Mad Marx – Teil 2: Der Vorschein der Donnerkuppel – Zu den ökonomischen Zusammenhängen der Corona-Krise und der Notwendigkeit, den Kapitalismus zu überwinden.

Hätte man Peter Altmeier noch vor ein paar Wochen gefragt, was er so von Verstaatlichung hält, er hätte wohl auf die finstersten Zeiten des „real-existierenden Sozialismus“ verwiesen und ein flammendes Plädoyer für die Stärke, Vitalität und Produktivkraft der deutschen Wirtschaft gehalten.
 
Zeitsprung. Vor wenigen Tagen stand dann folgender Satz im Spiegel: „Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) schließt für strategisch wichtige Unternehmen, die wegen der Coronakrise in Schieflage geraten, eine staatliche Beteiligung nicht aus.“ [1]. Ein Satz, der dem „Genossen“ Altmeier nicht einfach so rausgerutscht sein dürfte.
 
Auch Bundeskanzlerin Merkel, deren ganzes politisches Schaffen sich in einer geradezu irrationalen  Fetischisierung der „Schwarzen Null“ zusammenfassen lässt, ist vom Mantra der „ausgeglichenen Staatshaushalte“ abgerückt [2]. Das muss man sich tatsächlich auf der Zunge zergehen lassen: Auf das ideologische Wirken dieser Bundeskanzlerin und ihrer „Wirtschaftsweisen“ hin wurde ganz Europa eine Austeritätspolitik nie dagewesenen Ausmaßes auferlegt, in deren Zuge ganze Volkswirtschaften in den europäischen Nachbarländern plattgemacht wurden, und welche in den Staaten des europäischen Südens zum radikalen Abbau des Wohlfahrtsstaats und zu Massenverelendung geführt hat. Sie braucht in einer Pressekonferenz keine 1,7 Sekunden, um sich vom ehemaligen Markenkern ihrer Politik zu verabschieden und den Märkten zu signalisieren, dass man von Seiten der Bundesregierung wirklich zu Allem bereit ist, um die Krise in den Griff zu bekommen…Sogar die eigene Überzeugungen zu opfern.
 
Dass die VertreterInnen bürgerlicher Parteien nun doch noch zur Einsicht gekommen wären, dass eventuell das vorherrschende System und die damit verbundene Form der Vergesellschaftng vielleicht doch nicht „die besten“ seien, und man die Sache mit dem Kapitalismus vielleicht nochmal überdenken sollte, ist indes nicht zu befürchten. Es sind die Umstände der Krise, die sie zum „Vorzeigen der Instrumente“ zwingen. 
 

Die Anatomie einer Krise und der permanente Ausnahmezustand

 
Wenn also, wie bereits angesprochen, die VertreterInnen einer bürgerlich-konservativen Partei in einen ungewohnten Verbalradikalismus verfallen und sogar damit drohen, einen SPD-Finanzminister links zu überholen [3], dann hängt es nicht damit zusammen, dass sie den Verstand verloren hätten, sondern im Gegenteil: Sie wissen sehr genau um den Ernst der Lage. Und spätestens hier sollte sich niemand etwas vormachen: Die Lage ist ernst. 
Die „warenproduzierende Gesellschaft“ steht vor einer Mammut-Aufgabe, an deren Ende nicht unbedingt geschrieben steht, dass sie überlebt, sondern die Krise könntegenauso gut in gesellschaftlichem Zerfall und weltweiter (!) Massenverelendung enden. Und das hängt mit dem derzeitigen Zustand des sogenannten Spät-Kapitalismus zusammen.
 
Was ist damit konkret gemeint? (Spoiler Alert: Jetzt wird’s leider ein wenig Theorie-lastig).
 

Rückblick 2008/09

 
In den ausgehenden „Nullerjahren“  war die globale Ökonomie bereits durch mehrere Jahrzehnte neoliberaler Deregulierungspolitik geprägt. Mit Deregulierung ist in diesem Zusammenhang hauptsächlich ein Maßnahmenpaket von Steuererleichterungen für Reiche und weitgeheder Lockerung der Regularien für Finanzmarktgeschäfte gemeint, die vor allem von „Markt-Gläubigen“ wie etwa US-Präsident Ronald Reagan oder der damaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher umgesetzt wurden. Die Idee dahinter war, dass, wenn Unternehmen und Vermögende weniger Steuern zahlen, sie mehr von ihrem Kapital reinvestieren würden und somit auch mehr nach „unten“ umverteilt wird (Trickle-Down-Ökonomie).Bereits in den Siebzigern wurden einige lateinamerikanische Länder durch die Wirtschaftsexperimente der sogenannten „ChicagoBoys“ um den Ökonomen Milton Friedman zugrunde gerichtet, der US-gestützte Putsch Pinochets in Chile gilt als Startpunkt des Neoliberalismus als Realpolitik.  Wie nicht anders zu erwarten und trotz der warnenden Beispiele aus Lateinamerika, folgte daraus allerdings keine Mehrung des Wohlstands für alle, sondern mündete in einer sich daraus direkt ergebenden Aneinanderreihung von Wirtschaftskrisen, die durch das Kollabieren von Spekulationsblasen ausgelöst wurden (Asienkrise ’97, Russlandcrash ’98, Dotcom-Krise 2000). Die US-Notenbank FED versuchte durch niedrige Leitzinsen die Kapitalzirkulationssphäre, also die Finanzmärkte, mit billigem Geld zu fluten, um eine Rezession zu verhindern. Sie schaffte damit aber lediglich die Voraussetzungen für die darauf folgende US-Immobiliekrise, die weite Teile der USA und Europas erfassen sollte. Defacto leistete der durch die Zentralbank induzierte Liquiditätsschub nämlich der massiven Kreditaufnahme Vorschub, die durchaus auch beabsichtigt war. Das Geld sollte dazu dienen, die ins Stocken geratene Produktion durch Kreditfinanzierung wieder anzuwerfen.
 
Dies ist die Grundlage einer auf kreditfinanzierten Produktion im Kaptitalismus. Der Haken an der Sache ist: Je mehr Geld in die Kapitalzirkulationssphäre und damit in das System gepumpt wird, desto mehr von diesem Geld wird letztlich als Kredit aufgenommen, desto höher ist am Ende der Schuldenberg. Hinzu kommt, dass die Produktion mittlerweile derart effizient geworden ist und die Märkte mit einer Warenschwenmme versorgen kann, dass die Nachfrage ebenfalls nur durch Kreditfinanzierung künstlich erzeugt werden muss. Vom Hausbau über den Autokauf bis hin zum Macbook, alles wird auf Raten oder per Kredit gekauft, weil der Tauschwert reell bei den KäuferInnen nur durch die Aufnahme fiktiven Kapitals ausgeglichen wird.
 
Ob Dotcom-, Immobilien- oder Liquiditätsblase: die Blasenbildung auf den Finanzmärkten wirkt also immer auch als ein systemischer Transmissionsriemen zur Generierung weiterer Schuldenberge, da der Kapitalismus aufgrund der ungeheuren Produktivitätsfortschritte der letzten Dekaden seinen Verwertungskreislauf in der Warenpruduktion nur noch durch kreditfinanzierte Nachfrage aufrechterhalten kann. So funktioniert in Ansätzen die Bildung einer Kreditblase. Die Art, wie nun Produktion im Spätkapitalismus funktioniert, also durch schuldenfinanzierte Produktion und auf Pump induzierte Nachfrage, bildet nur scheinbar die Grundlage einer stabilen wirtschaftlichen Entwicklung – tatsächlich birgt sie die systemische Krise schon in sich.
 
Somit war und ist das spätkapitalistische Weltsystem  weiterhin von einer Finanzblasenbildung erfasst. Tatsächlich befindet es sich eigentlich seit dem Durchmarsch des Neoliberalismus und der damit einhergehenden „Finanzialisierung“ des Kapitalismus in einer beständig anwachsenden Blasenökonomie, mit der die Schuldenberge generiert werden, die eine hyperproduktive Warenproduktion mittels ebenfalls kreditfinanzierter Nachfrage überhaupt am Laufen halten [4].
 

Eine beispiellose Rettung

 
Als am 15. September 2008 die Investmentbank Lehman-Brothers Holding dann pleite geht, droht weltweit der Zahlungsausfall. Banken können die laufenden Kredite nicht mehr bedienen, die Zinsen auf Kredite steigen ins Unermessliche, die Versorgung mit frischem Kapital an den Finanzmärkten wird unmöglich, Hedgefond-Manager müssen dabei zusehen, wie der Wert ihrer Finanzmarktprodukte dahinschmilzt, sprich: Die Blase ist geplatzt, die große Entwertung hat begonnen. 
Schnell wird klar: Das ist nicht einfach nur eine weitere Kreditblase die da geplatzt ist. Es drohen mehrere „system-relevante Banken gleich mit entwertet zu werden. System-relevant deshalb, weil sie sehr viele, sehr große Unternehmen mit Krediten zur Finanzierung ihrer Produktion versorgen. Fallen diese Banken weg, fallen die Unternehmen weg. Fallen die Unternehmen weg, fällt die Produktion weg. Fällt die Produktion weg, ist der globale System-Crash nicht mehr abzuwenden. 
 
