, im Osten und war kommunistisch.

Der Begriff des „Extremismus“ wurde erstmals im Verfassungsschutzbericht im Jahr 1973 als Verwaltungsbegriff eingeführt und hat sich aus dem zuvor und bis heute gebräuchlichen „Radikalismus“ entwickelt. Das Wort „radikal“ leitet sich vom lateinischen Wort für Wurzel ab: radix. Im politischen Kontext bedeutet das, dass die Gesellschaft von Wurzel auf, also grundlegend, verändert werden soll. Daher könnte man auch radikal demokratisch sein, wenn man in einem autokratischen Staat lebt. Mit Extremismus wird hingegen eine bestimmte Ausprägung beschrieben. Dieses Extrem stelle den äußeren Rand des radikalen Spektrums dar dar, welches sich vom Zentrum immer weiter entfernt hat. Eine konkrete Aussage über einen gesellschaftlichen Anspruch ist hier schon nicht mehr gegeben. Ab den 1980er Jahren wurde der Begriff Extremismus nachträglich mit politikwissenschaftlichen Definitionen versucht, zu legitimieren. Zunächst gab es eine Negativdefintion. Federführend waren dabei Uwe Backes und Eckhart Jesse. Durch eine Negativdefinition wird Extremismus als das Gegenteil bestimmter Eigenschaften definiert. Später kamen dann Positivdefinitionen hinzu, welche Merkmale aufstellen, die Extremismus selbst erfüllt.

Negativdefinition

 

Hier wird die Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates als zentrales Merkmal genommen. Der demokratische Verfassungsstaat ist durch Gewaltenteilung, Individualität, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus und Volkssouveränität definiert. Extremismus wäre nach Backes die Ablehnung dessen und der allgemeinen Normen und Regeln des modernen demokratischen Verfassungsstaates. Es werden negative Positionen zu bestimmten Merkmalen als ausschlaggebend für die Etikettierung als Extremismus genommen. Warum diese Normen und Merkmale abgelehnt werden, ist für die Definition irrelevant. Die Form ist ausschlaggebend, nicht der Inhalt – ein Element, das schon die Totalitarismustheorie prägte.

Positivdefinition 

 

Im Gegensatz zur Negativdefinition werden hier Merkmale aufgestellt, die Extremismus von sich aus erfüllt. Dadurch ist diese Definition exakter, ändert aber nicht das Grundproblem. Zu den Merkmalen von Extremismus zählen nach Backes Absolutheitsansprüche (offensiv und defensiv), Dogmatismus, Utopismus oder kategorischer Utopie-Verzicht, Freund-Feind-Stereotype, Verschwörungstheorien, Fanatismus, Aktivismus. Nach Armin Pfahl-Traughber sind es: exklusiver Erkenntnisanspruch, dogmatischer Absolutheitsanspruch, essentialistisches Deutungsmonopol, ein deterministisches Geschichtsbild, eine identitäre Gesellschaftskonzeption (Forderung nach politischer Homogenität) und das Denken in kompromisslosen Gegensatzpaaren.

 

Das Kernproblem

 

Grundlegend haben wir hier das Problem, dass der derzeitige Verfassungsstaat als sogenannte Mitte angenommen wird. Diese gesellschaftliche Mitte ist aber einerseits nicht fest definiert und andererseits auch nur als Ideal postuliert. Nehmen wir die Bundesrepublik im Jahr 1950: Frauen dürfen nur mit Erlaubnis des Ehepartners arbeiten, ausgelebte Homosexualität steht unter Strafe, Vergewaltigung in der Ehe ist straffrei, Umweltschutz kaum ein Thema, Aufarbeitung der NS-Vergangenheit findet nur oberflächlich statt, man wollte die deutschen Ostgebiete zurückhaben. All das war die „Mitte“ der Gesellschaft. Heute wäre man mit diesen Forderungen reaktionär, damals mit heute völlig selbstverständlichen Forderungen kein Teil der gesellschaftlichen Mitte gewesen.

