„Antifa ist Rechtsschutzversicherung“ – Interview mit Mensch Merz

Die Gruppe „Von nichts gewusst“ betreibt sowohl einen eigenen Blog als auch den Twitteraccount @menschmerz und gibt Vorträge. Spezialisiert hat sie sich auf die Identitäre Bewegung, ist aber auch zu anderen Themen des radikal rechten Spektrums mit einem profunden Wissen ausgestattet. Bereits im letzten Jahr hatten wir einb Interview vor der erfolgreich blockierten Demonstration der Identitären Bewegung in Berlin veröffentlicht. Nach gut einem Jahr gibt es wieder reichlich Gesprächsstoff, allen voran durch die von der Gruppe geführten Prozesse gegen rechte Medien und die FPÖ-Beteiligung an der Regierung in Österreich.
 
1. Gratulation erst einmal von unserer Seite aus zum gewonnenen Prozess gegen EinProzent. Worum genau ging es dabei?
 
Interviews mit schlechten Nachrichten zu beginnen ist wirklich nicht toll, aber: Wir haben nur einen ersten Teilerfolg gegen „EinProzent“ errungen. Das Landesgericht in Wien hat uns Recht gegeben. Allerdings ist das Urteil wegen der anstehenden Berufung vor dem Oberlandesgericht nicht rechtskräftig.
Doch worum ging es uns: Ausgangspunkt in dem konkreten Prozess war ein Artikel auf der Plattform von „EinProzent“. In diesem wurde Jerome unterstellt maßgeblich an schweren Ausschreitungen gegen das identitäre Hausprojekt in Halle beteiligt gewesen zu sein und mit seinen Vorträgen eine Art „geistiger Brandstifter“ dessen zu sein. 
Uns ging es nicht nur um die Beseitigung des konkreten Artikels – der im Besonderen für Jerome durchaus starke Konsequenzen hatte – sondern auch darum, dass wir uns als Linke, die konsequent von den unterschiedlichsten rechten Medien angegriffen und verleumdet werden, nicht alles gefallen lassen müssen. Und dass es Wege gibt, sich juristisch dagegen zu wehren und den Rechten Grenzen aufzuzeigen. 
 
 
2. Ein Prozent hat, wie du sagst, Rechtsmittel eingelegt, der Prozess wird also in der nächsthöheren Instanz verhandelt. Außerdem steht im Juni noch ein zweiter Prozess gegen Info Direkt an. Was genau wollt ihr damit erreichen?
 
Natürlich wollen wir gewinnen 🙂 Abseits dessen ist aber ein wichtiger Teil unsrer aktuellen Strategie, dass wir eine möglichst breite Öffentlichkeit mit diesen Prozessen erreichen wollen. Wir wollen auf die systematische Dimension dieser Hetzkampangen der Rechten hinweisen, die in Österreich längst Alltag sind. Dazu versuchen wir das Interesse von Pressevertreter*innen zu erreichen, wir halten aber auch Vorträge und schreiben selbst Texte, in denen wir unsere Erfahrungen reflektieren und in Verbindung mit den Erfahrungen anderer Personen, die schon solche Klagen geführt haben, setzen. Wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass solche Prozesse nicht nur durchaus sinnvoll sein können, sondern auch, dass sie zumeist eine sehr große Belastung für das Umfeld und die (politischen) Gruppen der klagenden Menschen sind. Belastungen, die wir aber solidarisch meistern können.
 
3. In aktuellen Vorträgen wird von euch über Anti-Antifa-Strategien von rechten Akteur*innen aufgeklärt, ihr selber seid auch Ziel davon. Die Prozesse sind eine Gegenwehr gegen rechtsradikale Verleumdungskampagnen. Wie gehen Rechte, vor allem über ihre eigenen Medien und Plattformen, vor und warum haben sie damit durchaus Erfolg?
 
Grundlegend ist es wichtig zwischen Österreich und Deutschland zu differenzieren. In Österreich ist die Situation in Angesicht von großen rechtsextremen Medien, wie unzensuriert, und kleineren – aber sehr stark in der Szene verankerten -, wie InfoDirekt, durchaus nochmal eine andere und durchaus „schlimmere“. Jedoch können wir in Deutschland allen voran in Bezug auf die AfD und außerparlamentarische Organisationen und Vereine, wie Pegida und EinProzent beobachten, dass es auch in Deutschland mittlerweile sehr starke rechtsextreme Stimmen gibt. 
 
Die Frage, warum solche personenfixierten Hetzkampangen Erfolg haben, ist nochmal schwieriger zu beantworten. Einer der Gründe, den wir immer wieder sehen, ist der, dass diese Artikel den Hass, der die Ideologie der extremen Rechten fundamental prägt, konkreten Personen zuordnen. Deswegen sind Hetzartikel gegen weibliche Personen meist auch nochmal viel krasser, weil sich dort dann nicht nur der Hass auf alles „Linke“ entladen kann, sondern auch noch die Misogynie der Rechten Raum findet. Die Artikel zu Sarah Rambatz bilden hierbei wohl traurige Höhepunkte. Die Ideologie der Rechten läuft am Ende immer auf die physische Eliminierung derer hinaus, die nicht in ihr Welt passen oder sich diesem fügen wollen. Diese Umstand manifestiert sich immer in der Rezeption der personenfixierten Hetzartikel. Denn immer sind die Ergebnisse schrecklichste Gewaltdrohungen, Aufrufe zum sexuellen Missbrauch oder gar Mord. Immer! 
 
Und in ganz bitterer Art und Weise ist grade diese Rezeption ein Erfolg. Denn welcher Mensch möchte sowas über sich lesen? Wer hat keine Angst, wenn online Tag für Tag Leute darüber diskutieren, wann und wie sie dich am besten zu Hause abpassen können? Einschüchterung wirkt. Erst recht, wenn wir uns anschauen, wieviele Tote und schwerst verletzte Menschen durch extrem Rechte seit 1945 verursacht wurden.
 
Ein anderer Moment für den Erfolg ist eng geknüpft an diesen, zum Teil auch von breiten gesellschaftlichen Schichten vertretenen Hass auf alles „Linke“. Es ist das bürgerliche Auftreten und die bürgerliche Inszenierung der extrem rechten Medien. In Österreich wird das Magazin „Info Direkt“ zum Beispiel nicht durchweg als rechtes Pamphlet erkannt, sondern Menschen nehmen die Berichte für bare Münze. Jerome wurde so zum Beispiel bei Vorstellungsgesprächen für Projekte auf die Artikel über ihn angesprochen. 
 
