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Interview mit dem Kollektiv „IfS dichtmachen“

Was war der Anlass für die Gründung eures Kollektivs?
 
Zum Anlass der „Sommerakademie“ 2016 des sogenannten „Instituts für Staatspolitik“ in Schnellroda haben sich Aktivist*innen aus dem Saalkreis und aus Halle getroffen, um den ersten Gegenprotest zu planen und durchzuführen. Nach den ersten paar Demonstrationen erschien es uns dann sinnvoll, dem Ganzen auch einen Rahmen zu geben, also eine Gruppe zu gründen, in der weitere Leute aus der Region aktiv werden können.
 
Das IfS wurde im Jahr 2000 gegründet, Antaios und Sezession folgten 2002 und 2003. In welcher Form gab es in der Zwischenzeit Proteste und Aufklärung über Schnellroda in der Region?
 
Wir demonstrieren, wie gesagt, seit September 2016 zu jeder größeren Veranstaltung des „IfS“ bzw. des Verlags Antaios (insbesondere zu den „Winter- und Sommerakademien“). Davor gab es keine organisierten Proteste. Allerdings wissen wir, dass die Anwesenheit der Kubitscheks und ihre politische Tätigkeit seit den ersten größeren Medienberichten zur „Neuen Rechten“ dort schon kritisch diskutiert wurde und auch auf Ablehnung stieß. Es gab also auch vor unserem Engagement Konfliktpunkte bzgl. der faschistischen Agitation im Ort.
 
Welche Relevanz für die radikale Rechte hat Kubitschek mit seinen Plattformen?
 
Kubitschek ist mit seiner Verlagsgruppe (Ellen Schenke, Benedikt Kaiser) ein Stichwortgeber und ein Anheizer. Er ist zwar weit davon entfernt, der große „intellektuelle Strippenzieher“ hinter der AfD zu sein, als der er sich gerne ausgibt oder von diversen Jouralist*innen ausgegeben wird, aber wenn er eine Parole ausgibt, dann wird diese von den „Identitären“, von „Ein Prozent für unser Land“ und auch von manchen AfD-Hetzer*innen aufgenommen und mit voller Überzeugung als neuste brillante Erkenntnis aus Schnellroda vertreten. Auch wenn man das nicht überschätzen darf, stiften Kubitscheks Plattformen also eine gewisse Einheit in Teilen der extremen Rechten, bringen die Vernetzung der Menschenfeind*innen voran und sorgen für den akademischen Anstrich, der aus der Perspektive vieler Medien aus Nazi-Kameradschaftern plötzlich „identitäre Hipster“ macht – auch wenn der Schein da inzwischen endlich gebrochen scheint. Auch wenn die Bedeutung Kubitscheks etwa für die AfD, wie bereits erwähnt, nicht so bedeutend ist wie Kubitschek dies gerne verlautbart, ist darauf hinzuweisen, dass er es war, der einen Tag nach Höckes „Dresdner Rede“ in der Sezession die Verteidigungslinie vorgab. 
 
Was sind die wichtigsten regionalen und überregionalen Vernetzungen von Schnellroda?
 
Also regional möchten wir vor allem darauf hinweisen, dass sich das „IfS“ offensichtlich hervorragend mit der klassischen Neo-Nazi-Szene in Sachsen-Anhalt versteht. Es wurden mehrmals Nazis aus dem weiteren Umland beobachtet, die „das Schäfchen“ (den Veranstaltungsort der „Akademien“) während unserer Demonstrationen auf Befehl von Kubitschek „schützen“ sollten – d.h. davor standen und gepöbelt haben. Bundesweit spielt für die Schnellroda-Gruppe die AfD die größte Rolle: Während man sich früher immer als außerparlamentarisch präsentiert hat, ist man heute absolut auf AfD-Kurs und prügelt sich mit anderen Rechtsextremen um die parlamentarischen Fleischtöpfe. Deshalb waren 2019 auch gleich Alexander Gauland und Alice Weidel als „Stargäste“ auf den „Akademien“, während ansonsten eigentlich nur das Stammpersonal heranzitiert wurde. Über Deutschland hinaus fügt sich das „IfS“ in ein Netzwerk der europäischen extremen Rechten ein, wobei man von einem osteuropäischen Schwerpunkt ausgehen kann, da bereits Faschisten aus Ungarn, Serbien und Kroatien anwesend waren und Kubitschek dort auch schon auf Tour war.
 
Welche unmittelbaren Auswirkungen bzw. welche Wirkmacht auf die nähere Umgebung sind aus eurer Sicht feststellbar seit sich Schnellroda zu einer auch bundesweit relevanten rechtsradikalen Plattform entwickelt hat?
 
Als unmittelbarste Auswirkung ist sicher das sog. „Haus der Identitären Bewegung in Halle“ zu verstehen, dessen gewählter Standort ja unter anderem auf die Nähe zu Schnellroda zurückzuführen ist. Ansonsten lässt sich der Einfluss eher punktuell fassen, etwa wenn bestimmte Kreistagsabgeordnete Kontakte zu Kubitschek pflegen oder die Vermittlung von „Identitären“ oder dem „IfS“ nahestehenden Faschisten als Mitarbeiter von Landtags- oder Bundestagsabgeordneten.
 
In welcher Form seid ihr aktiv, wie klärt ihr auf?
 
Wir bringen jährliche Reader raus, in denen wir die Redebeiträge unserer Demonstrationen und unsere Recherchebeiträge sammeln und dazu ein kleines Fazit verfassen, um über unsere Arbeit zu informieren. Darüber hinaus schreiben wir auch Blogeinträge zu aktuellen Themen rund um die „Neue Rechte“ und bringen demnächst einen Schnellroda-spezifischen Newsletter heraus, der auch an die Anwohner*innen des Dorfes gehen soll. Prinzipiell versuchen wir, unsere Demonstrationen immer mit der Information an die Bevölkerung zu verbinden und starten dementsprechend auch immer mit einem Infostand vor der Demo. Darüber hinaus versuchen wir, uns auch kritisch mit der Ideologie der „Neuen Rechten“ und speziell des „IfS“ auseinandersetzen und bieten Vorträge zu dem Themenbereich an.
 
Merkt ihr, ob und wenn ja in welcher Form sich der Protest in Schnellroda gegen die Akademien auswirkt?
 
Immer wieder konnten die Akademien durch unseren Protest nicht in der geplanten Form stattfinden, da die Rechten sich nicht selten von unserer reinen Anwesenheit haben ablenken lassen. Wir können darüber hinaus bei Kubitschek und seinen Anhänger*innen eine gewisse Resignation beobachten: Während man 2016 noch auf „Defend Schnellroda“ machte, versucht man nun sehr aggressiv so zu tun, als wären wir gar nicht da. Trotzdem verwenden die „Sezession“ und andere Schmierblätter aber immer noch Artikel auf uns, in denen erklärt wird, wie egal wir Kubitschek sind. Wir glauben, dass unsere Demonstrationen dementsprechend dazu beitragen, die Attraktivität der „Akademien“ zu schmälern und dass die Rechten sich inzwischen überlegen müssen, wen sie da einladen und wen nicht.
 
Gab es bereits Bedrohungssituationen und/oder Auseinandersetzungen zwischen euch und AkteurInnen des Schnellroda-Netzwerks?
 
Es gibt immer wieder „aufklärende“ Artikel und Tweets aus dem Umfeld von Schnellroda, die unseren „Linksextremismus“ oder unsere Unterstützung durch diese oder jene vermeintlich super-wichtige Institution „aufdecken“ sollen. Was da dann berichtet wird, ist zwar immer öffentlich einsehbar, aber mit welcher Selbstüberschätzung so getan wird, als hätten die Faschos eine ernsthafte Recherche vorgelegt, ist ganz amüsant. Trotzdem birgt das natürlich auch eine Bedrohungssituation: Die in solchen Berichten namentlich genannten Mitstreiter*innen sollen dem rechtsextremen Mob vorgeworfen werden und auch wenn es oft nicht funktioniert, wissen wir ja inzwischen leider alle, zu was ein digitaler Shitstorm werden kann. Darüber hinaus gab es auf den vergangenen Demonstrationen von uns immer wieder Pöbeleien durch die Faschist*innen. Sie fanden oftmals ihr Akademieprogramm so langweilig, dass sie lieber Stress an unseren Infoständen gemacht und sich sonstwie daneben benommen haben. Insbesondere die „Identitären“ bauen unheimlich gerne Drohkulissen auf und kokettieren mit ihren Gewalttaten, die sie öffentlich dann wieder leugnen.
 
Die IB in Halle hat kürzlich die Aufgabe des Hauses in der Adam-Kuckhoff-Straße 16 bekannt gegeben (wie ernst das real genommen werden muss, wird sich zeigen). Generell sind bei der IB fortwährend Anzeichen des Zerfalls festzustellen. Damit neigt sich ein Aktions- und Bewegungsexperiment Kubitscheks dem Ende entgegen. Was könnte eurer Ansicht nach darauf folgen oder neu gestartet werden?
 
Es bleibt zunächst zu konstatieren, dass die „IB“ zwar offiziell aus dem Haus ausgezogen ist, jedoch weiterhin Kader im Haus wohnen. Auch Antaios und EinProzent betreiben dort weiterhin ein Büro. Derzeit scheinen jedoch Ressourcen und Ideen zu fehlen selbstständig zu agieren. Den Auszug der IB würden wir dahingehend interpretieren, dass versucht wird Druck und somit auch Aufmerksamkeit vom Haus zu nehmen. Man muss daher aufpassen und weiterhin wachsam bleiben, ob es ihnen gelingt, das Haus effektiv nutzen zu können. Die identitäre Ortsgruppe scheint ja ein Revival der „Kontrakultur Halle“ zu versuchen. Dass das für die Gruppe zum Erfolg führt, darf aus unserer Sicht jedoch bezweifelt werden.
 
Anfang Oktober 2019 gab es das versuchte Massaker in der Synagoge in Halle, bei dem ein Rechtsradikaler zwei Menschen erschoss. Als Motivation nannte er typische Elemente rechtsradikaler Ideologien wie z. B. eine sogenannte Umvolkung oder jüdische Weltverschwörung, Feminismus als Zerstörer der Nation/des Volkes: Finden sich diese Inhalte und wenn ja in welchem Umfang auch in den Veröffentlichungen aus Schnellroda wieder? 
 
Der Verlag Antaios fällt seit Jahren dadurch auf, dass er Bücher verlegt, auf die sich Rechtsterroristen aktiv beziehen. Im Verlagsprogramm findet sich das Standardwerk zum „Großen Austausch“ von Renaud Camus, Texte des Bloggers „Fjordman“, an dem sich Anders Behring Breivik orientiert hat und auch das Buch, welches beim Komplizen des Lübcke-Mörders gefunden wurde – in einer Hasstirade gegen Walter Lübcke wurde dessen Name markiert. Zu diesem Thema gab es auch einen Redebeitrag von uns bei der Demonstration gegen die „Sommerakademie“ 2019 den wir aufgrund der Aktualität noch mal für den Anfang Januar erscheinenden Schnellroda-Newsletter aufgearbeitet haben. Natürlich wäre es falsch, das „IfS“ direkt mit dem Anschlag in Halle in Verbindung zu bringen, was jedoch nicht bedeutet, dass es im Umkehrschluss nichts damit zu tun hat. Neben den Bezügen zur publizierten Literatur des „Antaios-Verlages“ bleibt festzuhalten, dass an der „Sommerakademie“ 2019 Kader der „Reconquista Germanica“ teilnahmen, die sich in ihrem „meme-war“ auf dieselben Imageboards wie der spätere Attentäter bezogen.
 
Wie kann man euch vor Ort oder von außerhalb am besten unterstützen?
 
Wir freuen uns in erster Linie über Teilnehmer*innen auf unserer Demo am 11.01. in Schnellroda (oder den nächsten Demonstrationen). Ansonsten finden wir es auch wichtig, dass unsere Inhalte weiter verbreitet werden und dass Menschen das Problem in Schnellroda auf dem Schirm haben. Dazu bieten wir auch Vorträge an.
 
Von wo kann man eure Materialien und Rechercheergebnisse beziehen?
 
Unsere Broschüren erscheinen kostenfrei als PDF auf unserem Blog. Dort stellen wir auch zeitnah Redebeiträge und Analysen online. Ansonsten folgt uns am besten auf Facebook und Twitter. Auf Anfrage verschicken wir auch unser Infomaterial.
 
Welche anderen Anlaufstellen bzw. Materialien zu dem Kubitschek-Komplex könnt ihr empfehlen? 
 
Grundsätzlich möchten wir auf die Rechercheergebnisse von „Sachsen-Anhalt rechtsaußen“ verweisen, in denen viele Informationen zu den Akteur*innen des „IfS“ und der Verstrickung in andere Milieus dokumentiert sind. Allgemein zur „Neuen Rechten“ finden wir die Bücher von Volker Weiß sowie die verschiedenen Publikationen zur Identitären Bewegung empfehlenswert. Das „IfS“ selber scheint ein wenig ein blinder Fleck in einer kritischen Publizistik zu sein, die genannten Empfehlungen reißen das „IfS“ immer nur am Rande an. Wir hoffen daher auch, mit unseren Broschüren und Analysen zu weitgehender kritischer Auseinandersetzung mit der Ideologie und dem Wirken des „IfS“ anzuregen und eine Grundlage dafür bereitzustellen.
 
Welche rechtsradikalen Aktivitäten abseits von Schnellroda und der IB gibt es in Halle und der Region?
 
Es gibt im Saalekreis und in Halle über die sogenannte „Neue Rechte“ hinaus einige klassische Neo-Nazis, rechtsextreme Hooligans und andere gewaltbereite Faschist*innen. Am bekanntesten sind dabei wahrscheinlich die Aufmärsche des Hetzers Sven Liebich, die er regelmäßig in Halle stattfinden lässt. Zwar ist sein Publikum seit Jahren sehr klein, aber er verbreitet beständig faschistische Propaganda, stört Veranstaltungen und stachelt sein Gefolge zur Gewalt an, während Polizei und Justiz scheinbar keinen allzu großen Handlungsbedarf sehen. In der Region kam es vor allem zwischen 2015 und 2017 zu größeren Neonazi-Demos in Querfurt, Bad Lauchstädt, Merseburg, Eisleben und weiteren Orten. Die Oraganisator*innen haben sich jetzt aber anderen Betätigungsfeldern zugewandt wie Kampfsport und Rechtsrock.
 
In welcher Form werdet ihr von Stadt/Land und Zivilgesellschaft unterstützt oder behindert? 
 
Wir haben einige zivilgesellschaftliche Unterstützer*innen aus Halle und der Region, die unsere Veranstaltungen entweder begleiten, bewerben oder materiell supporten. Immer wenn wir aktiv auf Organisationen zugekommen sind, haben wir positives Feedback bekommen. Allerdings würden wir uns natürlich auch wünschen, dass noch mehr antifaschistische, zivilgesellschaftliche Gruppen von sich aus in Schnellroda oder der Umgebung aktiv werden. Von offizieller Seite sieht es da aber deutlich schlechter aus: Ohne jedes Argument stellt der Verfassungsschutz des Landes Sachsen-Anhalt Mutmaßungen in seinem Bericht darüber an, ob wir „extremistisch beeinflusst“ wären. Und die Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen im Saalekreis ist auch eher schwierig. Aber das sind wahrscheinlich Sachen, die inzwischen fast jede antifaschistische Gruppe treffen.

Interview zum Stand der Gilets Jaunes

Seit fast vier Monaten gibt es in Frankreich die Proteste der Gilets Jaunes. Für die meisten Menschen außerhalb Frankreichs kamen die Proteste völlig unerwartet und die ersten Reaktionen waren sehr verhalten. Die Proteste sind dezentral über das gesamte Land verteilt, rechte und linke Aktivist*innen geraten immer wieder in handgreifliche Auseinandersetzungen und in den Facebookgruppen der Gilets Jaunes geht es hoch her. Erschwerend kommen die Sprachbarriere und die oftmals nicht vorhandene Kenntnis über die politische und gesellschaftliche Gemengelage in Frankreich hinzu. Über den aktuellen Stand der Bewegung haben wir ein Interview mit Sébastien de Beauvoir geführt. Er verfolgt diese seit ihrem Beginn und ist in den Gruppen aktiv. Für Ficko hat er im Dezember und im Januar zwei ausführliche Artikel über die Gilets Jaunes verfasst.

Die Proteste der Gilets Jaunes gehen nun bereits fast drei Monate. Wann gab es zuletzt eine solche Protestbewegung in Frankreich?

Eine ähnlich starke Mobilisierung hatte es zuletzt im Kampf gegen die Loi Travail (« Loi El Khomri ») unter Hollande (PS) 2016 gegeben, die allerdings gewerkschaftlich organisiert waren. Der organisierte Widerstand gegen die Loi Travail 2 (« Loi Pénicaud ») kurz nach Amtseinführung des neuen Präsidenten Macron (LREM, Ex-PS) war dagegen bereits viel schwächer ausgefallen. Erfolgreich waren beide nicht – anders als noch die noch größeren Massenproteste 2006 gegen den « Contrat première embauche ». Da sie wesentlich von den Gewerkschaften getragen wurden, sind sie aber mit der dezentralen Massenbewegung der Gilets Jaunes nicht vergleichbar. Einen solch dezentralen Massenaufstand hat es zuletzt im legendären Mai 1968 gegeben.

