Aber wie viel ist dein Outfit wert – Teil 1: Die Ökonomie

[Die Überschriften und das Beitragsbild sind dem Song „Wie viel ist dein Outfit wert“ von Kummer entnommen.]

Unsere Kleidung gehört zu den Dingen, die so alltäglich sind, dass wir uns in der Regel kaum Gedanken über sie machen jenseits der Frage, was man denn anziehen solle. Und da sie so alltäglich ist, lassen sich hier einige Beobachtungen im Kleinen anstellen, welche charakteristisch für die Gesellschaft als solche sind. In einer kleinen Textreihe soll dem ein wenig auf den Grund gegangen werden. Der erste Teil wird sich dem wirtschaftlichen Aspekt widmen.

 
„Life ist super nice, da, wo man die Schuhe trägt
Life ist nicht so nice, da, wo man die Schuhe näht“
 
Wie alles andere auch sind Kleidungsstücke Waren, welche unter kapitalistischen Bedingungen hergestellt werden und der Profitmaximierung dienen. Einige Kernelemente der kapitalistischen Ausbeutung und des kapitalistischen Wahnsinns lassen sich hier sehr anschaulich aufzeigen. Das Gleiche gilt für ein falsches Verständnis des Kapitalismus, welches sich insbesondere hinter den Begriffen bewusster/ethischer Konsum verbirgt.
 
Ein Blick auf die weltweiten Daten zeigt, dass Bekleidung und Textilien insbesondere in Süd- und Ostasien sowie Europa hergestellt werden, mit China unangefochten an der Spitze. Über die Arbeitsbedingungen insbesondere im asiatischen Raum ist viel bekannt, aufgrund der großen Distanz sind diese aber kaum präsent. In Ländern wie Bangladesch oder Kambodscha werden Streiks teilweise mit Hilfe der Armee unterdrückt und zusammengeschossen. Niedrige Löhne, Knochenjobs und unsichere Arbeitsplätze sind die Norm. Immer wieder kommt es zu teils tödlichen Unfällen, die oftmals weiblichen Mitarbeiterinnen werden (auch sexuell) misshandelt und ausgenutzt. 
 
Zu sehr niedrigen Stundenlöhnen und kaum vorhandenen Fixkosten durch soziale Sicherungssysteme wird dort genäht, was hier dann für ein Vielfaches der Herstellungskosten im Laden zum Verkauf steht. Von dieser riesigen Gewinnmarge sieht man an den Werkbänken nichts – die klassische Wertabspaltung, wie Marx sie beschrieben hat, findet hier auf globaler Ebene leicht verständlich statt. Sie fällt durch die völlige Abwesenheit von sozialen Sicherungssystemen materiell soagr um Einiges krasser aus, als im sog. „Westen“. Zudem wird konstant versucht, Umweltauflagen zu verhindern oder man ignoriert diese einfach.
 
Ein weiteres Charakteristikum des Kapitalismus ist zudem seine Ineffizienz, wenn es um die Energiebilanz geht. Da die alles bestimmende Maßgabe die Profitmaximierung ist, wird ausschließlich darauf geschaut, ob sich etwas monetär rechnet. Das heißt konkret:  Produziert wird da, wo es am günstigsten ist. Und so ist es keine Seltenheit, dass die Einzelteile von Kleidungsstücken insgesamt mehrere zehntausend Kilometer kreuz und quer über den gesamten Globus zurücklegen, bevor sie dann als Ware über den Schalter gehen. Die Produktionsketten interessieren sich nicht für eine möglichst gute Energiebilanz, um so wenig Umweltschäden wie möglich zu verursachen. Es ist eigentlich ein sehr offenkundiger Irrsinn. Der Logik der Profitmaximierung folgend ist es aber eine Konsequenz der kapitalistischen Produktionsbedingungen.
 
„Falscher Rucksack, falsche Jeans, alle seh’n den Unterschied“
 
Und die kapitalistischen Verhältnisse sind es auch, welche Kinderarbeit, Sklaverei und Missbrauch nicht beenden, sondern stetig reproduzieren und erzeugen, wenn man nicht dagegen ankämpft. Aus diesem Grund hat sich im Laufe der Zeit der sogenannte „bewusste/ethische Konsum“ herausgebildet. Der Ansatz ist leicht verständlich: Man schafft eine Art Siegel oder Label, welches bestimmte Herstellungsbedingungen garantiert. Dazu können zählen: gute Löhne, sichere Arbeitsplätze, lokale Mitbestimmung, Umweltauflagen und so weiter. Da solche Siegel frei ausgestaltet werden können und es keinen allgemeingültigen Standard für „faire Produkte“ gibt, kann sich hinter dieser Bezeichnung so gut wie alles oder auch fast gar nichts verstecken, man muss im Zweifelsfall immer nachschauen.
 
