Gedenken auf deutsch – mach es dir einfach

„Wenn irgendein Onlinekommentator sich mit Goethe verbunden glaubt, dann ist das seine nationale Identität. Aber wenn ich ihn mit Hitler in Verbindung bringe, dann bin ich ein Rassist.“ nach Wolfgang Pohrt
 
Heute ist der Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee. Dieses Datum ist inzwischen zum weltweiten Gedenktag der Opfer des Holocausts geworden und so trudeln von allen Seiten fleißig Erinnerungen, Mahnungen und Sharepics ein, damit man dem Datum formal Genüge getan hat. Es ist insbesondere in Deutschland ein Popanz, dem man nicht entgehen kann und deshalb Jahr für Jahr die ewig gleichen Satzbausteine aufwärmt und neu zusammensetzt. Damit hat man dann die Pflicht getan. Mir wäre fast lieber, die meisten täten gar nichts dergleichen, insbesondere sich öffentlich der Gedenkverpflichtung zu fügen und die ewig gleichen Satzbausteine aufwärmen und neu zusammensetzen. Mir geht das inzwischen alles nur noch wahnsinnig auf den Zeiger. Die Jahre haben mich in bestimmten Sachen verbittern lassen und seit der Säulenaktion des ZPS befinde ich mich im Eikel-Geisel-Modus, was das Betrachten der deutschen Aufarbeitunsgökonomie angeht. (Wer mit Geisel nichts anzufangen weiß: https://de.wikipedia.org/wiki/Eike_Geisel und https://lizaswelt.net/2007/08/06/in-memoriam-eike-geisel/) Hinzu kommen das Verhalten der Berliner Polizei, Opfer des Naziregimes und deren Angehörige von ihrem Gedenken abzuhalten, um gleichzeitig den Rechtsradikalen der AfD Vorrang zu gewähren, dieser unsägliche Kommentar von Sabine Müller vom Hessischen Rundfunk zum Gedenken in Yad Vashem und der übliche kollektive Gedenktaumel der gegenseitigen Versicherung, aus der Geschichte gelernt zu haben und besser zu sein.
 
So groß die Worte sind, die man allerorts vernehmen kann, so wenig Konsequenz folgt aus ihnen. Die Ursachen dafür sind vielfältig, haben aber vor allem mit zwei Dingen zu tun: Erstens will man vor allem sicher sein, dass man selber auf der richtigen Seite steht und mit dem Ganzen, was die Nazizeit und den Holocaust ermöglichte, so rein gar nichts zu tun hat. Und zweitens ist das Gedenken immer so lange wohlfeil, wie es ein Gedenken bleibt. Also eine formale Handlung, die man wie eine Begrüßungsrunde bei Familienfeiern einfach abhandeln und sich dann den wichtigen Dingen widmen kann. Eine schonungslose und kritische Betrachtung des Themenkomplexes mit den daraus zu schließenden Konsequenzen, insbesondere für sich selber und das eigene Umfeld, wollen die Wenigsten vornehmen. Es ist zu unbequem, es ist mit Arbeit und Selbstkritik verbunden. Und es berührt elementare Fragen der gesamtgesellschaftlich dominierenden Ansichten. Es hat viel mit Identität zu tun, mit Gruppenzugehörigkeit und sehr viel mit der Fähigkeit, sich selbst innerhalb politischer Verhältnisse kritisch zu hinterfragen. Und es hat sehr viel mit Deutschland und dem Deutschsein als Sozialcharakter und Gruppenideologie zu tun. Kein Wunder also, dass man lieber auf Popanz und deutscheste Pflichterfüllung beim Abarbeiten des Termins setzt.
 

Tradiertes Ressentiment und Abwehreaktion auf die Moderne

 

 
Über dem ganzen Thema hängt wie das Schwert des Damokles die Frage, wie der Holocaust geschehen konnte und warum er ausgerechnet in Deutschland passierte. Diese Fragen zu beantworten ist nicht einfach. Dazu muss man überhaupt erst einmal begreifen, was Antisemitismus ist, wo dieser herkommt und was für Ausprägungen einzelne Ideologiebausteine des Antisemitismus annehmen und wo man sie überall antrifft. Und das tun in vollem Umfang doch recht wenige Menschen. Gerade wenn es um den Holocaust und das NS-Regime geht, wollen viele auch gar nichts von antisemitischen Kontinuitäten wissen. Ein Paradebeispiel dafür ist Philipp Amthors Interview bei n-tv heute. Dort behauptet er, Zuwanderer müssten sich an unsere Kultur anpassen und für Antisemitismus sei kein Platz. Im Gegenteil ist antisemitisches Denken mit seinem Vorlauf im Antijudaismus seit Jahrhunderten fester Bestandteil des öffentlichen Denkens in den Gebieten, die später einmal einen deutschen Nationalstaat bilden sollten. Man könnte sogar sagen, dass, wenn etwas deutsch ist, dann ist es Antisemitismus. Und dieser hat auch heute hier seinen Platz und sitzt im Bundestag, bei der Polizei und in den Ministerien. Er hat eine andere Form finden müssen als in seiner Hochphase des NS, aber er war immer hier und ist in weiten Teilen akzeptiert.
 
Antisemitismus ist nicht einfach nur der Hass auf jüdische Menschen. Antisemitismus ist eine vollständige Ideologie, die in sich geschlossen ein komplett auf Verschwörungsmythen aufbauendes Weltbild erzeugen kann. In voller Entfaltung kann man damit sämtliche Vorgänge und Ereignisse erklären und einer Gruppe von Menschen unmittelbar anlasten, welche entweder direkt Juden (alle oder davon eine große Teilmenge) sind oder in ihrer Funktion innerhalb des Weltbilds die Rolle der Juden einnehmen und so als Chiffre für sie gelten (Kosmopolit*innen, Ostküste, Banker, Rothschilds, etc). Die einzelnen Bestandteile dieser Weltanschauung, auch Ideologeme oder Tropen genannt, bauen zum großen Teil auf Jahrhunderten antijudaistischer Propaganda auf. Der Antisemitismus ist dennoch unweigerlich eine Ideologie der Moderne und das aus zwei Gründen, die ihn vom Antijuadismus wesentlich unterscheiden. Der Antijudaismus bezog sich vorrangig auf den Glauben und so konnte man zumindest theoretisch der unmittelbaren Verfolgung entgehen, indem man sich um- bzw. zwangstaufen ließ. Mit der wissenschaftlichen Revolution und der Herausbildung der einzelnen Disziplinen begann man auch die Natur immer systematischer zu betrachten und teilte schließlich auch den Menschen in verschiedene Rassen ein. Die darauf aufbauende Rassenkunde des Menschen erweiterte dies auf Volksgemeinschaften und schrieb diesen per Geburtsmerkmal bestimmte Eigenschaften zu. Die vormals vorrangig am Glauben festgemachten Verschwörungsmythen wurden im 19. Jahrhundert verstärkt als unveränderliche Eigenschaften des jüdischen Volkes an sich angesehen. Kann man sich vom Glauben theoretisch lösen, so ist das jetzt nicht mehr möglich. 
 
In das 19. Jahrhundert fällt auch die Herausbildung der Nationalstaaten in Europa, welche vom Aufstieg des Bürgertums und des Kapitalismus begleitet wurde und das Ende des Feudalismus bedeutete. Dies brachte massive gesellschaftliche Umbrüche mit sich. Die Juden, eh schon durch Berufsverbote, Verfolgung und Ausgrenzung in eine Außenseiterposition durch den Ruf der Geldgier gebracht, boten sich förmlich dazu an, die vorhandenen Mythen auszubauen und als Projektionsfläche für die negativen Auswirkungen der Umbrüche. Die zunehmend abstrakter werdenden Herrschaftsverhältnisse des Kapitalismus wurden auf diese Weise vereinfacht und greifbar, man ordnete sich die Welt so, wie es einem gerade passte und hatte Sündenböcke parat. Der Antisemitismus als Welterklärung ist also unweigerlich ein Teil der Moderne und stellt eine Abwehrreaktion auf die immer komplexer werdenden Gesellschaften dar. Was man nicht versteht, rationalisiert man sich unter antisemitischen Vorzeichen zusammen. Es war der Jud und die sind ja von Geburt aus so. Weiß man doch“, denkt man sich dann so.
 

Das deutsche Wesen

 

 
Besonders stark ausgeprägt war der Antisemitismus im deutschsprachigen Raum. Das Wort „Antisemitismus“ selber ist eine deutsche Erfindung und geht auf Friedrich Marr zurück, der 1879 die „Antisemitenliga“ gründete, welche den Begriff popularisierte und die Judenemanzipation innerhalb des Deutschen Reiches zurücknehmen wollte. Politisch organisierter Antisemitismus war fester Bestandteil des deutschen Parteien- und Vereinswesens von Beginn an. Marr selber ist auch für eine der ersten schriftlichen Aufzeichnungen des Mythos bekannt, die später als jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung und als Reaktion auf den Untergang der UDSSR heutzutage als Kulturmarxismus weiten Anklang findet. Auch für die Niederlage im Ersten Weltkrieg machte man gerne die Juden verantwortlich und die Popularität des antisemitischen Machwerks „Die Protokolle der Weisen von Zion“ in den 20ern Jahren des letzten Jahrhunderts in Deutschland belegen das. Der Antisemitismus hatte in Deutschland eine alle Bevölkerungsschichten durchdringende und verbindende Funktion. Und wenn die Juden genetisch so veranlagt sind, wie man es ihnen zuschreibt, dann liegt es in ihrer Natur und sie werden immer so handeln. Was also tun, wenn man verhindern will, dass sie auch in Zukunft ihrer Natur folgen? Die letzte Konsequenz eines geschlossenen antisemitischen Weltbildes ist die Vernichtung der Juden. Und genau das taten die Deutschen dann auch. Der eliminatorische Antisemitismus wurde auch nicht erst durch die Nazis erfunden, entsprechende Forderungen gab es schon vorher, unter anderem von Eugen Dühring. Dieser war an der Entwicklung des Rassenantisemitismus maßgeblich beteiligt und hatte zeitweise einen so großen Einfluss auch innerhalb des sich organisierenden Proletariats, dass Friedrich Engels sich zu einer Reihe von Artikeln veranlasst sah, die dann als sogenannter „Anti-Dühring“ in Buchform zusammengefasst wurden.
 