Dieser qualitative Unterschied erschwert es aber auch, die Bewegung der Gilets Jaunes quantitativ zu fassen. Es ist nichts neues, dass die Behörden Teilnehmerzahlen oppositioneller Bewegungen systematisch zu niedrig angeben. Im Falle der Gilets Jaunes gibt es nicht nur keine zentrale Organisation, die ihre Teilnehmerzahlen selbst angibt – die dezentralen Aktionsformen selbst machen herkömmliche Zählmethoden schlicht nicht mehr anwendbar. Proteste und Blockaden treten außerhalb der Großdemonstrationen in den Großstädten (und in Paris teilweise innerhalb dieser, was die Polizei immer wieder vor taktische Probleme stellt) oftmals spontan und an unvorhergesehenen Orten auf.

Wie sieht die regionale Verteilung aus? Gibt es abseits von Paris Schwerpunktregionen?

Die Bewegung ist ganz wesentlich in den Regionen verwurzelt. Abseits von Paris sind vor allem Toulouse, Marseille und Bordeaux wichtige Zentren der Bewegung. Insbesondere das kämpferische Toulouse hat sich in den letzten Monaten zu einer Hochburg des radikalen Flügels der Bewegung entwickelt, mit hohem Mobilisierungsgrad, interner Strukturarbeit und frühzeitigen Schulterschlüssen mit anderen sozialen Kämpfen. In der Region haben sich auch die Gewerkschaften frühzeitig mit der Bewegung solidarisiert, der Regionalverband Haute-Garonne ist auch eine der Kräfte an der Basis der CGT, die die Gewerkschaftsführung um Generalsekretär Martinez von links unter Druck setzt. Beim landesweiten, branchenübergreifenden Streik letzte Woche sollen sich in Marseille laut CGT 55000 Menschen am gemeinsamen Demonstrationszug von Gewerkschaften, Gilets Jaunes und Studierenden beteiligt haben. Ohne die Repression auszublenden, die die Gilets Jaunes auch außerhalb der Hauptstadt erfahren, kann man aber auch feststellen, dass die Aktionen in Paris tendenziell einen anderen Charakter haben, da sie in unmittelbarer Nähe der Zentren der Macht stattfinden, die seitens der Staatsgewalt mit exzessiver Brutalität verteidigt werden.

Aus organisatorischer Sicht ist die Gilets Jaunes-Bewegung sehr interessant. Viel läuft über Facebook ab. Wie genau sieht die Dynamik in diesen Gruppen aus?

Es geht drunter und drüber und meistens sehr schnell. Es gibt grob zwei Arten von Gruppen, einmal die regionalen, die für die lokale Organisation bedeutsam sind, und dann die großen landesweiten Gruppen mit mehreren hunderttausend Mitgliedern. Zieht in einer dieser Riesengruppen ein Thema Aufmerksamkeit auf sich, prasseln Kommentare teilweise im Sekundentakt ein, sodass an eine strukturierte Diskussion nicht zu denken ist. Das bedeutet aber nicht, dass sich nicht deutliche Stimmungsbilder abzeichnen können, die ihrerseits natürlich auch auf die Meinungsbildung zurückwirken. Will man dort intervenieren, muss es knapp und einprägsam sein. Sowohl aus antifaschistischer als auch sozialistischer Sicht bedeutet das, die Lust an endlosen Textwüsten mal ablegen und auf andere, massenkompatible Formen zurückgreifen zu müssen und sich den Eigenheiten dieser Diskursformation anzupassen.

In diesen Gruppen ist man typischerweise auch sehr darauf bedacht, die Aktionseinheit zu wahren, was bedeutet, dass prinzipielle Differenzen tendenziell eher gemieden als ausdiskutiert werden. Außerdem legt man großen Wert darauf, »unpolitisch« zu sein, was in dem Kontext vor allem bedeutet, nichts mit Parteien und anderen politischen Organisationen zu tun haben zu wollen. Das heißt konkret, dass wenn jemand ankommt und Verschwörungstheorien über die vermeintliche Macht der Rothschilds verbreitet und der Rassemblement National einmal aufräumen muss, es wenig Sinn ergibt, endlos mit dieser Person über Antisemitismus zu diskutieren, sondern dass es viel mehr bringt, für die Mitleserschaft auf eingängige Weise auf den korrekten Feind umzulenken: Macron und Le Pen? Zwei Seiten der selben Medaille. Der eine will, dass ihr euch vom europäischen Kapital ausbeuten lasst, die andere will, dass ihr euch vom französischen Kapital ausbeuten lasst. Weg mit beiden, Scheiß auf die Ausbeutung! Da kann man schon mal multitrack-driften. Memes, einprägsame Parolen, Parodien, zum wiederholten Einsatz – Mut zum Plakativen ist angesagt. Positiv aufgefallen ist mir in letzter Zeit, dass auch in den großen Gruppen Postings, in denen auf Le Pen oder Dieudonné Bezug genommen wird, ziemlich schnell kommentarlos gelöscht werden.

Wo stößt diese Organisationsform an ihre Grenzen und wie wird versucht damit umzugehen?

Gut ist diese Organisationsform darin, vereinzelte Menschen in großer Zahl zusammenzubringen, nicht nur online, sondern auch offline an physischen Orten, die bisher ebenso verloren im vergessenen Hinterland herumstanden wie sie selbst, an den symbolisch gewordenen Kreisverkehren. Spontane Aktionen und schnelle Reaktionen sind ihre Stärke. Was weniger gut funktioniert, sind langfristige Planung und gründliche Diskussionen. Demokratische Entscheidungsfindung ist in einem eingeschränkten Maße sehr wohl möglich, nämlich dort, wo es große Einigkeit gibt. An einer Umfrage in einer der großen Facebookgruppen zur Beantwortung der Frage, ob die Zugeständnisse der Regierung im Dezember als ausreichend angesehen werden, nahmen beispielsweise über hunderttausend Gruppenmitglieder teil, die zu etwa 95 % erklärten, dass ihnen diese kleinen Zugeständnisse nicht ausreichen. Da erübrigt sich die Frage, wie repräsentativ ausgewählt die jetzt wahren und ob man nicht lieber erst einmal Delegierte bestimmen sollte.

An ihre Grenzen stößt dieses Vorgehen aber nicht nur bei Detail-, sondern auch bei grundsätzlicheren Fragen. Ich hab an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass die große Einigkeit, die über die Forderung nach dem direktdemokratischen Instrument « Référenum d’Initiative Citoyenne » herrscht, auch eine Folge dessen ist, dass hier der Klassengegensatz zwischen proletarischen und kleinbürgerlichen Interessen nicht unmittelbar berührt wird. Die Frage danach, ob die Bewegung sich nicht nur gegen die Politikerkaste richtet, sondern auch bereits ist, gegen die Herrschaft des Kapitals aufzustehen, gegen das nationale ebenso wie gegen das internationale, ist aber offensichtlich von ganz grundsätzlicher Bedeutung. In mehr und mehr Städten bilden die Gilets Jaunes daher Generalversammlungen, auf denen Strukturdebatten geführt und inhaltliche Beschlüsse getroffen werden können.

Ende Januar haben sich dann über hundert Delegationen solcher Generalversammlungen zur ersten landesweiten « Assemblée des Assemblées » in Commercy zusammengefunden. Diese Strukturarbeit ist nicht nur eine wichtige Voraussetzung, um den Organisationsgrad und damit die Schlagkraft der Bewegung zu erhöhen. Sie beugt auch der Unterwanderung durch Rechte vor, die sich selbst in irgendwelche Funktionen schwingen wollen. Organisation von unten nach oben ist das Gegenteil des faschistischen Leitbilds von Führerfiguren, die autoritär die Massen dirigieren. Die Impulse zur Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften kamen auch wesentlich aus den Generalversammlungen kampfstarker Städte wie eben Toulouse. Dass das auch von einflussreichen Persönlichkeiten wie dem »unpolitischen« LKW-Fahrer Eric Drouet aufgegriffen worden ist, der dann über seine große Onlinereichweite zum »Generalstreik« aufgerufen hat, ist aus linker Sicht ein großer Erfolg, auch wenn die folgende Aktion als Arbeitskampf selbst keiner war.

Der Streik war kein Erfolg?

Als Demonstration war die Aktion ein Erfolg: Landesweit ca. 300000 Leute an einem Werktag auf der Straße im Vergleich zu 50000 bis 100000 an den Samstagsdemos der letzten Wochen können sich sehen lassen. Als Arbeitskampf aber war sie kein Erfolg. Das war schon absehbar daran, dass nur kleinere Gewerkschaften sich dem Aufruf der CGT angeschlossen hatten. Gegen die Loi Travail war die Gewerkschaftsbewegung geschlossener. Es gibt noch keine repräsentativen Zahlen dazu, wie hoch die Streikbeteiligung tatsächlich war, aber von einer Blockade der Volkswirtschaft, wie das seitens vieler Gilets Jaunes euphorisch angedacht war, war man weit entfernt. Hier wurde sichtbar, wie diffus die Vorstellung vieler – in der breiten Masse arbeitskampfunerfahrener – Gilets Jaunes von Streiks sind. Da ließen sich vielfach naive Vorstellungen wie »wir machen jetzt halt Generalstreik« beobachten – und dann sind die Leute doch brav auf Arbeit gegangen, weil sie ja leider als Krankenschwester, Erzieherin, Altenpflegerin die Kranken, Kinder und Alten nicht alleinlassen können. Andere haben sich extra Urlaub genommen, um an der Demo teilzunehmen, weil sie es sich nicht mit ihren Chefs verderben wollen usw.

Du kannst dir denken, dass die Reaktionen darauf ein breites Spektrum abdecken: von Enttäuschung oder auch Ärger über sich selbst, über Wut auf die Gewerkschaften, weil sie nicht zaubern können, bis hin zu Euphorie über den Demoerfolg bei denjenigen, die eher aktionistisch ausgerichtet sind und im Arbeitskampf weniger den zentralen Hebel sehen als eine Art Performance unter vielen. Da ist also Auseinandersetzungs- und Lernbedarf, sowohl aufseiten der Gilets Jaunes als auch der Gewerkschaften. Und genau da kommen wir zum wichtigsten Punkt: Der große, wichtige Erfolg des 5. Februar besteht darin, dass ein erster großer Schritt Richtung « convergence des luttes » auf nationaler Ebene gemacht wurde. Bei allen Ruckeligekeiten im Detail haben insgesamt Massenbewegung und der linke Flügel der Gewerkschaftsbewegung sowie erstmals auch auf nationaler Ebene die Studierendenbewegung Hand in Hand von Anfang gemeinsam zusammengearbeitet. Auf dieser Basis kann man weiterarbeiten. Und schließlich war es für die Rechten ein bitterer Rückschlag, dass die bisher größte Mobilisierung im Kontext der Gilets Jaunes im neuen Jahr unter roten Fahnen der verhassten Gewerkschaften und Seit an Seit mit « sans papiers » stattgefunden hat. Es ist also eher ein Erfolg nach innen als nach außen gewesen.

Die Berichterstattung im deutschsprachigen Raum ist oftmals lückenhaft. Oftmals werden die Proteste rechtslastig dargestellt. Wie sehen denn aktuell die groben Gewichtsverhältnisse der politischen Lager innerhalb der Gilets Jaunes aus?

Die empirische Forschung durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des politikwissenschaftlichen Instituts in Bordeaux hat schon im Dezember gezeigt, dass die Gilets Jaunes in ihrer Breite viel weiter links stehen, als medial vermittelt wird. Intern ist es ein Hin und Her, aber insgesamt stimmt mich die Entwicklung hoffnungsfroh. Der 5. Februar war ein wichtiger Schritt.

Wie verhalten sich die antifaschistischen Gruppen? Sie waren anfangs vermutlich überrumpelt durch die Ausmaße, inzwischen gibt es diverse Videos von handgreiflichen Auseinandersetzungen.

Ich habe einen riesigen Respekt vor den Genossinnen und Genossen, die seit bald vier Monaten nahezu ununterbrochen antifaschistisch intervenieren, oft eben auch handgreiflich. Die Auseinandersetzungen werden auch nicht weniger, im Gegenteil. Seit sich herausgestellt hat, dass die Vereinnahmung der Bewegung nicht wie erhofft funktioniert, werden die Rechten aggressiver. Während es in der Vergangenheit vor allem einzelne organisierte Rechte waren, die die lokalen Antifa-Gruppen recherchiert und aus den Demozügen geschmissen haben, kommt es jetzt vermehrt zu Blockkonfrontationen. Vorletzten Samstag hatten Faschos in Paris sowohl den Block der linken Kleinpartei NPA gezielt als auch »unpolitische« Gilets Jaunes eher random angegriffen. Auch in anderen Städten kam es Angriffen, dort konnten die Faschos aber verjagt werden. Letzten Samstag ist dann in Lyon eine größere Gruppe Rechter, die zuvor bereits kleinere Überfälle auf migrantische und antirassistische Gilets Jaunes verübt hatte, in einer Gasse mit einer größeren Gruppe Antifas aufeinandergetroffen. Den Genossen und Genossinnen ist es dann mit geschlossenem Vorgehen gelungen, die Faschos in die Flucht zu schlagen. Das war aber sicher nicht das letzte Mal.

Wie versuchen rechte Gruppierungen Einfluss zu gewinnen?

Da gibt es zum einen die rechten Trolle online, von denen manche Bots sein mögen und manche authentische Spinner, die ihre antisemitischen Verschwörungstheorien mit beträchtlicher Energie in die Timelines der großen Facebookgruppen spammen. Auf der Ebene der Parteipolitik versucht der Rassemblement National (der frühere Front National) unter Marine Le Pen, den Volkszorn in Stimmgewinne für sich zu verwandeln, nachdem das Vereinnahmen der Bewegung selbst nicht funktioniert. Auffällig ist, dass die Rechten auf mehreren Ebenen mit der Staatsgewalt kollaborieren, um gegen die antifaschistischen Kräfte vorzugehen. An vorderster Front dieser Taktik stehen selbsternannte »Sicherheitsdienste«, die in den letzten Wochen plötzlich aufgetaucht sind, für sich autoritäre Kompetenzen einfordern und auch schon Gilets Jaunes an die Polizei ausgeliefert haben. Oft handelt es sich dabei um Soldaten oder Polizisten. Ihr Kopf in Paris ist der Soldat Victor Lenta, der auch schon aufseiten rechter pro-russischer Milizen in der Ukraine gekämpft hat.

Der ideologische Gegensatz von Rechten und Linken spiegelt sich hier auch auf taktischer Ebene als Unterschied von Militarismus und Militanz wieder. In der Pariser Antifa will man den Demonstrationszügen nun nach Möglichkeit schwarze Blöcke voranstellen, um den Einfluss dieser »Sicherheitsdienste« zurückzudrängen. Vorletzten Samstag ist es dann in Paris auch zu einer offenen Auseinandersetzung zwischen »Sicherheitsdienst« und Antifas gekommen. Die Rechten haben dann versucht, die antifaschistische Intervention als Angriff der Antifa auf Jérôme Rodriguez auszugeben, der in der Bewegung zur Symbolfigur für die Opfer der brutalen Repression geworden ist. Die Admins der großen Facebookgruppen sind kaum hinterher gekommen damit, diese Fake News zu löschen. Letztlich ging der Schuss für die Faschos aber nach hinten los, da Rodriguez nach einem ersten Anflug von Panik in der unübersichtlichen Situation vor Ort sehr wohl verstanden hat, was da vorgeht, und sich öffentlich von den rechten Fake News ziemlich angepisst gezeigt und die Darstellung der Antifa Paris-Banlieue bestätigt hat.

Wie verhalten sich die französischen Parteien zu den Protesten?

Ganz am Anfang war der Protest gegen die Ökosteuererhebung nicht nur von der linken France Insoumise und dem faschistischen Rassemblement National unterstützt worden, sondern zumindest verbal auch vom sozialdemokratischen Parti Socialiste und den konservativen Républicains. Der sozialistische PCF war zu Beginn dagegen eher skeptisch, vor allem wegen der anfänglichen Fokussierung auf Steuersenkungen. Mit zunehmender Radikalisierung und Verbreiterung sind die bürgerlichen Parteien aber schnell auf Abstand gegangen. Der PS verhielt sich ambivalent, was man etwa am peinlichen Hin und Her beim gemeinsamen Antrag von LFI und PCF in der Nationalversammlung zur Absetzung der Regierung gesehen hat. Offene und unzweideutige Unterstützung erfährt die Bewegung nur durch La France Insoumise; der RN versucht zwar, sich dranzuhängen, ist dabei aber immer ambivalent, weil seine beiden politischen Grundsätze – Law and Order und aggressive Agitation im Sinne des nationalen Kapitals – letztlich in deutlichem Gegensatz zu zentralen Motiven der Bewegung der Gilets Jaunes stehen.

Haben die Massenproteste im Zuge des ersten Sozialabbaus Macrons Auswirkungen auf die jetzigen Proteste?