Unternehmen nutzen diesen Trend auch und betreiben dann zum Beispiel sogenanntes Greenwashing: Durch Werbung und gut klingende Bezeichnungen versuchen sie ein sauberes und nachhaltiges Image bei guter Behandlung aller Beschäftigten zu vermitteln. Ob dies überhaupt der Wirklichkeit entspricht, ist egal. Es geht um das Image. Und so ist auch der ethische Konsum sehr schnell in die kapitalistische Verwertungslogik eingehegt worden und erlaubt Menschen mit den entsprechenden finanziellen Möglichkeiten, sich ein gutes Gewissen zu kaufen, ohne sich dann weiter mit Rahmenbedingungen der weltweiten Produktion beschäftigen zu müssen. 
 
Und hier liegt dann auch die Krux: Die grundlegenden Logiken des Kapitalismus, welche diese inhumanen Ausbeutungsverhältnisse erzeugt haben, werden nicht ausgehebelt. Man beschränkt sich darauf, das Elend partiell ein bisschen abzumildern, stellt aber zu keinem Zeitpunkt die Systemfrage. Um das klar zu sagen: Jede Person, die bessere Arbeitsbedingungen bekommt, ist als Erfolg zu werten. Es haben sich einige Bedingungen verbessert, keine Frage. Aber die Gesamtscheiße ist doch deshalb immer noch da. Man kann sich hier, das Geld vorausgesetzt, ganz viel tollen Fairtradekaffee hinter die Binde kippen. Wenn in Kambodscha die Armee einen Streik niederballert, lacht das Kapitalverhältnis nur darüber. Das schlimmste Elend wurde hier durch harte Arbeitskämpfe beendet, die Logik des Wirtschaftens hat dieses Elend dann aber auch nur in andere Länder verschoben, da man immer auf der Suche nach den ertragreichsten Ausbeutungsstandorten ist. 
 
Nicht nur, dass es sich bei ethischem Konsum vorrangig um eine Selbsttäuschung handelt, die in der Masse gesehen auch als Beruhigungspille fungiert, gar nicht erst die Ursache des ganzen Elends im Kapitalismus zu suchen. (Konsumiere noch härter bewusst und es wird besser, ganz sicher!) Es verschleiert auch die Tatsache, dass ALLES, was wir kaufen, unter kapitalistischen Bedingungen hergestellt wurde. Die grundlegenden Ausbeutungsverhältnisse sind keine anderen, egal ob man nun bei Trigema dem guten schaffenden Kapital aus Deutschland die Selbstvermarktung abnimmt (und die Verhinderung von Gewerkschaften und Betriebsräten übersieht) oder ob es sich um eine Textilfabrik in China handelt. 
 
„Diese Welt ist eingeteilt in Gewinner und Verlierer“
 
Wir entkommen als Einzelpersonen dem Kapitalismus nicht und wir können auch nicht durch das Leben gehen, ohne gezwungenermaßen am Kapitalismus zu partizipieren. Es ist eine totale Vergesellschaftung, welche die Rahmenbedingungen der Gesellschaft als solche stellt. Wer nicht daran teilnehmen will, muss irgendwo in eine einsame Hütte ziehen und komplett auf Selbstversorgung und Einsiedlerei setzen. Alles, was uns als Einzelpersonen übrigbleibt, ist die Frage, wie wir uns innerhalb der Verhältnisse einrichten. Akzeptieren wir sie notgedrungen als vorhanden, arbeiten aber im Rahmen unserer Möglichkeiten an einer Änderung? Gehen wir all in und spritzen uns die Kapitallogik ungestreckt in die Venen, um 70 oder 80 Stunden die Woche zu schinden? Ist es uns einfach egal und wir interessieren uns für gar nichts, wurschteln uns mit notwendig falschem Bewusstsein irgendwie durch? 
 