Verantwortlich dafür war auch das völkische Denken, welches insbesondere in Deutschland weit verbreitet war und aus Ablehnung gegenüber dem Erzfeind Frankreich und dessen republikanischen Bürgerverständnis in Stellung gebracht wurde. Von Citoyen und Bourgeoise wollte man nichts wissen, man war volksdeutsch. Und so führte das spezifisch deutsche Wesen dann unter der Herrschaft der von Beginn an offen radikalantisemitisch auftretenden Nazis zum Holocaust und der Befreiung Auschwitz-Birkenaus vor 75 Jahren als dessen symbolischen Endpunkt. Dabei ist der Holocaust nur ein Symptom, die Vernichtung der Juden ist die konsequente Auslebung von antisemitischen Ressentiments durch den Staat und weite Teile der Bevölkerung sowie der Tatenlosigkeit des Auslands. 
 

Schuldabwehr, Verdrängung und Selbstbetrug

 

 
Was ist demzufolge die einzig logische Konsequenz, um ein weiteres Auschwitz wirklich zu verhindern? Man muss sich mit den über Jahrhunderte gewachsenen und gesamtgesellschaftlich verfestigten antisemitischen Ressentiments auseinandersetzen und diese bekämpfen. Da diese aber eben über Jahrhunderte von breiten Bevölkerungsteilen in unterschiedlichen Ausprägungen vertreten wurden, kann man dies nicht, ohne sich in einer Form der Kollektivschuld der Deutschen zu stellen. Die Deutschen haben aber bereitwillig die NSDAP gewählt und sich auch recht kampflos in das NS-Regime gefügt. Die Nazis verfügten über eine breite Zustimmung innerhalb der Bevölkerung und setzten ihr antisemitisches Programm Stück für Stück um, ohne dass sie dafür ernsten Widerstand von innen bekamen. So gut wie alle Personen innerhalb des Deutschen Reiches haben auf irgendeine Art am NS partizipiert und nichts im Angesicht der Barbarei unternommen.
 
Also erfand man sich selber einen Entschuldungsmythos, der es sogar zum Gründungsmythos der BRD geschafft hat: Die Stunde Null. Aber wer am 1. Mai 1945 Nazi war, ist nicht am 1. Mai 1946 plötzlich geläuterter Demokrat. Es gab keine Stunde Null, man versuchte nur so gut wie möglich unter der Besatzung mit den neuen Gegebenheiten klarzukommen. Nazi war plötzlich niemand mehr gewesen, gewusst hatte man auch nichts und selbst wenn, was hätte man denn schon tun können? Dieser Mythos wurde zu einem prägenden Moment in der jungen BRD und erlaubte dann auch die schnelle Eingliederung alter Nazis in den neuen Staat, man deckte sich gegenseitig und schwieg schlichtweg über die eigene Beteiligung. Außerdem hatte man den Krieg verloren und wurde geteilt, damit sollte es doch eigentlich dann auch wieder genug sein. Man ging als Volkskollektiv in den Krieg und danach wollte man kollektiv im Volk nichts mehr von sich selber wissen.
 
Der Kampf um eine umfassende Aufarbeitung deutscher Verantwortung ist bis heute nicht abgeschlossen. Das heutzutage schwer nachzuvollziehende Moment des kollektiven Wahns gegen die Juden und die unvorstellbare Grausamkeit der Vernichtungslager machen es einfach, sich der eigenen Aufarbeitung zu entziehen. Mit der Massenvernichtung hat man ja schließlich nichts zu tun und würde das auch niemals tun, so tönt es vielerorten aus den Mündern derjenigen, die sich nicht mit Antisemitismus beschäftigen wollen. Dabei nehmen sie die schlimmstmögliche Erscheinungsform des Antisemitismus und stellen diese als die Norm da. Und damit haben die meisten heutzutage tatsächlich nicht viel zu tun. Nur ist eine Erscheinungsform, ein Symptom, niemals die Ursache. Die Ursache sind die eben seit Jahrhunderten tradierten Ressentiments gegen Juden und das darauf aufbauende antisemitische Weltbild. Und das verschwindet nicht plötzlich, nur weil die rote Fahne vom Reichstag geschwenkt wird. Wer Auschwitz verhindern will, muss sich also kritisch mit den Facetten antisemitischen Denkens, dem antisemitischen Einfluss im deutschen Wesen und mit dem spezifisch deutschen Sozialcharakter auseinandersetzen, der den Holocaust ermöglicht hat. 
 
So geht das natürlich nicht. Dann wäre ja möglicherweise das trügerische Selbstbild von sich und der Gesellschaft in Gefahr. Und so hat man sich in Deutschland erst sehr lange vor der eigenen Verantwortung gedrückt und sich dann schlussendlich eine moralische Überlegenheit daraus zusammengeschustert, dass man nicht alle Phasen der deutschen Vergangenheit bejubelt. Ich war früher auch so. Ich habe früher auch das Anerkennen des Holocausts und Dinge wie das Holocaustmahnmal dazu benutzt, Deutschland und mich als anderen Ländern moralisch überlegen zu fühlen. Von den Opfern wollte ich nichts hören, von den Ursachen auch nicht. Stattdessen sollte am deutschen Gedenkwesen die Welt genesen und es alle so wie wir machen. Wir Deutschen haben immerhin aus der Vergangenheit gelernt! Wir sind gut und stehen jetzt auf der richtigen Seite der Geschichte. Mit solch einfachen Schlagworten habe ich eine ernste Auseinandersetzung mit dem Thema weggeschoben. Der Möllemann hatte damals auch Recht in meinen Augen, dass man ja nichts mehr sagen dürfe und irgendwann muss doch auch mal Schluss sein. Wir stellen uns ja immerhin gerade ein Holocaustmahnmal ins Zentrum der Hauptstadt, also bitte keine Belehrungen von Opfern und Angehörigen.
 

Es geht nicht um das eigene Wohlgefallen

 

 
Aber das war einmal. Von diesem Denken habe ich mich, ausgelöst durch einige harte Einschnitte in meine Gedankenwelt, Stück füt Stück verabschiedet. Ich habe gelernt, dass es nicht um mich geht. Es geht nicht darum, dass ich mir selber die Versicherung ausstelle, ja nur auf der richtigen Seite zu stehen. Es geht nicht um mein Selbstbild, es geht um gesellschaftliche Prozesse und Ansichten. Und an diesen bin ich möglicherweise beteiligt und diese habe ich möglicherweise selber durch meine Sozialisation verinnerlicht, ohne das ich mir über sie im Klaren bin. In einer Gesellschaft, in der man sich nicht konsequent mit den Ausprägungen antisemitischen Denkens beschäftigt, lernt man das nicht automatisch. Und wenn dann jemand an die Grundfesten kollektiver Ansichten geht, dann will man davon auch in der Regel nicht viel wissen. Weil das sehr wahrscheinlich auch eine Selbstkritik in einigen Punkten erforderlich macht und sich das für Leute, die nur auf Selbstversicherung aus sind, nicht gut ausgeht. 
 
In einem größeren Maße hat man das sehr deutlich bei der Säulenaktion des ZPS gesehen. Und das nicht nur bei uns, eigentlich überall wo das Stören der jüdischen Totenruhe und das vollständige Übergehen der Opfer- und Interessenverbände kritisch gesehen wurde. Diese Aktion hat neben allem, was man daran konkret kritisieren kann, eine Welle an sekundärem Antisemitismus ausgelöst. Da durften sich dann Juden anhören, man solle gefälligst froh sein, dass die Asche ihrer Angehörigen jetzt doch noch mal für einen guten Zweck verwendet wird. Wer das anders sähe, der spalte die Linken/das antifaschistische Lager/die Gesellschaft und man soll sich doch nicht so haben wenn Deutsche gerade aus ihrer Vergangenheit lernen. Das ZPS dient dabei als eine Art Projektionsfläche des Denkens auf der richtigen Seite zu stehen in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext. Wie man selbst im Kleinen immer schön auf der richtigen Seite stehe, so tut es das ZPS stellvertretend für die guten Deutschen bundesweit. Das Gewissen wird dann gleich doppelt beruhigt, weil es öffentlich passiert und man sich öffentlich auf die richtige Seite stellen kann, während das Denken einem größtenteils vorher abgenommen wurde. 
 
Dabei stören dann natürlich Kleinigkeiten wie der Zentralrat der Juden, das Auschwitzkomitte und der Zentralrat der Sinti und Roma. Solange man denen ein paar Sachen hinbauen kann und ein, zwei Mal im Jahr ein „nie wieder“ verlautbaren lässt, ist es ja noch auszuhalten mit denen. Fängt der Jude dann aber mal an, eine eigene Haltung zu entwickeln und das kollektive Reinwaschen von jeglicher Schuld und Verantwortung in der Praxis kritisch zu sehen, dann geht das überhaupt nicht mehr. Man arbeitet hier immerhin auf, was wollen die Opfer und deren Nachfahren denn noch? Undankbares Pack. So hätte ich vor 15 Jahren auch noch argumentiert und wäre auch ein großer Fan vom ZPS gewesen. Das Alles nur, um mich selbst nicht kritisch sehen zu müssen. Und die Leute, die vor ein paar Wochen noch jegliche Kritik an der Aktion und am ZPS selber abschmetterten und den Opfern und Angehörigen erklären mussten, wie es Deutsche richtig machen, gedenken heute der Befreiung von Auschwitz und mahnen an, alles gegen Antisemitismus zu tun. Nur halt nicht bei sich selbst.
 