Was nun von staatlicher Seite weltweit anlief, ist eine in ihrer Größe und Verzweiflung beispiellose Rettungsaktion dieses Systems. Die Notenbanken setzten ihren Leitzins noch weiter nach unten, es wurde damit begonnen, die faulen Papiere in großem Stil aufzukaufen, Staaten setzen kostspielige Konjunkturpakete auf und treiben ihre Staatsverschuldung zur Bankenrettung enorm in die Höhe. Für die Spielschulden der geplatzen Spekulationsblasen mussten erhebliche staatliche Steuermittel aufgewendet werden. Es setze global ein Phönomen ein, dass man vieleicht als „Krisensozialismus“ bezeichnen könnte: Während die Gewinne des Kasinospiels privatisiert wurden, wurden die Verluste mittels Verstaatlichung, also sozusagen „Sozialisierung“, an diejenigen weitergereicht, die überhaupt nicht am Spieltisch gestanden hatten – an die SteuerzahlerInnen
Angesichts von Milliarden Steuergeldern, die von den nationalen Haushalten zur Rettung des Systems in letzer Sekunde aufgewendet werden mussten, kam es tatsächlich für einen kurzen Augenblick zur offenen Systemfrage, und zwar ausgerechnet nicht von den Linken. PolitikerInnen aller Couleur brachten ihre Wut über den „Kasino-Kapitalismus“ zum Ausdruck und überschlugen sich mit Regulierungsmaßnahmen. Aufhorchen ließ ausgerechnet ein Artikel des Journalisten und FAZ-Mitbegründers Frank Schirrmacher, ausgewiesener Konservativer, in dem er sich selbst die Frage stellte, ob Marx und diese Linken, gegen die er Zeit seines Lebens polemisiert hatte, angesichts der sich ereignenden Katastrophe nicht vielleicht die ganze Zeit recht gehabt hätten [5]. 
 
Kaum hatte sich der ökonomische Normalbetrieb wieder eingestellt, war davon freilich keine Rede mehr. Warum auch, es lief doch alles wieder… 
Defacto ging die Blasenbildungsökonomie weiter, nur dass dieses mal die Schuldenblase verlagert worden war, nämlich von den nun mit frischem Steuergeld versorgten Banken in die nun wegen der Bankenrettung hoch verschuldeten Staatshaushalte. Die direkte Folge davon war eine gerade in Europa von Deutschland vorangetriebene, gnadenlose Austeritätspolitik. Unter dem deutsch-europäischen Spardiktat wurden insbesondere die Länder des europäischen Südens gezwungen, ihre Staatshaushalte zu sanieren, indem sie ihre Rentenkassen rigoros zusammenkürzten, ihr Gesundheitswesen und ihre Sozialsysteme rasierten und ihr „Tafelsilber“, also Staatsbetriebe, Flughäfen oder Häfen, privatisierten. Von weitreichenden Regulierungsmaßnahmen, die noch während der Krise diskutiert wurden, etwa einer Finanztransaktionssteuer oder Ähnlichem, war nun keine Rede mehr. Für den Kapitalismus als Wirtschaftssystem bedeutet dies nach wie vor, dass diese systemische Krise des Kapitals – begriffen als ein sich schubweise entfaltender historischer Prozess zunehmender innerer Widerspruchsentfaltung – somit nie überwunden worden ist.
 

Krise und Kapitalismus 

 
Seit der Weltwirtschaftskrise von 2008/09 und dem daraus resultierenden Zustand der permanenten Krisenabwehr hat sich an der gegenwärtigen Verfasstheit des Spätkapitalismus und der Form seiner Vergesellschaftung nichts geändert. Die Notenbanken halten quasi seit 2009 die Leitzinsen auf einem Niedrigstniveau. Die Kapitalzirkulationssphäre wird weiter mit billigem Geld geflutet, um die kreditfinanzierte Produktion irgednwie am Laufen zu halten. Die Inflation wurde nur verhindert, indem man das frische Geld nicht in den normalen Geldkreislauf fließen ließ, sondern es direkt an die Unternhemen zur Kreditaufnahme weitergereicht wurde. Die Kreditblasen steigen weiter, die Blasenökonomie nimmt wieder ihren Lauf. Doch solange die Maschine läuft, stellt man keine Fragen. Dass man sich angesichts des Zustands des Systems eigentlich seit einem Jahrzent in einem permanenten Ausnahmezustand befindet, wird ausgeblendet. Man hat sich von Seiten der Politik derart in die Krisenfalle manövriert, dass einem überhaupt nichts anderes übrig bleibt, als mit dem Auftürmen des Schuldenbergs weiterzumachen.
 
Nun sind wachsende Schuldenberge an und für sich erstmal noch kein Problem, wenn dadurch die Wirtschaft wächst. Sie dürfen eben nur nicht schneller wachsen als das Bruttoinlandsprodukt. Genau das ist aber seit den 80er Jahren der Fall. Die Schuldenberge wachsen aus den o.g. Gründen schneller, als das Wirtschafswachstum hinterher käme. Die weltweite Gesamtverschuldung beträgt im Verhältnis zum Weltwirtschaftsprodukt 322 Prozent (zum Vergleich, bei Ausbruch der Krise 2008 waren es 300 Prozent, um die Jahrhundertwende ungefähr 260 Prozent) [6]. Die Ökonomie im Spätkapitalismus wächst also nicht aus ihren Schulden heraus, im Gegenteil: Sie kann sich noch so sehr abstramplen, der Schuldenturmbau ist permanent mehrere Schritte voraus – ein Teufelskreis, der zwangsläufig das System in Schieflage bringen muss.
 

Les Jeux sont faits…

 
In dieser Situation nun entfaltet sich die Corona-Pandemie. Bedingt durch die notwendigen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung wird die Warenproduktion weltweit drastisch heruntergefahren und Kapitalgenerierung stark beeinträchtigt. Bei den deutschen Automobilherstellern, also DER deutschen Schlüsselindustrie, an der zusammen mit den Zulieferbetrieben Millionen Jobs hängen, stehen die Bänder still. Da ist nicht nur mal eben ein wenig Sand im Getriebe, da wurde gleich die ganze Brechstange reingesteckt. 
 
Der bisherige Produktionsausfall ist für ein derart instabiles System alles andere als zuträglich und je länger er andauert und umso mehr Betriebe er erfasst, desto drastischer wird die Situation. Das große Problem sind dieses Mal keine Hypotheken, die in Wertpapiere verwandelt wurden, sondern Unternehmensanleihen und Verbindlichkeiten in den Konzernbilanzen. Für den Fall, dass die Unternehmen ihre Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen können, drohen Zahlungsausfälle, die nicht mehr in Milliarden, sondern in Billionen gemessen werden müssen. Genau das könnte bei einem weiteren Produktionsausfall passieren. Um die Ausmaße dieser Verbindlickeiten in etwa zu beziffern: Die Konzernschulden jenseits des Finanzsektors belaufen sich weltweit auf um die 76 Billionen US Dollar (zum Vergleich, 2009 beliefen sie sich noch auf um die 48 Billionen US Dollar)[6] Bedingt durch die Einbindung ganzer Lieferketten und Finanzdienstleister in die Produktion könnte der Zahlungsausfall von nur wenigen Unternhemen also eine Kettenreaktion auslösen, bei der ganze Industriezweige an den Rand des Abgrunds befördert werden. Inzwischen zahlen global agierende Konzerne wie Adidas oder H&M nicht einmal mehr die Miete für ihre Geschäfte, die sie geschlossen halten müssen, und sorgen damit direkt für riesige Löcher in der Immobilienbranche – ein Dominoeffekt. [7]
 
Während in den verschiedendn Wirtschaftsministerien und Notenbankbüros nun hektisch die Taschenrechner gezückt werden, zeichnet sich das Szenario der heraufziehenden Krise bereits ab. Ausgelöst durch die Pandemie beginnt die durch die Notenbanken inflationierte Liquiditätsblase zu platzen. Der jähe Produktions- und Nachfrageeinbruch verwandelt die Unternehmenskredite in Finanzmarktschrott um und löst eine Kreditklemme aus. Eine Welle von Zahlungsausfällen und Anleihenherabstufungen lösen einen Schock an den hypersensiblen Finanzmärkten aus. Diese Kreditklemme würde dann in Wechselwirkung mit der Realwirtschaft treten und den konjunkturellen Abwärtssog unumkehrbar verstärken. Ein irreversibler „Point of No Return“ wäre überschritten, der das System in ein unkontrollierbares Chaos einer sich immer rapide ausbreitenden Entwertungsdynamik stürzen würde [6]. Mit anderen Worten: Game Over!
 

Krisensozialismus

 
Angesichts dessen ist der sich langsam manifestierende Eindruck von Panik bei einigen PolitikerInnen, gemessen an ihren  Beteuerungen, wirklich alles in die Wagschale werfen zu wollen, um den drohenden Systemkollaps abzuwenden, nicht mehr zu leugnen. Wie eingangs bemerkt: Die Lage ist ernst.
Um das derzeitige(!) Ausmaß der Katastrophe zu beziffern, hat das Wirtschaftsinstitut IFO eine Studie erstellt, bei der sie mit einer nur 60%igen Auslastung der Wirtschaft über 3 Monate rechnet. Je nach Szenario würde die deutsche Wirtschaft einen Einbruch von etwa -7,2 bis -20,6 Prozent erleiden. Das käme einem Verlust von 255 Milliarden bis 739 Milliarden gleich [8]. Eine derartige Rezession hat es in Deutschland seit den 1920er Jahren nicht mehr gegeben. Wer abhängig beschäftigt ist, dem dämmert, dass von massiven Lohneinbußen bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes alles möglich ist.Bei den Selbstständigen und UnternehmerInnenim kleinen und mittelständischen Bereich sieht es kaum besser aus. Wer als KleinanlegerIn seine Rente mit Aktien, finanzbasierten Privatrenten oder anderen Finanzprodukten aufbessern wollte, muss um seine Ersparnisse fürchten. Die Krise ist also für die Masse der Gesellschaft potentiell existenzbedrohend.
 