Es wird immer gefordert, dass Jugendliche mehr Medienbildung erhalten müssen. Das gilt wohl, grade auch, wenn es darum geht reaktionäre Quellen kritisch zu lesen, für große Teile der Gesamtbevölkerung.
 
4. Was schlagt ihr vor? Wie kann man sich schützen und dagegen vorgehen?
 
Es klingt nach einer alten Binsenweisheit. Aber allein unsere Erfahrungen während der bisherigen Prozesse haben wieder einmal gezeigt: Bildet Banden! 
 
Vielfach zielen die Taktiken der extremen Rechten daraufhin ab, einzelne Personen anzugreifen, sie zu separieren und dann fertig zu machen. Es ist wohl am allerwichtigsten starke solidarische Gruppen gegen diese Angriffe zu formen. Solche Prozesse, wie in unserem Fall, sind alleine gar nicht finanzier- und machbar. Die Wichtigkeit füreinander da zu sein und niemanden allein zu lassen, wird wohl immer wichtiger. Auch, weil in diesen Gruppen Erfahrungen verarbeitet, ausgearbeitet und geteilt werden können.
Und abgesehen davon, nur um das kurz anzureißen: Techniken wie Datenverschlüsslung, Aussageverweigerung, Umgang mit Repressionsbehörden uvm. werden in Zeiten wie diesen umso wichtiger. Also: Informiert euch! 
 
5. Auffallend ist in diesem Zusammenhang auch die Differenzierung im rechten Spektrum. In den letzten Jahren sind diverse Plattformenentstanden, seien es Facebookseiten, Twitteraccounts, Blogs, Onlinemagazine oder klassische Printmedien. Einige sind an Parteien oder Organisationen angeschlossen, so zum Beispiel die Sezession an das IfS (Instut für Staatspolitik) und unzensuriert.at mit enger Verknüpfung an die FPÖ. Der Gründer des völkischen Magazins „Blaue Narzisse“ bringt jetzt ein völkisches Wirtschaftsmagazin auf den Markt. Trotz einiger inhaltlicher Differenzen lässt man sich größtenteils in Ruhe. Wie seht ihr diese Entwicklung?
 
 
Diese Entwicklung ist ja durchaus nicht neu. Schon in den 1990er Jahren hatte Phänomene, die wir unter dem Label „Neue Rechte“ zusammenfassen, durchaus Erfolge zu verbuchen. Es gab dann halt nur eine längere Flaute und in diese sind dann Projekte, wie die vom IfS initiierte „Sezession“ gestoßen. Aber schon früh haben sich auch Medien, wie das von Menzel gegründete Projekt „Blaue Narzisse“ um zielgruppengerechte Onlineangebote bemüht. Es ist glaub ich wichtig auf diese längere Genese hinzuweisen und nicht alles als etwas abzutun, was in den letzten 3-5 Jahren entstanden ist.
 
Dennoch und das skizziert ja auch die Frage: Durch Soziale Medien wie Twitter, Facebook & Co. hat das alles natürlich nochmal einen enormen Auftrieb erlebt. Grade auch, weil es der extremen Rechten in den letzten Jahren mit der enorm starken Fixierung auf das Narrativ „Europa verteidigen!“ gelungen ist, eine Punkt zu finden, der durchaus in der Lage ist, starke Gräben zumeist kurzzeitig als Nebenbaustelle zu betrachten. Jedoch scheint es wichtig auch hier zu sagen: Das ist natürlich keine ewig währende Einheit. Immer wieder zeigen sich ja tiefe Risse. Sowohl in der Ideologie, als auch allen voran organisatorisch. 
In Österreich können wir schon lange eine enge Kooperation zwischen parl. Extremer Rechter, in Form der FPÖ, und Organisationen der außerparlamentarischen Rechten beobachten. Auch in Deutschland verstärkt sich durch die AfD diese Kooperation. Organisationen bekommen so Geld, rechte Personen Jobs, Institute werden gegründet, parlamentarische Anfragen können gestellt werden und vieles mehr. 
 
Das sind zwar alles in allem Entwicklungen, die nicht gänzlich neu sind. Fakt ist aber, dass sie aktuell extrem hohe Wirkungen gesellschaftlicher Gestaltungsmacht zu entfalten wissen. Und das ist durchaus eine Entwicklung, die nicht nur wir als äußert bedrohlich empfinden. 
 
6. Sowohl die AfD in Deutschland als auch die FPÖ in Österreich sind zentrale Bausteine im rechten Sektor. Die FPÖ ist inzwischen erneut in der Regierung und (ehemalige) Neonazis bekleiden Regierungsämter und arbeiten in den Ministerien. Innenminister Kickl hat mit einer loyalen Spezialeinheit den Verfassungsschutz raiden lassen. Welche Auswirkungen hat die ÖVP-FPÖ-Koalition auf die Gesellschaft?
 
Natürlich ist die Koalition zwischen ÖVP & FPÖ auf der Bundesebene wirklich enorm wichtig und auch äußert schnell und hart in der Umsetzung ihrer bisherigen politischen Agenden. Wichtig erscheint aber aus unserer Perspektive diese Fokussierung etwas aufzubrechen. Auch auf Landesebene gibt es in Österreich allerlei reaktionäre Koalitionen. Und immer wieder zeigt sich – aktuell auch in Wien – dass grade die SozialdemokratInnen immer noch stark gespalten sind in der Frage, wie sie denn nun mit den extrem Rechten umgehen sollen. Im Zweifel aber – so scheint es bisher zumindest – wird am Ende dann mit ihnen koaliert und versucht ihre Themen zu besetzen. Eine fürchterliche Strategie. 
 
Auf der anderen Seite aber hat die FPÖ seit Jahren sehr viel Mitspracherecht auf Ebene der Gemeinden und grade für kleinere lokale emanzipatorische Projekte, oder auch zum Beispiel Projekte der Jugendarbeit, hat dies seit Jahren bereits auswirken. 
Es ist falsch, die aktuelle Situation in Österreich nur auf die Koalition im Bund zu reduzieren. In diesem Land liegt noch viel, viel mehr im Argen. 
 
7. Wie macht sich das für Antifaschist*innen bemerkbar? Nimmt die Repression zu?
 
Grade im System der österreichischen Justiz befinden sich seit eh und je viele Menschen aus völkischen Burschenschaften. Auch die Polizei hat eine große Mehrheit in ihren Einheiten die sich politisch auf Seiten der FPÖ verorten. Der Umgang mit und gegen Antifaschist*innen war also schon vor dieser Koalition nicht so wirklich toll. Es sei hier nur an den Prozess gegen Josef erinnert der damals schon eine Farce war. 
 