Eine Politik des Versagens

 

 
Doch nicht nur auf der individuellen Ebene hat man in Deutschland Probleme damit, ernsthafte Konsequenzen aus dem Holocaust zu ziehen und das eigene politische Handeln ernsthaft daran auszurichten. Solange man es bei Worten belassen kann, sind die meisten freudig mit dabei. Geht es dann um ein Übertragen auf die Realpolitik, knicken die meisten ein. Was nützt es, wenn Steinmeier in Yad Vashem ein paar wohlige Worte quacksalbert, wenn die Berliner Polizei der AfD den Erstzugang zum Gedenken in Marzahn ermöglicht und Opfer, Angehörige und Antifaschist*innen ausschließt? Selbst wenn man, warum auch immer, der AfD und anderen Rechtsradikalen einen Besuch am Gedenktag gestattet bzw. gestatten muss, dann doch nicht mit Vorzugsbehandlung. Man kann doch nicht die parlamentarische Kraft des Faschismus, die im Kern geschichtsrevisionistisch ist und bis in die Spitze mit antisemitischen Personen besetzt ist, einen Fünf-Sterne-Tag bescheren und diejenigen benachteiligen, die sich ernsthaft gegen antisemitische Kontinuitäten einsetzten und das mit dem „nie wieder“ ernst meinen. Solange es zu solchen Szenen kommt, braucht wirklich niemand im Staatsapparat etwas davon erzählen, man sei konsequent im Kampf gegen Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus. 
 
Es ist auch völlig egal, dass ein Heiko Maas wegen Auschwitz in die Politik gegangen ist, wenn er dann mit Antisemiten aus dem Iran und anderen Ländern lächelnd vor der Kamera die Hände schüttelt, während sich die deutsche Außenpolitik nicht merklich ändert im Umgang mit antisemitischen Regimen und Organisationen. Von „historischer Verantwortung“ wird viel geredet, aber sie stört immer dann, wenn es konkret wird. Und so duckt man sich weg vor der Selbstkritik. Und das nicht nur auf staatlicher Seite oder bei den Rechten. Antisemitismus ist nichts, was einer bestimmten politischen Richtung vorbehalten ist und anschlussfähig an alle politischen Lager. Die Linke hat bekanntermaßen genug Probleme mit Gestalten wie Dehm und solid.nrw, Gabriel hat als Außenminister Israel einen Apartheidsstaat genannt und ein Norbert Blüm krebst auch noch munter bei der Union rum. Der Verfassungsschutz beobachtet dagegen den VVN-BdA und der Verein bekommt die Gemeinnützigkeit entzogen, weil man sich zu sehr politisch äußert. Olaf Scholz will allen Vereinen in Deutschland politisch einen Maulkorb verpassen und ihnen politisches Engagement beim gleichzeitigem Status der Gemeinnützigkeit unmöglich machen. Natürlich hat auch er heute ein We remember“-Schild in die Kamera gehalten, garantiert ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. 
 
Niemand will AntisemitIn sein und so was gibt es folgerichtig auch nicht im eigenen Umfeld. Zusammen mit einem Bildchen am 9. November und am 27. Januar ist die Sache dann getan und das Gewissen ausreichend beruhigt. Danach kann man dann wieder Auschwitz mit Gulags und NS mit Kommunismus gleichsetzen, behaupten in Palästina passiere gerade das Gleiche wie damals im Dritten Reich und die Medien seien alle irgendwie gesteuert, während Antisemitismus keinen Platz in Deutschland habe und wir ja alle draus gelernt hätten. Deutsche Erinnerungskultur und die entsprechende Aufarbeitung ist eben doch nur deutsch und es wäre überraschend, wenn man sich daraus nicht auch noch eine gerne nach außen getragene Überheblichkeit konstruieren würde. Anstatt sofort auf Abwehr und Gegenangriff zu setzen, wenn es um das Thema Antisemitismus geht, sollte man vielleicht erst einmal die Argumente wahrnehmen und schauen, ob sie nicht tatsächlich einen selber betreffen. Wenn es immer nur die Anderen waren, ist es am Ende niemand gewesen. Wer ein neues Auschwitz ernsthaft verhindern will, sollte nicht beim leisesten Hauch von Kritik auf die Barrikaden gehen. Und im Idealfall zieht man tatsächliche Konsequenzen, die sich in mehr als nur ein paar Worten dann und wann ausdrücken.

Care-Arbeit und Probleme ihrer Aufwertung

Die Entwicklungshilfeorganisation Oxfam hat eine neue Ausarbeitung veröffentlicht. Darin geht es um die weltweit wachsende Ungleichheit und das weitere Auseinanderdriften der Einkommensverteilung und Arbeitsbelastung.

Wer sich mit dem Themenkomplex ein wenig auskennt, wird hier keine großen Neuigkeiten vorfinden. Die einzelnen Punkte sind wohlbekannt und wurden hier publikumswirksam mit persönlichen Geschichten garniert, um das manchmal trockene Runterbeten von Zahlen emotional zugänglicher und greifbarer zu machen. Ein alter und weil wirksam gerne genommener Trick. Der Schwerpunkt liegt hier auf zwei Personengruppen: Milliardäre (Oxfam zählt 2153, von denen laut Forbes Magazin 233 Frauen sind) auf der einen Seite und Frauen/Mädchen in den unteren Einkommensschichten auf der anderen Seite. Mit dieser Gegenüberstellung fährt Oxfam die gerade populäre Schiene, sich an den Extremauswüchsen der kapitalistischen Wirtschaftsweise abzuarbeiten und einen faireren Kapitalismus zu skizzieren, ohne jedoch den Kapitalismus in seinen Grundmechanismen überhaupt als Problem wahrzunehmen.

Dieser Umstand zieht sich auch in vielen kleinen wie großen Dingen durch die Veröffentlichung durch und letztendlich führt sie auch zu einer schwierigen Implikation, wie sie mit dem Sharepic von HR Info deutlich wird. Die dahinterstehende Problematik beruht im Grunde auf dem Verständnis von Arbeit und Entlohnung und berührt auch aktuelle Trendbegriffe, die teilweise in urfeministische Bereiche hineinreichen. Zentral ist dabei das Feld der Reproduktionsarbeit bzw. der Care-Arbeit, was sich intuitiv besser greifen lässt. Zu diesem Bereich zählt man Kinderbetreuung, Pflege, Hausarbeit und im weiteren Sinne nach Margrit Brückner „de[r gesamte] Bereich weiblich konnotierter, personenbezogener Fürsorge und Pflege, d.h. familialer und institutionalisierter Aufgaben der Versorgung, Erziehung und Betreuung und stellt sowohl eine auf asymmetrische Beziehungen beruhende Praxisform als auch eine ethische Haltung dar.“ ^1

Sowohl Feminist*innen als auch radikale Linke haben die geschlechterasymetrische Verteilung dieser Tätigkeiten und somit die Ausbeutung von Frauen im Familienverbund und auf gesellschaftlicher Ebene seit weit über 100 Jahren aufgezeigt und kritisiert. Die Soziologie liefert ebenfalls seit Jahrzehnten entsprechendes Datenmaterial und es liegt vor allem an der eigenen weltanschaulichen Ausrichtung, wie man diese Ungleichverteilung der geleisteten Carearbeit einordnet. Rechte zum Beispiel sehen darin in der Regel kein Problem, da für sie Frauen als selbstverständlich angenommen emotionaler sind und so „natürlich“ besser für Erziehung und Pflege geeignet seien als Männer. Sie nehmen solche Tatsachen daher eher mit einem Schulterzucken zur Kenntnis und bekämpfen im Gegenzug jegliche Gleichverteilungsbestrebungen.

Soweit erst einmal der allgemeine Rahmen, aber wo fangen jetzt aus linker Sicht die Probleme an? Hier wird ja eine Gleichverteilung der zu leistenden Arbeit angestrebt. Im Sharepic des HR kann man das Wort „unbezahlt“ lesen. Und je nachdem, was man jetzt als Arbeit definiert, ist das auch vollkommen richtig. Im Endeffekt gibt es für alles, was man als menschliche Tätigkeit und soziale Interaktion vornehmen kann, eine Möglichkeit der Monetarisierung, also der Lohnarbeit. Insbesondere wenn man von Erziehungs- und Pflegearbeit spricht, gibt es für alles bezahlte Jobs. Aber auch – jetzt folgt ein aktueller Trendbegriff – „emotional labour“ kann bezahlt werden. Eigentlich wird darunter verstanden, dass man sich auf Arbeit für Kolleg*innen und Kundschaft verstellt, heutzutage wird der Begriff aber teilweise für so ziemlich alles verwendet, was man unter „Leuten zuhören“ verstehen kann. Dafür gibt es ausgebildete Psycholog*innen, deren Job es ist, Leuten bei ihren Problemen zuzuhören. Sex wird unter dem Motto „Sexarbeit (ist Arbeit wie jede andere)“ ebenfalls in diesen Bereich eingemeindet.

Unstrittig ist, dass es eine geschlechterspezifische Ungleichverteilung gibt. Die Frage ist nur, ob man diese in Form von Lohnarbeit der kapitalistischen Verwertung unterwerfen soll. Soll jetzt alles, wofür man Geld nehmen kann, auch der Lohnarbeit unterworfen werden? Stellt Mama demnächst Rechnungen für das Putzen der Wohnung und lassen sich Freunde emotional labour auszahlen, wenn sie deinem Liebeskummer für ein paar Wochen zuhören? Diese Beispiele sind zugespitzt, treffen aber den Kern des Problems der unebzahlten Carearbeit. Auf der einen Seite wird der Bereich der Carearbeit momentan immer weiter gefasst (siehe emotional labour, was einem immer häufiger unterkommt), auf der anderen Seite diese Arbeit dann als un- oder unterbezahlt aufgezeigt und somit in letzter Konsequenz zu Lohnarbeit gemacht.