Der Ernst der Lage wird von Vielen erkannt oder zumindest erahnt. Die Staaten reagieren weltweit aktuell mit etwas, was wir als Krisensozialismus bezeichnen. Hier wird mit Maßnahmen, die nicht der kapitalistischen Verwertungslogik folgen, versucht das Zusammenbrechen der Gesundheitssysteme zu verhindern. In Italien und Spanien wurden zum Beispiel alle Betriebe stillgelegt, die keine lebensnotwendigen Güter und Dienstleistungen anbieten. Der Kapitalismus ist damit effektiv außer Kraft gesetzt und die Staaten agieren mit einer Form der Krisenplanwirtschaft, zumidest temporär. Diese Krisenplanwirtschaft ist ein Zwitter aus einer tatsächlichen Planwirtschaft und der kapitalistischen Wirtschaftsweise, da die noch aktiven Betriebe kapitalistisch organisiert sind und man plant, nach Ende der Maßnahmen den Kapitalismus wieder hochzufahren. Dennoch ist sind Politiken wie das (temporäre) Verstaatlichen aller Krankenhäuser in Spanien [9] oder das Aussetzen von Stromkosten und Mieten für Unternehmen in Frankreich [10] eigentlich Maßnahmen aus dem sozialistischen Werkzeugkoffer. Gewinnmaximierung hat damit nicht viel zu tun.
 
Es ist aber auch offensichtlich, dass diese Art der Pandemiebekämpfung immer stärker mit den Bedürfnissen der kapitalistischen Produktionsweise kollidieren. Die Wirtschaft, wie hier bereits ausgeführt, steht durch die Blasenökonomie eh auf Messers Schneide und jede Stunde, die man nicht oder nur eingeschränkt produzieren und Geld erweirtschaften kann, führt die nationalen Ökonomien und letztendlich die Weltwirtschaft immer näher an den Abgrund. Der Tanz auf dem Vulkan wird stündlich heißer. Die Erfordernisse der kapitalistischen Produktion stehen somit im direkten Widerspruch zum Bestreben, möglichst wenig Menschen durch die Pandemie und die mögliche Überlastung der Gesundheitssysteme sterben zu lassen. Je länger die Maßnahmen gehen, desto lauter und einflussreicher werden die Stimmen, die eine Lockerung oder gar Aufhebung fordern.
 

Der Vorschein der Donnerkuppel

 
In den USA haben die Republikaner bereits den sozialdarwinistischen Ansatz auf die Agenda gesetzt, einfach einen Teil der Risikogruppen draufgehen zu lassen, um den Kapitalismus am Laufen zu halten. Man signalisiert auch die Bereitschaft, sich selber für die Wirtschaft zu opfern. [11] In der bürgerlichen Presse weltweit werden die Stimmen lauter, die eine Abwägung zwischen Wirtschaftswachstum und Toten fordern. Im Spiegel leitartikelt man offen und direkt: „Ja, man darf den wirtschaftlichen Schaden gegen Menschenleben abwägen“. [12] Wie viele Menschenleben ist denn so ein Zehntelprozent Wirtschaftswachstum wert? Während man sich sonst nicht zu schade ist, „dem Kommunismus“ dutzende Millionen Tote zuzuschanzen, diskutiert man hier ungeniert darüber, Menschen für rollende Produktionsbänder draufgehen zu lassen. Auch die eigene Mutter oder den Bekannten, der gerade eine Chemotherapie durchmacht. „Der Tod eines Menschen: Das ist eine Tragödie. Hundertausend Tote: Das ist eine Statistik!“ Dieses Zitat Kurt Tucholskys, welches fälschlicherweise Stalin zugeschrieben, bringt das sozialdarwinistische Mantra der Bürgerlichen auf den Punkt. Und mit Statistiken können sie ja ganz gut arbeiten, dazu gibt es in der Betriebswirtschaftslehre jede Menge Werkzeuge. Der Mensch wird hier in Form von Todesprognosen erneut zu einer Variable in der Verwertungslogik. Ähnliche Töne wurden bereits in der FAZ angeschlagen: „Noch will kaum jemand darüber offen diskutieren, aber die Frage nach der Verhältnismäßigkeit drängt sich auf. Rechtfertigt der Schutz einer bestimmten Bevölkerungsgruppe, für die das Virus lebensbedrohlich ist, erhebliche Teile der Gesellschaft in wirtschaftliche Existenzängste zu stürzen?“ [13] Im reichenweitenstarken Sprachrohr der Wirtschaft, dem Handelsblatt, interviewte man den Investor Didelius und dieser kam zu ähnlich sozialdarwinistischen Schlüssen. [14]
 
Der FDP-Politiker Buschmann hat zusätzlich im Spiegel ganz ungeniert damit gedroht, dass die „Mittelschicht“ (was auch immer die FDP als Mittelschicht ansieht, vermutlich ist da die Friedrich-Merz-Mittelschicht gemeint) zum Faschismus greift, wenn man nicht voll einschwenkt auf die Forderungen und Bedürfnisse der Besitzenden. [15] Damit hat er historisch gesehen durchaus recht, der Faschismus ist aus einer Krisensituation der brügerlichen Gesellschaften entstanden. Hier verbindet er diese Feststellung aber mit knallhartem Klassenkampf von oben, ganz so als wäre das einzige Mittel gegen den sonst automatisch eintretenden Faschismus das Sichern der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse. Etwas, was den Faschismus in Italien übrigens so attraktiv für die Kapitalisten gemacht hat. Er versprach eine Zerschlagung der radikalen Linken und hielt dieses Versprechen auch. Hier ist für Buschmann die einzig gangbare Option, den Besitzenden vorneweg Honig ums Maul zu schmieren, damit es nicht Höcke später richten wird. Bei dieser Klientelpolitik wird allerdings denen, die jetzt schon sozioökonomisch benachteiligt sind, noch mal richtig an die Substanz gegangen. Den Gürtel enger schnallen müssen ja eh immer nur die, die ihn schon seht eng tragen. Eine Klatten oder ein Maschmeyer sind damit nie gemeint. Die ärmeren Bevölkerungsschichten werden noch weiter abgewertet und es wird verstärkt zu realen Existenzkämpfen kommen – die Donnerkuppel lässt grüßen.
 
Was überhaupt nicht als Option gedacht wird, ist eine Möglichkeit jenseits eines wortwörtlichen „survival of the fittest“ weil man der Warenproduktion die Risikogruppen opfert und die Schwachen durch Covid19 aussortieren lässt. Es tritt immer deutlicher hervor, dass Adornos Diagnose, der Gedanke es könne überhaupt anders sein, sei nahezu zur unmöglichen Anstrengung geworden, dieser Tage ihre volle Wahrheit entfaltet. Die Vorstellung, unser Wirtschaftssystem könnte auch ganz anders organisiert sein, besser in Hinsicht mit der Realität bzw. Möglichkeit einer solchen Krise menschenwürdig umgehen zu können und generell vorrangig an den Bedürfnissen aller Menschen orientiert sein, scheint für viele derartig anstrengend zu sein, dass es einfacher ist hinter Kant zurückzufallen und solche „Gedankenspiele“ zu betreiben. Lieber macht man sich auf in die Barbarei, als auch nur in Betracht zu ziehen, dass der eigene Teller ziemlich klein ist und man auch mal den Rand schauen könnte. Wer nur Kapitalismus kennt, wird eher das Ende der Welt als das Ende des Kapitalismus denken können. 
 
Aber welche Maßnahmen werden aktuell ganz konret ergriffen, um krisensozialistisch in Wirtschaft und Gesellschaft einzugreifen? Und was genau können undvor allem sollten Linke jetzt tun? Wie steht es um die Linke an sich und wie gut kann sie auf die Krise reagierten? Alles das wird im dritten Teil der Mad Marx-Trilogie beleuchtet, wenn der Frage „Sozialismus oder Donnerkuppel?“ näher auf den Grund gegangen wird. 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Mad Marx – Corona und der Vorschein der Donnerkuppel – Teil 1: Nicht dumm machen lassen und Einführung in den Kapitalismus

Teil 1 – Nicht dumm machen lassen und Einführung in den Kapitalismus

 
Das Jahr 2020 wird das Jahr der Coronakrise. Sofern nicht der Dritte Weltkrieg unabhängig von ihr ausbricht oder sich Aliens melden, dürfte kein anderes Ereignis die kommenden Monate derart prägen wie die weltweite Pandemie und dieMaßnahmen zu ihrer Eindämmung und Verlangsamung. Das Ausmaß der Folgen ist in seiner Gesamtheit noch nicht abzusehen, aber sie werden ebenso massiv sein wie die aktuellen Maßnahmen. Um dem Geschehen Rechnung zu tragen, werden wir uns in einer kleinen Serie an die Arbeit machen – im wörtlichen Sinne. Die Lohnarbeit und ihre Organisation sind zentral für die kapitalistische Wirtschaftsordnung, die gerade auf eine gigantische Krise zusteuert und deren Umstände selbstverschuldet sind. Die Corona-Pandemie ist nur der Katalysator, der die im System angelegte Wertvernichtung zur Explosion bringt. In vorerst drei Teilen der Mad Marx-Serie werden wir der Sache mit dem Kapitalismus auf den Grund gehen, die Vorgeschichte der jetzigen Krise skizzieren und uns mit dem sogenannten Krisensozialismus und dem Vorschein der Donnerkuppel beschäftigen. Außerdem wollen wir Anstöße dazu geben, was Linke jetzt tun können und sollten, um nach Ende des Krisensozialismus nicht noch machtloser als zu sein als jetzt. Denn eines ist sicher: Der Klassenkampf von oben hat längst begonnen. Die Mad Marx-Trilogie wird in sich geschlossen sein, andere Beiträge zur Coronakrise können aber ohne konkreten inhaltlichen Bezug folgen, um alle gesammelt zu haben. 
 