Das Problem der Extremismustheorie ist, dass sie ein eindimensionales Politikverständnis hat. Es gibt eine Mitte und von dieser kann man sich entfernen. Je weiter man dies tut, desto extremistischer wird man. Und es wird als Mitte schlichtweg als die jetzige Ordnung genommen. Wichtig ist dabei der Umstand, dass der Begriff vom Verfassungsschutz verwendet wurde, bevor er in der Politikwissenschaft definitorisch auftaucht. Einige Politikwissenschaftler (es waren alles Männer) haben sich in den Dienst des Verfassungsschutzes gestellt und einen von ihm benutzten Begriff nachträglich mit einer Legitimation zu versehen versucht. Der Verfassungsschutz wiederum hat einen Begriff verwendet und eingeführt, für den es keine politikwissenschaftliche Definition gab. Es kann sich also aus politikwissenschaftlicher Sicht nur um eine Nachpräzisierung handeln, keine freie Forschung, da der Begriff schon durch den Verfassungsschutz vordefiniert wurde. Sehen wir uns sowohl die Positiv- als auch die Negativdefinitionen des Extremismusbegriff an, fällt eine Parallele zur vorher erläuterten Totalitarismustheorie auf.

Und zwar weisen beide Definitionsarten keinerlei inhaltliche Betrachtungen auf. Nehmen wir den Punkt „Ablehnung des Verfassungsstaates“. Eine faschistische Ideologie lehnt den Verfassungsstaat ab, weil sie ein hierarchisches Ein-ParteienSystem mit Führerprinzip anstrebt, einen ethnisch reinen und gesunden „Volkskörper“, ein militaristisches System und eine möglichst große Aufhebung der Individualität zur Stärkung der über allem stehenden Volksgemeinschaft. Eine anarchokommunistische Ideologie lehnt den bundesrepublikanischen Verfassungsstaat ab, weil er die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaftsordnung zementiert und das Eigentum schützt. Enteignungen von großem Kapital- und Immobilienbesitz sind ausgeschlossen. Der deutsche Nationalstaat darf nicht aufgelöst werden, eine basisdemokratisch kommunalverwaltete Regionalstruktur und eine Auflösung der kapitalistischen Produktionsweisen sind nicht möglich. 

Laut Extremismustheorie sind beide ideologischen Richtungen extremistisch und bedürfen keiner weiteren inhaltlichen Auseinandersetzung. Eine direkte Folge davon ist, dass in der breiten Öffentlichkeit nur ein rudimentäres Verständnis politischer Ideologien und Termini vorliegt. Weite Teile der Medienlandschaft affirmieren zum einen die viel zu simple links-Mitte-rechts-Einteilung und dazu Extremismustheorie. Anarch@a, Kommunist*innen, Stalos, Faschos, Neonazis, religiöse Fundis – sie alle sind gleichermaßen extremistisch und werden somit für die uninformierte Öffentlichkeit gleichgesetzt. In der Politikwissenschaft ist die Extremismustheorie wegen ihrer fehlenden inhaltlichen Aufarbeitung von Ideologien und der unmittelbar positiven Affirmation des bundesrepublikanischen Verfassungsstaates sehr umstritten und findet kaum größere Verwendung.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass die Verwendung der Extremismustheorie aus sehr vielen sehr guten Gründen zu vermeiden ist. Wann immer Personen dies tun, liegt vermutlich fehlendes Grundwissen politischer Ideologien vor. Von der Seite staatlicher Behörden stellt dies kein Problem dar, denn so werden unliebsame gesellschaftliche Strömungen gleichermaßen diskreditiert. Also was tun? Nennt die Kinder doch einfach beim Namen. Nationalismus, Faschismus, Antifeminismus und so weiter und so fort. Je präziser die Begriffsverwendung ist, desto schwieriger ist es auch, gegen diese argumentativ vorzugehen. Der Extremismusbegriff auf der anderen Seite ist wiederum sehr einfach auszuhebeln.

Dresden – Opfer oder Opfa?