Wer mit der Warenwerdung von Produkten, Tätigkeiten und letztendlich von Menschen selbst im Kapitalismus vertraut ist, muss hier die Alarmsignale wahrnehmen. Die Lösung der ungleichverteilten Tätigkeiten im Carebereich kann nicht sein, dass man noch mehr Tätigkeiten der kapitalistischen Verwertung unterwirft. Zumal die einzelnen Felder in der Regel nicht genau taktbar sind und somit rationalisiert werden können. Die Kindheit und Alter passen schlecht in Verwertungslogiken des Kapitals und Gewinnerzielungsinteressen und Rationalisierung betreffen ganz direkt die Lebenqualität. Wenn man wie Oxfam kein Interesse daran äußert, den Kapitalismus zu überwinden, läuft man Gefahr, hier mit einer an sich unterstützenswerten Forderung neue Bereiche der kapitalistischen Verwertung zu unterwerfen, die dann aber bitte geschlechtergerecht zu verwerten sind. Und die sich auch nicht wirklich kapitalistisch verwerten lassen, ohne das soziale Gefüge zu einem großen Teil zu verkapitalisieren. Niemand sollte ein Interesse daran haben, familiäre und freundschaftliche Interaktionen unter emotional labour einzuordnen und monetär aufzuwiegen, selbst wenn es nur im Kopf geschieht. Was wäre die letztendliche Konsequenz aus einer bis zu Ende gedachten Lohnarbeit für emotional labour? Stellen sich Freundeskreise am Ende vom Monat gegenseitig Rechnungen aus?

Was mit Bereichen passiert, die der kapitalistischen Verwertung unterworfen werden, sieht man im Bereich der Medizinversorgung. Und genauso sieht man die Unterschiede, die Eingriffe von öffentlicher Seite bewirken können. Man muss sich nur einmal die die Gesundheitsbranche in den USA anschauen. Dort kostet die Geburt eines Kindes im Krankenhaus durchschnittlich 10.000 Dollar. Ja, richtig gelesen. Man muss im Schnitt 10.000 Dollar dafür zahlen, dass man im Krankenhaus ein Kind gebirt. Teilweise wird sogar das Halten des Babys nach der Geburt in Rechnung gestellt. Untersuchungen im Krankenhaus kosten schnell vier- bis fünfstellige Beträge und viele Menschen können sich lebensnotwendige Behandlungen und Medikamente nicht leisten. So sieht eine im Vergleich unregulierte kapitalistische Verwertungslogik aus. Bei aller notwendig zu leistender Kritik am deutschen Gesundheitssystem (oder anderen vergleichbaren), sind die Unterschiede in der Breitenversorgung eklatant. Niemand stürzt hier durch die Kosten einer Herzoperation direkt in die Armut.

Der Bereich der Carearbeit, insbesondere der Bereich der Pflege, ist vor solchen Zuständen wie in den USA auf jeden Fall zu bewahren. Eine Ausweitung der Lohnarbeit auf Caretätigkeiten jeglicher Art birgt diese Gefahr immer in sich. Und mit einer CDU am Drücker sollte man auch vorsichtig sein, welche Forderungen man stellt. Spahn wirbt aktuell um Pflegekräfte aus Lateinamerika, um die hiesigen Leerstellen zu besetzen. Das europäische Ausland wurde schon größtenteils abgegrast und es sind solche Vorgänge, die von Oxfam und anderen zurecht kritisiert werden. Genau solche Missstände sollen durch eine Aufwertung der Carearbeit auch monetär behoben werden. Nur werden sie das nicht langfristig verhindern können, wenn sie die Lohnarbeit als Konzept stärken und den Kapitalismus in seinem Lauf nicht überwinden wollen. Oxfam selber fordert auf Seite 43: „[…] shift the responsibility for of unpaid care work to the state and the private sector.“ ^4 Es wird also eine Ausweitung der kapitalistischen Privatwirtschaft gefordert, wenn auch unter gewissen „fairen“ Rahmenbedingungen.

Idealerweise muss der Kampf um Geschlechtergerechtigkeit bei der zu leistenden notwendigen und erforderlichen Arbeit ein antikapitalistischer sein und Menschen wie menschliche Tätigkeiten entkomodifizieren, sie also der kapitalistischen Verwertung entziehen. Dies trifft vor allem den sozialen Bereich somit die Carearbeit. Sicher ist das schwer inmitten einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Aber in einer postkapitalistischen Gesellschaft mit überwundener Lohnarbeit und einem viel niedrigerem Arbeitspensum als heutzutage nehmen soziale Aktivitäten einen sehr viel größeren Wert ein als heutzutage. Gerade die Benachteiligung von Frauen rührt innerhalb des Kapitalismus zum Teil daher, dass sich die ihr zugeschriebenen Tätigkeiten und das Gebären der Kinder nicht einfach plan- und berechenbar der Verwertung unterwerfen lassen. Man muss also die Gratwanderung schaffen, einerseits die geleistete Arbeit im Carebereich besser zu entlohnen und die Geschlechterasymetrie zu beenden, anderseits aber darauf zu achten, nicht der Verwertbarkeit anheim zu fallen und im Namen der Emanzipation das Spiel des Kapitalismus betreiben und Wege zu finden, dessen Verwertungslogik von links auszuweiten. Stattdessen kann man über den Bereich der Carearbeit einen neuen Gesellschaftsansatz konzipieren, der eben jene Logik überwindet und als Blueprint für andere Dienstleistungsbereiche dienen kann und auch für die Güterproduktion postkapitalistische Anregungen liefert.

^1 Brückner, Margrit: Entwicklungen der Care-Debatte – Wurzeln und Begrifflichkeiten. In: Apitzsch, Ursula; Schmidbaur, Marianne (Hrsg.): Care und Migration. Die Ent-Sorgung menschlicher Reproduktionsarbeit entlang von Geschlechter- und Armutsgrenzen. Verlag Barbara Budrich, Opladen 2010, S. 43

Nachruf: Rosa Luxemburg

„Liebknecht auf der Flucht erschossen – Rosa Luxemburg von der Menge getötet!“ titelte die Berliner Zeitung am 16.01.1919. Eine dreiste Lüge.

Am 15.01.1919 wurde Rosa Luxemburg Opfer eines Mordkomplotts, Karl Liebknecht ebenfalls hinterrücks erschossen.
Luxemburgs Leiche bargen Schleusenarbeiter am 31. Mai aus dem Berliner Landwehrkanal.
Am Abend des 5. Januar 1919 besetzten bewaffnete SpartakistInnen das Berliner Zeitungsviertel. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg konnten der Festnahme zunächst entgehen. Obwohl dieser Aufstand rund 160 Beteiligte das Leben gekostet hatte, verteidigten beide vehement ihre Propaganda. Luxemburg hatte am 7. Januar in Die Rote Fahne Position für die notwendige Gewalt bezogen: „Die Gegenrevolution entwaffnen, die Massen bewaffnen, alle Machtpositionen besetzen.“

Die untergetauchten Luxemburg und Liebknecht wurden an ihrem Todestag im Berliner Hotel Eden unter Misshandlungen vernommen. Nachdem sie aus dem Hotel gebracht wurde, wurde mehrmals mit einem Gewehr auf sie eingeschlagen, sie in ein Auto gestoßen und zum Landwehrkanal gefahren. Weil sie zu dem Zeitpunkt noch nicht tot war, wurde sie mit einem Kopfschuss ermordet und ihre Leiche anschließend in den Kanal geworfen.
Der Soldat Franz Röpke meldete seinem Vorgesetzten Hauptmann Weiler: „Eben ist die Rosa Luxemburg ins Wasser geworfen worden, man kann sie noch schwimmen sehen.“
Waldemar Pabst, ein deutscher Offizier und stets bemüht um Verknüpfungen zwischen der deutschen Armee, rechten Organisationen und Rüstungsindustrie, initiierte die Ermordung Liebknechts und Luxemburgs. „Ich ließ Rosa Luxemburg richten“, sagte er später in einem Interview, weil Deutschland nur so vor dem Kommunismus hätte gerettet werden können (https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45139766.html ).

Im Prozess vor dem Kriegsgericht, den Paul Jorns führt, später Chefankläger an Hitlers Volksgerichtshof, gegen neun Soldaten, tritt Pabst nur als Zeuge auf.
Leutnant Liepmann gesteht, Liebknecht getötet zu haben, wird aber von der Anklage des Mordes freigesprochen, da Liebknecht eben „auf der Flucht erschossen“ worden sei. Nur Sechs Wochen sitzt Liepmann ab. Luxemburgs Mörder wird nie gefunden. Pabst musste sich nie für einen der beiden Morde verantworten.

Ihr Tod machte Rosa Luxemburg bekannt.
Ihr Tod machte sie zur Heldin.
Ihr Tod machte sie zur Märtyrerin.

Ihrer gedenken jährlich Hunderte an ihrem Grab, mag es auch zynisch sein, Luxemburg und Lenin in einem Atemzug zu nennen. Die einzige Gemeinsamkeit zwischen beiden ist der Januar als Todesmonat und der Anfangsbuchstaben L. Die Alliteration, die daraus hervorgeht, Lenin-Liebknecht-Luxemburg genügt offensichtlich, um namensgebend für Gedenkveranstaltungen zu sein.
Obwohl die Positionen beider ihren Ursprung in der Sozialdemokratie hatten, standen sie sich in einigen Aspekten diametral und unwiderruflich unversöhnlich gegenüber.