Man merkt vor allem die Folgen dessen, dass der sozialpartnerschaftlich gezähmte Protest einfach zerschlagen wurde. Gewerkschaften, etablierte Parteien, die ganzen Mittlerorganisationen des Klassenkompromisses wurden entmachtet. Macron dachte, er könnte diese gegensätzlichen Interesse alle in einem großen klassenversöhnlerischen Projekt vereinen, während zugleich der Klassenkompromiss von oben aufgekündigt wurde. Jetzt steht er dem Wildwuchs einer Massenbewegung gegenüber, die sich nicht an die früheren Spielregeln hält, weil sie das ganze miese Spiel nicht mehr mitmachen will.

Wie reagiert Macron auf den Gegenwind? Es wird ja immer wieder kolpotiert, er mache Zugeständnisse. Auf der anderen Seite schießt die Polizei munter in die Proteste rein, es gibt mehrere Todesopfer.

Die »Zugeständnisse«, deretwegen die bürgerliche Presse in Deutschland schon den Untergang des Abendlandes herbei phantasierte, weil Frankreich damit nicht mehr die heiligen Haushaltsregeln ihres europäischen Hegemonialprojekts einhalten wird, sind kleine Bestechungsgelder an ausgewählte Teile der Bevölkerung, die die Bewegung spalten und die Unternehmen möglichst nichts kosten sollen. In Frankreich fällt kaum jemand auf diesen Quatsch rein. Die Repression ist unglaublich, neben einer alten Frau, die die Polizei mit einer Tränengasgranate umgebracht hat, wurden auch zahlreichen Demonstrantinnen und Demonstranten Hände abgesprengt oder Augen ausgeschossen. Währenddessen geht die neoliberale »Reformpolitik« weiter.

Was für Gesetzesverschärfungen hat Macron angekündigt oder bereits durchgesetzt?

Gerade erst wurde die « Loi anti-casseur » (« Loi Castaner ») durchs Parlament gepeitscht. Die Regionalverwaltungen können jetzt gegen vermeintliche Störerinnen und Störer landesweite Demonstrationsverbote verhängen, außerdem wurde ein »Vermummungsverbot« eingeführt. Das geht Hand in Hand mit dem exzessiven Einsatz von Tränengas durch die Polizei. Gerade in Toulouse, wo die Bewegung besonders radikal ist, reagiert auch die Polizei besonders aggressiv, dort wird jetzt ein neues, stärkeres Tränengas eingesetzt. In der Vergangenheit war dort auch schon Demosanitätern ihr Material abgenommen worden, bevor die Polizei die vereinigte Demonstration von Gilets Jaunes, Gewerkschaften und Studierenden mit Tränengas auseinandergetrieben haben. Einen Antrag, den Gebrauch der Hartgummigeschosse, auf die ein Großteil der Verstümmelungen zurückgeht, einzuschränken, wurde demgegenüber zurückgewiesen.

Frankreich ist ein sehr zentralistisch organisierter Staat. Macron kommt dies zuteil, da er relativ gut durchregieren kann. Besteht die Gefahr einer neuen Form des Bonapartismus?

Ja und nein. Einen rückgängigen Einfluss der Bourgeoisie auf die Staatsgeschäfte würde ich jetzt gerade nicht verzeichnen. Aber eine Degeneration des Liberalismus hin zu autoritärer Führung ohne Massenbasis ist klar erkennbar, und die V. Republik bietet auch die passenden Voraussetzungen dafür, dass sich eine Präsidialdiktatur etablieren kann, ohne dass es dafür eines Putsches bedürfte. Mitterrand nannte die Verfassung nicht ohne Grund »Staatsstreich in Permanenz«. Grob würde ich sagen: In dieser Situation, in der das Volk einerseits die faschistische Option als Alternative klar zurückgewiesen hat (wie in der letzten Präsidentschaftswahl), aber andererseits nicht mehr bereit ist, den Neoliberalismus als alternativlos hinzunehmen und sich mit offenem Klassenkampf dagegen wehrt, können die Interessen des Kapitals am besten durch einen autoritären Liberalismus bewahrt werden. Den Weg hat Macron meiner Meinung nach erkennbar eingeschlagen.

Im Osten was Neues

In der Nacht von Samstag auf Sonntag wurde ein 35 Jähriger in Chemnitz ermordet. Unklar sind die Umstände zu großen Teilen immer noch, die vermutlichen Täter sind allerdings in Untersuchungshaft.  Ein irakischer und ein syrischer Flüchtling. Kurden überdies, wie sich kürzlich herausstellte, nachdem tagelang versucht wurde zu kolportieren, der Angriff sei ein islamistischer Terrorakt gewesen.

Weil Sachsen Sachsen ist und Gewalt dort vor allem nicht gern gesehen wird, wenn sie von Nichtdeutschen verübt wird, folgte die nächsten Tage was den Meisten schon bekannt sein dürfte: Sonntags mobilisierten Chemnitzer Hooligannetzwerke und Rechte Gruppen unter dem Motto „Wir holen uns unsere Stadt zurück“ zu einer Spontandemo, auf der klargemacht wurde wie das Motto gemeint ist:

Mit klassischen Parolen der Kameradschaften und unter denselben Rufen die am selben Tag 26 Jahre zuvor vorm Sonnenblumenhaus in Rostock Lichtenhagen zu vernehmen waren, als Nazis es mit Brandsätzen und Steinen angriffen, „Deutsch-Sozial-National und eben „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“, zogen bis zu 1000 Nazis durch die Stadt, machten Jagd auf alle die ihnen nicht deutsch genug aussahen und Linke.

 

Die Polizei, von Kurzfristigkeit der Mobilisierung und der Größe des Mobs wohl hier noch überrascht, scheiterte daran die Umsetzung einer temporären national befreiten Zone zu verhindern. Am folgenden Montag wiederholte sich das Versagen auf schlimmerer Ebene. Erneut war eine Demonstration angekündigt, diesmal mit öffentlicher Mobilisierung, mit Schützenhilfe der AfD, kurz mit mehr Reichweite, mehr Infrastruktur und dem Erfolgsmoment für die Nazis, am Vortag die Stadt für sich gehabt zu haben, im Rücken.

Die Sächsische Polizei allerdings wurde einmal mehr ihrem Ruf gerecht es mit der Durchsetzung des Rechts bei Nazis nicht ganz so genau zu nehmen. Wenige hundert Beamte sicherten die Kundgebung ab, auf der dutzendfach Hitlergrüße gezeigt wurden, von der Flaschen und Pyrochtechnik auf die antifaschistische Gegendemo geworfen wurden und von der wiederum, nach Ende der Veranstaltungen Angriffe auf Antifaschisten ausgingen.

Für den nächsten Samstag mobilisiert die AfD nun im großen Stil. Klar ist: Man will die Erfolge von Sonntag und Montag wiederholen. Befürchtet wird, dass bis zu 10.000 in Chemnitz demonstrieren werden. Ob die Sächsische Polizei diesmal gewillt ist, und sei es nur um ihren Imageschaden, den sie in Teilen der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit durch ihr gewähren-lassen noch erleidet, abzuwenden, Gewalt gegen Chemnitzer Flüchtlinge und Linke zu unterbinden bleibt abzuwarten. Dass all dies in Sachsen passiert ist, ist nicht überraschend, ist der Freistaat schon seit Jahrzehnten für eine florierende Naziszene bekannt, wobei der Übergang zwischen „normalen“ Rassisten und organisierten Neonazis gerade hier oft fließend ist.

 

Eine neue Qualität aber hat Chemnitz. Nicht, weil es dort wesentlich brutaler zuging als bei Nazievents in der  Vergangenheit. Nicht, weil die Polizei, wenn überhaupt, dann nur zögerlich eingreift. Was jeder rechtsnationalen Partei der letzten Jahrzehnte misslungen ist, gelang hier der AfD: Organisierte Naziszene und  „besorgte Bürger“ in der Sache vereint zusammenzubringen und einen medialen Diskurs zu schaffen, flankiert von AfD Verlautbarungen und Tweets, in dem Hitlergrüße und Menschenhatz höchstens als unangenehme Lappalien auftreten. Es darf durchaus als Zäsur gelten, dass ein Naziaufmarsch dieser Größe und dieser Militanz von der (vorgeblich) bürgerlichen Rechten so stark begrüßt und unterstützt wird.

Dass, wer sich dafür entscheidet ein gemeinsames Anliegen mit Neonazis zu haben, ein politisches Subjekt ist, dass genau dafür auch Verantwortung trägt, ist nicht nur vielen Leitmedien Anathema sondern auch einigen Ex-Antideutschen, die nunmehr unter dem Namen „Ideologiekritik“ firmieren, keinerlei Erwähnung mehr wert. So sehr sieht man sich dort im Kampf gegen den politischen Islam eingebunden, dass noch am banalsten deutschen Mob etwas Verteidigungswertes gefunden werden soll. Wenn die Empörung so groß ist, dann müsse ja etwas dran sein, an der Sache mit den Flüchtlingen, so billig, so propagandistisch ist die weiter um sich greifende Logik.

Es ist kein Glückstreffer den die AfD mit Chemnitz gelandet hat, sondern Ergebnis ihres strategischen Kalküls. Cottbus und Kandel dürfen hier exemplarisch als Vorläufer dienen, bei denen lokale Strukturen unterstützt wurden und durch Pressearbeit seitens der Partei zusätzliche öffentliche Aufmerksamkeit erhielten.

 

In Zeiten in denen große deutsche Zeitungen die Frage stellen, ob es nicht doch vertretbar sei, Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken zu lassen, wäre es mehr als nur naiv daran zu glauben, die gesellschaftliche Resistenz gegen weitere Vorstöße der AfD sei so groß, dass diese, samt der inzwischen offensichtlich gut integrierten neonazistischen Straßenkampftruppe, auf absehbare Zeit keine ernsthafte Gefahr darstelle. Sicher, die meisten westdeutschen Großstädte dürften von Geschehnissen wie in Chemnitz vorerst verschont bleiben, auf den immer erfolgreicheren Kurs der AfD, sowohl mediale Diskurse zu dirigieren, als auch den klassischen Straßenaktivismus der deutschen Naziszene einzubinden, nicht zu reagieren erscheint schlicht und ergreifend als fatal.

Daran ändern auch keine buntdeutschen Saubermannevents etwas, wie man sie fürs nächste Wochenende und den kommenden Montag erwarten darf, bei denen aber in altbekannter Hufeisenmanier, im gleichen Atemzug mit der Kritik der Vorkommnisse der vorigen Woche eine Absage an den Linskextremismus und eine Mahnung vor antifaschistischen Interventionen erfolgen wird.

Dieser Interventionen bedarf es immer dringender.

Demoaufruf für Chemnitz, Samstag den 01.09.2018

Die Ereignisse aus Chemnitz sind allen bekannt: Der rechte Mob hatte Sonntag und Montag die Stadt zumindest teilweise in der Hand, der bürgerliche Staat hat versagt und war effektiv nicht handlungsfähig. Am Montag stellten sich über 1000 Menschen den Rechten entgegen, die bis zu 6000 Menschen mobilisieren konnten und zu ca. einem Drittel gewaltbereit bis gewalttätig waren. Die Polizei und das Bundesland Sachsen haben auf ganzer Linie versagt und marodierenden Männergruppen die Straße überlassen. Die Jagdszene, die Angriffe auf Migranten, Journalist*innen und Antifaschist*innen sind durch die Medien gegangen, ebenso die Hitlergrüße und die rechten Parolen.

Für den Samstag hat sich nun ein Bündnis aus Pegida und AfD angekündigt, die Landesverbände Sachsen + Anhalt sowie Thüringen mobilisieren. Höcke wird reden, mehr oder weniger das gesamte rechtsradikale Spektrum ruft zur Teilnahme auf. Nach den Mobjahren 2014 bis 2016 hat man inzwischen mit der AfD eine Partei im Rücken und nutzt Chemnitz als Anlass um wie in Kandel und Cottbus die lokale rechtsradikale Szene zu bündeln und einen direkten Kanal zwischen Partei und rechtem Mob herzustellen. Man probt den Aufstand gegen die BRD, man will schauen wie weit man gehen kann und dann analysieren wie man beim nächsten Mal nocj weiter kommt.

Aus diesem Grund ist es absolut notwendig am Samstag so zahlreich wie es nur irgendwie geht nach Chemnitz zu reisen. Die bis zu 6000 vom Montag können locker gerissen werden, es ist Wochenende und die AfD fährt große Kaliber auf. Im Zeiten wie diesen ist eine militante und zahlreiche Antifa bitter notwendig. Was im Chemnitz auf der Straße zu sehen war ist die Keimzelle des Faschismus, die gewalttätigen Männerbünde. Fahren wir nach Chemnitz und bieten diesem Mob Einhalt!

Aktuelle Infos bekommt ihr beim Bündnis Chemnitz Nazifrei

Demobericht Chemnitz 27.08.2018 – Kaltland in Kaltland

Man weiß eigentlich gar nicht wo man anfangen soll. Vielleicht die wenigen positiven Dinge vorweg: Es waren sehr viel mehr Antifaschist*innen auf der Demo als erwartet. Die Hoffnung ging Richtung 500, vor Ort waren es dann etwa 1200. Und der zweite „positive“ Punkt: Es hätte schlimmer kommen können als gekommen ist. Aber der Reihe nach. Am Sonntag trudelten die Nachrichten eines rechten Mobs aus Chemnitz ein. Um die 1000 Rechte zogen pöbelnd durch die Stadt, völlig unzureichend von der Polizei begleitet und machten Jagd auf alles was nicht nach Biokartoffel aussah. Das befürchtete Pogrom blieb aus, es gab dennoch Verletzte und das rechte Spektrum mobilisierte deutschlandweit für den kommenden Tag, Montag den 27.08. Für 17 Uhr wurde eine Gegenkundgebung angemeldet um den Rechten zumindest ein bisschen was entgegenzusetzen. Auf allen verfügbaren Kanälen wurde mobilisiert, die Reise nach Chemnitz war dennoch mit einem großen Fragezeichen über die Situation vor Ort versehen.

 

Eine direkte Anreise wäre zu gefährlich gewesen, daher wurde ab Leipzig die gemeinsame Anreise wahrgenommen. Mit den etwa 150 Antifaschist*innen bewegt es sich dann doch erheblich sicherer als auf eigene Faust. Ausgehend von den bisherigen Erfahrungen rechneten eigentlich alle mit starken Vorkontrollen am Bahnhof und einem Wanderkessel zur Kundgebung. Stattdessen gab es ein loses Geleit von ca 15 Cops. Auf dem Weg zur Kundgebung gab es immer wieder kleine Gruppen Rechter zu sehen und an einer Stelle hatten die Cops Mühe eine größere Gruppe von ca 30 Faschos abzudrängen. Angekommen auf der Kundgebung gab es dann wie bereits geschrieben die positive Überraschung, dass so viele Antifaschist*innen zur Kundgebung gekommen sind. Die innere Anspannung ließ erst einmal nach.

 

Die linke Kundgebung fand direkt gegenüber des Karl-Marx-Monuments statt, an dem sich die Rechten sammelten. Hier machte sich von Anfang an die völlige Fehleinschätzung der Polizei bemerkbar: Es gab nicht mal Hamburger Gitter. Nirgends. Man fuhr dann eine Reihe Wannen zwischen die beiden Kundgebungen, mehr als einzelne Copgrüppchen waren aber nicht zu sehen. Man konnte auch problemfrei die Seiten wechseln wenn man sich etwas links hielt, egal ob Presseausweis oder nicht. Ab 18 Uhr füllte es sich dann bei den Rechten und insgesamt fanden sich 2500 bis 3000 am Monument ein, dazu noch etliche im Stadtgebiet. Insgesamt schätzen wir etwa 4000 Rechte, bedingt durch die unübersichtliche Lage lässt sich das schwer sagen. Es können auch mehr gewesen sein.

 

Als Bild bot sich ein harter Kartoffelacker, der von den besorgten Feierabendrassist*innen und (nicht so vielen) patriotischen Muttis bis hin zu Neonazis, Kameradschaftlern und Hools so ziemlich alles bot. Circa ein Drittel davon ist als gewaltbereit bis gewalttätig einzuschätzen gewesen. Insgesamt waren erstaunlich wenig Fahnen und Flaggen zu sehen, man hielt ein paar Banner hoch und brüllte sonst lieber alkoholgeschwängert oder zugestofft rechte Parolen. Ein merklicher Teil der Rechten war nicht nüchtern. War die Lage anfangs noch entspannt und passierte nichts von großer Relevanz außer gegenseitigem Anbrüllen und einigen inzwischen hinlänglich bekannten Hitlergrüßen wurde es ab ca 20 Uhr kritisch. Faschos fingen an Böller und Pyros auf den Gegenprotest zu schmeißen, die Cops taten nichts weiter als die zwei vorhandenen Wasserwerfer aufzufahren und nicht zu benutzen. Dabei gab es die absurde Situation, dass die Ordner der Rechten die eigenen Leute härter angingen als die Cops. Die ließen sich untätig von den Rechten bewerfen. Dann kam es zu mehreren Angriffen auf den Gegenprotest. Einige Male versuchten die Faschos es von vorne, was wegen mangelnder Gitter und Cops auch halbwegs klappte. Zum anderen griffen die in den Seitenstraßen versammelten Hools die Demo von hinten an. Auch dies stellte kein großes Problem für die Rechten dar, gab es doch keine Polizei hinter der Kundgebung. Antifas konnten die Attacken jeweils abwehren, es gab allerdings einige Verletzte und ein Ordner musste wahrscheinlich ins Krankenhaus.