 

Pretext – wie es gerade ist und nicht bleiben kann

 
 
Aktuell befinden wir uns am Beginn eines weltweiten Kollektivereignisses, welches in dieser Form zu unseren Lebzeiten noch nicht da war. Mehr oder weniger zeitgleich findet ein weltweiter Shutdown statt, um die Kapazitäten der Gesundheitseinrichtungen möglichst nicht zu überlasten und somit die Zahl der Todesopfer so niedrig wie möglich zu halten. Aber nur weil alle davon betroffen sind, heißt das noch lange nicht, dass wir alle gleichermaßen davon betroffen sind und die gleichen Interessen verfolgen. Diverse Interessengruppen werden dieses Ereignis möglichst in ihrem Sinne nutzen (oder tun es bereits) und versuchen, das Beste oder vielleicht das am wenigsten Schlimme für sich aus der Situation herauszuholen. Was wir gerade beobachten können, ist ein sehr seltenes Ereignis innerhalb der Geschichte des Kapitalismus. Für die Phase der Pandemie hat die Verwertungslogik, das Streben nach Maximalgewinnen und Kapitalvermehrung, vorerstnicht mehr das Primat als oberste Richtlinie zur Entscheidungsfindung. Der Kapitalismus als solcher gerät angesichts der Maßnahmen ins Stocken und die kapitalistische Organisation von Arbeit und Produktion muss sich (zumindest aktuell in den meisten Ländern) den Maßnahmen zur Pandemieeindämmung unterordnen.
 
Wir alle sind von der Krise und den staatlich verordneten Maßnahmen betroffen. Auf Teile der Maßnahmen werden wir in Teil 2 zu sprechen kommen, wir bezeichnen die staatliche Politik des Durchgreifens in die unterschiedlichen Bereiche als Krisensozialismus und werden das dort näher ausführen. Diesen Maßnahmen stehen wir in der Regel machtlos gegenüber, wir können nur reagieren und uns innerhalb des aktuellen Maßnahmenkatalogs in den uns diktierten Verhältnissen einrichten, solange wir keine Strafe riskieren wollen. Mit Beginn des Februars wurde man von den Nachrichten und den Maßnahmenverkündigungen im Tagestakt förmlich überrollt. Jeden Tag gab es Neuigkeiten und neue Einschränkungen, für viele Menschen wurde die Frage nach der Stilllegung ihrer Betriebe immer dringlicher und letztendlich Realität. Millionen Menschen stehen allein in Deutschland vor dem Nichts und schauen in die dunkle Ungewissheit namens Zukunft. Wie lange die Maßnahmen anhalten werden, ist ungewiss. Ebenso wie es dann weitergeht und wie schlimm die Krise wirtschaftlich zuschlägt. Viele fallen aktuell in die Kurzarbeit und in die Mindestsicherung (sprich Hartz 4). Studierende dürfen diese aber nicht beantragen und haben aktuell auch kaum eine Verdienstmöglichkeit, sind also ganz real in ihrer Existenz bedroht, falls sie nicht volles BAfög bekommen oder auf Unterstützung aus der Familie hoffen können.
 
 

Keine selbstverschuldete Unmündigkeit

 
 
Als einzelner Mensch ist man der Wucht dieser Ereignisse gefühlt hilflos ausgeliefert. Der Weltgeist zu Pferde galoppiert mit rasender Geschwindigkeit an einem vorbei und man schafft es kaum, den Überblick über auch nur die wichtigsten Meldungen und Entwicklungen zu behalten. Diese Ohnmacht und eigene Hilflosigkeit versuchen alle irgendwie zu verarbeiten. Einfluss nehmen kann man nicht, Zeit haben viele Menschen gerade sehr viel mehr als ihnen lieb ist – also wird in den sozialen Netzwerken zusammen mit Bekannten verarbeitet, was kaum zu greifen ist. Man tippt seine Ansichten, Ängste, Hoffnungen und Lebenssituationen in die Tastatur und erhofft sich dadurch, ein wenig Ordnung in das Chaos zu bringen. Sogenannte resiliente Freundeskreise sind dabei sehr hilfreich, weil man sich in diesen solidarisch um alle kümmert und sich gemeinschaftlich gegenseitig bestärkt.
 
So verständlich und sinnvoll diese Strategie zur Bewältigung auch grundsätzlich sein mag, so sind doch bemerkenswert viele Personen nicht um nun sagen wir mal fragwürdige oder diskussionswürdige Ansichten und Forderungen verlegen. Die aktuelle Situation wird im Zusammenspiel mit der jeweiligen Weltanschauung aufbereitet.   Die Resultate dessen müssen nicht immer spannend sein, können aber auch richtig schief gehen.   Verschwörungsmythologisch angehauchte Erklärungsversuche geben sich mit unverhohlenen Wünschen nach dem starken Mann die Klinke in die Hand, sozialdarwinistische Forderungen zur Rettung der armen Wirtschaft auf Kosten der Risikogruppen finden ihren Platz neben Endzeitszenarien, Mad Max-Stimmung und NWO-Geschwurbel. Auch in linken Kreisen ist diese allgemeine Tendenz zu beobachten, sei es nun das überschwängliche Loben eines Söders oder das unhinterfragende Abnicken aller Maßnahmen, während auch nur der leiseste Hauch der Kritik in den Verdacht des gewollten Massenmords geraten kann. Wenn viele Menschen zu einem Thema schreiben, kommt eben auch viel Mist dabei raus.
 

Aber man darf sich von der Krise nicht dumm machen lassen und sollte sich am besten zwei Mal überlegen, ob man bestimmte Mutmaßungen oder Forderungen in zwei Jahren auch noch so unterschreiben würde. Gerade als Linke mit einem emanzipatorischen Anspruch, die bestehenden Verhältnisse zu verbessern und eine bessere Zukunft für uns alle zu gestalten, sollte man nicht gedankenlos die Waffen des Geistes strecken und sich von der allgemeinen Situation unreflektiert mitreißen lassen. Wozu hat man fast 200 Jahre Theoriegeschichte zur Verfügung, wenn man sich dann in eine selbstgewählte Unmündigkeit begibt und nicht zur kritischen Betrachtung des Zeitgeschehens ansetzt? Genau jetzt kann man Analysen und Ausblicke liefern, Menschen agitieren, in der Nachbarschaft helfen und im Idealfall Personen organisieren, um dann eine tatsächliche Wirkmacht zu haben. Ziel muss es sein, in der aktuellen Krise das Schlimmste zu verhindern und in eine Position zu kommen, selber zu gestalten, nicht mehr hilflos zu sein.

 
 

Die Krise der Verwertungslogik

 
 
Das liberale Mantra des „Das regelt der Markt“ funktioniert aktuell nicht. Präziser gesagt: Es würde zu einem nach Einkommen und Verwertbarkeit gestaffelten Sozialdarwinismus führen, bei dem die Personen mit geringem Kapital und niedriger Verwertbarkeit für die Produktion als erstes den Löffel abgeben würden. Und da reden wir nicht nur über zehn oder zwanzig Personen, sondern über gesamte Alterskohorten und Bevölkerungsschichten. Sollte es sich nicht rechnen, Menschen medizinisch zu versorgen, dann würde unter strenger Marktlogik nicht all diesen Menschen im Rahmen des Möglichen geholfen. In den USA sieht man diese Tendenz gerade besonders offenkundig. Dort gibt es eine Kommunikationsstrategie innerhalb der Parteien. Man erarbeitet intern sogenannte „talking points“, die dann an Funktionäre innerhalb der Partei verteilt werden. Diese Argumentationsstrategien werden über die verfügbaren Kanäle gestreut und man platziert Personen in Talkshows oder Fernsehinterviews, um sie landesweit publik zu machen. Aktuell fahren die Republikaner den Ansatz, von einer Todesrate von „nur“ einem Prozent auszugehen und fordern ganz offen, die Risikogruppen müssten bereit sein, sich für ein Fortlaufen der Warenproduktion zu opfern. Die USA haben über 300 Millionen Einwohner*innen, selbst bei einem Prozent Sterberate ist man schnell im Millionenbereich, was die Opferzahlen angeht. Da wird offener Sozialdarwinismus gefordert und als Kommunikationsstrategie gefahren. Was man sonst in dystopischen Endzeitfilmen vernehmen kann, kommt hier ganz real von hohen politischen Funktionsträgern.
 
Aber was ist das jetzt eigentlich für ein Kapitalismus, dem in den USA Menschen geopfert werden sollen und der seit etwa 200 Jahren die weltweite Organisation von Arbeits- und Güterproduktion darstellt? Warum steht dessen Grundkozeption den notwendigen und sinnvollen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung im Weg und wieso steht das weltweite Wirtschaftssystem jetzt vor einem Zusammenbruch, dessen Folgen katastrophal wären? Um das zu verstehen, werden im ersten Teil unserer Serie ein wenig die Grundlagen der kapitalistischen Produktion aufgeschlüsselt. Dazu zählen die Lohnarbeit, die Produktion von Waren für einen Markt, die kapitalistische Verwertungslogik und die Unterteilung der Arbeit in notwendige oder erforderliche und systembedingte Mehrarbeit. Der letzte Punkt wird dann das behandeln, was man aktuell mit dem Schlagwort „systemrelevant“ versieht. Diese Bezeichnung ist für die folgenden Ausführungen insofern irreführend, da diese Arbeiten und Tätigkeiten nicht für das kapitalistische System systemrelevant sind, sondern für das Aufrechterhalten der Gesellschaft als solcher, egal welche Ausprägung sie angenommen hat. Daher wird im Artikel weiter von notwendiger oder erforderlicher Arbeit die Rede sein, um keine falschen Implikationen zu wecken.
 