Ein zentraler Punkt war der Stellenwert bzw. die Funktion der Partei, um die Revolution voranzutreiben.
Der demokratische Sozialismus, für den Luxemburg stritt, konnte ihrer Ansicht nach nur aus der Gesellschaft heraus geboren und mittels Kämpfen der ArbeiterInnen forciert werden. Der Partei schrieb sie eine beratende, unterstützende Rolle zu, entscheiden sollte die betroffene Klasse und zwar u. U. auch entgegen des Parteiwillens handeln.
Paul Levi, der seit 1913 ihr Anwalt war und ihr zudem mehrere Monate als ihr Geliebter sehr nahe stand, schrieb er in seinem Vorwort zur von ihm erstmals veröffentlichten „Russischen Revolution“: „Sie wusste den Kampf als Kampf, den Krieg als Krieg, den Bürgerkrieg als Bürgerkrieg zu führen. Aber sie konnte sich den Bürgerkrieg nur vorstellen als freies Spiel der Kräfte, in dem selbst die Bourgeoisie nicht durch Polizeimaßnahmen in die Kellerlöcher verbannt wird, weil nur im offenen Kampf der Massen diese wachsen, sie die Größe und Schwere ihres Kampfes erkennen konnten. Sie wollte die Vernichtung der Bourgeoisie durch öden Terrorismus, durch das eintönige Geschäft des Henkens ebenso wenig, als der Jäger das Raubzeug in seinem Walde vernichten will. Im Kampf mit diesem soll das Wild stärker und größer werden. Für sie war die Vernichtung der Bourgeoisie, die auch sie wollte, das Ergebnis der sozialen Umschichtung, die die Revolution bedeutet.“ (https://www.rosalux.de/publikation/id/1329/rosa-luxemburg-die-unbekannteste-bekannte-in-deutschland/?fbclid=IwAR0kLPNWKtmWidjcDvBxfeS-LehVDjD5DOqOYBbxc0SOTBOVQdJ7aCblb7c )
Mit Rosa Luxemburg starb nicht nur eine von wenigen Frauen, zudem akademisch gebildet, die in der Weimarer Republik aktiv Politik betrieben, sondern auch eine Frau, deren Utopie keine Terrorpraxis einer totalitären Partei brauchte, keine Gruppe von Tyrannen an der Spitze. Sie brauchte überhaupt keine Spitze. Mit ihr starb eine Frau, die sich für jene einsetzte, die sie ermordet hatten und mit ihr starb eine Frau, um die die heutige SPD die damalige SPD beneiden würde.

[Sophie Rot]

Oury Jalloh – Das war Mord!

Oury Jalloh – ein Name, der ein Fingerzeig ist, ein Fingerzeig auf einen Justizskandal, auf institutionellen Rassismus, auf Bullengewalt und auf die Gleichgültigkeit einer breiten Masse der Bevölkerung, die weiß, dass der/die Mörder noch heute in ihrer Mitte ist/sind. Jalloh lebte damals seit 4 Jahren als geduldeter Asylsuchender in Deutschland.

7. Januar 2005, Deussauer Polizeigewahrsam, Zelle 5, rechtswidrig dort festgehalten
Da wurde Oury Jalloh ermordet, fixiert auf einer schwer entflammbaren Matratze. Noch bevor die Tatortarbeiten begannen, gaben Beamten vorschnell ihre Thesen zum Besten, Jalloh habe sich selbst angezündet. Wenn einem der Arsch auf Grundeis geht… Ein Feuerzeug am Tatort war nämlich nicht zu finden.

Im Laufe der polizeilichen Untersuchungen wurden dann erstmal schön die „Beweise“ zurechtgelegt, so z. B. Feuerzeugrest, die dann drei Tage später angeblich doch noch in der Zelle gefunden worden seien, aber aus unerfindlichen Gründen erst 2012 untersucht wurden und weder Spuren von Jallohs Kleidung, Matratze oder DNA aufwiesen.
Die nächsten Jahre waren durchzogen von verschwundenen und manipulierten Beweismitteln, widersprüchlichen ZeugInnenaussagen und einer Vertuschung in Zusammenarbeit von Bullerei und Justiz.
2014 rollte die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau den Fall neu auf. Die Todesursache sollte nun endgültig geklärt werden. Ein neues Gutachten musste her. Dieses kam zu dem Schluss, dass die Beteiligung Dritter, sprich eine Fremdeinwirkung in irgendeiner Form, als wahrscheinlich betrachtet werden muss. Auf Basis dieses Gutachtend ließ die Staatsanwaltschaft den Brand simulieren, um einen möglichen Tathergang sowie zeitliche Abläufe zu rekonstruieren.
Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg entzog der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau 2017 den Fall und gab ihn weiter nach Halle. Das zuvor erstellte Gutachten ist nie veröffentlicht worden. Noch im Oktober 2017 wurde das Verfahren von Halle dann fügsam eingestellt.
Als einen Monat später durch das Magazin Monitor Infos der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau veröffentlicht wurde, war nachdrücklich klar: Oury Jalloh starb mit hoher Wahrscheinlichkeit durch Fremdeinwirkung. Dies zeigten mehrere Gutachten zu Brandschutz, körperlicher Verfassung und der chemischen Reaktionen von Stoffen am Tatort. Es war nicht mehr von der Hand zu weisen, dass Jalloh vor dem Feuer schwer misshandelt wurde und mindestens handlungsunfähig wenn nicht schon tot war, so sah es auch der leitende Staatsanwalt aus Dessau-Roßlau. Er nannte sogar mögliche Verdächtige der Dessauer Bullen.

So grotesk es für Außenstehende klingen mag, es gelang der zuständigen Staatsanwaltschaft in Halle, die Einstellung des Verfahrens beizubehalten. Kein Wunder, wusste sie doch die Politik hinter sich.
Ein Untersuchungsausschuss, den Die Linke initiieren wollte, wurde vom Landtag Sachsen-Anhalt entweder abgelehnt (AfD) oder die Fraktionen enthielten sich (CDU/SPD/Grüne).
Ein Klageerzwingungsverfahren der Angehörigen von Oury Jalloh wurde 2019 gegen die mutmaßlich an dem Mord beteiligten Bullen vom Oberlandesgericht Naumburg ebenfalls abgelehnt.
All dies zu vergessen, gar zu verleugnen, wäre eine Beleidigung seines Andenkens.

Das ist unser Rechtsstaat. Ein Bullenstaat, der durch und durch rassistisch ist. Der Angehörige von Mordopfern verhöhnt. Der die Staatsbüttel schützt. Der ihnen einen Freischein gibt für jedwedes Unrecht bis hin zu Mord. Ein Vertuschungsapparat, an dem das Blut Unschuldiger klebt.

Oury Jallohs Fall zeigt auf besonders grausame und perfide Weise, dass Recht und Gerechtigkeit nicht dasselbe sind.

Oury Jalloh ist kein Einzelfall. Mehr als ein Dutzend Menschen kamen auf mysteriöse Weise im Polizeigewahrsam ums Leben. Auch bei ihnen gab es keine Aufklärung, keine Gerechtigkeit. Zwei starben im selben Dessauer Polizeirevier. Die Polizei vertuscht im großen Stil und der Staat zeigt keinen Aufklärungswillen. Es sind halt Menschen, die sie nicht interessieren. Geflüchtete, Obdachlose, Migranten, etc. Aber wir vergessen eure Schweinereien nicht und werden euch zur Rechenschaft zwingen.

Oury Jalloh – Das war Mord!

[Sophie Rot]

Koalition in Österreich – Grün und türkis ergibt braun

Grün und türkis ergibt braun

Bei der Wahl im September erhielten die österreichischen Grünen mit 13,9% realistische Aussichten auf eine Regierungsbeteiligung als Juniorpartnerin mit der ÖVP, die wiederum ein Ergebnis von 37,46% einfuhr.

Aber wie nun diese Rolle ausfüllen, ohne die eigenen Grundsätze zu verraten? Gar nicht! Das wissen wir spätestens, seitdem Donnerstag die Ziele im neuen Koalitionsvertrag bekannt gegeben worden sind. Für den Bald-Kanzler Sebastian Kurz, „Das Beste aus beiden Welten“. Dementsprechend fasste er den Kern der neuen Legislatur mit folgendem Satz zusammen: „Es ist möglich, das Klima und die Grenzen zu schützen.“

Ja, was soll man davon halten?
Jemand, der mit der FPÖ koaliert hat, hat sich längst als menschenfeindlich und ohne antifaschistischen Minimalstandard geoutet.
Von jemandem, der sich bei Viktor Orban anbiedert und gegen EU-Kommissionspräsident Juncker stellt, um sich für den Verbleib von Fidesz in der Europäischen Volkspartei auszusprechen, ist eben nicht mehr zu erwarten.
Jemandem, der die private Seenotrettung für die Toten im Mittelmeer verantwortlich macht, kann man nur bewusste Täuschung geballte Inkompetenz attestieren.

Den Großteil der Ministerien hat sich die ÖVP gesichert: zehn an der Zahl und zwar wichtige Schlüsselpositionen. Dazu gehören u. a. das Innen- und Außenministerium, Arbeits-, Wirtschafts-, Verteidigungs- und Integrationsministerium. Das sind alle Ministerien, die irgendwie den Bereich Asyl und Migration tangieren – mit Ausnahme des Justizministeriums. Dies haben die Grünen bekommen, zusätzlich noch Umwelt und Gesundheit.