 

Ab etwa 20 Uhr liefen auch Verhandlungen mit der Polizei über eine sichere Abreise vom Kundgebungsort, die Auswärtigen hatte Züge zu erwischen. Bis um 21 Uhr war aber noch immer nichts von einer Art Geleit zu sehen und so entschloss man sich geschlossen als Demo zum Bahnhof zu gehen. Auf dem Weg wurde die Demo dann von diversen rechten Gruppen angegriffen und es ist nur der mangelnden Koordination der Faschos zu verdanken, dass hier nicht Schlimmeres passiert ist. An einer Stelle wäre die Demo beinahe gesplittet worden. Dann trafen irgendwann die ersten Cops ein – und knüppelten auf die Antifas ein, die gerade die Reihen neu sortierten um sich auf Angriffe von allen Seiten wehren zu können. Völlig überfordert von der Gesamtsituation prügelten die Cops erst mal auf alles ein was ihnen vors Tonfa kam und trieben Teile der Demo fast in die umstehenden Faschogruppen. Auf dem weiteren Weg zum Bahnhof trafen dann langsam immer mehr Cops ein und ein paar hundert Meter vor Erreichen des Bahnhofs kann man von einer halbwegs akzeptablen Präsenz sprechen. In der Zwischenzeit griffen die Rechten immer weiter mit Steinen und Pyros an, gingen auf die Demo und die Cops los. Es gab mehrere Verletzte. Gegen 21:40 erreichte die Demo dann den Bahnhof und fuhr mit den wartenden Zügen aus Chemnitz weg, während der Rechte Mob die Straßen fast nach Belieben kontrollierte.

 

Was bleibt zu sagen? Polizei und Politik haben auf ganzer Linie versagt. Und zwar so richtig. Die Drecksbullerei stand mit 300 Leuten völlig überfordert und ohne irgendeine Art von Konzept kurz vor dem Zusammenbruch, der Mob konnte fast ungehindert Leute angreifen und auf die Cops scheißen, die nichts machen konnten. Schon am Sonntag war die Polizei rechtzeitig gewarnt worden und gnadenlos unterbesetzt. Und genau das Gleiche passierte gestern auch wieder. Es ist hier völlig egal pb das jetzt eine falsche Einschätzung der Lage war (Polizeisprecher) oder nach bewusster Unterlassung aussieht (da tendieren wir zu), die Cops haben auf ganzer Linie versagt und als Sahnehäubchen haben die Bullen dann auch noch ordentlich in die Antifas reingeholzt. Wir bedanken uns bei allen Antifaschist*innen vor Ort und wünschen allen Verletzten eine gute Besserung. Sachsen ist einfach ein verlorenes Bundesland. Und zwar vom Nazidreck über die Bullen bis hin zur Landespolitik und –regierung. Danke für nichts.

AfD fordert Antifaverbot – lustig oder nicht?

Fünf Abgeordnete der AfD fordern ein Verbot „der Antifa“ als terroristische Vereinigung. Auf den ersten Leser mag man da sehr belustigt sein, schließlich gibt es nicht „die Antifa“ und erst recht keine Vereinigung, die man verbieten könnte. „Antifa“ ist erst einmal nur ein Wort, welches alle Personen für sich deklarieren können und welches inhaltlich auch davon abhängt, was man denn jetzt genau als faschistisch ansieht. Je nach Auslegung und Lesart fallen da ganz unterschiedliche Inhalte drunter und selbst die AfD könnte sich – einer kruden Logik folgend – als antifaschistisch bezeichnen, da sie ja gegen „Linksfaschismus“ vorgeht. Was sie ja auch tatsächlich manchmal tut, Bernd Höcke lies seine Folgschaft auf einer Demo „Nazis raus!“ in Richtung des Gegenprotests brüllen.

Und nicht nur ist Antifa ein ziemlich unscharfer Begriff, es gibt auch schlichtweg keine Vereinigung, die man als „die Antifa“ verbieten könnte. Mal von der persönlichen Wertschätzung abgesehen, haben wir überhaupt nichts mit der Zecko zu tun und die autonome antifa w (die in Wien ja eh nicht von einem deutschen Verbot betroffen wäre) nichts mit der Hipster Antifa Greifswald. Es gibt keine personellen Überschneidungen und keinerlei koordiniertes gemeinsames Handeln. Rein juristisch gesehen, ist ein Verbot von DER Antifa schon mal gar nicht möglich. „Was für Hohlfritten!“ mag die geneigte Aktivistin jetzt denken. „Die sind ja so blöd und können nicht mal Gesetze verstehen!“ Doch, können sie. Und die Verbotsforderung geschieht nicht ohne Grund. Sie fügt sich ein in eine elementare Strategie der AfD und weiter Teile der Rechten.

 

 

Äußerer und innerer Feind

 

Um diese zu verstehen, muss man sich Teile der Ideologie anschauen, die in der AfD vertreten wird. Vom nationalkonservativen bis hin zum vollfaschistischen Flügel werden Teile oder gleich die komplette Konzeption der bürgerlichen Gesellschaft abgelehnt. Der große Feind sowohl des klassischen Konservatismus als auch des Faschismus sind der Liberalismus und der mit ihm verbundene Universalismus. Diese sind nicht mit nationalistischen oder völkischen Gesellschaftskonzeptionen unvereinbar und gehören somit bekämpft. Hinzu kommt die Notwendigkeit klarer Feindbilder und zwar mindestens zweier: des inneren und des äußeren Feindes. Schaut man sich faschistische und nationalistische Ideologien an, findet man immer klare Feinmarkierungen, gegen die es das eigene Zwangskollektiv zu verteidigen gilt.

Einmal nach außen hin, um innerhalb der Bevölkerung eine gewisse Einheit herzustellen. Sehr anschaulich war dies 1914 zu beobachten, als es auf einmal keine Parteien, sondern nur noch Deutsche gab. Aber nicht nur in Deutschland, in allen beteiligten Ländern war das nationale Kollektiv auf einmal wichtiger als alles andere. Und dann braucht man noch einen inneren Feind, der das Kollektiv von innen heraus zu zerstören sucht und somit harte Repressionsmaßnahmen rechtfertigt, mit denen praktischerweise mehr oder weniger alle kritischen Stimmen unterdrückt werden können. Hilfreich ist hier ein Blick auf den Carl Schmitts Begriff des Politischen. Dieser Betrachtung folgen viele im rechten Spektrum.

Und wie sieht das nun bei der AfD aus? Der äußere Feind ist klar: Generell alles, was man als kultur- oder volksfremd definiert, ganz speziell natürlich der Islam. Der innere Feind stellt dagegen der schon genannte Liberalismus dar, die bürgerliche Gesellschaft an sich. Und daher ergibt es aus Sicht der AfD auch Sinn, wenn man von CDU bis TOP Berlin alles in ein Linkskartell einsortiert. Die bürgerlichen Parteien wollen völlig überraschend eine bürgerliche Gesellschaft und streiten sich über die genaue Ausrichtung dieser. Linksradikale Kräfte wollen über die bürgerliche Gesellschaft hinaus und die mehr oder weniger erreichte rechtliche Gleichberechtigung auch in eine gesellschaftliche Gleichstellung aller erweitert sehen. Freiheit und Gleichheit eben nicht nur auf dem Papier, sondern auch im realen Leben. Nicht nur ein rechtlicher, sondern auch ein materieller Universalismus. Beides geht natürlich für Personen überhaupt nicht, die die bürgerliche Gesellschaft ablehnen. In der krassesten Form nimmt dieses antiliberale Ressentiment die Form von Verschwörungstheorien an und gipfelt im Antiamerikanismus und in der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung.

 

Gezielter Realitätsverlust

 

Man weiß in der AfD natürlich, dass es „die Antifa“ als solche nicht gibt, man braucht sie als ideellen Gegner, an dem man sich unermüdlich abarbeiten kann. Man braucht sie als Verkörperung des inneren Feindes, als ideale Projektionsfläche. Daher gibt man dieser Projektionsfläche möglichst großen Einfluss, damit die dagegen zu unternehmenden Gegenmaßnahmen auch besonders radikal sein können. Wenn man dies weiß, verwundert es auch nicht weiter, wenn im Bundestag SPD, Grüne und Linkspartei wider jeder Realität als parlamentarischer Arm der Antifa bezeichnet werden. Die jetzige Verbotsforderung zeigt auch sehr gut, wohin die Reise mit AfD geht. Solange es um die Bekämpfung eines politischen Gegners geht, muss man es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen. Hauptsache der Gegner ist bekämpft. Ob das nun rechtsstaatlich passiert oder nicht, ist unerheblich.

Bereits jetzt übt die AfD massiven Druck auf linke Projekte aus und nutzt das System der kleinen Anfragen, um an Informationen zu kommen und (mögliche) Zusammenhänge aufzuzeigen. Man bringt sich bereits jetzt gegen den inneren Feind in Stellung und versucht die gesellschaftliche Stimmung dahingehend zu beeinflussen, dass mehr Leute diese Ansichten teilen und schärfere Maßnahmen fordern. Damit wird schon einmal vorbereitet, was dann bei angestrebter Machtübernahme mit radikaleren Mitteln und Zugriff auf den Staatsapparat durchgeführt werden soll: Eine Säuberungswelle all dessen, was man als links ausmacht. Die Verbotsforderung mag daher skurril klingen und zur allgemeinen Belustigung beitragen. Den ernsten Hintergrund dieser Angelegenheit darf man aber nicht ignorieren. Selbst wenn es auch noch in weiter Ferne liegt, dass die AfD ihre Säuberungspläne tatsächlich in die Tat umsetzen kann.

Die konstant erhobenen Angriffe auf Antifaschist*innen und Linke haben zudem eine nicht zu unterschätzende Scharnierfunktion, um die AfD anschlussfähig an Konservative und Wirtschaftsliberale zu halten. In Dessau arbeitete man zusammen, um Feine Sahne Fischfilet einen Auftritt im Bauhaus zu verhindern. Als Resultat bedankten sich dann Nazis mit einem Banner vor dem Bauhaus für diesen erfolgreichen Kampf gegen links. Über den Kampf gegen links ist die AfD in der Lage, sehr viel größere gesellschaftliche Kreise anzusprechen, als es ihre Wahlergebnisse wiedergeben.

Aufruf zum Protest gegen den Al Quds-Marsch am 09.06.

Samstag – 09. Juni 2018 – 12:00 – U-Bhf Wilmersdorfer Straße/Kantstraße

Am 09. Juni findet erneut der Al Quds-Marsch im Westen Berlins statt. Der Marsch geht zurück auf einen Aufruf des islamistischen, antisemitischen und frauenverachtenden Mullahregimes im Iran aus dem Jahr 1979. Seit Jahrzehnten gehen jährlich von irantreuen Organisationen gesteuert Personen auf die Straße. In Deutschland gibt es enge Verbindungen zur islamistischen Hisbollah, teilweise gab es die Auflage deren Fahnen nicht zu zeigen. Letztes Jahr zogen an die 1000 antisemitisch eingestellte Personen über den Kurfürstendamm, vorbei an der jüdischen Gemeinde dort. Auf einer Zwischenkundgebung am Breitscheidplatz wurde die wahnhafte Position vertreten, dass der Terrorist Anis Amri von den USA, Israel und dem Westen gesteuert worden und der Anschlag mit 17 Toten daher deren Schuld sei. Der klar islamistische Hintergrund wurde geleugnet. Teilgenommen haben unter anderem notorische Antisemiten wie Martin Lejeune oder Usama Zimmermann, diverse Islamisten waren zugegen, Personen kleideten sich im Stil von Hamasterroristen.

 

Berlins Bürgermeister Müller hatte eigentlich vor Monaten angekündigt den Al Quds-Marsch dieses Jahr zu untersagen. Warum dies nicht passiert ist schleierhaft, ein deutliches Signal gegen eine solche höchstantisemitische Veranstaltung wäre in diesen Zeiten dringend notwendig. In den letzten Monaten sind diverse antisemitische Verfälle publik geworden. Am bekanntesten dürfte der Angriff im Prenzlauer Berg sein, als eine Person mit Kippa auf offener Straße angegriffen wurde. Ende letzten Jahres wurde der Besitzer eines jüdischen Restaurants in Berlin minutenlang von einem Mann antisemitisch beleidigt. Beide Videos fanden weite Verbreitung in den sozialen Medien und führten zu öffentlichen Debatten. Die Ankündigung der USA ihre Botschaft von Tel Aviv in die israelische Hauptstadt West-Jerusalem zu verlegen resultierte in antisemitischen Demonstrationen, bei denen teilweise tausende Personen auf die Straße gingen. Dabei wurden auch die Flaggen der PFLP, der Hezbollah, des Irans, der Türkei und der Hamas gezeigt. An diesen Demonstrationen war auch die Neuköllner Gruppe Jugendwiderstand beteiligt. Unter anderem wurden jüdische Personen am Brandenburger Tor bei der Einweihung des Hanukkah-Leuchters beschimpft. Der Jugendwiderstand zeigt sich auch für mehrere Angriffe auf Personen mit Davidstern verantwortlich. Erst am vergangenen Samstag wurde Jugendliche für das Hören von israelischer Musik antisemitisch beleidigt und angegriffen, sie mussten teilweise im Krankenhaus versorgt werden.

 

Die Zahl der antisemitischen Vorfälle ist in den letzten Jahren wieder angestiegen und wie bereits geschrieben kommt es dabei auch zu körperlichen Angriffen auf jüdische Personen – oder solche, die als jüdisch oder auch nur solidarisch mit dem Staat Israel gesehen werden. Seit dem Holocaust hat sich der Antisemitismus hier in Deutschland von einem offenen Judenhass in eine codierte Version in Form der angeblichen Ablehnung von Israel und israelsolidarischen Personen gewandelt. Antisemitismus wird sehr häufig als Rassismus gegen Juden verstanden und mit diesem Trick meint man dann dem Label „Antisemitismus“ entgehen zu können. Dabei ist Antisemitismus im Gegensatz zum Rassismus eine wahnhafte und geschlossene Welterklärung. Diese kann auch rassistische Elemente enthalten. Vor allem unter den Nationalsozialisten mit ihrem Rassenwahn wurde die Vernichtung der jüdischen Rasse quasiwissenschaftlich zu begründen versucht. Antisemitismus beruht auf verschwörungstheoretischen Zuschreibungen auf „die Juden“. Klassische Elemente sind die Steuerung der Welt durch geheime Mächte, ein parasitäres und zersetzendes Verhalten, Geld- und Machtgier, Hinterlistigkeit, Verschlagenheit und das Vergiften der Gesellschaft. Der Staat Israel hat für viele Personen die gleichen Eigenschaften, die man im klassischen Antisemitismus den Juden zugeschrieben hat. Vieles von dem, was unter Israelkritik firmiert, ist klassischer Antisemitismus. Es werden einfach die Juden durch den Staat Israel ersetzt und das Ganze dann „Antizionismus“ genannt.

 

Aus antifaschistischer Sicht ist ein Protest gegen den Al Quds-Marsch zwingend notwendig. Antisemitismus ist nichts, was man tatenlos auf offener Straße durch Berlin ziehen lassen kann. Wohin Antisemitismus im schlimmstmöglichen Fall führen kann ist uns allen bekannt – die Shoa bzw. der Holocaust. Das alltägliche Leben für jüdische Personen in Deutschland ist immer noch von Diskriminierungen, Beleidigungen und Angriffen geprägt, ein Blick in die Liste dokumentierter Vorfälle der Recherchestelle Antisemitismus (https://report-antisemitism.de/#/public) verdeutlicht dies neben den schon genannten Ereignissen eindringlich. Speziell in Deutschland ist es eine historische Verantwortung sich gegen jede Form des Antisemitismus zu stellen – egal von wem er geäußert wird. Der Al Quds-Marsch selbst ist ein islamistischer Aufmarsch, der nicht nur antisemitisch ist. Da er direkte Verbindungen zum islamistischen Mullahregime des Irans aufweist, ist er frauenfeindlich, antiliberal und homophob. Alles sehr gute Gründe um dagegen auf die Straße zu gehen. Daher rufen wir zum Protest gegen den Al Quds-Marsch in Berlin am 9.6.2018 auf. Wir sehen uns auf der Straße.

 

Demobericht „Nazis mattsetzen“ – Erfurt 01.05.2018

Für den gestrigen Dienstag hatte sich die NPD in Erfurt angekündigt. Zum Tag der Arbeit wollte man an den nationalsozialistischen Vereinnahmungsversuch des klassisch linken Arbeitskampftages anknüpfen. 12 Uhr war offiziell als Startzeitpunkt angegeben. Der Gegenprotest sammelte sich früher, um 10 begann eine Demonstration des DGB, die dann gegen 11 zum offiziellen Gegenprotest dazustieß. Rund um die Naziroute waren angemeldete Kundgebungen platziert, somit gab es immer Anlaufpunkte im Zielgebiet.

Während die Gegendemo pünktlich an Hauptbahnhof ankam, gab es bei den Nazis Verspätungen. Das Problem: Es gab zu wenig Ordner und so musste Sebastian Schmidtke tatsächlich auf der Bühne nach Leuten ohne Vorstrafen fragen, andernfalls hätte die Demonstration nicht starten können. In der Zwischenzeit versuchten diverse Kleingruppen auf die Strecke zu kommen und diese zu blockieren, die überschaubare Straßenbreite und -anzahl entlang der Route ermöglichte es der Polizei jedoch, relativ problemfrei dies frühzeitig zu unterbinden.