Dennoch, dass sich sowohl das Innenministerium, als auch das Verteidigungsministerium in der Hand eines blauen Ministers befinden ist stark zu kritisieren. Dass mit Kickl eine Person zum Innenminister berufen wurde, der vorher immer wieder durch schlimmste Äußerungen und einen politischen Hardliner-Kurs aufgefallen ist, macht die Sache nicht unbedingt besser. 
 
Ob Repression wegen dem allein zunimmt ist an dieser Stelle schwer zu beantworten. Wichtiger ist wohl der Punkt, dass viele Ländern – grade innerhalb der europäischen Union – aktuell ihre Polizeieinheiten hochrüsten und immer mehr die Grenzen zwischen Militäreinheiten & PolizistInnen verschwimmen. Immer mehr und immer härter werden diese Einheiten dann auch eingesetzt. Es sei hier nur an die Tage von G20 erinnert, als österreichische und deutsche Spezialeinheiten die Schanze gemeinsam räumten. Die zunehmende Repression gegen widerständige Gruppen muss eher in dieser europäischen Dimension als Trend betrachtet werden. 
 
8. Relativ überraschend wurden führende Mitglieder der Identitären Bewegung Ziel von Hausdurchsuchungen und Ermittlungen. In den letzten Wochen lief es nicht unbedingt gut. Sellner wurde zwei Mal die Einreise nach Großbritannien verwehrt, die geplante Demo in Berlin wurde wegen finanzieller Probleme im Zusammenhang mit den Ermittlungen in Österreich noch nicht angemeldet. Wie ist der Status Quo der IB?
 
Es gibt derzeit gegen die „Identitäre Bewegung Österreich“ mehrere Ermittlungen. Eine – und in diesem Rahmen wurden die Hausdurchsuchungen durchgeführt – ist wegen dem Verdacht auf Verstöße gegen das Finanzstrafgesetz. Es wird hier davon ausgegangen, dass die verschiedenen Vereine der IB und der Versandhandel „Phalanx Europe“ Steuern hinterzogen haben. Andere Anschuldigen betreffen die Gründung einer kriminellen Vereinigung und Verhetzung. Hiervon sind diverse Führungskader und einige Sympathisanten betroffen. Wobei die hier vorgenommene Trennung so von der Staatsanwaltschaft aufgebracht wurde. Zur Zeit werden die verschiedenen Ermittlungen immer in einen Topf geworfen. Grade auch von den „Identitären“ selbst, die in den letzten Wochen immer mehr versuchen die wohl ziemlich sicher anstehenden Prozesse zur großen „Kadershow“ umzufunktionieren. Hierbei haben sich zuletzt allen voran Martin Sellner und Patrick Lenart hervorgetan. Die „Identitären“ scheinen – zumindest in Form ihrer Kader – die höchstmögliche mediale Aufmerksamkeit generieren zu wollen. Das mit dem Paragraphen bezüglich der Bildung einer kriminellen Vereinigung ein in Österreich durchaus Umstrittener ihnen auch in die Hände spielt, muss hier wohl nicht weiter ausgeführt werden.
 
Beachtenswert ist, dass es ihnen bislang durchaus gut gelingt den Fokus auf ihre Themen zu lenken. So ist zum Beispiel ihre internationale Vernetzung bislang kaum im Blickfeld der Medien und auch das Netzwerk, indem sie sich bewegen, wird fast gar nicht genauer betrachtet. Es bleibt zu hoffen, dass sich das noch im Verlauf ändern wird. Jedoch – und das zeichnet sich bereits jetzt ab – die derzeitigen Ermittlungen schränken die „Identitären“ stark ein. Sie können grade keine anderen Themen setzen und andere Projekte gehen zwangsläufig im Schatten eines möglichen Verbots unter. Die Frage ist wohl, wie sich die anderen Gruppen, allen voran in Deutschland und Frankreich dazu positionieren werden. Diese ganzen Dynamiken sind jetzt noch gar nicht abzusehen und einzuschätzen. 
 
Was aber bislang bleibt ist die traurige Erkenntnis, dass Österreich in der Auseinandersetzung mit der extremen Rechten weiterhin auf juristische Repression zu setzen scheint. Dass in Österreich grade aber zivilgesellschaftliche und demokratiestärkende Projekte mehr als bitter notwendig sind, geht bereits aktuell vollkommen unter. Solange Organisationen nur verboten werden, sich aber keine Projekte finden, die mit den Menschen arbeiten, die sich von solchen Ideologien angesprochen werden, werden sich immer wieder neue Organisationen gründen. Juristische Repression allein wird hier wenig ändern. Wenn sie denn überhaupt gelingt. Vielleicht stehen die „Identitären“ auch am Ende als große Sieger dar. 
 
9. Den Anspruch, eigenständig eine Bewegung darzustellen, hat die IB im deutschsprachigen Raum offensichtlich aufgegeben. Man fügt sich stattdessen in die Mosaikrechte ein und begnügt sich mit der Rolle eines(pseudo)aktivistischem Posterboys. Andererseits bemüht man sich immer noch um Immobilien und Stützpunkte. Welche Bedeutung hat die IB realpolitisch?
 
Die „Identitären“ sind ein wichtiger Teil der außerparlamentarischen Rechten in Deutschland und Österreich. Punkt. Klar, gemessen an ihrem eigenen Anspruch sind sie natürlich gescheitert. Aber wieviele neonazistische Gruppen wollten das 4. Reich aufbauen? Da hat auch kein Mensch immer gesagt: Oh, ihr seid gescheitert. Es ist aktuell viel wichtiger einerseits genau zu beobachten, wie sich die „Identitären“ weiterentwickeln, anderseits wo und wie sie ihre Leute in anderen Organisationen positionieren. Die „Identitären“ sind (immer noch) hervorragend vernetzt. Und das sogar durchaus sehr breit. Grade in Deutschland sind sie in einlösbarer Teil des großen Netzwerks rund um Götz Kubitschek und das IfS. Einige ihrer Kader sind immer noch wichtige Stimmen im rechten Diskurs und aktuell sind es eben die „Identitären“ die durch die Repression zu den großen „Märtyrern“ der Szene gemacht werden. Was eventuell ihre Position auch innerhalb der Szene nochmal stärken könnte. 
 