Jedes Jahr aufs Neue versuchen Faschos und andere Geschichtsverdreher in Dresden ein großes Mimimi unter die Leute zu bringen. Letztes Jahr zeichnete sich die Stadt Dresden durch ein besonderes Ereignis aus. Vor der Frauenkirche wurden drei Busse aufgerichtet und erinnern an entsprechende Straßenbarrikaden in Aleppo, mit der Schutz vor Snipern des Assad-Regimes geschaffen wurde. Dresden ist aber nicht ohne Grund Hauptstadt von Sucksen. Auch in diesem Jahr versucht das nationalistische Spektrum die Bombardierungen für sich zu vereinnahmen, Dresden stellt wie immer mit dem in der DDR begonnen Opfermythos das Zentrum des Geschichtsrevisionismus dar.

Unter lautstarker Wortführung von Lutz Bachmann wurde gegen diese Installation protestiert, gegeifert und gehetzt. Bachmann ist schon lange wieder die regionale Randfigur geworden, die er immer war. Im Zuge seines unvermeidlichen Abstieges in Richtung Bedeutungslosigkeit wurde sein Tonfall immer offener faschistisch. Letztes Jahr hatte er den Revisionismus um die Dresdner Bombardierung für sich entdeckt und ließ alles vom Stapel: „alliierte[r] Bombenterror“ (1) und „Bombenholocaust“ (2) waren dabei, die Installation nannte er „die Schande von Dresden“ (3) und benutzte doch glatt IB-Sprache mit dem Wort „Remigration“ (3) Gegen die Installation wollte er Klage einreichen (2), wie so viele andere großmundige Ankündigungen von ihm ist daraus nichts geworden. Zusammengefasst: Bachmann opferte rum. Was er natürlich nicht versteht (wie all die anderen Geschichtsrevisionist*innen), ist die tatsächliche Symbolbedeutung von Dresden – wenn es denn unbedingt Dresden sein muss.

Back in the days

 

Rollen wir die ganze Angelegenheit mal von vorne auf und gehen zurück ins Jahr 1936. Mit dem Angriff der Luftwaffe auf Guernica hat das Deutsche Reich erstmals ein Flächenbombardement mit Bomberstaffeln durchgeführt (4). Die spanische Stadt wurde im Zuge dessen fast vollständig zerstört, von Picasso in einem seiner berühmtesten Werke verewigt und ist das Auftaktfanal der menschenverachtenden Kriegsführung des Deutschen Reiches. Die erste Kriegshandlung des Zweiten Weltkrieges war dann die Bombardierung von Wieluń ab 4:37 am 01.09.1939 – vor offiziellem Kriegsbeginn. Von den etwa 16.000 Einwohner*innen starben bis zu 1200 und die Stadt wurde mehr oder weniger komplett zerstört. (5) Als erste Großstadt bekam dann Warschau über Wochen hinweg ein durchgehendes Bombardement zu spüren und wurde als erste Großstadt teilweise zerstört. Weitere bekannte deutsche Bombardierungen sind die von Rotterdam, „the Blitz“ in London, Belgrad und Coventry. Hitler rief die „Luftschlacht um England“ aus und verlor sie bis Anfang 1941.

Die deutsche Kriegsführung sah großräumige Städtebombardierungen von Anfang an vor. Diese waren Teil des Vernichtungskrieges des Deutschen Reiches. Dieser traf vor allem die östlichen und südöstlichen Gebiete des europäischen Schlachtfeldes mit voller Härte und gipfelte schließlich in der industriellen Massenvernichtung von Menschen durch Menschen in den KZs und Vernichtungslagern, hauptsächlich von Juden, aber auch von Sinti, Roma und anderen „minderwertigen“ Menschen, politischen Feinden und Kriegsgefangenen. Nebenbei hat Hitler auch diverse Länder angegriffen , die nicht am Krieg partizipieren wollten. Das britische Empire und Frankreich hatten dem Deutschen Reich nach dem Angriff auf Polen den Krieg erklärt. Im Jahr 1940 griff Hitler folgende Länder an: Frankreich, Belgien, Luxemburg, Niederlande, Dänemark, Norwegen, im Jahr 1941 dann: Jugoslawien, Griechenland, Sowjetunion. Mit Ausnahme Frankreichs waren das übrigens alles einseitige Kriegserklärungen, sprich Angriffskriege.