 

Kapitalismus – was ist das?

 
 
Als erstes muss mit einem populären Fehler aufgeräumt werden. Der Kapitalismus stellt nichts her, es gibt keine „Güter des Kapitalismus“ oder dergleichen. Kapitalismus beschreibt im Kern, wie Arbeit, Güterproduktion und Dienstleistungen organisiert sind. Das meint die Struktur des Wirtschaftssystems und der Produktion, nicht den Inhalt derselben. So sind Hosen ja nicht ausschließlich Güter der Steinzeit, sondern einfach nur Hosen. Hergestellt werden solche Güter durch Menschen und entsprechende Hilfsmittel. Um ein Handy zu produzieren, wird ein gewisser Aufwand an Zeit, Materialien und Arbeitskraft benötigt – und dieser Aufwand ändert sich  erst einmal nicht, würde es im Feudalismus oder im Anarchismus hergestellt. Dieses eine konkrete Mobiltelefon braucht ja im Kapitalismus nicht plötzlich weniger Metall und Transistoren. Wie jetzt aber der Herstellungsprozess organisiert ist, wer von der Güterproduktion wie stark profitiert und wer nicht, sind wiederum Eigenschaften, die das Wirtschaftssystem an sich beschreibt
 
Eine Besonderheit des Kapitalismus ist die Lohnarbeit als Norm des Einkommens. So gut wie jede geleistete Arbeit wird in Geld vergütet und Arbeitsplatz und Schlafplatz sind nicht am selben Ort. Dies ist ein zentrales Merkmal des Kapitalismus und hat mit einigen spezifischen Eigenschaften zu tun. Die Trennung von Arbeitsplatz und Schlafort ist unabdingbar für die Entwicklung immer komplexerer Produktionsverfahren und größerer Stückzahlen. Ein Auto komplett in einer Werkstatt herzustellen oder eine Fabrik zur Serienproduktion zu haben, macht einen gewaltigen Unterschied. Ebenfalls entscheidend ist die Lohnarbeit für die entwickelte Geldwirtschaft. Hat früher der Handwerksmeister die Versorgung seines Betriebes übernommen und auch Schlafplätze zur Verfügung gestellt, sind die Angestellten nun auf sich allein gestellt und müssen sich selbstständig darum kümmern. Da sie Geld für ihre geleistete Arbeit erhalten, können sie sämtliche Güter, die sie für ihr Leben brauchen, auch nur mit Geld bezahlen. Ebenso wird die Miete in Geld bezahlt – alles hat auf einmal einen Wert und kann gekauft werden. Tauschhandel gibt es so gut wie nicht mehr. Historisch betrachtet haben sich all diese Dinge gegenseitig in der Entwicklung vorangetrieben und bedingt. Man kann also festhalten, dass Geld im Kapitalismus die Funktion hat, den „Wert“ von Gütern, Dienstleistungen und Arbteit zu einander ins Verhältnis zu setzen. 
 
Diese Entwicklung änderte unter anderem das Leben auf dem Land dramatisch, da man auch dort plötzlich Miete zahlen sollte für Häuser und Land, welche man vorher gegen Bewirtschaftung und Abgabe eines Ernteteils bewohnte. Der Umstieg von der Produktion im Handwerk zur industriellen Massen- bzw. Großproduktion änderte auch das Wesen der Produktionsmotivation. Anstatt für Einzelpersonen einen konkreten Bedarf zu decken (einen Stuhl zum Beispiel), produziert man jetzt hunderte, tausende Stühle und hofft, diese dann auf einem Markt verkaufen zu können. Die Produktion wurde also von der unmittelbaren Bedarfsdeckung entkoppelt. Güter werden jetzt für einen Markt produziert, auf dem sie aus Sicht der Unternehmen hoffentlich gekauft werden und einen möglichst hohen Gewinn einbringen. Aus diesem Grund spricht man beim Kapitalismus auch von einer Marktwirtschaft. Idealtypisch stellt sich der Liberalismus es so vor, dass sich auf diesem Markt Angebot und Nachfrage genau austarieren und es keine Überproduktion gäbe, während durch die Konkurrenz Produkte automatisch immer den günstigsten Preis haben, weil die Kundschaft ja zur billigeren Konkurrenz wechseln könnte. Wer sich die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt in den größeren Städten angeschaut hat, weiß ganz gut, dass diese idealtypische Vorstellung vor allem eines ist: ein Hirngespinst. 
 
 

Waren vs. Güter

 
 
Wie bereits ausgeführt, sind Güter und Dienstleistungen nicht Wesensmerkmale des Kapitalismus, da dieser im Kern die Organisation von Arbeit und Produktion beschreibt. Es gibt aber dennoch viele Eigenschaften und Ausprägungen, die kapitalismusspezifisch sind. So wurden schon immer Güter produziert. Im Kapitalismus nennt man Güter Waren, womit man den Umstand kenntlich macht, dass diese mit Absicht der Gewinnmaximierung für einen Markt produziert werden. Dadurch bedingt werden Güter, Dienstleistungen, Menschen und Teile der Gesellschaft warenförmig zugerichtet, weil sie den Marktmechanismen teilweise oder ganz untergeordnet werden. Durch Rationalisierung und die Aufsplittung der Produktionsprozesse in immer kleinere und separat durchführbare Produktionsschritte, welche dann wiederum in eigene Produktionsstätten ausgegliedert werden können (man nennt das arbeitsteilige Differenzierung), wird auch der Mensch zu einem wichtigen Faktor bei der Berechnung von Produktionszeiten, Kosten und Materialaufwand. Der Mensch wird zu einer gleichwertigen Zahl neben den Rohstoffkosten und der Stromrechnung. Im Englischen nennt man zum Beispiel die Personalabteilung großer Unternehmen „human resources“, also Humanressourcen in direkter Übersetzung. Der Begriff „Humankapital“ ist mittlerweile ein feststehender Begriff. Er wurde auch schon von der „Gesellschaft der deutschen Sprache“ (GfdS) zum Unwort des Jahres gekürt. Der Mensch wird zum sprichwörtlichen Rädchen in der Maschine, brilliant filmisch versinnbildlicht in Charlie Chaplins „Modern Times“. In der Wertkritik werden die Lohnarbeitenden durch ihre Funktion als Verwertungswerkzeug des Kapitals sogar direkt als Teil des Kapitals gesehen.
 
Da man Waren herstellt, mit ihnen also einen möglichst hohen Gewinn auf dem Markt erzielen will, ist man bestrebt, die Kosten möglichst niedrig zu halten und gleichzeitig einen möglichst hohen Preis zu erzielen. Material- und Produktionskosten lassen sich durch sparsamere Verfahren reduzieren. Bei der Ressource Mensch finden Einsparungen vor allem über zwei Faktoren statt: Lohnkosten pro Stunde und Leistung einer Person pro Stunde. Man ist bestrebt die Kosten niedrig zu halten und gleichzeitig das Maximum an Leistung zu bekommen, um die Gewinnspanne der Waren zu vergrößern. Der Mensch wird der Gewinnmaximierung untergeordnet und sein Bedarf kontinuierlich wegrationalisert. Gleichzeitig ist der Mensch aber auf die Lohnarbeit angewiesen, da sämtlicher Gütererwerb im Kapitalismus mit Geld abgewickelt wird. So wird die menschliche Arbeitskraft auf den nicht ohne Grund so genannten Arbeitsmarkt geworfen und muss sich dort ebenfalls Marktmechanismen unterwerfen. Der  Widerspruch zwischen der Notwendigkeit des Kapitals, sich durch Lohnarbeit verwerten zu müssen und dennoch Loharbeit kontinuierlich aus dem Verwertungsprozess wegzurationalisieren, ist einer der Hauptwidersprüche im Kapitalismus – es kennzeichnet also die Widersprüchlichkeit des Systems. Da man diesem alleine gegenüber machtlos ist, haben sich die Menschen im 19. Jahrhundert zu Gewerkschaften zusammengeschlossen und mit oftmals blutigen Kämpfen, die viele Todesopfer forderten, angefangen, Dinge wie Arbeitsrechte und Betriebsschutz gegen Unternehmen und Staat durchzusetzen. Was wir heute an Sozialstaat und Rechtsschutz haben, ist zum größten Teil Resultat von über 150 Jahren Arbeitskampf. 
 
Durch den technologischen Fortschritt, der insbesondere durch die wissenschaftliche Revolution, die Bildung der Einzeldisziplinen und die verbesserten Forschungsbedingungen ermöglicht wurde, hat sich im Laufe der letzten 200 Jahre das, was man als Markt im Auge hat, auf die Größe der gesamten Erde ausgedehnt. Von lokaler und regionaler Produktion ging man über nationale Produktion hin zu einer inzwischen auch alle Kontinente umspannenden Produktionsweise für einzelne Produkte. Oberste Maxime hat dabei, sofern nicht staatlich eingegriffen wird, die Profitmaximierung. Dies führt auch zu dem relativ bekannten Beispiel einer Jeans, die mehrere zehntausend Kilometer Produktionsweg zurücklegt, bis sie letztlich im Laden steht. Aus ökologischer Sicht ein Desaster, aber es rechnet sich halt. Um den Widerspruch noch einmal zu verdeutlichen ein kleines Beispiel: Ein Unternehmen kann auf der einen Seite sehr viel Gewinn erzielen und muss dafür nicht zwangsläufig irgendeinen Bedarf decken. Solange der Gewinn da ist, ist alles in Ordnung. Auf der anderen Seite kann ein Unternehmen einen Grundbedarf decken, zum Beispiel Äpfel oder Weizen anbauen, und wird nicht bestehen können, wenn es diese Güter nicht mindestens kostendeckend verkauft. Die Gewinnerzielung hat also das Primat in der Zielsetzung der Unternehmen, alles andere ordnet sich dem unter.
 