Auf der anderen Seite: Die aktuelle Taktik sich in Städten mittels Immobilien Stützpunkte zu schaffen und dort aktiv zu werden ist doch durchaus erfolgreich. Natürlich: An das große Vorbild „Casa Pound“ reicht das bei weitem nicht heran. Aber eine Situation wie in Halle, bei der dauerhaft eine Gefahr für Menschen von den dort festsitzenden Rechten ausgeht, ist schon krass. Und sie dort wegzukriegen ist äußert schwierig, wie aktuell alle Bemühungen vor Ort zeigen. Natürlich muss sowas immer auch in Relation gesehen werden. Nazis haben schon vor Jahrzehnten ganze Stadtteile terrorisierst. Neu ist das alles nicht. Aber: Die „Identitären“ werden wohl erstmal bleiben.
 
10. Seit unserem Interview im letzten Jahr hat sich die IB verstärkt auf Kampagnen konzentriert, die nicht mit dem klassischen Corporate Design versehen worden sind. Zum Beispiel die krachend gescheiterte Defend Europe-Aktion, die immer noch nicht veröffentlichte Patriot Peer-App (für die aber fleißig Spenden gesammelt wurde), die antifeministische Plattform „radikal feminin“ und die Kampagne „120db“. Warum verzichtet man auf das eigene Design und haben diese Kampagnen irgendwelche Erfolge vorzuweisen?
 
Anders als in Österreich wurden die „Identitären“ in Deutschland von Beginn an viel stärker in der Auseinandersetzung als „rechtsextrem“ bezeichnet & beschrieben. Das hat es ihnen von Beginn an durchaus schwer gemacht ihre Botschaften medial breiter zu streuen. In Österreich hat dieses semantische Verwirrspiel von ihnen ja jahrelang funktioniert. Das Corporate Design deswegen leicht zu verändern (wie bei Defend Europe) oder ganz wegzulassen (wie bei 120db) ist deswegen nur logisch. Das Ziel der „Identitären“ war immer an größere gesellschaftliche Debatten anzudocken und – nicht nur ihrer Logik folgend – gelingt sowas eben besser, wenn nicht von Anfang an feststeht, wes Geistes Kind du bist.
 
Fakt ist aber auch, dass die „Identitären“ sich in den letzten Jahren durchweg mit ihren Projekten übernommen haben. Apps, wie „Patriot Peer“, sind ein Projekt für ein mittelgroßes Unternehmen. Nicht sowas wie die „IB“. Auch bei „Defend Europe“ sind die Kosten ja explodiert und wären nicht amerikanische Gelder so stark geflossen, wäre die ganze Aktion sicherlich ziemlich schnell vorbei gewesen. Auch in kleineren Rahmen finden sich immer wieder dubiose Spendensammlungen, die dann irgendwie „verschwinden“.
 
Dennoch: Für ihre Zielgruppe sind die Aktionen bislang immer große Erfolge gewesen. Und das gilt es zu beachten: Aktionen richten sich ja nicht nur – wenn auch bei den „Identitären“ dominierend – an eine „Outgroup“, sondern sie haben für die Gemeinschaft auch immer formende Momente. So groß das Debakel der 120db Aktionen war: Diese Aktionen haben schon für ein neues Selbstbewusstsein bei den weiblichen Kadern gesorgt. Und aktuell wird zum Beispiel die Wiener Ortsgruppe der „IB“ sehr stark von weiblichen Kadern, die an dieser Aktion beteiligt waren, „wiederbelebt“. 
 
11. Viele rechtsradikale Orgas vernetzen sich inzwischen international. Ein Ideen- und Gedankenaustausch ist nicht neu, so haben Autoren wie Schmitt und Mohler international Einfluss ausgeübt und ein Franzose wie Benoist hat mit seinem Konzept der Metapolitik wiederum Personen in Deutschland und Österreich beeinflusst. Die unmittelbare Zusammenarbeit von antimodernen und faschistischen Gruppen und Parteien in diesem Ausmaß ist dagegen recht neu. Welche Gefahr geht davon aus?
 
Diese Frage vermischt einige Bereiche, die zwar alle miteinander verknüpft sind, aber dennoch getrennt werden sollten. Extrem Rechte Gruppen in Europa hatten immer schon, zum Teil außerordentlich, gute Kontakte untereinander. Es wird zwar immer so getan, als sei diese „Internationalität“, zum Beispiel bei den „Identitären“ was Neues. Mit Blick auf Netzwerke, wie „Blood & Honour“ können wir aber leicht sehen, dass solche Netzwerke die extreme Rechte in den letzten Jahrzehnten immer schon maßgeblich geprägt haben.
 
Aktuell erleben wir aber, dass Ideen, die Armin Mohler einst unter der „konservativen Revolution“ ideologisch motiviert subsummierte und die eigentlich vielmehr eine antiemanzipatorische Konterrevolution beschreiben, immer stärker gesamtgesellschaftliche Rezeption erfahren. Mit der AfD ist eine Partei in Deutschland groß geworden, deren Teile sich radikal völkisch verorten und in Österreich ist mit der FPÖ eine Kraft an der Macht, die in allen ausländischen Medien durch die Bank weg als rechtsextrem eingestuft wird. Auch in anderen Ländern, wie Polen, Ungarn, Tschechien uvm. sind die Autoritären in Positionen, die ihnen ermöglichen Gesellschaft radikal umzuformen. Letztlich haben wir es hierbei immer mit AntidemokratInnen zu tun. Ihr Ziel ist immer die Exklusion von Menschen und der Teilhabe von Menschen an Gesellschaft. Und hier ist auch die große Gefahr zu sehen. 
 
Neben all den direkten Übergriffen die Ideologien der Rechten zur Folge haben, erleben wir grade in vielen Staaten die Beseitigung emanzipatorischer Werte und Standards, für die in den Jahren zuvor hart gekämpft werden musste. Und diese Maßnahmen treffen Menschen hart. Geflüchtete, Menschen ohne Obdach, ohne Bildung, LGBT und so viele mehr. Letztlich muss klar sein: Diese Politik tötet. Abschiebungen nach Afghanistan töten, das Ausschalten von Hilfsorganisationen tötet. Das Einstellen von Winterpakten tötet. 
 
12. Wie wird sich eurer Meinung nach die radikale Rechte in Deutschland und Österreich in den nächsten Jahren aufstellen und welchen Einfluss kann sie ausüben?
 