Vom Gegenprotest lösten sich viele Personen und versuchten, über den Stadtpark auf die Route zu kommen. Die Polizei blockierte daraufhin den Protrest und kesselte ihn effektiv in Richtung der Nazis ab. Die abgeflossenen Gruppen wurden teilweise mit Pfefferspray und Knüppel angegriffen, es gab einige Verletzte. Diese mussten zum Teil ins Krankenhaus und auch die Polizei sah sich genötigt entgegen der sonst üblichen Kommunikation offiziell von Verletzten Demonstrierenden zu schreiben. Es wurde auch eine zivile Person verletzt.

Mit etwas Verzögerung konnte die NPD-Demo dann starten. Zu sehen gab es das übliche Spektrum aus JN, Kameradschaftsstrukturen und Parteikadern. Auch die Sektion Nordland aus Hamburg war wieder vertreten, ebenso ein paar autonome Nationalisten. Inhaltlich gab es auch keine großen Überraschungen, jedoch war es wieder erstaunlich wie offen man zu den eigenen Ansichten stand. So gab es mit „Antisemiten kann man nicht verbieten!“ und „Nie nie nie wieder Israel!“ ein ganz offenes Bekenntnis zum antisemitischen Vernichtungswahn. Auch die von der Identitären Bewegung popularisierte Parole „Jugend, Europa, Reconquista“ gab es in der Abwandlung „Jugend, Europa, Widerstand“ zu hören.

Der Gegenprotest durfte dann irgendwann zum Kundgebungsort am südlichen Ende der Naziroute, auch hier gab es einige Ausreiß- und Blockadeversuche, die Polizei konnte aber alle unterbinden. Den meisten Teil der Strecke konnten Nazis ohne Gegenprotest laufen, eine Blockade mit ca 20 Leuten wurden schnell geräumt. Zum Schluss schafften es noch einige Aktivist*innen auf die Nordseite des Bahnhofs, der Hauptteil des Gegenprotestes wurde aber auf der Südseite am direkten Gegenprotest gehindert. Insgesamt gab es zwei Ingewahrsamnahmen, die NPD konnte relativ ungestört die Route ablaufen.

Demobericht Schnellroda 20.01.2018

Viel hört und liest man über Schnellroda und das Anwesen des dort ansässigen Faschisten Götz Kubitschek. Eng verwoben ist der Name mit der Zeitung „Sezession“, dem Antaios-Verlag, der Orga „Ein Prozent“, dem hochtrabend „Institut für Staatskunde“ (IfS) genannten Schulungszentrum für faschistische Kader wie zum Beispiel der Identitären Bewegung. Kein Wunder, ist er doch federführend in allen ivolviert. Kubitschek und Frau Kositza wissen sich zu vermarkten und konnten in den letzten zwei Jahren diverse Fascho Foto Lovestorys in den großen Medien einsacken. Die Realität ist dann so unspektakulär wie der wolkige Samstag mit knapp über null Grad, an dem dort gegen die gerade stattfindende Winterakademie des IfS demonstriert wird.

Schnellroda ist ein Dorf. Und mit Dorf ist hier DORF gemeint. 200 Einwohner*innen dürfte es haben, ohne Kubitschek würde niemand diesen Ort außerhalb eines 10-Kilometer-Radius kennen. Auf den Äckern liegt noch Schnee, der Boden ist moddrig. Von Halle aus hat das Kollektiv „IfS dichtmachen“ die Anreise organisiert. Am Bahnhof laufen grölende Fußballfans ein, der Hallesche FC spielt. Ein paar Cops schauen argwöhnisch, der Dresscode all black everything fällt eben doch auf.

In Schnellroda selber gibt es fünf interessante Punkte. Einmal den Sammel-, Demostart- und Endpunkt sowie die zwei Standorte, an denen Infostände über das IfS und co aufklären. Dann das Gehöft von Kubitschek (auf dem groß Antaios steht) und die Gaststätte „Zum Schäfchen“, in dem die Winterakademie stattfindet. Am Sammelpunkt laufen einem Lothar und Katharina König über den Weg, Antifa bleibt eben Lamdarbeit. An den beiden Infopunkten hängen ein paar Transpis und es gibt Infobroschüren mit Rechercheartikeln aus den letzten beiden Jahren. Viel Aufmerksamkeit bekommen diese aber nicht. Es ist anzunehmen, dass inzwischen eh alle im Dorf wissen, wer ihr Nachbar ist. Aufmerksamkeit erregen sie trotzdem, fahren doch etliche Autos vorbei. Spätestens jetzt weiß man im Dorf, dass wieder einmal eine Schulung stattfindet. Es haben sich wohl schon Anwohner*innen solidarisch mit den Protesten geäußert und gegen Kubitschek positioniert. Es ist allerdings verständlich, wenn man in einem so kleinen Ort darauf verzichtet dies zu öffentlich zu tun, vor allem wenn sich die Person der Ablehnung regelmäßig Schläger wie Mario Müller einlädt.

Viel gibt es in Schnellroda nicht zu sehen. Neben dem Gehöft von Kubitschek und der Gastronomie „Zum Schäfchen“, welche auch schon bessere Zeiten gesehen hat, fällt eigentlich nur eine Südstaatenflagge auf einem Hof auf. Rednecks im Hinterland von Sachsen-Anhalt, was es nicht alles gibt. Ansonsten ist ziemlich viel Polizei aufgefahren, man will mögliche Konfliktsituationen von vornherein unterbinden. Auch zwei Hunde sind dabei. Im Endeffekt waren die Cops aber auch nur untätig. Während beim letzten Mal noch zig Faschos draußen standen und pöbelten, gab es hier bis auf ein paar Versprengte niemanden, der irgendwie Aktionsbedarf hatte. Mario Müller ließ sich zu einer kurzen Provokation verleiten, bei der ihm dann aber die Nase geklaut wurde. Ja, so wie bei dem Kinderspiel. Auf der abschließenden Demo durchs Dorf wurde das dann auch entsprechend mit einigen „Du hast die Nase schön“-Chören von den Antifaschist*innen honoriert. Diese zog einmal durch die kleine Ortschaft, Zwischenkundgebungen beim Schäfchen und hinter Kubitscheks Gehöft. Müller fotografierte die Demo ab, ansonsten passierte nichts. Nach der Demo reiste man dann ungestört ab und kurz nach 18 Uhr war man wieder in Halle.

Was bleibt, ist eine an sich unspektakuläre Veranstaltung. Aber Antifa bleibt Landarbeit und man macht das ja alles auch nicht ausschließlich aus Spaß an der Freude, sondern aus einer Notwendigkeit heraus. Vor allem auf dem Land. Und jetzt hat man das alles mal mit eigenen Augen gesehen – auch wenn es nicht viel war.

Gedenkdemo am 09.11.2017 in Berlin-Moabit + BDS am Potsdamer Platz

In Berlin-Moabit haben heute etwa 500 Menschen an einer antifaschistischen Gedenkdemo zum Jahrestag der Novemberpogrome teilgenommen. Nach eine Eröffnungskundgebung an der Gedenkstätte Levetzowstraße, wo eine der größten Synagogen Berlins stand, ging es über die Beusselstraße zu einer Zwischenkundgebung am ehemaligen Judenhaus in der Turmstraße 9 und von dort zum Endpunkt am ehemaligen Deportationsbahnhof Moabit, heute S-Bhf Westhafen.

Bei der Auftaktkundgebung wurde Klezmermusik dargeboten, es gab Redebeiträge von einem Holocaustüberlebenden und den VVN-DBA Berlin. Später hatte unter anderem die Gruppe Andere Zustände Ermöglichen einen Redebeitrag. Es wurde die Zerstörungswut der Novemberpogrome geschildert und anschaulich an den Kundgebungsorten dargelegt. Der Deportationsbahnhof war frei einsehbar und die zu Deportierenden wurden entweder per Laster gebracht oder zu Fuß über die Straße getrieben.

Die Demonstration wurde immer wieder von der Seite angepöbelt, für die Störungen zeigten sich palästinensische Nationalist*innen verantwortlich. In den Redebeiträgen wurde über den israelbezogenen Antisemitismus aufgeklärt, der sich leider in einigen linken Strömungen wiederfindet. Zudem wurde auf die aktuelle Gefährdung der Gesellschaft sowie des Andenkens und der Aufklärung über die NS-Verbrechen durch völkisch-resktionäre Gruppierungen, hauptsächlich der AfD, hingewiesen.

Weitere Bilder von PM Cheung

In Berlin gab es weitere Demonstrationen und Veranstaltungen zu den Novemberpogromen. So veranstaltete die Antifa Oranienburg eine Demonstration in Berlin-Orianenburg und in der Hufeisensiedlung in Britz wurde gegen die dortige Naziterrorserie und für die in den letzten Tagen gestohlenen Stolpersteine demonstriert. Der antisemitische BDS, der leider in einige linke Spektren anschlussfähig ist, hatte ab 15 Uhr am Potsdamer Platz eine Veranstaltung zur Delegitimierung Israels angemeldet. Am Jahrestag der Novemberpogrome. Unter dem Aufhänger des Mauerfalls wurde hier antisemitische Agitation versucht. Mehr als 20 Personen fanden sich aber nicht ein und es gab kaum Außenwirkung.

Infostände der Identitären Bewegung (Kontra Kultur) in Halle

In Halle hat die Identitäre Bewegung bereits zwei Mal in den letzten Tagen einen Infostand aufgebaut. Einmal vor dem Haus der Kontra Kultur und einmal auf dem Campus der Martin-Luther-Universität. Unterstützung kam dabei auch von Strukturen außerhalb von Halle. Wirklich überraschend ist das nicht, besteht doch eine Zusammenarbeit mit der Germania Burschenschaft am dortigen Campus. Beide Infostände wurden schnell von antifaschistischen Aktivist*innen mit Gegenprotest bedacht.

Die IB hat versucht Info- bzw. Erstiebeutel zu verteilen. Diese wurden sämtlichst beim Gegenprotest in einem blauen Müllsack abgegeben. Ein IB-Mitglied hat diesen entwendet, was eine Anzeige wegen Diebstahls zur Folge hatte. In beiden Fällen umstellte die Polizei den Stand der IB, der vor dem IB-Haus musste abgebaut werden – er war nicht angemeldet. Die Außenwirkung dadurch kaum gegeben.

Auch wenn die beiden Infostände kein Erfolg waren, ist hier eine bedenkswerte Entwicklung zu verzeichnen. Die Identitäre Bewegung versucht sich aktiv als normaler Teil des universitären Lebens zu etablieren. Faschistisches Gedankengut und Faschist*innen wollen sich damit längerfristig öffentlichen Raum sichern und auf universitäre Strukturen zurückgreifen. Hierbei wird offen nationalkonservativen, reaktionären und faschistischen Burschenschaften kooperiert.

Ähnliches wird in Österreich bereits praktiziert, über den RFS (Ring freiheitlicher Studenten) besteht eine direkte Anbindung an die faschistoide FPÖ und reaktionäre Zirkel. In Berlin bestehen Kontakte zu Burschenschaften der Freien Universität, der Gothia und der Thuringia. Diese Kontakte sind kein Zufall, sondern Teil einer Strategie, nationalistisches, sexistisches, rassistisches und faschistisches Gedankengut über universitäre Kreise aufzuwerten und zu legitimieren.

Daher ist davon auszugehen, dass Aktivitäten wie in Halle in Zukunft öfter zu beobachten sind. Interesse daran haben Gruppierungen wie die IB, die AfD/JA, Kubitschek mit dem IfS und Ein Prozent, Compact sowie diverse nationalistische Burschenschaften. Der Kampf für eine neofaschistische Deutungshoheit soll über die Hörsäle in den wissenschaftlichen Diskurs Einzug halten Seilschaften und Karrierenetzwerke aufbauen.

Quelle Bild: https://twitter.com/valentinhacken_/status/916199193450090496

Infos: https://twitter.com/rumraeubern161

Zeitungsbericht: http://www.mz-web.de/halle-saale/illegaler-infostand-halles-identitaere-bekommen-aerger-mit-der-polizei–28571708?originalReferrer=https://t.co/K5w0IvyWWu&originalReferrer=https://t.co/3LqOFD0qQ8?amp=1

 

 

Volle Konfrontation – Voll gegen die Wand

 
Der spanische Regierungschef, Mariano Rajoy, hat heute in einer vierzigminütigen Rede vor dem spanischen Parlament in Madrid auf die gestrige aufgeschobene Unabhängigkeitserklärung Kataloniens vom katalanischen Regionalpräsidenten, Carles Puigdemont, reagiert.
Bereits gestern Abend direkt nach Puigdemonts mit Spannung erwarteter Rede, hatte ein Sprecher der Zentralregierung verlauten lassen, dass die Unabhängigkeitserklärung Kataloniens inakzeptabel sei. Stimmen aus dem In- und Ausland waren sich indes nicht sicher, was Puigdemont nun tatsächlich gesagt hatte. Hatte er Katalonien für unabhängig erklärt, oder nicht? Wenn ja, hat er auch die Abspaltung erklärt?
Manche hielten seine Formulierung und sein Vorgehen für die verzweifelte Aktion eines Mannes, der mit dem Rücken gegen die Wand steht. Er musste die Regierung in Madrid besänftigen, gleichzeitig aber seine separatistischen Anhänger bei Laune halten. War es ein Zeichen von Schwäche die Unabhängigkeit Kataloniens zu erklären, diese aber direkt wieder auszusetzen?
Andere vermuten eher politisches Kalkül dahinter. Puigdemont hat nicht viel Spielraum und muss sich genau überlegen, was er macht. Ihm nützt vor allem die Konfrontation mit Madrid. Wenn die spanische Regierung weiterhin so repressiv und reaktionär auftritt, wie bisher, kann er sich und seine Anhänger als die Unterdrückten darstellen. Wenn es ein taktischer Schachzug war, ist nun die Frage, wie Mariano Rajoy darauf regiert. 
Dieser trat heute vor das Parlament und schilderte in seiner Rede die Illegalität des Referendums und warum das Ergebnis seiner Ansicht nach nichtig ist. Er sei zwar bereit zum Dialog, lehne jedoch eine internationale Vermittlung, wie sie Puigdemont vorgeschlagen hatte, ab. „Warum sollten Dritte bei uns vermitteln?“ fragte der Ministerpräsident und machte somit deutlich, dass er diesen Konflikt für eine rein interne Angelegenheit Spaniens hält.
Dann fordert er Carles Puigdemont auf, zu erklären, ob er nun Katalonien als einen unabhängigen Staat definierte habe oder nicht. Solle dies der Fall sein, könnte Rajoy den Senat damit beauftragen Artikel 155 der spanischen Verfassung anzuwenden, der es der Zentralregierung gestattet den Präsidenten und die Regierung einer autonomen Gemeinschaft, die gegen Spanien und seine Verfassung handelt, abzusetzen und die Verwaltung zu übernehmen. Im Senat besitzt Rajoys konservative Partido Popular eine absolute Mehrheit. Die Abstimmung über die Anwendung des Artikels wäre nur Formsache.
Es kommt nun darauf an, was Puigdemont genau gemeint hat, als er gestern sagte, dass er als Präsident der katalanischen Regierung das Mandat vom Volk habe, „Katalonien in einen unabhängigen Staat in Form einer Republik umzuwandeln.“ Wenn er Katalonien als souverän definiert hat, so hat Rajoy die rechtliche Grundlage, um Artikel 155 anzuwenden. Da ist es unwichtig, dass Puigdemont die Unabhängigkeit ausgesetzt hat.
Abschließend bewegte sich Rajoy dann doch tatsächlich einen kleinen Schritt auf seine politischen Gegner zu, indem er sagte, er sei zu einer Verfassungsreform bereit, in der der politische Status Kataloniens geklärt werden solle. Dieser Vorschlag wurde auch von der sozialdemokratischen PSOE und ihrem Parteichef Pedro Sánchez unterstützt. Klar ist jedoch, dass ein Austritt Kataloniens aus dem spanischen Staat nicht zu Debatte stehen würde.
Hohes Risiko 
Mariano Rajoy hat das Angebot zum Dialog von Puigdemont nicht ganz ausgeschlagen, es allerdings auch nicht angenommen. Er hat die internationale Vermittlung abgelehnt und das Problem somit zur Chefsache erklärt. Mit seiner Ankündigung Artikel 155 anzuwenden, sollte Puigdemont Katalonien für unabhängig erklärt haben, hat er den reaktionärsten Weg und die härteste Antwort gewählt. Sollte Carles Puigdemont taktisch vorgehen, wie es einige vermuten, macht Rajoy erneut genau das, was dem Separatisten nützt. Wie in dem Strategiepapier für die Unabhängigkeit Kataloniens, das die Guardia Civil im September sichergestellt hat, beschrieben sucht Puigdemont den Weg der Konfrontation, da nur diese ihm nützt. Er hat keine andere Wahl. Rajoy dagegen hat freie Auswahl an Möglichkeiten. Er könnte und er sollte einen Gang runterschalten und das Angebot zum Dialog annehmen. So könnte er die Separatisten diplomatisch ausmanövrieren. Stattdessen hält er voll drauf. Volle Konfrontation und volles Risiko die Einheit Spaniens mit Anlauf gegen die Wand zu fahren.
Nicht nur die Einheit Spaniens. Auch die Einheit und die Existenz der Europäischen Union stünden auf dem Spiel, sollten es Nationalisten tatsächlich schaffen eine kleine Region abzuspalten. Die nächsten Separatisten in Flandern und Norditalien würden sich beflügelt fühlen und ihrerseits den Druck erhöhen. Rajoy und Puigdemont spielen mit dem Feuer und setzten die Zukunft einer jungen Generation aufs Spiel. Das ist das Resultat, wenn zwei Nationalisten nichts als die volle Konfrontation kennen.
 