Die Punkte zu Klima- und Umweltpolitik bilden den grünen Juwel des Programms, der womöglich Vieles von dem Desaster kompensieren soll, was im Koalitionsvertrag zu Asyl und Einwanderung festgehalten ist. Zu den Zielen gehört es u. a. Österreich bis 2040 „klimaneutral“ zu machen, immerhin zehn Jahre früher als es Deutschland und die EU versprochen haben, aber immer noch viel zu spät (Eine Studie der EU stellte 2030 als das Schlüsseljahr für die Menschheit heraus: „Sollten Temperaturen über 2030 hinaus weiter ansteigen, werden wir mit häufiger vorkommenden Dürren und Überschwemmungen konfrontiert sein, mit extremerer Hitze und der Armut von 100 Millionen Menschen.“ https://espas.secure.europarl.europa.eu/…/ESPAS_Report2019.… )
Bis 2035 soll es keine Öl- und Kohleheizungen mehr geben und die Energiewende vollständig umgesetzt sein. Der Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes ist geplant und Flüge sollen teurer werden. Auf die CO2-Steuer haben die Grünen gleich ganz verzichtet. Bei all diesen Punkten muss berücksichtigt werden, dass es sich dabei um Ankündigungen in einem Bereich handelt, bei dem gerade die großen Industrienationen ihre selbstgesteckten der Reihe nach verfehlen – und die im Detail auch nicht unbedingt das versprechen, was wir uns darunter vorstellen. Verkehrstechnisch interessant ist noch das sogenannte 1-2-3-Ticket: Man zahlt damit für entweder ein Bundesland, drei Bundesländer oder ganz Österreich 1, 2 oder 3 Euro am Tag für ein Jahresticket, welche alle öffentlichen Verkehrsmittel abdeckt. Für Wien ändert sich dabei gar nichts, da man dort bereits 365 Euro fürs Jahrenticket zahlt.

Die Einkommensteuer für GeringverdienerInnen soll von 25 auf 20 Prozent abgesenkt werden, auch die weiteren Stufen werden gesenkt. Mehreinnahmen durch Steuern gibt es also nicht, auch nicht durch eine Vermögenssteuer, Unternehmen sollen sogar noch entlastet werden durch eine Senkung der Körperschaftssteuer (womit übrigens unklar bleibt, wie der Ausbau der Öffentlichen eigentlich finanziert werden soll). Im Regierungsprogramm findet sich ebenfalls der Schwarze-Null-Fetisch, den Deutschland von Wolfgang Schäuble nur allzu gut in Erinnerung hat.

Noch in ihrem Wahlprogramm hatten die Grünen unter dem Motto „Solidarität kennt keine Grenzen“ gefordert, sichere und legale Zugänge nach Europa zu schaffen. Das ist natürlich längst hinfällig, der Koalitionsvertrag präsentiert sich bei diesem Themengebiet ganz auf Linie der ÖVP.

Ein Punkt ist beispielsweise der, dass es eine Präventivhaft geben soll, d.h. es besteht die Möglichkeit, Geflüchtete zu inhaftieren allein aufgrund der Annahme, sie könnten eine Straftat begehen. Für ÖsterreicherInnen oder andere EU-Staatsangehörige sollen die sogenannten Rückkehrzentren für Asylsuchende, ein Überbleibsel der ÖVP-FPÖ Politik, bleiben bestehen.
In der ach so „neuen Migrationsstrategie“ haben sich ÖVP und Grüne für eine Erleichterung der Arbeitsmigration entschieden. Wer sich also gut im Wirtschaftssystem nutzbar machen kann, darf kommen, der Rest wird konsequent abgeschoben oder kommt am besten gar nicht erst.
Der Clue beim Thema Migration ist allerdings ein anderer. So hält der Koalitionsvertrag fest, beide Regierungsparteien haben die Möglichkeit, sich außerhalb der Koalition Mehrheiten zu suchen, falls eine Einigung untereinander nicht möglich ist. Heißt im Klartext: Ein Freibrief für Kurz in Sachen Migration mit einer FPÖ-Mehrheit seine Politik durchzusetzen und zwar mit dem Abnicken der Grünen. Hauptsache, die Koalition bleibt bestehen, koste es, was es wolle. So scheint das grüne Credo: Mitregieren um jeden Preis und eine Beruhigungspille fürs Gewissen. Mitstimmen muss man zwar nicht, es als Koalitionspartnerin mittragen und umsetzen aber sehr wohl.

Insgesamt haben die Grünen erhebliche Zugeständnisse machen müssen, wenn man nicht sogar schon von Selbstaufgabe sprechen kann, der ÖVP hingegen tun die Kompromisse wahrscheinlich kaum weh, vor allem vor dem Hintergrund der Stimmung in der Bevölkerung, bei der sich zumindest vordergründig in weiten Teilen ein immer stärkerer Wille abzeichnet, gegen den Klimawandel vorzugehen. Die Grenzen des Sag- und Umsetzbaren hat die ÖVP in Zusammenarbeit mit der FPÖ erweitert, vieles davon wird mitgenommen in die neue Koalition und damit mit dem Einverständnis der Grünen fortgesetzt, die damit aktiv den gesellschaftlichen Rechtsruck vorantreibt.
Mit „Wir sind gewählt worden, um Verantwortung zu übernehmen“, appellierte der grüne Parteichef und neue Vizekanzler Werner Kogler beim Bundeskongress um die Stimmen der Delegierten. Und obwohl Sebastian Kurz in der Vergangenheit deutlich gezeigt hat, für welche Politik er steht, hat eine verantwortungslose Mehrheit der Grünen von 93,18% für ein Bündnis mit der ÖVP gestimmt. Die Vorstellung, diese ÖVP sei formbar und habe nur noch nicht die richtigen Argumente gehört, ist opportunistisch, fahrlässig und naiv. Ernsthaft anzunehmen, sich gegen die ÖVP behaupten zu können, zeugt von einer ungemeinen Selbstüberschätzung.
Da haben wohl nicht wenige die Koksvorräte von Strache angezapft.

Abseits der konkreten Regierungsbildung hat diese Koalition durchaus einen Modell- bzw. Laborcharakter, der die internationale Politik der nächsten Jahrzehnte beeinflussen könnte. Aktuell hat sich die Rechte auf ein Anzweifeln des Ausmaßes bis hin zur vollständigen Leugnung des menschenverursachten Klimawandels festgelegt. Insbesondere Rechtsradikale weisen jegliche Änderungen durch mneschlichen Einfluss von sich und tun teilweise so, als ob das Klima sich gar nicht ändern würde. Die zunehmenden Extremwetterbedingungen werden diese Taktik des Leugnens zusehends mit den harten Realitäten konfrontieren. Man schaue nur mal nach Australien, solche Katastrophen werden sich häufen. Dementsprechend muss sich auch die Taktik der Rechten ändern, sie müssen sich den Klimaänderungen stellen und diese in ihre Programme einarbeiten.

Der Satz, man könne sowohl das Klima als auch die Grenzen schützen, ist dabei möglicherweise die Leitlinie, mit der sich das bewerkstelligen ließe. Interessant wird es sein, wie nicht nur das konservative Lager, sondern vor allem die Rechtsradikalen darauf reagieren werden. Alte Parolen der Marke „Umweltschutz ist Heimatschutz“ warten zusammen mit den rechtsradikalen Ursprüngen der Ökobewegungen darauf, für das 21. Jahrhundert aufpoliert zu werden. Und da man eh harsche Maßnahmen umsetzen muss, um dem Klimawandel zu begegnene, kann man ja gleich noch ein paar mehr radikale Maßnahmen autoritärer Natur gegen Unliebsame und Fremde durchführen. Wenn man schon mal dabei ist…

[Sophie Rot]

#akkvorschlaghammer und der Versuch die ZPS-Säule abzubauen

Heute wurde in Berlin versucht, die Säule des Zentrums für politische Schönheit, kurz ZPS, zu entfernen. Das ZPS hatte mit einer Aktion Opfer des Holocaust instrumentalisiert, Opfer- und Angehörigenverbände ignoriert und sich wahrheitswidrig als große Aufdecker inszeniert, im Endeffekt aber vorrangig sich selber in Szene gesetzt. Dazu haben wir uns bereits geäußert und zusätzlich eine allgemeine Kritik am ZPS aus antifaschistischer Sicht formuliert, da auch reale Antifaarbeit vom ZPS auf ähnliche Weise instrumentalisiert wird. Man setzt sich gerne selbst in Szene und verkauft Dinge als Eigenleistung, die unzählige Aktivist*innen unentgeltlich erbringen. Nachzulesen ist die Kritik hier: https://rambazamba.blackblogs.org/2019/12/04/causa-zentrum-fuer-politische-schoenheit/ 
 
Heute sollte mit der Aktion #akkvorschlaghammer die Säule entfernt werden. Dazu sollte die Säule abgeflext werden, was kurz vor Gelingen durch das Eintreffen der Polizei verhindert wurde. Es wurden Personalien einiger Anwesender festgestellt und laut Aussage der Polizei wurde Anzeige wegen Sachbeschädigung gestellt. In einer Pressemitteilung wird die Intention des ZPS unterstützt, insbesondere die CDU/CSU vor einer Zusammenarbeit mit der AfD zu warnen. Jedoch ist man über die „Ignoranz gegenüber lebenden Jüdinnen und Juden“ bei der „Planung und Durchführung“ entsetzt und kritisiert die Art, wie die Shoa „triviliasiert“ wird. Nachzulesen ist die Mitteilung hier: https://twitter.com/democ_de/status/1213804310091436033/photo/2
 
Interessant ist, dass die Säule nach Aufforderung vom Bezirksamt bereits vor zwei Wochen hätte geräumt werden sollen, was vom ZPS ignoriert wurde.  Philipp Ruch, Kopf des ZPS, war während der Aktion kurz am Telefon zu vernehmen, beendete das Gespräch jedoch mit Verweis auf private Verpflichtungen. Denn die Frage des Besitzes der Säule wirft eine für ihn privat- wie steuerrechtlich interessante Frage auf: Wem gehört die Säule und wer ist dafür verantwortlich? Für Kosten der Aktionen kommt ein Verein auf, mit dem Ruch offiziell nichts zu tun hat. Enno Lenze schreibt in einer Recherche dazu:
 
„Spendet man über die Homepage, in deren Impressum Ruch privat steht, so geht die Spende gar nicht an ihn. Die hinterlegte Emailadresse ist mit einem Paypalkonto verbunden, welches einem gemeinnützigen Verein gehört. Dieser soll auch die Spendenbescheinigung ausstellen, die bei entsprechenden Versuchen aber nie ankamen. Der Verein hat Angestellte, Ruch ist nicht im Vorstand. Sonst ist wenig bekannt. Ruch gehört eine Kapitalgesellschaft in Birmingham, deren Zweck unter anderem die Vermarktung von Kunstwerken ist. Das Geschäft scheint gut zu laufen, wie man den Geschäftsberichten entnehmen kann. Hier sind „net current assets“ von rund 40.000€ verzeichnet.“ Quelle: https://ennolenze.de/zps-alleinnuetzige-gesellschaft-ohne-haftung/4324/ 
 
Sollte Ruch jetzt tatsächlich Anzeige gestellt haben, wären vermutlich auch seine geschäftlichen Verwicklungen zu klären – oder Verantwortliche des gemeinnützigen Vereins, mit dem Ruch angeblich nichts zu tun hat, an den aber die Spenden gehen, für die er auf der Seite des ZPS einsteht.  
 