Wenn man den Entschluss fasst, etwas ändern zu wollen, so kann man dies alleine doch recht schwer. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die Grundfesten der aktuellen Ordnung, kann man allein nicht ändern. Genau aus diesem Grund wurden mal Gewerkschaften gegründet: Gemeinsam hat man mehr Verhandlungsmacht gegenüber den Personen in Machtpositionen als allein. Deshalb ist auch aktiver Arbeitskampf das effektivste Mittel, um die vorliegenden Bedingungen nachhaltig zu ändern. In Indien haben sich vor einigen Tagen 250 Millionen Menschen an einem Generalstreik beteiligt, vor vier Jahren waren es noch 160-180 Millionen. Ein massiver Zuwachs und ein Machtfaktor, mit dem man Staat, Regierung und Wirtschaft ernsthaft herausfordern kann. 
 
Die totale Vergesellschaftung des Kapitalismus bedeutet aber auch, dass wir ausschließlich Waren kaufen müssen, die unter kapitalistischer Ausbeutung hergestellt und verkauft werden. Leuten vorzuwerfen, sie würden mit dem Kauf einer Jogginghose von Nike, Adidas oder Fila ein kapitalistisches Unternehmen unterstützen, haben den Kapitalismus nicht verstanden. Auch der Discounter nebenan ist kapitalistisch organisiert und vertickt Waren, die ebenfalls unter kapitalistischen Bedingungen produziert wurden. Die Nieten deiner 30-Euro-Jeans wurden ganz sicher nicht unter besseren Bedinungen produziert als bei teureren Jeans. Es macht für das Kapitalverhältnis absolut keinen Unterschied, ob du nun im Discounter Klamotten kaufst oder bei Hugo Boss.
 
„Cooles Outift, bei dir läuft!
Hau mal raus, was sind das für Sneaker?“
 
Ein in diesem Zusammenhang von vielen Bauchlinken in ihrem verkürzetn, moralin-sauren Verständnis von Kapitalismus immer wieder begangener Fehler, ist verschiedenen Teilnehmer*innen am Markt völlig unterschiedliche Motive zu unterstellen. Großkonzerne werden automatisch als grundsätzliche Ausgeburten des Bösen ausgemacht, während irgendwelche hippen Start-Ups oder sogenannte Familienunternhemen als irgendwie nicht ganz so kapitalistisch verklärt werden. Was dabei völlig vergessen wird, ist, dass Großkonzerne sich noch am ehesten zu organisierten Interessensvertretungen ihrer Belegschaften, Tarifverträgen und sozialen Standards bekennen bzw. bekennen müssen, sei es nur um beim Thema Governance besser dazustehen, während in den sympathischen Familienbetrieben und Startups mit flachen Hierarchien eben jene sozialen Standards permanent mit dem Hinweis auf die Betriebsgröße und die ach-so-harte Konkurrenz unterlaufen werden und die eigene Belegschaft quasi zur Selbstausbeutung „motiviert“ wird.
 
Sich jetzt in diesem Rahmen an Kaufentscheidungen von Einzelpersonen abzuarbeiten, ohne die Grundbedingungen kapitalistischer Produktion verstanden zu haben, ist schlichtweg ein Self Own. Das Level der Kritik ist vergleichbar mit einem „Du bist gegen Kapitalismus aber schreibst von einem Samsung höhö“. Ja du Knalltüte, so ist das nun mal in einer totalen Vergesellschaftung. Kein Grund, die Gesamtscheiße nicht trotzdem abschaffen zu wollen. Und wer wirklich ein Problem mit kapitalistischen Produktionsbedingungen hat, bringt sich selbst in den Arbeitskampf ein. Die Menschen sind im Kapitalismus nun mal dazu gezwungen, sowohl als Produzent*innen als auch als Konsument*innen der eben von Ihnen selbst hergestellten Waren aufzutreten. Ihnen vorzuwerfen, dass sie sich im Rahmen der kapitalistischen Vergesellschaftung als Konsument*innen an der Totalität dieser Verhältnisse beteiligen, ist so, als würde man einem Sportler vorwerfen, dass er schwitzt.
 
Der zweite Teil wird sich mit der sozialen Funktion der Mode für die Bildung von Szenen, Subkulturen, Schichten und letztendlich der Hierarchisierung der Gesellschaft beschäftigen.