Grade in Deutschland ist wohl die AfD einer der wichtigsten Player. Hier gilt es weiterhin genau zu beobachten, wer für sie arbeitet, wohin die Gelder fließen und wer mit ihnen kooperiert. Egal ob auf Landes- oder Bundesebene. Grade die anstehende Stiftung der AfD im Bund wird hierbei sicherlich „interessant“. Auch die diversen außerparlamentarischen AkteurInnen, wie EinProzent, IfS & Co. werden sicherlich dafür sorgen, dass sie weiterhin als Teil wahrgenommen werden und ihr Stück vom Kuchen bekommen. 
Jedoch haben grade die riesigen Neonazifestivals zuletzt auch gezeigt, dass der organisierte Neonazismus immer noch brandgefährlich ist in Deutschland und längst nichts, was eins nicht mehr beachten braucht. Hier gilt es wohl ebenso hinzuschauen.
 
In Österreich ist eine der großen Fragen, wie sich die Regierungsbeteiligung der FPÖ auswirken wird. So sind ja die völkischen Burschenschaften durch die Vernetzung mit der FPÖ mal wieder stärker auch in den Fokus staatlicher Repression gekommen. Die „Identitären“ scheinen aktuell darunter zu leiden, dass ihre Anliegen fast gänzlich von der FPÖ abgedeckt werden. Wie die AkteurInnen mit der Dominanz der FPÖ umgehen wird sich zeigen.
Jedoch und davon ist fest auszugehen: Die Vernetzung zwischen beiden Ländern wird wohl eher zu- als abnehmen. Grade die Gruppen rund um EinProzent, InfoDirekt, IfS & Co. haben in diese Vernetzung sehr viel Arbeit und Geld gesteckt und es ist wohl davon auszugehen, dass das weiter fortgesetzt wird. 

 

14. Und zum Abschluss: Wie geht es der Erdbeere?

 
Die Erdbeere ist immer noch sauer, dass sie beim Prozess gegen EinProzent nicht als Zeugin aufgerufen wurde. Es ging ja sehr viel um sie und ihre Postings in den sozialen Netzwerken. Sie hatte extra ein 3-seitiges Manifest verfasst: „Warum die fotosynthetische Revolution nur antifaschistisch sein kann“ und wollte dies eigentlich verlesen. Zum Glück ist es dazu nicht gekommen! 
Aber sonst geht es ihr gut. Derweil arbeiten wir beide fleißig an unserem neuen Vortragsformat. Hier wird die Erdbeere verschiedene Passagen aus den Büchern führender „Identitärer“ analysieren und kommentieren.

Sicherheit um jeden Preis – zum PAG und der Militarisierung des öffentlichen Raumes

In Bayern wird heute das neue Polizeiaufgabengesetz verabschiedet. Es gibt der Polizei weitreichende Befugnisse, die den Rahmen bisheriger Gesetze sprengen und der Polizei unter anderem geheimdienstliche Befugnisse geben. Nach dem erzwungenen Ende der Nazizeit war es eine Vorgabe der Alliierten, dass in einem zukünftigen deutschen Staat Polizei und Geheimdienste strikt getrennt arbeiten sollen, um eine übermäßige Machtkonzentration in einer Behörde zu verhindern. Bayern greift diese Grundidee der Behördeneinteilung in der BRD an und will sie auflösen. Verbunden ist die Änderung zudem mit einer massiven Einschränkung von Persönlichkeitsrechten, der eigentlich verfassungsrechtlich garantierte Schutz von Personen gegenüber der Staatsgewalt wird an vielen Punkten ausgehebelt.

Buisness as usual

 

So sehr das Gesetz auch abzulehnen ist, überraschend ist es nicht. Es fällt in eine weltweite Neuordnung von Staatsgewalt und Sicherheit. Eine der Ursachen für diese Neuordnung ist das Aufkommen des privaten Sicherheitssektors. Die Absurdität dieses Sektors ist, dass er eigentlich kontinuierlich daran arbeiten müsste sich selbst obsolet zu machen. Auf den ersten Blick sollte das Ziel eine sichere Gesellschaft sein. Wäre sie das, gäbe es keinen Bedarf nach Sicherheitsdienstleistungen und –technik mehr. Diese zu verkaufen ist allerdings das Geschäftsmodell der Sicherheitsbranche. Als Branche ist diese natürlich den normalen kapitalistischen Marktmechanismen unterworfen und hat daher ein Ziel: Kapitalakkumulation und Wachstum. Die wirtschaftlichen Interessen stehen hier also im direkten Gegensatz zu dem, was man theoretisch erreichen soll. Ohne den reellen oder gefühlten Bedarf nach Sicherheit ist diese Branche überflüssig.

 

Die hier getroffene Unterscheidung ist elementar wichtig: Es geht vorrangig um das Verkaufen von Waren und Dienstleistungen, erst nachrangig um tatsächliche Sicherheit. Sicherheit ist hier immer einem physischen Sinne oder kriminalistischen Sinne zu verstehen. Soziale Sicherheit ist hier nicht gemeint, kein Sicherheitsunternehmen wird gegen Armut vorgehen. Ein Punkt, auf den später noch eingegangen wird. Beim Verkauf der Waren und Dienstleistungen sind zwei Dinge zu beachten:

1. Der Verkauf findet über die üblichen Mechanismen der Warenwirtschaft statt. Also Produktentwicklung, Ausmachen von Märkten, Bedarfsfeststellung und –erzeugung, Werbung und so weiter. Ob ein Produkt oder eine Dienstleistung tatsächlich benötigt wird ist hier unwichtig. Solange die zahlende Seite der Überzeugung ist, dass sie dies benötigt, ist alles in Ordnung.

  1. Wir befinden uns seit Jahrhunderten in einer sich stetig ausdifferenzierenden Gesellschaft. Die Arbeitsteilung differenziert den Arbeitsmarkt immer aus, Arbeitsabläufe werden in immer kleinere Subtätigkeiten aufgesplittet. Auf gesellschaftlicher Ebene gibt es viel mehr Möglichkeiten zum einem individuellen Leben als zur Napoleons oder gar im ständisch-feudalen Hochmittelalter. Durch gewachsene Komplexität haben sich sowohl die Ausprägungen von Unsicherheit und Gefahr/Gefährdung als auch das Verständnis dieser Phänomene erweitert. Es gibt also heute ein größeres Wissen und speziellere Formen um und von (Un)Sicherheit und Kriminalität.