Jenseits aller rechtlichen Fragen bleibt weiterhin der Umstand, dass das ZPS sehr oft ohne Einbindung von seit Langem in den Bereichen tätigen Personen und Organisationen Aktionen aufzieht und mit der Säulenaktion ganz unmittelbar jüdische Verbände übergangen hat, um die Shoa für die eigenen Interessen zu instrumentalisieren. Die öffentliche Kritik war dieses Mal so groß, dass man dazu auch eine Entschuldigung abgegeben hat. 
Ebenso ist wieder zu bemerken, dass Kritik am ZPS von Vielen als Sakrileg angesehen wird. Solange man nur für die richtige Sache wäre, ist alles in Ordnung. Inflationär wird mit dem Vorwurf des Spaltens agiert. In der Masse ist aber vor allem festzustellen, dass man so inhaltliche Kritik vollständig abblocken will und sich gar nicht erst mit dieser befassen möchte. Denn es ist egal, was man beim ZPS kritisiert und es ist egal, um welche Aktion es sich konkret handelt, es kommen immer die Vorwürfe des Spaltens.
 
Dabei geht es gerade in Deutschland bei Schuldaufarbeitung und dem Ziehen der Konsequenzen daraus nicht darum, dass sich möglichst viele damit wohl fühlen. Es geht darum, konsequent gegen den deutschen Sozialcharakter vorzugehen, der seinerzeit das Naziregime mit Massenunterstützung ermöglicht hat und sich dann nach Ende des Krieges in diversen Formen der Schuldabwehr betätigte. Nur irgendwie gegen Rechte zu sein ist da nicht ausreichend. Es gehört vor allem dazu, sich selbst in den eigenen Ansichten zu Fragen von Schuld und Verantwortung radikal in Frage zu stellen und kritisch unter die Lupe zu nehmen.
 
Antifaschismus ist keine narzisstische Selbstinszenierung, es ist kein Geschäft zur Vermarktung, es ist kein Übergehen der Opferverbände, es ist auch keine Selbstvergewisserung auf der richtigen Seite zu stehen, damit das eigene Gewissen beruhigt ist. Es ist auch kein Loben von Aktionen, die andere stellvertretend für das eigene Gewissen durchführen, um den Markt des Gewissens zu beruhigen. Antifaschismus ist die Notwendigkeit des Handelns, beruhend auf gesellschaftlichen Zuständen, Ansichten und Vorgängen, die es zu überwinden gilt. Nicht alles davon muss unmittelbar faschistisch sein, die Schuldverdrängung und der entsprechende Abwehrkomplex zum Beispiel sind hier als Beispiel zu nennen. Vieles davon ist in einem sekundärfaschistischem Feld angesiedelt, also im Umgang und mit der Rezeption von Faschismus und Faschist*innen. Dabei muss man sich selbst als in dieser Gesellschaft und mit ihrem Umgang sozialisierte Person selbst in Frage stellen. Auch wenn es dem eigenen Gewissen nicht immer zu mehr Gemütsruhe verhilft und man sich selbst unangenehmer Selbsterkenntnis stellen muss, vielleicht nicht ganz dem Selbstbild entsprochen zu haben – oder das Selbstbild als mangelhaft zu erkennen.

Interview mit dem Kollektiv „IfS dichtmachen“

Was war der Anlass für die Gründung eures Kollektivs?
 
Zum Anlass der „Sommerakademie“ 2016 des sogenannten „Instituts für Staatspolitik“ in Schnellroda haben sich Aktivist*innen aus dem Saalkreis und aus Halle getroffen, um den ersten Gegenprotest zu planen und durchzuführen. Nach den ersten paar Demonstrationen erschien es uns dann sinnvoll, dem Ganzen auch einen Rahmen zu geben, also eine Gruppe zu gründen, in der weitere Leute aus der Region aktiv werden können.
 
Das IfS wurde im Jahr 2000 gegründet, Antaios und Sezession folgten 2002 und 2003. In welcher Form gab es in der Zwischenzeit Proteste und Aufklärung über Schnellroda in der Region?
 
Wir demonstrieren, wie gesagt, seit September 2016 zu jeder größeren Veranstaltung des „IfS“ bzw. des Verlags Antaios (insbesondere zu den „Winter- und Sommerakademien“). Davor gab es keine organisierten Proteste. Allerdings wissen wir, dass die Anwesenheit der Kubitscheks und ihre politische Tätigkeit seit den ersten größeren Medienberichten zur „Neuen Rechten“ dort schon kritisch diskutiert wurde und auch auf Ablehnung stieß. Es gab also auch vor unserem Engagement Konfliktpunkte bzgl. der faschistischen Agitation im Ort.
 
Welche Relevanz für die radikale Rechte hat Kubitschek mit seinen Plattformen?
 
Kubitschek ist mit seiner Verlagsgruppe (Ellen Schenke, Benedikt Kaiser) ein Stichwortgeber und ein Anheizer. Er ist zwar weit davon entfernt, der große „intellektuelle Strippenzieher“ hinter der AfD zu sein, als der er sich gerne ausgibt oder von diversen Jouralist*innen ausgegeben wird, aber wenn er eine Parole ausgibt, dann wird diese von den „Identitären“, von „Ein Prozent für unser Land“ und auch von manchen AfD-Hetzer*innen aufgenommen und mit voller Überzeugung als neuste brillante Erkenntnis aus Schnellroda vertreten. Auch wenn man das nicht überschätzen darf, stiften Kubitscheks Plattformen also eine gewisse Einheit in Teilen der extremen Rechten, bringen die Vernetzung der Menschenfeind*innen voran und sorgen für den akademischen Anstrich, der aus der Perspektive vieler Medien aus Nazi-Kameradschaftern plötzlich „identitäre Hipster“ macht – auch wenn der Schein da inzwischen endlich gebrochen scheint. Auch wenn die Bedeutung Kubitscheks etwa für die AfD, wie bereits erwähnt, nicht so bedeutend ist wie Kubitschek dies gerne verlautbart, ist darauf hinzuweisen, dass er es war, der einen Tag nach Höckes „Dresdner Rede“ in der Sezession die Verteidigungslinie vorgab. 
 
Was sind die wichtigsten regionalen und überregionalen Vernetzungen von Schnellroda?
 
Also regional möchten wir vor allem darauf hinweisen, dass sich das „IfS“ offensichtlich hervorragend mit der klassischen Neo-Nazi-Szene in Sachsen-Anhalt versteht. Es wurden mehrmals Nazis aus dem weiteren Umland beobachtet, die „das Schäfchen“ (den Veranstaltungsort der „Akademien“) während unserer Demonstrationen auf Befehl von Kubitschek „schützen“ sollten – d.h. davor standen und gepöbelt haben. Bundesweit spielt für die Schnellroda-Gruppe die AfD die größte Rolle: Während man sich früher immer als außerparlamentarisch präsentiert hat, ist man heute absolut auf AfD-Kurs und prügelt sich mit anderen Rechtsextremen um die parlamentarischen Fleischtöpfe. Deshalb waren 2019 auch gleich Alexander Gauland und Alice Weidel als „Stargäste“ auf den „Akademien“, während ansonsten eigentlich nur das Stammpersonal heranzitiert wurde. Über Deutschland hinaus fügt sich das „IfS“ in ein Netzwerk der europäischen extremen Rechten ein, wobei man von einem osteuropäischen Schwerpunkt ausgehen kann, da bereits Faschisten aus Ungarn, Serbien und Kroatien anwesend waren und Kubitschek dort auch schon auf Tour war.
 
Welche unmittelbaren Auswirkungen bzw. welche Wirkmacht auf die nähere Umgebung sind aus eurer Sicht feststellbar seit sich Schnellroda zu einer auch bundesweit relevanten rechtsradikalen Plattform entwickelt hat?
 
Als unmittelbarste Auswirkung ist sicher das sog. „Haus der Identitären Bewegung in Halle“ zu verstehen, dessen gewählter Standort ja unter anderem auf die Nähe zu Schnellroda zurückzuführen ist. Ansonsten lässt sich der Einfluss eher punktuell fassen, etwa wenn bestimmte Kreistagsabgeordnete Kontakte zu Kubitschek pflegen oder die Vermittlung von „Identitären“ oder dem „IfS“ nahestehenden Faschisten als Mitarbeiter von Landtags- oder Bundestagsabgeordneten.
 
In welcher Form seid ihr aktiv, wie klärt ihr auf?
 
Wir bringen jährliche Reader raus, in denen wir die Redebeiträge unserer Demonstrationen und unsere Recherchebeiträge sammeln und dazu ein kleines Fazit verfassen, um über unsere Arbeit zu informieren. Darüber hinaus schreiben wir auch Blogeinträge zu aktuellen Themen rund um die „Neue Rechte“ und bringen demnächst einen Schnellroda-spezifischen Newsletter heraus, der auch an die Anwohner*innen des Dorfes gehen soll. Prinzipiell versuchen wir, unsere Demonstrationen immer mit der Information an die Bevölkerung zu verbinden und starten dementsprechend auch immer mit einem Infostand vor der Demo. Darüber hinaus versuchen wir, uns auch kritisch mit der Ideologie der „Neuen Rechten“ und speziell des „IfS“ auseinandersetzen und bieten Vorträge zu dem Themenbereich an.
 