Das Problem ist der historische Ballast
Die Reaktion Rajoys und seiner Regierung auf das Referendum vom 1. Oktober und die Forderungen der Separatisten, verdeutlichen, wo Spaniens politisches Hauptproblem liegt. Die Quelle der inneren Konflikte ist die zentralistische Regierung in Madrid. Auch wenn sich viele der Gemeinschaften mittlerweile weitläufige Autonomierechte erkämpft haben, hält die Regierung dennoch an ihrem Zentralismus fest. Dieses Relikt des Franquismus ist ein Indiz für die fehlende Aufarbeitung von fast 40 Jahren faschistischer Diktatur. Heute wird zwar in den Schulen Aufarbeitung betrieben, aber die Generationen der Eltern und Großeltern haben nach dem Tod Francisco Francos die Geschichte genauso totgeschwiegen wie die Menschen in Deutschland in der Nachkriegszeit.
Die Partido Popular von Regierungschef Rajoy ist die Partei der konservativen Eltern und Großeltern. Auch wenn sie politisch etwa wie CDU und CSU einzuordnen ist, trägt diese Partei einen gewaltigen historischen Ballast mit sich herum.
Spanien braucht mehr Aufarbeitung. Nicht nur in den Schulen, sondern vor allem auch im politischen System. Die vorgeschlagene Verfassungsreform von Rajoy wird da nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sein. Was wirklich nötig ist sind grundlegende Reformen der staatlichen Struktur des Landes. Der Zentralismus muss abgeschafft werden und die dritte Republik muss gegründet werden. Ein Bundesstaat in dem alle Regionen genügend Freiheiten haben. Nur so kann der Postfranquismus der Partido Popular überwunden werden. Nur so hat Spanien eine Zukunft in Einheit.
Denn ob es eine Lösung ist, wenn sich einzelne Regionen der Kleinstaaterei hingeben und somit wieder ein Zeitalter des Nationalismus einläuten, darüber lässt sich streiten. Mit einer grundlegenden Reform kann Spanien seine Probleme gemeinsam überwinden.

Die Mär vom Linksruck

Im Laufe der Jahre ist immer wieder zu hören gewesen, dass die Gesellschaft nach links gerückt sei. Angela Merkel habe die Union mehr in der Mitte platziert und so die SPD kaputt gemacht. Vor allem im aktuellen AfD-Cluster zur Bundestagswahl wird überall offen darüber diskutiert, dass dieser vermeintliche Linksruck korrigiert werden müsse. Die rechte Flanke soll geschlossen werden. Dieser ganzen Annahme liegen aber mehrere gravierende Fehler zugrunde.

Inhaltslos dank Extremismustheorie

Der erste Punkt ist ein fundamentaler, welcher den komplette politischen Diskurs in Deutschland bestimmt. Es wird davon ausgegangen, dass es rechts und links als sich gegenüberstehende Außenpositionen gibt, die sich in  die jeweils andere Richtung von der Mitte entfernen würden. Diese Mitte sei der natürliche Ausgleich zwischen Beiden. Und weil es Mitte heißt, wird gleichzeitig impliziert, dass hier die richtige und vernünftige Position läge. Wie falsch diese Betrachtung ist, kann nicht oft genug betont werden. Denn sie schaut nicht auf inhaltliche Positionen, sondern auf eine extrem vereinfachte Positionszuschreibung. Sie scheitert schon daran, politische Religiösität einzuordnen. Sind radikaler Buddhismus, Islamismus und christliche Fundis jetzt rechts oder links oder Mitte? Eine fehlende inhaltliche Orientierung führt dann auch dazu, dass alles und nichts „die Mitte“ sein kann. Die sah 1950 anders als 1980 als heute aus. Und wertet auch nicht, ob eine als links angesehene Position nicht eventuell einfach richtig ist und Homosexualität nicht wieder unter Strafe gestellt werden muss.

Wirtschaftssituation und Parteien

Im Vorfeld der Wahl gab es zu lesen, dass mit Ausnahme der Grünen alle Parteien inhaltlich nach links gerückt seien. Auch hier haben wir das Problem des eindimensionalen links-rechts-Schemas. Diese Studie wird nun aber als Beweis dafür genommen, dass das Land ja nach links gerückt worden sei. Wenn das alle Programme aussagen, muss es ja stimmen. Dabei sind Parteiprogramme doch nur Reaktionen auf die Situation im Land. Und die wirtschaftliche Situation ist nun alles andere als in Richtung Überwindung des Kapitalismus gerückt. Die Reallöhne stagnierten im Zeitraum 1991 bis 2012, während der Lebenskostenindex um über 50 Prozent angestiegen ist. Sämtliche Lohnsteigerungen haben also nicht dazu geführt, dass den Arbeitenden real gesehen mehr Geld zur Verfügung steht.

Auch die Verteilung von Lohngewinnen klafft weiter auseinander. So haben die unteren 40 Prozent der Einkommen real gesehen 2015 weniger Kaufkraft als 1995 zur Verfügung. Zudem hat die immer wieder angepriesene Flexibilisierung des Arbeitsmarktes dazu geführt, dass Mini- und Teilzeitjobs stark an. In den letzten Jahren gab es jeweils Höchststände in diesen Beschäftigungsverhältnissen. Insgesamt hat das, was als atypische Arbeit bezeichnet wird, einen Anteil von über 20 Prozent am Arbeitsmarkt. So atypisch scheint sie dann ja nicht mehr zu sein. Eine massive Verschlechterung hat es auch im Bereich der befristeten Angestelltenverhältnisse gegeben. Vor allem die Gruppe der Unter-25-Jährigen ist betroffen. Bei den Frauen hat sich der Anteil seit 1991 fast verdreifacht, bei den Männern fast verdoppelt. Die Höchststände mit teilweise 30 Prozent gab es dabei von 2005 bis 2011. Auch bei den Unter-35-Jährigen hat sich die Quote auf etwa 14 Prozent verdoppelt.

Der Arbeitsmarkt ist also mitnichten „linker“ bzw. gerechter geworden. Im Gegenteil, es profitieren breite Schichten nicht von einem Aufschwung und werden in schlechtere kapitalistische Lohnarbeit gezwungen, da mit der Agenda 2010 auch gleich ein Teil vom sozialen Netz weggebrochen ist. Diese ganzen Zahlen bleiben auch von den Parteien nicht unbemerkt und müssen dementsprechend Auswirkungen auf sie haben. Denn wir reden hier von vielen potentiellen Stimmen. Wenn die Parteiprogramme (nach welcher Methode jetzt auch immer) nach links gerutscht sein sollen, dann ist das möglicherweise die logische Konsequenz darauf, dass es wirtschaftlich genau in die andere Ecke ging und jetzt zumindest ein Minimalstandard eingehalten werden soll, den man im Moment nicht bereit ist zu unterschreiten.

Volkstod und gesellschaftlicher Linksruck

Ein fast schon ewiges Mantra ist auch, dass die Gesellschaft nach links gerutscht sei. Was genau damit gemeint ist, wird aber oft nicht genau ausformuliert. Denn dahinter stecken menschenfeindliche und diskriminierende Aussagen. Vieles ist nämlich kein massiver Aufbruch hin zur Anarchie, sondern einfach normales Geichstellungsbestreben innerhalb des bestehenden Systems. Aber gut, welche Uhr soll denn wieder zurückgedreht werden? Sollen die Gesetzesänderungen im Sexualstrafrecht wieder zurückgenommen und die Vergewaltigung in der Ehe wieder wie bis 1997 straffrei bleiben? Sollen Homosexuelle und queere Menschen wieder massiv gesetzlich benachteiligt werden? Unterstützung und Rechte von Alleinerziehenden wieder beschnitten? Der Ausbau der Kindergärten wieder rückgebaut werden?

Viele Stimmen fordern jetzt wieder ein gesundes Maß an Patriotismus und Nationalstolz. Und ignorieren dabei, was seit 1990 fast 200 Tote durch rechte Gewalt verursacht hat. An zu wenig Nationalstolz lag das sicherlich nicht. Die AfD spielt hier wieder einmal die Vorreiterrolle für den völkischen Rassismus und bringt von höchster Ebene immer wieder die arische Linie in der Frage „Wer ist deutsch?“ ins Spiel. Das ist kein Zufall, ist doch ein integraler Bestandteil der rechtsradikalen Propaganda der Untergang der volksdeutschen Nation, die das einzig wahre Deutschland darstelle. Was von solchen Leuten als „Linksruck“ identifiziert wird, sind einfach weniger diskriminierende und menschenfeindliche Positionen. Es ist aber auch ein Jammer, dass Frauen nicht mehr vom Mann vergewaltigt werden können, ohne das er dafür in Knast gehen kann.

Schwierige Zeiten

Im Zuge dessen wird jetzt immer wieder so getan, als müsse etwas korrigiert werden. Dabei gibt es hier nichts zu korrigieren. In der Wirtschaft hat sich nun wirklich gar nichts in den letzten 20 Jahren in Richtung Überwindung des Kapitalismus getan, es wird einfach mehr schlecht als recht verwaltet. Arbeitskämpfe in Deutschland sind out, betriebliche Mitbestimmung eher uncool und halbwegs okaye Umverteilung ist in Weite ferne gerückt. Deutschland ist im Moment nicht mal mehr sozialdemokratisch orientiert. Und gesellschaftlich hat sich in der Tat ein bisschen was getan – aber eben auch nur ein bisschen. Vor allem wurden Gesetze den realen Erfordernissen angepasst und man hat sich auf den teilweise sehr scheinheiligen Kompromiss eingelassen, Rassismus und Sexismus zumindest offiziell nicht so geilo zu finden.

Aber das Bild eines Linksrucks muss immer und immer wieder betont werden, gerne von Medien und Personen aus dem reaktionären und faschistischen Lager. Denn je dringlicher die Situation dargestellt wird, desto drastischere Maßnahmen können zur Bekämpfung (in diesem Fall von Menschen) gefordert werden. Dabei wird auch keine Korrektur zur vermeintlichen Mitte hin angestrebt (von 1950? 1980? 2000?), sondern ein reaktionärer Backlash. Die Reaktionären wollen eben nicht nur ein bisschen Kurskorrektur, sie wollen komplett auf den völkischen Nationalismus umschwenken. Und genau deshalb ist falsch, hier irgendeine Form von Verständnis aufzubringen.

Wir müssen sämtliche emanzipatorischen Fortschritte, die es gibt, radikal verteidigen. Die bürgerliche Gesellschaft ist dazu im Moment nicht gewillt und beginnt mit einer Normalisierung der AfD und Teilen ihrer Positionen. Eben als „natürlicher Ausgleich“, wie es von reaktionärer Seite immer gerne propagiert wird. Während die deutsche Gesellschaft sich jetzt auch auf allen Ebenen in den reaktionären Rutsch der anderen Industrienationen einreiht, muss unsere Kritik scharf und exakt sein, die Kämpfe müssen militant geführt werden. Die Zustände dürfen nicht schlechter werden als sie es jetzt sind. Und auch die sind alles andere als akzeptabel. Die radikale Linke muss die bürgerliche Gesellschaft also vor ihrer Auflösung durch sich selbst bewahren und gleichzeitig unaufhörlich an ihrer Überwindung arbeiten.

Star Trek: Discovery und das #nzsbxn

Star Trek nahm schon immer Bezug auf aktuelle politische Themenfelder. Konzipiert als eine Art Fully Luxury Automated Gay Space Communism hat die Menschheit das kapitalistische Wirtschaftssystem überwunden und auch Religion spielt keine Rolle mehr. Mit Commander Uhura nahm eine schwarze Frau völlig normal eine zentrale Rolle in der ersten Serie ein und es gab eine der ersten Kussszenen über ethnische Grenzen hinweg im amerikanischen TV zu sehen. Mit Checkov war auch ein Russe an Bord – mitten im Kalten Krieg. Am 24. September ist nun der neuen Serienteil Discovery angelaufen. Und macht perfekte Werbung für #nzsbxn

Spoileralarm: Es wird ein paar Dinge aus den ersten beiden Folgen zu lesen geben, die zumindest die Rahmenhandlung vorwegnehmen.

Der klingonische Faschismus

Angesiedelt 10 Jahre vor der Original Series, beginnt die Serie mit dem Startevent des großen Kriegs zwischen der Föderation und den Klingonen. Und bei den Klingonen wird die volle Ladung Faschismus geliefert. Die Grundlagen dafür waren ja schon immer gegeben: Eine kriegerisches Volk, welches aggressiv mit seinen Nachbarn umgeht, die Männer im Kampf, die Frauen im Haushalt, Größe, Stärke, Ehre, Militarismus. Nach kanonischer Storyline ist das klingonische Reich im Jahr 2256 ein totlitäres Regime. In den ersten beiden Folgen von Discovery wird das nun komplett zu waschechtem Faschismus ausgebaut. Schauen wir uns dazu einmal kurz die zusammenfassende Faschismusdefinition von Matthew Lyons an:

„Faschismus ist eine Form rechtsextremer Ideologie, die die Nation oder Rasse als organische Gemeinschaft, die alle anderen Loyalitäten übersteigt, verherrlicht. Er betont einen Mythos von nationaler oder rassischer Wiedergeburt nach einer Periode des Niedergangs und Zerfalls. Zu diesem Zweck ruft Faschismus nach einer ‚spirituellen Revolution‘ gegen Zeichen des moralischen Niedergangs wie Individualismus und Materialismus und zielt darauf, die organische Gemeinschaft von ‚andersartigen‘ Kräften und Gruppen, die sie bedrohen, zu reinigen. Faschismus tendiert dazu, Männlichkeit, Jugend, mystische Einheit und die regenerative Kraft von Gewalt zu verherrlichen. Oft – aber nicht immer – unterstützt er Lehren rassischer Überlegenheit, ethnische Verfolgung, imperialistische Ausdehnung und Völkermord. Faschismus kann zeitgleich eine Form von Internationalismus annehmen, die entweder auf rassischer oder ideologischer Solidarität über nationale Grenzen hinweg beruht. Normalerweise verschreibt sich Faschismus offener männlicher Vorherrschaft, obwohl er manchmal auch weibliche Solidarität und neue Möglichkeiten für Frauen einer privilegierten Nation oder Rasse unterstützen kann.“

Rasse als organische Gemeinschaft: check
anderen überlegen: check
verherrlicht: check
nationale Wiedergeburt nach vermeintlichem Zerfall: check (die Stämme sollen vereint werden)
spirituelle Revolution: check (der Wille Kahless‘ soll neu erwachen)
gegen Individualismus: check (die Gemeinschaft zählt)
Reinigung der Rasse: check
Bedrohung von außen besiegen: check
Männlichkeit: check
mystische Einheit: check
regenerative Kraft von Gewalt verherrlichen: check (im Kampf wird es die Erlösung geben)
rassische Überlegenheit: check (es wird mehrfach betont, dass die Klingonen rein im Blut sind)
imperialistische Ausdehnung: wird angestrebt
Völkermord: es soll alles vernichtet werden, was nicht klingonisch ist
offene Männliche Vorherrschaft: check

Nehmen wir dann noch die klingonische Mystifizierung von Kampf und Tod sowie den Ahnenkult mit dazu (verstorbene Klingonen werden mit Sarkophagen an den Schiffshüllen befestigt, um so im Geiste weiter mitzukämpfen), dann haben wir hier eine volle Packung faschistischer Ideologie am werkeln. Und das auch relativ akkurat rübergebracht, sieht man von der notwendigen Plakativität ab, dies alles in zwei Folgen als Nebenschauplatz darzustellen.

#klngnnbxn – die Hilflosigkeit der Föderation

Die Föderation steht in Folge 1 und 2 vor der Frage, wie jetzt mit diesem faschistischen Feind umzugehen. Michael Burnham, die zentrale Figur der Serie, hat eine jahrelange Ausbildung bei den Vulkaniern hinter sich und wendet sich nach Entdeckung des Klingonenschiffs an ihren Mentor. Dieser erzählt vom Umgang der Vulkanier mit den Klingonen. Nach einem erfolglosen diplomatischen Kontaktversuch, welcher sofort mit einem klingonischen Angriff beantwortet wurde, wird ohne Nachsicht und umgehend bei jeglichem Kontakt #klngnnbxn betrieben. Sie haben verstanden, dass einer faschistischen Ideologie nicht friedlich oder diplomatisch zu begegnen ist. Es hilft nur konsequente und radikale Feindschaft, wo immer man sie und ihre Träger*innen trifft.