Nach der Niederlage der Luftwaffe über dem englischen Luftraum setzte Hitler auf die Entwicklung seiner Wunderwaffen. Großangelegte Bombardements auf die britischen Inseln waren nicht mehr möglich. Bis Kriegsende wurden etwa 12.000 Flügelbomben des Typs V1 abgefeuert, etwa 3.200 Raketen des Typs V2. Die meisten davon waren auf London und Antwerpen gerichtet. Diese Sprengkörper waren ungelenkt und konnten somit überall runtergehen und alles treffen.


Total und radikal


Der deutsche Krieg wurde im Verlauf immer brutaler, Goebbels rief in seiner Sportpalastrede den totalen Krieg aus. In den besetzten Gebieten wurde der Fiebertraum der arischen Herrenrasse und des Lebensraums im Osten menschenverachtend umgesetzt, Zwangsarbeit und Erschießungen bestimmten den Alltag. Nach der Wannsee-Konferenz wurden die industrielle Vernichtung der Juden beschlossen und mit deutscher Gründlichkeit und bürokratischer Präzision in die Tat umgesetzt. Der Tod war eben ein Meister aus Deutschland. Und gestört hat es die Bevölkerung in ihrer Gesamtheit offenbar nicht. Es gab genügend Leute, die in den Konzentrationslagern gearbeitet haben, der Rassenwahn war offizielle Staatsdoktrin. Selbst bei immer härter werdender Brutalität auch der eigenen Bevölkerung gegenüber regte sich kein nennenswerter Widerstand. Gab es zum Ende des Ersten Weltkrieges die Novemberrevolution, gab es jetzt den Kadavergehorsam. Das NS-Regime wurde von der Bevölkerung bis zum bitteren Ende mitgetragen. Keine meuternden Matrosen, keine revoltierenden Wehrmachtsverbände, keine streikenden Fabriken, nichts. Aus diesem Grund wird auch mit Fug und Recht von den Deutschen als Tätervolk gesprochen. Weil die Bevölkerung in ihrer Gesamtheit das schlimmste aller Verbrechen von Menschen an Menschen zugelassen und mitgetragen hat – den Holocaust.

Wer ist dran schuld?

 

Und was hat dieser historische Ausflug jetzt mit Dresden zu tun? Ganz einfach: Hier wird von rechter Seite versucht, die Deutschen als Opfer darzustellen. Über Sinn und Unsinn der alliierten Flächenbombardements von Städten, des sogenannten „moral bombing“, lässt sich streiten. Es war auch damals in der britischen Generalität nicht unumstritten. Aber wer trägt die eigentliche Schuld daran? Ist es nicht etwa das Deutsche Reich selber, dass diese Taktik mit Guernica und Wieluń eingeführt hat und den Grundstein für alle späteren Aktionen dieser Art legte? Es ist einzig und allein dem Sieg des Empires in der Luftschlacht um England zu verdanken, dass die deutsche Luftwaffe ihrerseits die Flächenbombardements nicht weiterentwickeln konnte. Später verhinderte die enorme Frontlänge verbunden mit Produktions- und Nachwuchsproblemen größere Bomberaktionen des Deutschen Reiches. Das zivile Opfer den Deutschen egal waren, zeigen die V1 und die V2 unwiderruflich, es ging einzig um Zerstörung und Chaos.