Merkt ihr, ob und wenn ja in welcher Form sich der Protest in Schnellroda gegen die Akademien auswirkt?
 
Immer wieder konnten die Akademien durch unseren Protest nicht in der geplanten Form stattfinden, da die Rechten sich nicht selten von unserer reinen Anwesenheit haben ablenken lassen. Wir können darüber hinaus bei Kubitschek und seinen Anhänger*innen eine gewisse Resignation beobachten: Während man 2016 noch auf „Defend Schnellroda“ machte, versucht man nun sehr aggressiv so zu tun, als wären wir gar nicht da. Trotzdem verwenden die „Sezession“ und andere Schmierblätter aber immer noch Artikel auf uns, in denen erklärt wird, wie egal wir Kubitschek sind. Wir glauben, dass unsere Demonstrationen dementsprechend dazu beitragen, die Attraktivität der „Akademien“ zu schmälern und dass die Rechten sich inzwischen überlegen müssen, wen sie da einladen und wen nicht.
 
Gab es bereits Bedrohungssituationen und/oder Auseinandersetzungen zwischen euch und AkteurInnen des Schnellroda-Netzwerks?
 
Es gibt immer wieder „aufklärende“ Artikel und Tweets aus dem Umfeld von Schnellroda, die unseren „Linksextremismus“ oder unsere Unterstützung durch diese oder jene vermeintlich super-wichtige Institution „aufdecken“ sollen. Was da dann berichtet wird, ist zwar immer öffentlich einsehbar, aber mit welcher Selbstüberschätzung so getan wird, als hätten die Faschos eine ernsthafte Recherche vorgelegt, ist ganz amüsant. Trotzdem birgt das natürlich auch eine Bedrohungssituation: Die in solchen Berichten namentlich genannten Mitstreiter*innen sollen dem rechtsextremen Mob vorgeworfen werden und auch wenn es oft nicht funktioniert, wissen wir ja inzwischen leider alle, zu was ein digitaler Shitstorm werden kann. Darüber hinaus gab es auf den vergangenen Demonstrationen von uns immer wieder Pöbeleien durch die Faschist*innen. Sie fanden oftmals ihr Akademieprogramm so langweilig, dass sie lieber Stress an unseren Infoständen gemacht und sich sonstwie daneben benommen haben. Insbesondere die „Identitären“ bauen unheimlich gerne Drohkulissen auf und kokettieren mit ihren Gewalttaten, die sie öffentlich dann wieder leugnen.
 
Die IB in Halle hat kürzlich die Aufgabe des Hauses in der Adam-Kuckhoff-Straße 16 bekannt gegeben (wie ernst das real genommen werden muss, wird sich zeigen). Generell sind bei der IB fortwährend Anzeichen des Zerfalls festzustellen. Damit neigt sich ein Aktions- und Bewegungsexperiment Kubitscheks dem Ende entgegen. Was könnte eurer Ansicht nach darauf folgen oder neu gestartet werden?
 
Es bleibt zunächst zu konstatieren, dass die „IB“ zwar offiziell aus dem Haus ausgezogen ist, jedoch weiterhin Kader im Haus wohnen. Auch Antaios und EinProzent betreiben dort weiterhin ein Büro. Derzeit scheinen jedoch Ressourcen und Ideen zu fehlen selbstständig zu agieren. Den Auszug der IB würden wir dahingehend interpretieren, dass versucht wird Druck und somit auch Aufmerksamkeit vom Haus zu nehmen. Man muss daher aufpassen und weiterhin wachsam bleiben, ob es ihnen gelingt, das Haus effektiv nutzen zu können. Die identitäre Ortsgruppe scheint ja ein Revival der „Kontrakultur Halle“ zu versuchen. Dass das für die Gruppe zum Erfolg führt, darf aus unserer Sicht jedoch bezweifelt werden.
 
Anfang Oktober 2019 gab es das versuchte Massaker in der Synagoge in Halle, bei dem ein Rechtsradikaler zwei Menschen erschoss. Als Motivation nannte er typische Elemente rechtsradikaler Ideologien wie z. B. eine sogenannte Umvolkung oder jüdische Weltverschwörung, Feminismus als Zerstörer der Nation/des Volkes: Finden sich diese Inhalte und wenn ja in welchem Umfang auch in den Veröffentlichungen aus Schnellroda wieder? 
 
Der Verlag Antaios fällt seit Jahren dadurch auf, dass er Bücher verlegt, auf die sich Rechtsterroristen aktiv beziehen. Im Verlagsprogramm findet sich das Standardwerk zum „Großen Austausch“ von Renaud Camus, Texte des Bloggers „Fjordman“, an dem sich Anders Behring Breivik orientiert hat und auch das Buch, welches beim Komplizen des Lübcke-Mörders gefunden wurde – in einer Hasstirade gegen Walter Lübcke wurde dessen Name markiert. Zu diesem Thema gab es auch einen Redebeitrag von uns bei der Demonstration gegen die „Sommerakademie“ 2019 den wir aufgrund der Aktualität noch mal für den Anfang Januar erscheinenden Schnellroda-Newsletter aufgearbeitet haben. Natürlich wäre es falsch, das „IfS“ direkt mit dem Anschlag in Halle in Verbindung zu bringen, was jedoch nicht bedeutet, dass es im Umkehrschluss nichts damit zu tun hat. Neben den Bezügen zur publizierten Literatur des „Antaios-Verlages“ bleibt festzuhalten, dass an der „Sommerakademie“ 2019 Kader der „Reconquista Germanica“ teilnahmen, die sich in ihrem „meme-war“ auf dieselben Imageboards wie der spätere Attentäter bezogen.
 
Wie kann man euch vor Ort oder von außerhalb am besten unterstützen?
 
Wir freuen uns in erster Linie über Teilnehmer*innen auf unserer Demo am 11.01. in Schnellroda (oder den nächsten Demonstrationen). Ansonsten finden wir es auch wichtig, dass unsere Inhalte weiter verbreitet werden und dass Menschen das Problem in Schnellroda auf dem Schirm haben. Dazu bieten wir auch Vorträge an.
 
Von wo kann man eure Materialien und Rechercheergebnisse beziehen?
 
Unsere Broschüren erscheinen kostenfrei als PDF auf unserem Blog. Dort stellen wir auch zeitnah Redebeiträge und Analysen online. Ansonsten folgt uns am besten auf Facebook und Twitter. Auf Anfrage verschicken wir auch unser Infomaterial.
 
Welche anderen Anlaufstellen bzw. Materialien zu dem Kubitschek-Komplex könnt ihr empfehlen? 
 
Grundsätzlich möchten wir auf die Rechercheergebnisse von „Sachsen-Anhalt rechtsaußen“ verweisen, in denen viele Informationen zu den Akteur*innen des „IfS“ und der Verstrickung in andere Milieus dokumentiert sind. Allgemein zur „Neuen Rechten“ finden wir die Bücher von Volker Weiß sowie die verschiedenen Publikationen zur Identitären Bewegung empfehlenswert. Das „IfS“ selber scheint ein wenig ein blinder Fleck in einer kritischen Publizistik zu sein, die genannten Empfehlungen reißen das „IfS“ immer nur am Rande an. Wir hoffen daher auch, mit unseren Broschüren und Analysen zu weitgehender kritischer Auseinandersetzung mit der Ideologie und dem Wirken des „IfS“ anzuregen und eine Grundlage dafür bereitzustellen.
 
Welche rechtsradikalen Aktivitäten abseits von Schnellroda und der IB gibt es in Halle und der Region?
 
Es gibt im Saalekreis und in Halle über die sogenannte „Neue Rechte“ hinaus einige klassische Neo-Nazis, rechtsextreme Hooligans und andere gewaltbereite Faschist*innen. Am bekanntesten sind dabei wahrscheinlich die Aufmärsche des Hetzers Sven Liebich, die er regelmäßig in Halle stattfinden lässt. Zwar ist sein Publikum seit Jahren sehr klein, aber er verbreitet beständig faschistische Propaganda, stört Veranstaltungen und stachelt sein Gefolge zur Gewalt an, während Polizei und Justiz scheinbar keinen allzu großen Handlungsbedarf sehen. In der Region kam es vor allem zwischen 2015 und 2017 zu größeren Neonazi-Demos in Querfurt, Bad Lauchstädt, Merseburg, Eisleben und weiteren Orten. Die Oraganisator*innen haben sich jetzt aber anderen Betätigungsfeldern zugewandt wie Kampfsport und Rechtsrock.
 
In welcher Form werdet ihr von Stadt/Land und Zivilgesellschaft unterstützt oder behindert? 
 
Wir haben einige zivilgesellschaftliche Unterstützer*innen aus Halle und der Region, die unsere Veranstaltungen entweder begleiten, bewerben oder materiell supporten. Immer wenn wir aktiv auf Organisationen zugekommen sind, haben wir positives Feedback bekommen. Allerdings würden wir uns natürlich auch wünschen, dass noch mehr antifaschistische, zivilgesellschaftliche Gruppen von sich aus in Schnellroda oder der Umgebung aktiv werden. Von offizieller Seite sieht es da aber deutlich schlechter aus: Ohne jedes Argument stellt der Verfassungsschutz des Landes Sachsen-Anhalt Mutmaßungen in seinem Bericht darüber an, ob wir „extremistisch beeinflusst“ wären. Und die Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen im Saalekreis ist auch eher schwierig. Aber das sind wahrscheinlich Sachen, die inzwischen fast jede antifaschistische Gruppe treffen.