 

Mehraufwand und notwendige Arbeit

 
 
Das Entkoppeln von direkter Nachfrage und Produktion hat den Effekt, dass es eine große Über- und Parallelproduktion von Waren gibt, die nicht den bestmöglichen Standards entsprechen. Es rechnet sich für die Unternehmen schlichtweg, wenn man darauf verzichtet, alle Handys mit bruchsicheren Displays auszustatten. Und die Firmen haben alle parallele Unternehmens- und Produktionsstrukturen mit eigenen Forschungsabteilungen, die parallel an den gleichen Produkten arbeiten und sich mit Patenten gegenseitig neue Technologie vorenthalten. Und dann werden die Produkte auch nicht alle abgenommen, da sie eben nicht auf direkte Nachfrage hin produziert werden. Unternehmen sind zudem bestrebt, den Gewinn kontinuierlich zu steigern. Das kapitalistische System ist auf konstantes Wachstum ausgelegt. Umsatzeinbrüche, egal durch was verursacht, sind fatal und zwar selbst dann, wenn alle Menschen mit einem Produkt ausgestattet wurden und aktuell kein real existierender Bedarf nach noch mehr Produkten dieser Art besteht. Der Bedarf muss also aufrechterhalten, sprich künstlich erzeugt, werden, zum Beispiel durch Werbung oder eingeplante maximale Lebensdauer, die nicht dem Maximum des Möglichen entspricht. Wenn ein Handy also kaputt geht, ist das also nicht unbedingt ein Versehen, sondern vom System durchaus so beabsichtigt.
 
Wenn man die Schablone der Verwertungslogik aber einmal beiseite legt und sich anschaut, wie man jenseits von Gewinnmaximierung und Wachstumsmantra mit der heutigen Technologie wirtschaften könnte, käme man zu einer völlig anderen Organisation der weltweiten Produktion. Zuallerst würde man schauen, was für einen Bedarf es für Güter und Dienstleistungen denn real gibt. Dazu muss man als erstes Bereiche ausmachen, die einen zwingend erforderlichen Bedarf decken. (Aktuell werden diese Bereiche mit dem Schlagwort „systemrelevant“ versehen, meinen damit aber nicht das System des Kapitalismus, sondern die Gesellschaft insgesamt als System. Systemrelevant für den Kapitalismus ist das Produzieren von Waren für einen Markt zur maximalen Gewinnerzielung, was in einigen Bereichen aktuell durch Pandemiebekämpfungsmaßnahmen nicht möglich ist und in anderen nur eingeschränkt läuft.) 
 
Zum zwingend erforderlichen Bedarf zählen alle Bereiche, die die Grundbedürfnisse des menschlichen Überlebens abdecken, also Nahrungsmittelproduktion, medizinische Versorgung und Gesundheitswesen, Vorsorgungsinfrastruktur, alles, was die dafür benötigen Geräte und Technologien zur Verfügung stellt und so weiter. Hier kann man durch technischen Fortschritt das benötigte Gesamtarbeitsvolumen sicher senken, wird aber nie einen Arbeitsbedarf von Null erreichen. Jede Gesellschaft muss also dafür sorgen, dass diese zwingend erforderlichen Tätigkeiten geleistet werden. Alles, was über die Deckung des Grundbedarfs hinaus geht, ist systemspezifische Mehrarbeit. Die ist auch nicht per se schlecht und überflüssig, ohne Serien und Filme wären wir zum Beispiel aktuell ziemlich aufgeschmissen. Die Frage ist nur, mit welcher Prämisse man diese Mehrarbeit begründet. Im Kapitalismus sind das zum Beispiel das Primat der Gewinnmaximierung und der Zwang zur Lohnarbeit. Man könnte stattdessen aber sagen, wir konzentrieren uns ausschließlich auf Dinge, die das menschliche Leben verbessern und gleichzeitig so nachhaltig wie möglich produziert werden. Wenn man dann feststellt, dass die Menschen im Schnitt nur 15 Stunden pro Woche arbeiten müssen und den Rest der Zeit zur freien Gestaltung zur Verfügung haben, dann wäre das auch gar nicht schlimm und würde die Prämisse erfüllen, das menschliche Leben möglichst angenehm zu gestalten. 
 
 

Wonach richten wir uns?

 
 
In der aktuellen Krise sehen wir, wie alle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereiche damit zu kämpfen haben, dass ihre bisherigen Hauptprämissen im Widerspruch mit dem aktuellen Primat aller Entscheidungen – Pandemieeindämmung und möglichst wenig Tote – stehen. Davon ist nicht nur das Wirtschaftssystem betroffen. So wird auch darüber beraten, wie es mit den Schulabschlüssen weitergehen soll. Ziel der Schule ist das Vermitteln bestimmter Kenntnisse und Skills, um Personen fit für eine Ausbildung oder einen Universitätsbesuch zu machen, um auf dem Arbeitsmarkt zu bestehen und den Bedarf der Wirtschaft nach ausgebildeten Arbeitskräften zu decken. Nun hat man bei Prüfungen aber das Problem, dass viele Menschen längere Zeit im selben Raum sitzen und somit eine Ansteckungsgefahr relativ hoch ist. Personen aus Risikogruppen, die zum Beispiel auf Dialysen angewiesen sind oder vor nicht allzu langer Zeit eine Chemotherapie hinter sich gebracht haben, können nicht ohne direktes Gesundheitsrisiko an den Prüfungen teilnehmen. Und selbst ohne diese Gruppe von Personen ist die Wahrscheinlichkeit, dass von den tausenden Schüler*innen eine Person mit dem Virus infiziert wird und dann daheim eine Person aus einer Risikogruppe ansteckt, sehr hoch. Die Entscheidung, die Prüfungen abzuhalten, ist sehr wahrscheinlich für schwere Krankheitsverläufe und möglicherweise Todesfälle verantwortlich. Was ist nun letztendlich die oberste Handlungsmaxime: Abschlussprüfungen durchführen, um den Ausbildungsbetrieb für den Arbeitsmarkt nicht zu beeinträchtigen, oder das Vermeiden jeglicher Gesundheitsrisiken mit möglicher Todesfolge?
 
Gleiches gilt auch für die Arbeit, hier allerdings mit der Besonderheit, dass es eben zwingend erforderliche Arbeit gibt, die nicht ein halbes Jahr aufgeschoben werden kann. Krankenhäuser können nicht plötzlich aufhören, Kranke zu versorgen, Nahrungsmittel müssen zur Bevölkerung gelangen und Wasser muss aus dem Hahn kommen. Man kann allerdings, so wie in Italien geschehen, jegliche „nicht-systemrelevante“ Tätigkeit untersagen. Das zentrale Wesen des Kapitalismus ist damit effektiv, wenn auch erst einmal nur temporär, außer Kraft gesetzt. Die Warenproduktion, die Wirtschaft des Marktes, ist gestoppt. Das, was immer als unmöglich bezeichnet wurde, ist im Zuge der Pandemiebekämpfung geschehen. Lange lässt sich dieser Zustand freilich nicht aufrechterhalten, da die Menschen im Kapitalismus einer Lohnarbeit nachgehen müssen und die kapitalistische Geldwirtschaft auf die Warenproduktion angewiesen ist. Aus dem Stopp oder zumindest der Beeinträchtigung des kapitalistischen Normalbetriebs gibt es eigentlich nur zwei Wege heraus: Erstens der Weg zurück zum Normalbetrieb, sehr wahrscheinlich mit Beibehaltung einiger Maßnahmen aus der Krisensituation (und aktuell sind das vor allem Maßnahmen zulasten der Lohnarbeitenden) und zweitens der Weg weg vom Kapitalismus hin zu einer nicht auf Warenproduktion (hier nochmals der Hinweis, dass Waren die spezifische Form der Güter im Kapitalismus sind) ausgerichten Organisation des Wirtschaftens, welche einem anderen Primat als dem der Gewinnmaximierung folgt. 
 
Und so wie es aktuell aussieht, wird sich diese Frage in naher Zukunft sehr dringend stellen. Die Wirtschaft steht vor einer Krise, die den Börsencrash von 2008 und die darauf folgende Austeritätspolitik wie ein vergleichsweise harmloses Lüftchen aussehen lassen könnte. Warum das so ist und wie es dazu gekommen ist, dass wir vor einem Abgrund systemerschütternder Größe stehen, werden wir im zweiten Artikel beleuchten.

Lübcke, Halle, Thüringen, Hanau – wackelt das Hufeisen?

Es handelt sich um einen Gastbeitrag der Facebookseite Das goldene Hufeisen.

Aller Anfang ist schwer besagt ein Sprichwort. Das stimmt nicht immer, in diesem Fall aber schon. Damit ist nicht nur der formelhafte Einstieg in den Text mit einem Stichwort (wahlweise auch Zitat einer berühmten Person) gemeint, sondern auch die Wahl des Zeitraums, der in diesem Artikel verhandelt werden soll. Fängt man beim NSU an? Nimmt man die Hogesa-Demo 2014 in Köln? Die darauf folgenden Ausschreitungen der Jahre 2015/16 oder den Mob von Chemnitz? Den Anschlag von München? All das spielt sicher mit rein, insbesondere NSU und München, trotzdem scheint es am sinnvollsten zu sein, den Mord an Walter Lübcke als Startpunkt für die Betrachtungen zu nehmen.