Die Föderation hingegen ist auf Diplomatie und Verhandlungen aus und hat auch die Maxime, niemals als erstes zu feuern. In den ersten beiden Folgen wird auch deutlich, dass jegliches Verständnis dafür fehlt, wie umfassend der Aggressionswille von Faschist*innen ist. Man kann mit ihnen nicht reden. Und so kommt es dann, wie es kommen muss: Die Klingonen greifen die Föderation an, in der Schlacht gibt es große Verluste auf beiden Seiten. Der Pazifismus der Föderation ist im Angesicht eines faschistischen Akteurs zum Scheitern verurteilt. Den ein faschistischer Akteur ist IMMER aggressiv.

Die Metapher

Damit spiegeln die ersten beiden Folgen von Star Trek: Discovery sehr akkurat die derzeitige Lage mehr oder weniger weltweit dar. Während reaktionäre und faschistische Kräfte auf dem Vormarsch sind, halten Liberale und aufrechte Demokrat*innen den Pazifismus und die Dialogbereitschaft hoch. Aus der Vergangenheit wurde nichts gelernt, die dem Faschismus elementare Aggressivität wird geleugnet oder übersehen. Statt konsequent und ohne wenn und aber mit faschistischem Gedankengut aufzuräumen, wird beschwichtigt und die rechte Flanke zugemacht. Wenn sich Leute dann aktiv gegen Faschos stellen und die Suppe auslöffeln wollen, die der Rest der Gesellschaft ihnen eingebrockt hat, gibt es Repression und Verfolgung.

Auch die amerikanische Gesellschaft zeigt sich im Angesicht von Trump in weiten Teilen machtlos. Man vertraut einerseits auf die Verfassung mit den „checks and balances“, andererseits wird darauf gehofft, dass er das doch alles nicht ernst meinen könne. Doch kann er. Genauso wie es rechte Kräfte immer ernst meinen mit dem, was sie sagen und tun. Faschos und Neonazis sowieso. Mit solchen Personen lässt sich kein konstruktiver Dialog führen, denn sie wollen nicht an einem teilnehmen. Es ist absurd in Anbetracht der AfD im Bundestag auf irgendeine Form der Normalisierung zu hoffen, damit die ruhiger werden. Diese schöne Vorstellung wird nicht klappen. Mit einem religiösen Spinner wie Osama bin Laden kann auch nicht verhandelt werden. Und die klare Kante muss dann auch genauso hart und konsequent gegen nationalistischen und völkischen Spinner gezeigt werden.

Rache für Sarah

Es folgt ein Gastbeitrag der Gruppe Pawlitchenko, den wir auf unserer Plattform veröffentlichen.

Der Fall Sarah Rambatz sorgte vor der Bundestagswahl für einiges Aufsehen. Eine Person leakte einen Screenshot aus einer geschlossenen Gruppe und verursachte neben dem Verlust vom Listenplatz zur Wahl für einen volksdeutschen Mob, der sich volkstümelnd in sexistischen, antisemitischen, sexuellen, Todes- und sonstigen Gewaltphantasien erging und die Sarah und Familie direkt bedrohten. Durch Recherche haben wir den Täter ausfindig gemacht. Es handelt sich dabei nicht um einen Neonazi oder einen irgendwie organisierten Rechten. Es handelt sich um das, was gemeinhin als „besorgter Bürger“ firmiert. Der eigentlich unauffällige Nachbar von nebenan, der einem einen Bausparvertrag schmackhaft machen möchte, ein Auto verkaufen oder eine Lebensversicherung. Um einen normalen Alltagsrassisten also, von denen es viel zu viele gibt und die das Leben in Deutschland so deutsch machen.

Vice-Artikel mit guter Zusammenfassung des Mobsturms: https://motherboard.vice.com/de/article/vbb9y9/diese-nutte-gehort-totgebumst-mordaufrufe-gegen-linken-politikerin-nach-facebook-post?utm_medium=link

Wir haben Screenshots von einem Teil der Beleidigungen und Drohungen gesammelt und zusammen mit einem Schreiben an seine Arbeitsadresse geschickt. Zusätzlich ging mit einem Fakeprofil eine Nachricht sowohl an ihn als auch an seine Lebensgefährtin, die inhaltsgleich mit dem Brief war. Wichtig war uns, dass der Täter sich des Umfangs des von ihm verursachten Mobs voll bewusst wird und hoffentlich reflektiert, was so in jedem Maße durchschnittliche Personen wie er mit ihren Alltagsrassismus und ihrem Deutschtum bei Menschen anrichten.

Antisemitismus und Rassismus waren auch nach dem alliierten Sieg über das Dritte Reich nie wirklich weg. Nachdem aber die bürgerlichen und sozialistischen Revolutionsnationen die Zivilisation zwangsweise nach Deutschland gebracht hatten, waren sie für wenige Generationen eher „untergärig“. Kaum jedoch dass die Sowjetmacht den Deutschen nicht mehr im Nacken saß, begannen – nach dem nationalistischen Rausch der Wiedervereinigung – Neonazis, unter dem Gejohle ganz gewöhnlicher Bürgerinnen und Bürger „national befreite Zonen“ in Ostdeutschland zu errichten. Die folgenden Reformen nach Wegfall der Systemkonkurrenz bestanden vor allem in Verelendungsprogrammen für breite Bevölkerungsschichten, die die Menschen mehr als zuvor in die Rolle vereinzelter Arbeitskraftbehälter drängten.

Während die Kluft zwischen arm und reich immer weiter zunimmt, nährt die Angst vor der eigenen Überflüssigkeit in einem System gnadenloser Konkurrenz Hass und Neid. Statt dass man sich dagegen wehrt, sich für Reallöhne abzurackern, die auf obszön niedrigem Niveau stagnieren, um einen absurd hohen Außenhandelsüberschuss zu erzielen, mit dem der Krisengewinnler Deutschland seine europäischen Nachbarländer destabilisiert, verachtet man hierzulande all jene, deren Lebensinhalt nicht Deutschlands Titel als Exportweltmeister ist. Statt dass man nach Wegen sucht, die gigantischen Produktivkräfte nutzbar zu machen, um ein solidarisches Europa aufzubauen, vergeht man hier lieber vor Missgunst beim bloßen Gedanken daran, in den anderen europäischen Ländern könnte nicht genug geschuftet werden.

Auf diesem Ressentiment wurde vor vier Jahren die AfD begründet, die seitdem immer weiter nach rechts rückt und dabei nicht etwa an Zustimmung verliert, sondern im Gegenteil auf ihrem Marsch in die Vergangenheit das schlummernde Potential einer sich radikalisierenden „Mitte“ hebt. Dabei muss sie sich noch nicht einmal Mühe geben, denn sie wird nach Kräften unterstützt: von Massenmedien, deren Geschäftsmodell der permanente Skandal ist. Und von einem politischen Establishment, das bis heute weder einen vernünftigen Umgang mit dem radikalen Islam noch mit den Problemen gefunden hat, die es mit sich bringt, wenn unzählige Menschen aus verheerten patriarchalen Gesellschaften nach Europa fliehen, und dessen bestes Argument für sich zu sein scheint, nicht die Partei der offenen Reaktion zu sein. Von dieser wiederum erwartet noch nicht einmal ihre eigene Wählerschaft mehrheitlich, dass sie zum Lösen irgendwelcher Probleme imstande wäre. Diejenigen dagegen, die zuallererst ins Fadenkreuz jihadistischer Mordbanden und religiösen Alltagsterrors genommen werden – also Frauen, sexuelle Minderheiten, Jüdinnen und Juden –, geraten durch den Rechtsruck nur noch mehr in Bedrängnis.

Das erschreckende, aber leider eben nicht erstaunliche Ausmaß der Versuche, unsere Genossin Sarah mit Drohungen sexueller Gewalt gegen sie, ihre Familie, ihren Freundes- und Bekanntenkreis einzuschüchtern, steht in einer Reihe mit ungezählten ähnlichen Attacken auf Feministinnen, die auf diese Weise zum Schweigen gebracht werden sollen, und gibt beredtes Zeugnis von dieser Entwicklung.

Der deutsche Mob ist traditionell autoritätshörig und wartet auf ein Zeichen von oben, um nach unten losstiefeln zu können. Das ernüchternde Wahlergebnis der am härtesten gehypten Partei der letzten Dekaden wird von gewaltbereiten Neonazis im ganzen Bundesgebiet als Signal verstanden werden, „ihrem Volk“ den Weg frei zu prügeln. Auf einen Staat, dessen Sicherheitsapparat sich in wildem Aktionismus eine völlig marginalisierte Linke zur „linksextremistischen“ Gefahr zusammenspinnt, während er mit der realen Bedrohung durch den Islamismus schon chronisch überfordert ist, und dessen unübersehbares Problem mit institutionellem Rassismus von den Verantwortlichen einfach ausgesessen wird, sollte niemand zu große Hoffnungen setzen.

Umso wichtiger wird in dieser Situation die Solidarität mit allen potentiellen und tatsächlichen Opfern des Mobs. Und umso wichtiger wird es, über den Umgang mit den jeweils aktuellen Krisenphänomenen hinaus Wege in eine Welt jenseits unerbittlicher Konkurrenz zu finden.
Ein Angriff auf eine von uns ist ein Angriff auf uns alle. Wir stehen solidarisch an der Seite unserer Genossin Sarah. Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die deutsche überwinden – Sozialismus oder Barbarei.

Gruppe Pawlitschenko“

AfD in Templin

Am 8. September möchte die AfD in Templin ein Sommerfest feiern. Wir, eine kleine Gruppe von Antifas, finden das zum kotzen. Erst treibt die AfD den Rechtsruck in Templin voran und dann wollen sie hier noch feiern. Wir merken seit dem ersten Auftreten der AfD in der Stadt den Wandel, die Nazis werden aggressiver, rechte Straftaten nehmen zu – die Akzeptanz wächst jedoch. Nach Auftritten der AfD geht auch der Dritte Weg auf Stimmenfang, der Kandidat der AfD posiert Hand in Hand mit Neonazis, rechten Esoterikern und Verschwörungstheoretikern. Dazu kommen noch Gauland und Kalbitz die das Problem nur verstärken. Wir wollen dieses Sommerfest rassistischen Gedankenguts stören, jedoch sind wir zu wenig um wirklich ein Zeichen zu setzen. Deshalb hoffen wir auf eure Unterstützung! Kommt am 8. September nach Templin und helft uns das Fest zum Alptraum werden zu lassen.

Treffpunkt: 8. September/ 18 Uhr/ Templin Bahnhof

Linksunten weg – und nun?

Gestern morgen machten die ersten Nachrichten die Runde: linksunten, der deutsche Ableger von Indymedia, wurde per Vereinsgesetz verboten. Dazu gab es Razzien in Freiburg und die Seite wird so gut es geht vom Netz genommen. Aufregung überall: Was genau ist passiert? Wie sieht das Verbot genau aus? Was passiert mit linksunten?

Das Verbot

Das Bundesministerium des Innern ließ dazu verlauten:

„Verboten wurde, die unter der URL https://linksunten.indymedia.org sowie die im Tor-Netzwerk
unter der Adresse http://fhcnogcfx4chZe7.onion abrufbare
Internetseite des Vereins zu betreiben, zu hosten, bereitzustellen und weiter zu verwenden.

Dies gilt auch für die sonstigen Internetpräsenzen des Vereins, zum Beispiel auf Twitter. Sämtliche E-Mail-Adressen des Vereins, insbesondere linksunten@indymedia.org, sind abzuschalten. Das Vereinsverbot umfasst auch Nachfolgeorganisationen von ,,linksunten.indymedia“.

Ferner ist es verboten, Kennzeichen des Vereins ,,linksunten.indymedia“für die Dauer der Vollziehbarkeit des Verbotes zu veröffentlichen. Dies betrifft insbesondere die grafische Verwendung des prädgenden Vereinsnamensbestandteils ,,linksunten“ im Schriftzug
,,linksunten.indymedia.org“ in roter Farbe kombiniert mit der Darstellung des Buchstabens ,,i“ von dem beidseitig Funkwellen symbolisierende Klammerzeichen abgehen.“

Was war linksunten denn überhaupt?

 

Nun ja, alles und nichts. Indymedia ist eine Plattform (mit linksunten als mehrheitlich deutschsprachigem Ableger), auf der Personen Inhalte einstellen konnten. Umgangssprachlich wurde daraus dann ein „Schau mal bei Indy nach.“ Linksunten selber stellt keine Inhalte rein, es liefert nur die Infrastruktur. Ob das Einzelpersonen von linksunten nicht auch mal gemacht haben, ist natürlich nicht ausgeschlossen. Beiträge jenseits seltener Aussagen bezüglich technischer Angelegenheiten gab es von linksunten nie.

Durch die Offenheit der Plattform und einer unabhängigen Serverstruktur, die eine strafrechtliche Verfolgung der Inhalte unmöglich macht, führten zu einem sehr unübersichtlichen Gewirr an Inhalten. Wobei sich im Laufe der Zeit der Content schon grob in drei Kategorien einordnen ließ: Recherche + Outings, Aufrufe/Ankündigungen/Stellungnahmen und Bekenner*innenschreiben. Zu Beginn der 2000er hatte Indy eine weltweit wichtige Rolle und stellte erstmals eine unabhängige Plattform zum Publizieren von Inhalten zur Verfügung. Damit war es quasi ein Vorläufer des heutigen Bloggings und unabhängiger Netzpresse.Mit dem Aufkommen eben dieser nahm die Bedeutung der Plattform immer weiter ab, so dass sie im deutschsprachigen Raum zuletzt eigentlich exklusiv vom linken Spektrum genutzt wurde.

Recherche und Outings

Die größte aktuelle realgesellschaftliche Relevanz dürfte linksunten durch die zahlreichen Recherchebeiträge und Outings zu rechten Strukturen und Personen erzielt haben. Im Laufe der Jahre ist hier schlichtweg DIE Anlaufstelle in Sachen Recherche und Rechercheveröffentlichung entstanden. Wer wissen wollte, was in Göttingen so im Laufe der Jahre so passiert ist, wurde hier fündig. Namen, Adressen, Fotos, Aktionen und sonstige Aktivitäten – was auch immer für Antifas interessant ist, wurde hochgeladen. Die Suchfunktion war zwar alles andere als ausgefuchst und man musste sich schon eine Weile durchklicken, um dann an die gewünschten Infos zu kommen. Aber das ist bei Recherchearbeit eh immer notwendig.

Die Qualität und Vollständigkeit der Recherche war dabei selbstredend immer von denen abhängig, die sie gemacht haben. Wenn niemand in Berchtesgarden was zu Leuten in Berchtesgarden in Erfahrung bringt und den Leuten dann zur Verfügung stellt, dann gibt es dazu nichts. Nur weil zu einer Person oder einer Sache auf Indy nichts zu finden war, hieß das noch lange nichts. Dennoch kam im Laufe der Jahre das größte deutschsprachige Kompendium über Rechte zusammen. Dies wissen auch die Behörden in Deutschland, ein täglicher Blick auf die Seite dürfte in vielen Amtsstuben Alltag gewesen sein. Denn hier fanden sich Sachen, die kostenlos für alle zur Verfügung stehen. Und oftmals besser recherchiert waren als das, was die Polizei zu liefern hatte. Während der VS noch fleißig die Akten zum NSU-Komplex schredderte, wurde auf linksunten fleißig dazu veröffentlicht.

Aufrufe/Ankündigungen/Stellungsnahmen

Mehr oder wenige jede Strukturgruppe in Deutschland unterhält einen eigenen Blog, üblicherweise über Noblogs oder Blackblogs gehosted, größere wie die IL auch eigene Websites. Dennoch wurden so ziemlich alle relevanten Aufrufe für Demos, Stellungsnahmen oder Veranstaltungshinweise auch noch einmal separat auf linksunten eingestellt. Neben Rechercheinfos bekam man so auch gleichzeitig einen guten Überblick über das aktuelle Geschehen im deutschsprachigen Raum. Seien es nun Prozessberichte, Hinweise der Roten Hilfe, Demoankündigen mit Aktionskarten und allen Infos dazu oder Bekanntmachungen – hier war alles zu finden. Dazu gab es dann auch noch Aufrufe, die nicht immer mit der deutschen Rechtslage konform gingen. So wurde hier der eine oder andere Tag X ausgerufen, Gewalt angedroht oder Militanz angekündigt.

Bekenner*innenschreiben

Der wohl gewichtigste Grund für das Verbot dürften die Artikel sein, in denen sich anonyme Personen oder Gruppen zu zum Teil illegalen Aktionen bekannt haben. Egal ob abgefackelte Autos von Cops, Hausbesuche bei Neonazis oder Kabelbrände bei der Bahn – hier gab es alles zu finden. „Oh, die AfD jammert wegen Graffitis rum? Mal bei Indy reinschauen.“ So oder so ähnlich ging es regelmäßig bei möglichen militanten Aktionen aus den linken Spektrum. Gerne wurde dies dann mit Erklärungen der Gründe für bestimmte Aktionen genutzt, verbunden mit ideologischer Herleitung, Aufruf zu weiteren Aktionen dieser Art und durchaus auch einer ordentlichen Portion Selbstprofilierung.

Sonst so

Neben diesen drei Hauptpunkten wurden auch immer wieder Artikel aus der Presse hochgeladen und so zum Beispiel Bezahlartikel kostenlos zur Verfügung gestellt. Von Zeit zu Zeit wurden auch ideologische Debattenbeiträge veröffentlicht, wirklich viele waren es aber nicht. Im Laufe der Jahre hat Indy sich auf ein Informationsmedium für das linke Spektrum eingependelt.