Technische statt gesellschaftliche Lösungen

 

Davon ist auch der Bereich der öffentlichen Ordnung bzw. öffentlichen Sicherheit betroffen. Immer neue Sicherheitskonzepte und –konzeptionen sind entstanden, immer neue Aufgabenbereiche hinzugekommen. Allein der Sektor der Cyberkriminalität war vor 40 Jahren unmöglich und wurde dann in den 80ern unter anderem von Gibson in seiner Neuromancer-Trilogie visionär der Öffentlichkeit nahegebracht. In Stanley Kubricks „Dr. Seltsam“ wurde 1962 eine ebenso absurde wie apokalyptische Konsequenz von durchstandardisierten Abläufen und Technologie sowie deren Versagen aufbereitet. Durch die fortschreitende technologische Entwicklung sind auch die Möglichkeiten von Unsicherheit drastisch angestiegen. Vor 20 Jahren hat niemand ein Smartphone besessen und war in keinem sozialen Netzwerk online. Wenn man sich nur einmal die Möglichkeiten der Unsicherheit durch diese beiden Entwicklungen, auch im Zusammenspiel, anschaut, wird der Komplexitätszuwachs deutlich. Der Fokus von Sicherheit verschiebt sich immer mehr von der physischen Unversehrtheit hin zu den Unsicherheitsfaktoren, die auf Daten und persönlichen Erlebnissen, also auf Informationen und sozialer Interaktion, beruhen.

 

Es wäre also Umdenken weg vom Fokus auf physische Gewaltprävention (die natürlich immer noch wichtig ist, siehe zum Beispiel die Statistik zu Sexualstraftaten) hin zu einer gesellschaftlichen Form der Sicherheit notwendig. Dazu zählt eben auch die soziale Sicherheit. Viele Straftatbestände und Sicherheitskonzepte drehen sich um den Schutz des Eigentums. Wissend mit eingepreist wird dabei der Umstand, dass zu viel materielle Ungleichheit (sei es durch mobilen oder immobilen Besitz) zu bestimmten Formen von Kriminalität führen. Soziale Sicherheit wird hier der Sicherung der Besitzverhältnisse untergeordnet, egal wie ungleich hier die Verteilung sein mag.

 

Auch Konzepten von gesellschaftlicher Sicherheit wenig Beachtung geschenkt. Der Staat geht lieber auf repressive Maßnahmen, die im Vergleich zu präventiven Maßnahmen viel mehr materielle Ressourcen benötigen. Und auch bei präventiven Maßnahmen wird gerne auf technische Lösungen gesetzt, siehe Gesichtserkennung und Überwachung des öffentlichen Raums mit Kameras. Bei der BVG in Berlin sollen alle Bahnhöfe komplett videoüberwacht werden, obwohl Untersuchungen nachgewiesen haben, dass dies nicht zu erhöhter Sicherheit führt. Aber es ist eine Dienstleistung mit einem Produkt, welche verkauft wird und für die ein Bedarf gesehen wird, entgegen empirischer Befunde. Sicherheit als Ware, nicht Sicherheit als tatsächliche Qualitätssteigerung des Lebens.

 

Soziale Sicherheit spielt keine Rolle

 

Und genau deshalb ist das neue Polizeiaufgabengesetz für die bayerische Polizei keine Überraschung. Die Polizei ist nicht nur idealtypisch an einer Qualitätssteigerung des Lebens für alle Menschen interessiert, wie man immer wieder versucht ihre Tätigkeit zu verkaufen. Die Polizei ist einerseits ein Organ zur Aufrechterhaltung der aktuellen Ordnung (was auf jede Polizei in jedem System zutrifft), auch wenn es unmenschlich zugehen sollte. Siehe Abschiebungspolitik, Räumung besetzter Häuser und so weiter. Wie diese Ordnung aussieht ist für diese Funktion der Polizei unerheblich. Andererseits ist die Polizei für sich selbst da. Sie will keine Etatkürzungen bekommen, sie will ihre eigenen Leute schützen und versorgen, sie will für ihr eigenes Image sorgen. Auch aktiv und gerne mit bewussten Lügen über die sozialen Medien. Die Polizei ist nicht neutral.

 

Und weil sie für sich selbst da ist, ist ihr die Qualitätssteigerung des allgemeinen Lebens eben nur so lange wichtig, wie diese nicht mit den eigenen Interessen kollidiert. Also wird klassische Lobbyarbeit betrieben um Paragraphen zu verschärfen, Budgets zu erweitern und Gesetze durchzubringen. Sicherheit wird auch stark technisch begriffen und eben nicht sozial. Daher ist es folgerichtig, dass weltweit eine Militarisierung der Polizeieinheiten zu beobachten ist. In einigen Ländern, zum Beispiel in den USA, kaufen die Behörden Material direkt vom Militär. Bei den G20-Protesten wurden Spezialeinheiten mit Sturmgewehren eingesetzt und Forderungen laut (zum Beispiel aus den Reihen der Union) dies in Zukunft häufiger zu tun. Damit geht eine Militarisierung des öffentlichen Raumes einher. In Frankreich wird der Ausnahmezustand immer weiter verlängert und verliert damit den Status der Ausnahme, da diese jetzt die Norm ist. Neue Ausrüstung der Polizei soll neuen Aufgaben gerecht werden – ob sinnvoll oder nicht sei dahingestellt. Unternehmen wollen Sicherheitstechnik auch die Polizei verkaufen, ist diese doch neben dem Militär einer der Hauptabnehmer großer Stückmengen an spezialisierter Technik.

Machtausbau gegen die Menschen

 

Zusammen mit der Ausdifferenzierung der (Un)Sicherheit geht auch der Wunsch einher, immer weitere Befugnisse zu haben um repressiv wie präventiv auf vermeintliche oder reale Gefahren reagieren zu können. Zugriff auf private Daten hat mit einem gesellschaftlichen Sicherheitskonzept nichts zu tun. Das Wegsperren von Personen ohne unmittelbare Gefahrensituation hat nichts einer sozialen Komponente zu tun und dient einzig dem Durchsetzen der staatlichen Macht gegenüber Einzelpersonen.