Diese Seite beschäftigt sich mit der Hufeisentheorie, angeschlossen daran wird insbesondere die damit eng verknüpfte Extremismustheorie beleuchtet. Diese baut wiederum auf Totalitarismustheorien auf. Damit steht ein zentrales Merkmal der bundesdeutschen Politikbetrachtung im Fokus. Näheres dazu ist unserem Interview im empfehlenswerten Buch „extrem unbrauchbar“ zu entnehmen, welches wir dankenswerterweise veröffentlichen durften. Nachzulesen ist es mit einem Rückblick aus dem Dezember 2019 hier: https://rambazamba.blackblogs.org/2019/12/25/rueckblick-ausblick-und-das-interview-aus-extrem-unbrauchbar/ Und in den letzten Monaten macht es immer mehr den Anschein, als ob eben dieses zentrale Denkmodell der BRD langsam anfängt zu wackeln. Der Mord an Walter Lübcke hat in Verbindung mit vielen anderen Ereignissen und Entwicklungen im rechtsradikalen Spektrum eine inzwischen spürbar breite Debatte in der Öffentlichkeit angestoßen. In überregionalen Zeitungen wie im Tagesspiegel und der Zeit, im Spiegel und bei ZDF heute wird die Hufeisentheorie kritisch diskutiert.

Die Ausgangslage

 

Das Hufeisenmodell ist ebenso simpel wie anschaulich und falsch. Darin liegt seine agitatorische und propagandistische Stärke – aber ebenso auch seine Schwäche, wenn es eine Situation wie die jetzige gibt. Da es simpel und gleichzeitig auch grafisch sehr anschaulich ist, spricht es intuitiv auch Personen ohne größere Kenntnis politischer Theorie an und erschließt sich sofort. Die letzten Jahre sind aber mit wenigen Ausnahmen, die prominentesten wären hier G20 in Hamburg und die maßlos überzogene Kantholzdebatte um Magnitz, von rechten Mobs, rechter Gewalt, rechter Landnahme und rechtem Terror geprägt. Alle paar Monate wird eine rechte Terrorgruppe aufgedeckt, rechte Bedrohungen veranlassen Lokalpolitiker*innen zum Rücktritt und zum Beantragen von Waffenscheinen, es gibt Sprengstoffanschläge und Mobs auf den Straßen. Zusätzlich wurde noch das rechtsterroristische Hannibalnetzwerk offengelegt, welches Verbindungen zu Terroristen und lokalen Terrorzellen hat, bestens in Armee, Spezialeinheiten und Behörden vernetzt war bzw. ist und Vorbereitungen für einen Tag X mit Waffentrainings und Exekutionen linker Politiker*innen eine ganz reale und realistische Gefährdung darstellt. Zusätzlich werden teilweise im Wochentakt Waffenlager von Rechten ausgehoben, welche teilweise mit Waffengebrauch dagegen halten und einen Polizisten erschossen haben.

In diese Gemengelage fügen sich jetzt drei Ereignisse in Deutschland und eine Entwicklung ein, die offenkundig zu einem Umdenken bei Einigen geführt haben. Da wäre der Mord an Walter Lübcke aus Kassel. Von Rechten und Rechtsradikalen wie Erika Steinbach (bis 2017 Parteikollegin von Lübcke in der CDU) wurde er wegen seiner humanistischen Haltung und entsprechenden Äußerungen ab 2015 als Ziel für den rechten Onlinemob markiert. Wenige Monate vor seiner Ermordung befeuerte Steinbach 2019 erneut den Mob gegen ihn. Der Täter, Stephan Ernst, ist seit Jahrzehnten in Neonazikreisen aktiv, hat Verbindungen zu Combat 18, zum NSU-Komplex und anderen rechtsterroristischen Kreisen, ist also alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. Die Verbindung von Onlinemob, Angriffen rechtsradikaler Leitfiguren und -medien und den Untergangsbeschwörungen des rechten Lagers sind offensichtlich. So sehr man auch versuchen mag einen Einzeltäter zu stilisieren, Ernst kann nicht losgelöst vom rechten Onlinediskurs betrachtet werden. Und es gibt noch sehr viele andere Personen, die ähnlich wie Ernst ticken.

Die Anschläge in München und Halle

 

Die beiden anderen Ereignisse sind Teil einer weltweiten Entwicklung: Der Anschlag von München und der Anschlag von Halle als Teil der Onlineradikalisierung ansonsten nicht eine klassische rechtsradikale Sozialisierung durchlaufender Terroristen. München ist im kollektiven Gedächtnis nicht stark als rechter Terroranschlag verankert und es ist einer beständigen Recherche- und Öffentlichkeitsarbeit zu verdanken, dass diese Tat nachträglich als rechter Terror anerkannt wurde und nicht als Amoklauf wie zum Beispiel Winnenden klassifiziert wird. Dennoch ist er einer der weltweit ersten Anschläge des neueren Typus rechten Terrors, der mit Christchurch seinen bisher blutigsten Höhepunkt fand und zu dem auch der Anschlag in Halle, bei dem ein größeres Blutbad durch die gesicherte Tür der Synagoge verhindert wurde, zu zählen ist. Halle wurde durch die komplette Offenheit des Täters bezüglich seiner Motive sofort als rechter Terror begriffen und die ideologischen Schnittstellen zu meinungsführenden Personen, Gruppen und Parteien im rechtsradikalen Spektrum in Sachen Antifeminismus, Antisemitismus, völkischem Denken, Maskulinismus und Umvolkungswahn wurden schnell aufgezeigt.

Auch die Art der Radikalisierung ist breit diskutiert worden. Im Gegensatz zur klassischen Nazisozialisation über Stiefelnazikreise und Kameradschaften haben wir es hier mit im realen Leben eher wenig vernetzten Rechtsradikalen zu tun. Das Antifa Infoblatt hat sich in den letzten beiden Ausgaben ausführlich mit dieser weltweiten Entwicklung beschäftigt, die umfangreichen Recherchen sind empfehlenswert. Und als vorläufiger Schlusspunkt reiht sich nun Hanau als Schauplatz rechten Terrors ein. Lübcke, Halle und Hanau liefern in nicht einmal zehn Monaten drei tödliche Terroranschläge mit rechtsradikaler Motivation zusätzlich zu den bereits angesprochenen Waffenbeschlagnahmungen, Festnahmen rechter Terrorgruppen, dem Hannibalnetzwerk und so weiter. Eine ähnliche Entwicklung gibt es linksradikalen Lager nicht, das simple Adäquanzdenken des Hufeisens lässt sich nicht mit der Realität abgleichen.

Im Gegenteil sind es gerade Linke, die sich nach allen Fällen rechtsradikalen Terrors als Erste an vorderster Front gegen Rechte stellen. Nach allen drei Anschlägen sind umgehend Linke in allen Landesteilen auf die Straße gegangen und haben gegen rechten Terror und für eine schonungslose Aufklärung demonstriert. Antifaschist*innen waren vielfach direkter und weitreichender in ihren Forderungen und Solidaritätsbekundungen mit Walter Lübcke als dessen Parteikolleg*innen von der CDU. Die Union ist nicht spontan auf die Straße gegangen, Antifas schon. Linke haben ihrerseits die verhaltenen Reaktionen der Union nach dem Mord an einem Unionsmitglied scharf kritisiert. Und das wird auch innerhalb der Union nicht unbemerkt geblieben sein. Ausgerechnet die Antifa, die böse linksextremistische Krawall- und Chaotentruppe, die man mit christlich-konservativen Ansichten aus der bürgerlichen Mitte (so ja das Selbstbild Vieler in der CDU) aus tiefstem Herzen ablehnt, gehen in voller Solidarität mit einem Unionsmitglied auf die Straße und sind wütender als die eigene Partei.

Heimathorst und eine mögliche Erkenntnis

 

Eine Person, bei der möglicherweise ein Umdenkprozess eingesetzt hat, ist ausgerechnet Horst Seehofer. Ja, es ist sehr spekulativ und weil es sich um den Heimathorst handelt, ist diese Spekulation auch mit höchster Vorsicht zu genießen zu genießen und steht unter jeder Menge Vorbehalt. Dennoch ist das, was man von Seehofer seit dem Anschlag von Halle hört, durchaus ein qualitativer Unterschied zu dem, was man von CSU-Leuten erwarten kann. Gerade dort hat man ja das Hufeisen und die Extremismustheorie für sich gepachtet. Auch an die Berliner JU mit ihrem „Schlager gegen Links“ sei hier verwiesen, was exemplarisch für die weltanschauliche Verzerrung der Realität steht, in der sich Einige dort befinden.

Und ausgerechnet Horst Seehofer verbittet sich nach Hanau sämtliche Verweise auf Linke und erteilt dem Hufeisen somit eine Absage. Möglicherweise hat es bei ihm Klick gemacht, nachdem es in Kassel, Halle und jetzt auch Hanau click click click gemacht hat. Als Bundesinnenminister ist er ja direkt mit solchen Terroranschlägen befasst und bekommt auch alle anderen hier bereits aufgezählten Entwicklungen und Ereignisse auf den Tisch gelegt. Das Wissen, dass es dann auch noch in Armee, Polizei und Behörden potentiell rechtsterroristische Netzwerke gibt, die sich auf einen Tag X vorbereiten und Zugriff auf zumindest Teile der staatlichen Logistik und Informationsressourcen haben, gleichzeitig Waffen, Munition und Namenslisten sammeln, dürfte in Verbindung mit dem Mord an Lübcke zumindest momentan das Seehofesche Hufeisendenken auf den kalten und harten Boden der Realität geholt haben. Es war auch Seehofer, der der Aufzählung von Halle und Hanau richtigerweise den Anschlag von München als ersten des neueren rechtsradikalen Terrortypus vorangestellt hat.