Der Zweite Weltkrieg wurde vom Deutschen Reich begonnen und zwar ab der ersten Minute mit einer unvorstellbaren Menschenverachtung und -vernichtung auf allen Ebenen. Es war ein Vernichtungskrieg. Es gab keine „edle Wehrmacht“, wie sie von vielen Faschos heute gerne stilisiert wird. Das Deutsche Reich hat die Brutalität selbst in diesen Krieg eingeführt und ihn dann auch noch für „wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt erst vorstellen können“ erklärt. Wer denkt, dass ein Land, welches den Holocaust mit stillschweigender Billigung der Bevölkerung durchführt, in einem derartigen Krieg das Opfer ist, der hat so Einiges nicht verstanden. Wenn dann auch noch die Einmaligkeit des Holocaust auf das Tätervolk umgemünzt wird („Bombenholocaust“), dann sind endgültig alle Sicherungen durchgebrannt. Die Schuld an den Toten in Dresden trägt Nazideutschland. Und niemand sonst. Dresden ist somit eines der Symbole für den totalen Krieg. Du kannst nicht einfach einen Vernichtungskrieg starten, ohne dafür eine Antwort zu bekommen. Und genau dieses Symbol ist Dresden: Das Resultat der eigenen Menschenverachtung.

(1) http://archive.is/1Ql7L
(2) Bachmann sagt „Bombenholocaust“ bei Minute 2:20 https://www.youtube.com/watch?time_continue=139&v=TOodEjvCECE
(3) http://archive.is/T2ZeJ
(4) Darstellung des Angriffs auf Guernica mit vielen Quellenbelegen: http://www.bits.de/public/articles/ami/ami07+08-03.htm
(5) http://www.spiegel.de/einestages/kriegsbeginn-1939-a-948468.html

 

Mangelhafter Umgang bei sexuellen Übergriffen an der Goethe-Universität in Frankfurt/Main

An der Goethe-Universität in Frankfurt/Main kommt es in den letzten Jahren verstärkt zu sexuellen Übergriffen auf Frauen. Die Universitätsleitung reagiert auf diese Problematik unzureichend und erweckt den Anschein, primär um den eigenen Ruf besorgt zu sein.

Aber der Reihe nach: Vor etwa zwei Jahren sorgte eine Gruppe sich selbst als „Pickup Artists“ bezeichnender Männer für etliche sexuelle Belästigungen. Dieses Spektrum, dem auch das Führungsmitglied der Identitären Bewegung Robert Timm entspringt, ist zwar nicht einheitlich, jedoch in jedem Fall sexistisch und antifeministisch. In den härteren Auslegungen wird der Konsens für sexuelle Handlungen ignoriert und in einigen Fällen sogar explizit die Vergewaltigung empfohlen. Dieser Artikel der FAZ thematisiert die Ereignisse am Campus der Universität Frankfurt und bietet einen vernünftigen Einstieg in diese auf sexuelle Belästigung aufbauende Strömung: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/forschung-und-lehre/pick-up-artists-geraubte-kuesse-auf-dem-campus-14583163.html
In einem Beitrag des Deutschlandfunks vom 21.01.2016 gibt der AStA der Universität Frankfurt an, über 50 Frauen seien vom Campus bis nach Hause verfolgt worden. (http://www.deutschlandfunk.de/uni-frankfurt-streit-um-pickup-artists.680.de.html?dram%3Aarticle_id=343169) Dazu kamen diverse Überschreitungen körperlicher Grenzen, die jedoch juristisch schwer zu ahnden sind. Ein Bedrängen ist definitiv eine sexistische Grenzüberschreitung, zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht strafbar. Der AStA hatte damals eine Klage auf Unterlassung bekommen, weil die AStA-Zeitung den Namen eines der Sexisten genannt hatte. Die einstweilige Verfügung wurde abgewiesen. Der Kläger hatte sich während des Verfahrens aber in den Kommentaren unter einem taz-Artikel praktischerweise selbst geoutet. Nachzulesen ist die Glanzleistung von Maximilian Pütz hier: http://www.taz.de/!5281536/ Schon damals kritisierte der AStA fehlende Unterstützung der Universitätsleitung, die weder eine Stellungnahme zu den Übergriffen abgeben noch sich beim Rechtsstreit auf die Seite des AStA stellte.