 

Ein Rückbau oder eine Einschränkung der Befugnisse findet kaum bis gar nicht statt. Eine flächendeckende Einführung individueller Markierungen bei Einsatzhundertschaften und BFEs wird massivst bekämpft, obwohl es kein einziges stichhaltiges Argument dagegen gibt. Auf der anderen Seite werden immer mehr Gegenstände zur Passivbewaffnung erklärt und untersagt. Inzwischen macht die Polizei Stress wegen Regenschirmen, verbietet Schlauchschals und Kleidungsstücke mit Kapuze und will sogar Basecaps und Sonnenbrillen auf Demonstrationen verbieten. Die Abwehrmöglichkeiten der Bürger*innen gegenüber dem Staat werden so ganz unmittelbar immer weiter eingeschränkt, der sich wiederum im Alltagsauftreten zunehmend militarisiert und sich autokratische Befugnisse erteilt, deren ausführendes Organ sich einer öffentlichen Kontrolle soweit es geht entziehen möchte. Parallel dazu ist eine Branche auf Umsatzsteigerung angewiesen. Egal ob es die Lebensqualität steigert oder nicht. Sicherheit wird nicht für Menschen gewährleistet, sondern gegen sie und ihre Rechte durchgesetzt. Sprich unser aller Leben potentiell und real unsicherer gemacht.

Sag wie hältst du es mit dem Feminismus?

Die JA Essen hat diesen Tweet abgesetzt. Zu sehen ist ein Stapel Küchentücher, versehen mit dem Slogan „Das einzige Tuch das Frauen brauchen!“ Die Aussage ist klar: Einerseits stellt man sich gegen das Kopftuch, andererseits weist man den Frauen den Platz in der Hausarbeit zu. Natürlich nur ironisch, zwinker zwinker zwinker. Hier zeigt sich wieder einmal ein altes Problem: Der instrumentelle Einsatz für die Sache der Frauen, solange es mit den eigenen Zielen korreliert. Dieses Phänomen lässt sich in vielen Kreisen beobachten, aktuell vor allem in der Auseinandersetzung mit dem politischen und konservativen Islam.

Die AfD geriert sich als Beschützerin der Frauen, was immer wieder mit der Phrase „Wir schützen unsere Frauen“ zum Ausdruck gebracht wird. Die Besitzverhältnisse werden auch gleich noch klargestellt, die Frauen gehören (zu) uns. Außerdem wird ihnen völlig selbstverständlich die Rolle des schwachen Geschlechts zugewiesen, welches männlichen Schutz benötige. Alleine können sie es in dieser Lesart nicht. Und wenn es „unsere Frauen“ gibt, dann muss es auch „andere Frauen“ geben. Die interessieren aber nicht, es sollen nur „unsere Frauen“ geschützt werden.

Aber der Islam vs Ethnopluralismus

 

Unter dieser patriarchalen Prämisse bringt man nun die Frauen gegen den konservativen Islam in Stellung. Dabei bringt die AfD ja durchaus richtige Punkte an. Jeglicher gesellschaftlicher Zwang zum Tragen des Kopftuches ist zu bekämpfen, insbesondere bei Minderjährigen. Die ultrapatriarchale Sexual- und Ehrmoral ist einfach nur rückständig und hat nichts mit freier Entscheidung zu tun. Nur geht es der AfD eben nicht darum. Es geht nicht um eine Befreiung aller Frauen vom Kopftuchzwang, sei er nun rechtlich, gesellschaftlich oder familiär. Nein, das AfD-Spitzenpersonal stellt immer wieder klar, dass es gegen Zustände wie im Iran nichts hat. Für Höcke kann der islamische Einflussbereich ruhig bis zum Bosporus, sprich dem Staatsgebiet der Türkei reichen. Was in Saudi-Arabien passiert mag er vielleicht nicht gut finden, ist aber nicht Gegenstand seiner Kritik.

In völkischen Kreisen wird der konservative Islam sogar als Verbündeter gegen die westliche Moderne gesehen. Volker Weiß hat dies in seinem Buch „Die autoritäre Revolte“ gut herausgearbeitet. Die Zustände dort sind ganz der Ideologie des Ethnopluralismus natürlich gewachsen und jedes Volk hat seinen Raum. Der Theorie des Politischen von Carl Schmitt folgend ist es auch völlig egal was in diesen einheitlichen Territorialstaaten passiert, solange sie nur eine kollektive Einheit darstellen. Man will schließlich wieder zurück in ein Europa der Völker, also der homogenen Volkskörper mit ihren angeblich natürlich gewachsenen Kulturen. Diese sollen erhalten bleiben.

Aber bloß keinen Feminismus

 

Und da stört dann eben der Feminismus, da er die Befreiung der Frauen (und eigentlich aller Menschen) von ihren völlig überholten, im Auge der Rechten aber natürlichen, Rollenbildern vorsieht und eine absolute gesellschaftliche Gleichstellung einfordert. Dazu müssen patriarchale Machtstrukturen und geschlechtsspezifische Diskriminierungen – welche hauptsächlich nicht die Männer treffen – bekämpft und aufgehoben werden. Der Feminismus ist also ein klarer Feind für die kleingeistige Rückwärtsgewandheit der Konservativen, Völkischen und Faschisten. Der Einsatz FÜR die Frauen geht hier nur so weit wie Homogenität des deutschen Volkskörpers und die Wahrung einer vermeintlichen traditionellen Kultur bedroht sind. Wollen sich diese von den reaktionären Vorstellungen emanzipieren wird GEGEN die Frauen gearbeitet. Du brauchst kein Kopftuch tragen, dafür sollst du aber nicht mehr als die Hausarbeit machen dürfen. Na gut, maximal noch Careberufe und Reproduktionsarbeit.

Aber der Islam vs hier ist ja alles tutti

 

Aber nicht nur im rechten Spektrum ist der Einsatz für die Sache der Frauen ein instrumenteller. Im Zuge der Iranproteste zu um den Jahreswechsel herum gab es diverse Solidaritätsbekundungen mit den Frauen dort zu sehen, die sich gegen den Kopftuchzwang stellten und physische Repression riskierten, in dem sie es ablegten. Um die Welt ging das Bild der Frau, die ihr Kopftuch auf einem Stock hochhielt. Inzwischen ist sie verhaftet worden. Viele Personen teilten dieses Bild und solidarisierten sich. Viele von ihnen meinen es mit dem Feminismus aber auch nur so weit ernst, wie er gegen den Islam in Stellung gebracht werden kann.

Kommt die Sprache dann mal auf sexuelle Gewalt hier, auf patriarchale Strukturen, strukturelle Benachteiligung, auf das Recht am eigenen Körper und sexuelle Selbstbestimmung oder gar die #metoo-Debatte sieht es wieder düster aus. Dann soll man sich nicht so haben. Ist ja alles gar nicht so schlimm. Und Patriarchat gibt es ja heute gar nicht mehr, höchstens ein paar vernachlässigbare Überbleibsel. Diese ganzen Feminazis sollen mal nicht übertreiben. Die neue Formulierung des Vergewaltigungsparagraphen in Schweden ist ja auch so völlig übertriebener Schwachsinn. Gender Pay Gap? Man soll sich mal lieber um den Iran kümmern, dort geht es den Frauen schlecht!