Allerdings darf man nicht den Fehler begehen, diesem möglichen Erkenntnisgewinn einiger Personen zu viel Hoffnung abzugewinnen. Öffentliche Distanzierungen vom Hufeisen sind wegen der genannten Entwicklungen und Bedrohungsszenarien aus dem rechten Spektrum mitunter notwendig, um sich selber öffentlich nicht zu sehr zu diskreditieren. Selbst Friedrich Merz hat sich vom Hufeisen distanziert, während er gleichzeitig rechtsradikale Forderungen umsetzen will um Rechtsradikale zu bekämpfen. Da werden dann nicht mehr Linke mit Nazis in einen Topf geworfen, um unter dem Deckmantel der (nicht existenten) Mitte rechte Politik zu betreiben. Man lässt halt einfach das zusammenschmeißen weg.

Nicht zu viel Freude

 

Der Bereich, in dem ein Seehofer das Hufeisen beerdigt hat, ist (sollte es denn so sein) auf den des Terroristischen begrenzt. Abseits davon steht das Hufeisen zur Diskussion, wird sich aber vor allem in der Praxis weiterhin äußerster Beliebtheit erfreuen. Als jüngstes Beispiel dafür kann den Scherz über Erschießungen und verpflichtende Arbeit für Reiche und die Reaktionen darauf heranziehen. Da wird dann tatsächlich von der FDP ein Tagesordnungspunkt im Bundestag anberaumt, ob die Linkspartei überhaupt verfassungskonform sei. Die CSU veröffentlicht Sharepics, Abgeordnete wollen die ganze Partei unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stellen und so weiter. Dabei wird nicht unbedingt offen das Hufeisen geworfen, ganz ohne kann man solche Aktivitäten aber nicht betrachten. Zu fest ist das Hufeisendenken gerade durch Union und FDP gehegt und gepflegt worden und wird es auch immer noch. Der Beißreflex Richtung Sozialdemokratie, Sozialismus, Anarchismus und Kommunismus sitzt tief und wird als fester Bestandteil der bundesrepublikanischen politischen Bildung auch nicht so schnell weggehen. Seit der Französischen Revolution bekämpft die Obrigkeit im deutschsprachigen Raum jegliche Progression von links, da hört man doch nicht wegen ein bisschen rechtem Terror mit auf.

Wirklich interessant und tatsächlich auch spannend (da ist sich das Adminteam einig) wird allerdings die kommende Auseinandersetzung innerhalb von CDU/CSU und FDP in Sachen Umgang mit der AfD. Die Vorgänge in Thüringen rund um die Wahl Kemmerichs mit AfD-Stimmen zum Ministerpräsidenten haben das Schlaglicht auf ein tiefsitzendes Problem beider Parteien geworfen. CDU/CSU und FDP haben mit der AfD die meisten inhaltlichen Übereinstimmungen und Schnittstellen. Das trifft sowohl auf alle anderen Parteien im Bundestag insgesamt zu, als auch auf Landesverbände und insbesondere die Bereiche Soziales, Wirtschaft, Sicherheit, Familie und alles, was mit Migration und Umverteilung zu tun hat. Bei der CDU gibt es dort mit der Merkel-Fraktion einen klaren Gegenpol, doch aktuell scheint die Partei unter dem Eindruck der AfD-Erfolge auf die Linie Friedrich Merz einzuschwenken. Dabei wirkt es so, als ob man sich in weiten Teilen der Union freut, das Kapitel Merkel hinter sich lassen und endlich wieder nach alter Manier dem Konservatismus frönen zu können. Sozialchauvinisten wie Merz oder der JU-Vorsitzende Kuban sind Aushängeschilder dieser Entwicklung und Marschroute.

Die Selbsttäuschung, in Verbindung mit einer Immunisierungsstrategie und vorweggenommener Kritikabwehr, man habe als „bürgerliche Mitte“ gar nichts mit Rechtsradikalen jeglicher Art zu tun, bröckelt zusehends. Für Kundige des Themenkomplexes war und ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich Landesverbände der Union und der FDP offen für eine Koalition mit der AfD positionieren. Die inhaltliche Nähe verbindet dabei genauso wie die tiefsitzende Ablehnung von Allem, was man als links verortet. Die AfD agiert insofern taktisch ziemlich klug mit ihrem wahnhaften Eindreschen auf alles irgendwie Linke. Egal wie hart sie übertreibt, verfälscht und lügt, sie stärkt damit die Fraktion in Union und FDP, die Linke aufs Blut verabscheuen. Und ja, davon gibt es nicht allzu wenige. Die Diskursverschiebung wird dort in Teilen freudig aufgegriffen, die nationalkonservative Werteunion ist da nur das Vorzeigeexemplar entsprechender Aktivitäten. Es ist keine Raketenwissenschaft vorherzusagen, dass es in den nächsten fünf Jahren offene Kooperations- und Koalitionsangebote auf Landesebene geben wird.

Bruchlinien

 

Spannend wird dabei vor allem, wo genau innerhalb der Parteien die Bruchlinien zu beobachten sein werden. Denn es gibt bei aller notwendigen Kritik, sei es an den konkreten Positionen oder am illusorischen Selbstbild der Mitte, auch eine starke Fraktion innerhalb der Union, die eine Zusammenarbeit mit der AfD kategorisch ablehnt. Wie stark diese Fraktion in der FDP ist, können wir nicht sagen. Da Christian Lindner aber bereits vor der Wahl Kemmerichs eine Duldung durch die AfD gebilligt hat, dabei aber den öffentlichen Gegenwind unterschätzte und zurückrudern musste, dürfte sie schwächer als in der CDU sein.

Innerhalb beider Parteien muss man sich aber auch gerade in Hinblick auf das Selbstbild der Mitte zusehends zu der Erkenntnis kommen, dass die eigene Partei diesem Anspruch nicht einmal formal gerecht wird. Die Möglichkeit, dass die AfD eine im bürgerlich-demokratischen Sinne konservative Partei wird, ist seit Jahren vorbei. Mit der Abwahl Luckes war der Weg der Partei entschieden und spätestens nach dem Ausscheiden Petrys 2017 braucht man auch gar keine großen Diskussionen mehr zu führen. Die AfD ist rechtsradikal und wer in ihr Mitglied ist, hat zumindest mit Nazis und Faschos kein Problem. Analog gilt für Personen, die Kooperationen und Koalitionen mit der AfD für möglich halten, dass sie kein Problem haben, mit Faschos und Nazis zu kooperieren und koalieren. Dieser Realität müssen sich alle Mitglieder zwangsläufig stellen.

Welche Konsequenzen daraus erwachsen, wird sich zeigen. Sicherlich werden Personen aus der Partei oder den betreffenden Fraktionen austreten, wenn es zu konkreten Kooperationen kommt. Ebenso wird es zu einem offenen Machtkampf zwischen Bundespartei und den Landesverbänden kommen, die mit der AfD offen zusammenarbeiten wollen. Die Bundespartei wird dabei aller Voraussicht nach verlieren, da der Drang einiger Landesverbände zur Kooperation stärker sein wird.

Neben der Entwicklung hin zur AfD und zur aktiven Stützung des parlamentarischen Rechtsradikalismus gibt es aber auch die gegenteilige Entwicklung. Man muss registrieren, dass es ebenfalls einflussreiche Kräfte gibt, die eine Normalisierung der Beziehung zur Linkspartei zumindest in Teilen anstreben. Der Unvereinbarkeitsbeschluss mit AfD und Linkspartei wackelt nicht nur hin zur AfD. Gerade die Personalie Ramelow, einem katholischen und sehr moderaten Sozialdemokraten, liefert im Gegenspiel mit Bernd Höcke, völkischer Faschist par excellence, die Gretchenfrage, wie man es denn nun mit dem Hufeisen halte.

In der Praxis hat sich die Linkspartei in den letzten 30 Jahren deutlich von der SED hin zu einer völlig normalen Partei im bundesrepublikanischen Parteiengefüge entwickelt. Der überwiegende Teil der Partei hat kein Interesse daran, die BRD grundlegend über den Haufen zu werfen. Und auch sämtliche Regierungsbeteiligungen haben bisher keine Gulags gebracht. Man kann – im Guten wie im Schlechten – der Linkspartei insgesamt Verfassungstreue attestieren. Sie versucht die Verfassung in einer sozialistischen bzw. sozialdemokratischen Art auszulegen, nicht mehr, nicht weniger. Aus diesem Grund hat sich auch bei einigen Vertreter*innen von CDU und FDP die Haltung durchgesetzt, die Linkspartei als gleichwertige Partei innerhalb des Parteiensystems zu sehen. Es gibt ja auch immer mal wieder fraktionsübergreifende Absprachen, in die auch die Linkspartei eingebunden wird.

Angesichts des gefestigten parlamentarischen Rechtsradikalismus in Form der AfD stellt sich die ganz praktische Frage, wie man zu einem antifaschistischen Minimalkonsens steht (sprich keinerlei Kooperation und Zusammenarbeit mit der AfD) und welche ideologischen Unterschiede man bereit ist, bei der Bekämpfung der AfD außen vor zu lassen, um handlungsfähig zu sein. In welcher Form und in welchem Umfang das passieren wird ist schwer zu sagen. Es bleibt aus Sicht des Hufeisens aber spannend, was da auf uns zukommt.