Fehlende Unterstützung wird der Universitätsleitung, insbesondere dem Gleichstellungsbüro auch im Fall eines Dozenten vorgeworfen, von dem zwei Studentinnen sagen, er habe sie bedrängt und in einem Fall sexuell belästigt. Das beschriebene Verhalten ist nicht strafbar, überschreitet aber das übliche Verhalten zwischen Studierenden und DozentInnen und ist in einem Fall, wie gesagt, sexuelle Belästigung:
„Er nahm sie immer wieder in den Arm, packte sie an die Hüfte und zog sie zu sich heran. Sie sagte ihm, dass sie das nicht wolle. Er machte aber weiter. In der Wohnung, die sich die Studenten mit ihrem Dozenten teilten, lief der Dozent nur mit Handtuch bekleidet herum. Auf dem Rückflug, für den der Dozent die Sitzplätze aller Teilnehmer auswählte, saß er neben ihr und fasste ihr an die Innenseite des Oberschenkels.“ Quelle: http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/frankfurter-universitaet-belaestigungsvorwuerfe-gegen-dozenten-15370529.html
Das Gleichstellungsbüro soll in diesen Fällen sehr lange mit Antworten auf sich warten lassen haben und zudem den Studentinnen mit ernsten Konsequenzen gedroht haben, falls der Fall publik würde. Auf den Artikel der FAZ vom 3.1. wollte die Universität eine Unterlassung erwirken, weshalb die FAZ von beiden Betroffenen eidesstattliche Aussagen einholte. So geht souveränes Verhalten. (http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/goethe-uni-frankfurt-wehrt-sich-gegen-vorwuerfe-15373798.html) Als Reaktion darauf organisierte der AStA eine Kundgebung am 17.01. diesen Jahres, bei der über 300 TeilnehmerInnen gegen sexuelle Gewalt, Ausnutzung von Machtpositionen und für einen besseren Opferschutz von Seiten der Universitätsleitung demonstrierten. (http://www.fr.de/frankfurt/goethe-universitaet-in-frankfurt-studierende-protestieren-gegen-sexismus-an-der-uni-a-1428740)
Dieses Verhalten der Leitung scheint kein Einzelfall zu sein. So kam es vor dem Wohnheim der katholischen Theologie verstärkt zu Übergriffen, was einem bestimmten Täter(kreis) zuzurechnen ist. Die Universität weigert sich aber aus Kostengründen dort eine Security (und sei es nur für einen bestimmten Zeitraum) einzustellen. In einem aktuellen Fall ist die Universität nun aber zumindest etwas aktiver geworden. Eine Person hat im Laufe der letzten Monate wiederholt versucht, Studentinnen am Campus zu vergewaltigen. (https://www.focus.de/panorama/welt/goethe-universitaet-frankfurt-vier-versuchte-vergewaltigungen-unbekannter-lauert-studentinnen-nachts-auf-campus-auf_id_8407910.html) Die Angelegenheit liegt nun der Polizei zur Bearbeitung vor, jedoch dürfte es sich problematisch gestalten, eine jüngere, männliche Person auf dem Campus einer Massenuniversität dingfest zu machen, wenn diese „nur“ ab und an dort mit der Intention genannte Straftat zu begehen, auftaucht.

Im Schreiben der Universität fehlt eine klare Positionierung gegen sexuelle Übergriffe!
Kein Appell an die Täter!
Stattdessen gibt es Verhaltenstipps für Studentinnen, wodurch die Verantwortung zum Schutz vor Übergriffen zumindest ein Stück weit auf diese abgewälzt wird.
Zusammen mit mangelhafter, z.T. fehlerhafter Unterstützung bei vorangegangenen Fällen kristallisiert sich das Bild einer Universitätsleitung heraus, die mehr Wert auf Imagekonstruktion als auf den Schutz ihrer Studierenden geht. Mehr um den Schutz des eigenen Rufes als um den Schutz (potenzieller) Opfer vor sexueller Belästigung und Übergriffen.
Hier zeigt sich exemplarisch ein strukturelles Problem im Umgang mit sexueller Belästigung – und das an einem Ort, an dem sich tausende junge Frauen aufhalten und sich weiterbilden wollen.