Aber bloß kein Feminismus

 

Man selber ist natürlich überhaupt nicht sexistisch, aber diese hässlichen Feminismusbratzen machen sich absichtlich noch hässlicher. Vermutlich eh alle untervögelt. Und dann auch dieses #metoo. Jetzt darf man ja nicht mal mehr ne Frau anquatschen ohne direkt Vergewaltiger zu sein. Mir wurde auch schon mal an den Hintern gegrapscht und heul ich rum? Schaut euch mal Saudi-Arabien an, da gibt es Probleme. Aber hier doch nicht. Und die AfD mag man auch nicht wirklich, aber mit dem Islam meinen sie es immer ernst. Um diese ganzen untervögelten hässlichen Feminismusopfer zu triggern postet man noch schnell ein Bild von zwei Frauen in USA-Bikinis mit Waffen in der Hand, so geht Emanzipation wirklich! Und die Jukebox bekommt noch zwei Euro, damit die fesche Bedienung noch mal mit ihrem Hintern wackelt.

Die Sache ist klar: Feministische Standpunkte sind nur solange von Interesse, wie sie nicht das eigene Dasein berühren. Wenn man dann mal selber an sich arbeiten müsste und zudem noch eingestehen, dass man vielleicht doch oftmals ein ziemlich sexistisches Arschloch gewesen ist, dann steigt man aus. Dann ist der Feminismus wieder schlecht. Dann wird gerne aktiv dem Antifeminismus gefrönt. Dann ist die Sache der Frauen nämlich eine Bedrohung für das eigene Dasein.

Demobericht „Nazis mattsetzen“ – Erfurt 01.05.2018

Für den gestrigen Dienstag hatte sich die NPD in Erfurt angekündigt. Zum Tag der Arbeit wollte man an den nationalsozialistischen Vereinnahmungsversuch des klassisch linken Arbeitskampftages anknüpfen. 12 Uhr war offiziell als Startzeitpunkt angegeben. Der Gegenprotest sammelte sich früher, um 10 begann eine Demonstration des DGB, die dann gegen 11 zum offiziellen Gegenprotest dazustieß. Rund um die Naziroute waren angemeldete Kundgebungen platziert, somit gab es immer Anlaufpunkte im Zielgebiet.

Während die Gegendemo pünktlich an Hauptbahnhof ankam, gab es bei den Nazis Verspätungen. Das Problem: Es gab zu wenig Ordner und so musste Sebastian Schmidtke tatsächlich auf der Bühne nach Leuten ohne Vorstrafen fragen, andernfalls hätte die Demonstration nicht starten können. In der Zwischenzeit versuchten diverse Kleingruppen auf die Strecke zu kommen und diese zu blockieren, die überschaubare Straßenbreite und -anzahl entlang der Route ermöglichte es der Polizei jedoch, relativ problemfrei dies frühzeitig zu unterbinden.

Vom Gegenprotest lösten sich viele Personen und versuchten, über den Stadtpark auf die Route zu kommen. Die Polizei blockierte daraufhin den Protrest und kesselte ihn effektiv in Richtung der Nazis ab. Die abgeflossenen Gruppen wurden teilweise mit Pfefferspray und Knüppel angegriffen, es gab einige Verletzte. Diese mussten zum Teil ins Krankenhaus und auch die Polizei sah sich genötigt entgegen der sonst üblichen Kommunikation offiziell von Verletzten Demonstrierenden zu schreiben. Es wurde auch eine zivile Person verletzt.

Mit etwas Verzögerung konnte die NPD-Demo dann starten. Zu sehen gab es das übliche Spektrum aus JN, Kameradschaftsstrukturen und Parteikadern. Auch die Sektion Nordland aus Hamburg war wieder vertreten, ebenso ein paar autonome Nationalisten. Inhaltlich gab es auch keine großen Überraschungen, jedoch war es wieder erstaunlich wie offen man zu den eigenen Ansichten stand. So gab es mit „Antisemiten kann man nicht verbieten!“ und „Nie nie nie wieder Israel!“ ein ganz offenes Bekenntnis zum antisemitischen Vernichtungswahn. Auch die von der Identitären Bewegung popularisierte Parole „Jugend, Europa, Reconquista“ gab es in der Abwandlung „Jugend, Europa, Widerstand“ zu hören.

Der Gegenprotest durfte dann irgendwann zum Kundgebungsort am südlichen Ende der Naziroute, auch hier gab es einige Ausreiß- und Blockadeversuche, die Polizei konnte aber alle unterbinden. Den meisten Teil der Strecke konnten Nazis ohne Gegenprotest laufen, eine Blockade mit ca 20 Leuten wurden schnell geräumt. Zum Schluss schafften es noch einige Aktivist*innen auf die Nordseite des Bahnhofs, der Hauptteil des Gegenprotestes wurde aber auf der Südseite am direkten Gegenprotest gehindert. Insgesamt gab es zwei Ingewahrsamnahmen, die NPD konnte relativ ungestört die Route ablaufen.

Antikapitalistische Vorabenddemo Berlin Wedding

In Berlin sind gestern mehrere tausend Menschen bei der inzwischen traditionellen antikapitalistischen Vorabenddemo im Wedding auf die Straße gegangen. Schwerpunkte waren Arbeitskämpfe, Stadt von unten und Solidarität mit den Befreiungskämpfen in den kurdischen Gebieten. Es wurden viele kurdische Flaggen gezeigt – inklusive der YPG-Flaggen, welche öffentlich nicht gezeigt werden dürfen.

Bedingt durch den stark sichtbaren Fokus auf Kurdistan gab es diverse Bepöbelungen und Störungen von türkischen Nationalisten. Wir konnten fünf Störungen durch Wolfsgrüße beobachten, die Polizei musste die Störer schützen, da die Demonstration offensiv gegen diese vorgegangen ist. Die Demonstration stoppte mehrfach und die Polizei begleitete recht schnell behelmt, es gab aber keine gesonderten Vorkommnisse.

Am Leopoldplatz gesellte sich noch der Kinderblock zur Demo, man war bemüht allen eine Teilnahme an der Demonstration zu ermöglichen. Wie in den Vorjahren auch gab es diverse Banner und Transparente an Häusern und aus den Fenstern grüßten viele Anwohner*innen. Auch eine Punkband spielte am Rand der Demo.