Alles eitel Sonnenschein?

Linksunten ist neben der strafrechtlichen Komponente und gegen den Staat gerichteten Komponente auch aus linker Sicht in einigen Punkten kritisch zu sehen. Zum einen wären da die Probleme der offenen Plattform. Wenn alle etwas einstellen können, dann werden das nicht nur Linke nutzen. Wie viele Artikel dort von Rechten oder Cops im Feierabend hochgeladen wurden, ist unklar. Überprüft wurden Artikel nicht, nur bei offensichtlichen Fakes wurde dann mal gelöscht. In letzter Zeit ließ sich aber auch immer wieder ein Missverhältnis in der Löschpraxis erkennen. So wurden Beiträge zum Thema antizionistischer Antisemitismus oder sogar ein Aufruf der autonomen antifa w gelöscht, Solikundgebungen mit dem Assadregime und Rückblicke dazu durften aber stehen bleiben. Oder um es kurz zu machen: Die Moderation war zeitweise merklich antiimperialistisch geprägt und auch dem Anspruch einer unabhängigen Plattform dann nicht mehr gerecht werdend.

Die Kommentarsektion war legendär, da sich hier mitunter Cops, Rechte und Linke aller Richtungen gegenseitig an die Wolle gingen. Und da man keinen Account zum kommentieren brauchte und auch noch für jeden Kommentar einen neuen Namen wählen konnte, gab es hier teilweise unschöne Sachen zu beobachten. Zum Beispiel wurden dann Kommentare unter falschem Namen abgegeben, um die betreffende Person zu denunzieren. Auch gab es immer wieder mal Artikel von sich selbst als links sehenden Personen, die Screenshots von privaten Unterhaltungen einstellten und andere Linke damit denunzierten. Am bekanntesten sind hier natürlich die beiden gefälschten Schreiben zu den Anschlägen in Dresden und Dortmund. Schnell was eingestellt, Sceenshot gemacht und schon ist die Antifa dafür verantwortlich – zumindest bei den rechten Medien.

Auch über Sinn und Unsinn etlicher Beiträge lässt sich streiten. So wichtig der Kampf der Ureinwohner*innen in Australien auch sein mag, jede Woche neue Updates dazu zu bekommen ist dann für den deutschsprachigen Raum doch etwas zu viel – vor allem, da wir hier auch Themenbereiche haben, die mehr Aufmerksamkeit verdienen. Aber hey, muss man ja nicht lesen. Stellenweise machten einige Veröffentlichungen auch den Eindruck, dass hier reine Selbstprofilierung in der eigenen Teilszene betrieben werden sollte. Ob man sich nun für alles feiern muss, was irgendwie nach Militanz riecht, muss jede Person für sich selbst entscheiden. Manchmal gab es aber auch einfach pr-technisch gesehen unkluge Dinge zu lesen. Vor der Demo für die Rigaer Straße nach toten Cops zu rufen deeskaliert die Situation im Vorfeld nicht unbedingt  und führt dann auch gerne mal dazu, dass ein Artikel in den großen Medien aufgegriffen und gegen das radikal linke Spektrum verwendet wird. Und sich auf Indy groß selbst abzufeiern und als radikal zu präsentieren erreicht die Mehrheitsgesellschaft auch nicht wirklich.

Überraschung?

Nein, eigentlich nicht. Es ist absolut nicht verwunderlich, dass der Staat gegen linksunten vorgeht. Denn die Inhalte auf der Plattform sind ganz oft direkt gegen Staat gerichtet und auch gerne mal als direkte Kampfansage formuliert. Dazu kommen jetzt zwei zeitliche Zusammenhänge: G20 und Bundestagswahl. Nach dem medial und gesellschaftlich überbordenden Backlash nach den G20-Ausschreitungen war klar, dass Symbolpolitik gegen links erfolgen wird. Zuerst wurde sich auf die Rote Flora (abgeschwächt auch auf andere linke Zentren wie das Conne Island) eingeschossen. Da sieht die Sache rechtlich aber vermutlich etwas schwieriger aus. Die Politik will aber Köpfe rollen sehen, also wird nach lohnenden Zielen gesucht. Und da bietet sich Indy eben an.

Im öffentlichen Diskurs lässt sich hier anhand diverser Texte ganz leicht begründen, warum vorgegangen wurde. Ob das rechtlich haltbar ist, ist dabei auch erst einmal nicht so wichtig. Die Struktur hinter linksunten muss sich jetzt mit dieser Repression befassen, was Zeit , Nerven und Geld kostet. Die CDU hat vor der Bundestagswahl noch schnell Aktivität gegen die ganzen bösen Linksterrorist*innen gezeigt und einer der geforderten Köpfe ist (fast) ab. Machen wir uns nichts vor, wir haben es hier mit buisness as usual zu tun. Überrascht sein kann davon niemand.

Und nun?

Das ist die große Frage. Wirklich viel Raketenwissenschaft ist dafür aber auch nicht notwendig. Die (meisten) Daten von Indy werden irgendwo gespeichert sein und eine Plattform wird in der ein oder anderen Art und Weise mit diesen Daten wiederkommen. Linksunten selber hat ja am Tag nach den Razzien und der vorläufigen Abschaltung ein „We’ll be back“ angekündigt. Mal schauen, was da noch so kommt. Sollte Indy selber nicht wieder kommen, wird es einen andere Plattform ähnlicher Art geben. Die Frage ist halt, ob dies dann auch mit allen dokumentierten Daten passiert oder nicht. Vor allem die Recherchebeiträge sind elementar wichtig für den antifaschistischen Aktivismus in Deutschland.

Und es stellt sich die Frage, ob es dafür nicht eventuell eine Plattform unabhängig von Indy geben sollte, die diese Beiträge (die im Sinne der Persönlichkeitsrechte auch strafbar sind) von den Aufrufen, Ankündigungen und Bekenner*innenschreiben abkoppelt, die maßgeblich das Vorgehen gegen Indy öffentlich rechtfertigen. Unabhängig davon gibt es ja diverse Blogs, Seiten und Social Media-Kanäle, auf denen entsprechende Aufrufe und dergleichen veröffentlicht werden. dafür braucht es Indy nicht zwangsläufig.

Möglicherweise wird es auch weitere Repressionen gegen den Onlineaktivismus geben. Mit Noblogs und Blackblogs gibt es zwei weitere Plattformen, die via WordPress eine unabhängige Blogstruktur zur Verfügung stellen. Wie genau der Staat dagegen vorgehen kann, ist ungewiss. Sicher ist aber, dass es weitere Repressionen nach G20 geben wird. Die Rote Flora wird immer noch bearbeitet, aber auch andere Gruppen wie die Rigaer 94 dürften weit oben auf der Liste stehen.

Die Welt ist nicht linksunten

Bei aller Relevanz, die Indy für den linken und linksradikalen Aktivismus im deutschsprachigen Raum hat, sollte eines klar sein: Es gibt einen Aktivismus jenseits von linksunten und sogar außerhalb des Internets. Schock! Ja wirklich! Bei all der berechtigten und inhaltlich absolut vertretbaren Kritik am Verbot – es ist eine Internetseite. Nicht mehr, nicht weniger. Wer meint, dass Indy den kompletten linken Aktivismus spiegelte, hat da was nicht verstanden. Wer meint, mit einem Aufruf auf Indy zu irgendwas würde sich sofort was ändern, hat da was nicht verstanden. Wer meint, dass Indy DER Weg zur befreiten Gesellschaft ist, hat so einiges nicht verstanden. Wer meint, Indy seien die Pflastersteine, die die Welt bedeuten – ihr wisst schon.

Als Rechercheplattform ist Indy erst einmal nicht zu ersetzen und hoffentlich werden alle Daten irgendwo wieder hochgeladen. Für die Aufrufe, Ankündigen und so weiter gibt es sichere Blogs und Facebook. Und wer sich zu irgendwas bekennen will, muss dann halt wieder andere Wege finden, um dies kundzutun. Über nen Blog oder ne  safeE-Mail an safe Seiten/Accounts/Blogs (zwinker zwinker) schicken. Sollte Indy nicht zurückkommen, sortiert sich der Markt natürlich erst einmal neu. Und? Ist das jetzt so schlimm? Antifa passiert nicht nur online. Eine zentrale Anlaufstelle ist weg? Gibt ja inzwischen dutzende andere. Indy war ein praktischer Service, mehr aber eben auch nicht. Die Kommentarsektion war teilweise unterirdisch. Wirklich gute Artikel mit Denkansätzen gab es kaum und wenn ja, hat die Kommentarsektion mal wieder geregelt.

Und wie es mit einer Internetplattform eben so ist: Sie ist nicht das Leben. Sie ist nicht die Welt. Das alles findet da draußen statt. Dorstfeld, Hellersdorf oder Dresden werden nicht mehr oder weniger Nazis haben als vorher. Wer wirklich etwas tun will, organisiert sich selber. Bildet Bezugsgruppen und macht Strukturen. Kümmert sich um die eigene Hood und dann noch die daneben. Macht sich Gedanken darüber, wie mehr Leute angesprochen werden können. Das Befriedigen der eigenen In-Crowd ist natürlich auch irgendwo wichtig, bringt aber langfristig nicht viel. Wer die Gesellschaft verändern will, darf sich von ihr nicht vollständig abschotten. Wer die Gesellschaft ändern will, muss Basisarbeit leisten. Egal ob Indy nun online ist oder nicht. Der Kampf geht weiter.

Demobericht Heßmarsch 19.08.2017 in Berlin

30 Jahre nach dem Selbstmord von Rudolf Heß im Naziknast in Berlin-Spandau wollten Faschos aus ganz Deutschland anreisen und einen „Gedenkmarsch“ abhalten. Angemeldet auf 500 Personen, war recht schnell klar, dass es eher doppelt so viele werden würden. Es wurde deutschlandweit mobilisiert, die revisionistische Legende um den angeblich guten Deutschen Heß zieht immer noch. In der Tat etwas verwunderlich ist, dass es keine Aufrufe und Gegenmobilisierung aus anderen Städten gab. Zur IB-Demo am 17.6. gab es gemeinsame Anreisen aus Leipzig und Hamburg, dieser knallharte Naziaufmarsch wurde dagegen Berlin allein überlassen. Die Antifa Nordost ließ sich nicht lumpen und hat dann auch mal eben einen der besten Mobiclips der letzten Jahre zusammengeschraubt.

Ein Tag voller positiver Überraschungen

Nach Spandau ging es eigentlich mit nicht so großen Erwartungen. Der rot-rot-grüne Senat hatte den Naziaufmarsch mit ein paar Auflagen erlaubt, was einzelne Abgeordnete nicht daran hinderte, sich vorher als große Naziaufmarschverhinderer zu inszenieren. Es wurden einige Gegenkundgebungen angemeldet, eine Demo zum Zusammenschluss wurde aber verweigert. Das Outfit wurde dieses Mal zivil gewählt, was sich in fehlenden Taschenkontrollen und generell weniger Aufmerksamkeit von Seiten der Cops bemerkbar machte. Auf dem Weg nach Spandau dann die erste gute Nachricht: Signalstörungen bei der Bahn. Irgendwer hatte einen Kabelbrand verursacht und etliche Faschos saßen im Zug fest. Hupsi.

Vor Ort ging es nach einem kurzen Blick auf Gegenkundgebung und Startpunkt der Nazis – jeweils auf der anderen Seite des Bahnhofs Spandau – auf die Strecke. Die Cops hatten massiv gegittert und nach zwei Querstraßen auf Höhe der Altonaer Straße alles mit Wannen dicht gemacht. Weiter sollten die Faschos später auch nicht kommen. Dann ein paar hundert Meter weiter die nächste positive Überraschung: Da ist ja schon eine Sitzblockade! Fotos, Pixeln, Tweet nach Support gesetzt – läuft. Wer auch immer die Idee hatte, sich über 20 Minuten vor offiziellem Beginn der Faschoveranstaltung auf die Straße zu setzen, dem sei hier noch einmal ausdrücklich gedankt! Denn um diese Blockade herum bildete sich stabil mit Zufluss und zweiter Reihe ein Knotenpunkt früh auf der Faschostrecke.

Und diese präsentierte sich als nächste positive Überraschung. Bis zur Stelle des abgerissenen Gefängnis war alles mit Plakaten, Graffiti, Adbusting und Transpis voll. Auf den Häuserwänden gab es Slogans wie „Nazis boxen“ oder“Klasse statt Rasse“ zu lesen, immer wieder hingen Transpis aus Fensters, irgendwer hatte die Werbeflächen an den Bushaltestellen umgestaltet und die PARTEI und die Jusos haben auf jede fucking Laterne Antinaziplakate gehängt, erstere natürlich die legendären „Hier könnte ein Nazi hängen“. Auch die Plakate der Gegenmobilisierung waren überall zu sehen. Auf Höhe des abgerissenen Gefängnis hatte Exit Deutschland dann auch noch mal plakatiert: Spandau hatte ganz offensichtlich keinen Bock auf Nazis.

Blockieren wir Nazis

In der Zwischenzeit hatte es sich eine weitere große Blockade kurz hinter der ersten gemütlich gemacht, auch weiter vorne sind noch Leute auf die Strecke gekommen. Der Aufmarsch der Faschos verzögerte sich ordentlich die Störungen im Bahnverkehr zwangen über 200 Nazis, vor allem aus dem Rheinland und dem Pott, in Falkensee auszusteigen und ein paar Mal im Kreis zu laufen, da sie nicht wegkamen. Aus Frust musste dann die Scheibe des örtlichen Grünenbüros dran glauben. Nachdem dann irgendwann der letzte Bus aus Sachsen eingetroffen war, ging es gegen 13:00 los – aber dank der Blockaden nicht weit. Nach kanpp 200 Metern war erst einmal Feierabend. Die große Frage jetzt war: Wird die Polizei durchknüppeln? Es gab mehrere Blockaden, die alle für sich genommen ok in der Größe waren. Kurz nach 13:00 hatten sich zudem 40 weitere Antifas hinter die letzte Blockade gesetzt. Es schwärmten dazu noch unzählige Kleingruppen umher, weitere Blockaden wären wahrscheinlich. Auf der anderen Seite standen um die 800 sehr mies gelaunte Nazis.

Die Entscheidung fiel dann eine halbe Stunde später. „Wir kommen jetzt mit 1000 Leuten!“ hieß es via Twitter. Ja ja, schon klar. Verarschen können wir uns selber. Wo sollen denn jetzt bitte 1000 Leute herkommen? Keine 10 Minuten später kamen dann aber tatsächlich von hinten hunderte Leute mit Fahnen, guter Laune und Kinderwagen im Gepäck. Irgendwer muss die ganzen Bezugsgruppen und interessierten Anwohner*innen unterwegs eingesammelt und Richtung Blockade gebracht haben. Und damit war klar: Dieser Aufmarsch ist blockiert.

Umso ziemlich genau 15 Uhr dann auf einmal Bewegung: Die Faschos werden umgeleitet. Und zwar ziemlich verwirrend: eine Runde um den Block, um dann über eine Brücke eine sehr lange Ausweichroute nehmen zu können. Nächste Überraschung: Nächste Blockade! Irgendwer hatte die Voraussicht, dass die Faschos so umgeleitet werden könnten und ist mit dutzenden Leuten die sehr lange Ausweichroute zu den Nazis gelaufen. Damit war der Tag endgültig gelaufen für die Faschos. Diese drehten dann um, machten noch eine Stunde Kundgebung am Bahnhof und verpissten sich dann in die Dreckslöcher, aus denen sie gekommen waren.

Was bleibt

Ein absolut positiver Blick auf den Tag. Anreise behindert, in Rathenow wurden zwei Faschos vor der Anreise ins Krankenhaus kritisiert, eine super präparierte Strecke, stabile Blockaden mit vielen Leuten aus der Gegend und angepissten Nazis, die eine Runde um den Block drehen konnten. Und das alles ohne großen Support von außerhalb. Nach der erfolgreich blockierten IB die zweite Naziblockade innerhalb von zwei Monaten. Danke Spandau, danke Berlin!

Amerika und der Antifaschismus

Antifaschistische Gruppen haben in Europa eine lange Tradition. Dies liegt vor allem an dem europäischen Faschismus in der 30ern in Italien und Deutschland vor allem, dem ein direkter Konterpart entgegen gesetzt werden musste. In Amerika gab es zwar auch faschistische Bewegungen mit positivem Bezug auf Nazi-Deutschland in dieser Zeit, diese waren aber eher klein.

Hinzu kommt, dass Amerika zur damaligen Zeit selbst noch mehrheitlich rassistisch und diskriminierend gegenüber Minderheiten war. Die Rassentrennung war Alltag (auch nach der offiziellen Aufhebung 1964), ultrakonservative Politiker im Amt bestärkten diese noch. Gruppen wie der KKK hatten 6 Millionen Mitglieder. Gerade mal hundert Jahre zuvor war ja auch erst die Sklaverei abgeschafft worden.

Nennenswerte militante Gegenwehr gab es erst in den 60ern mit Gruppen wie der „Black Panthers Party“ oder „Nation of Islam“. Zwar gab es auch schon vorher Vorreiter der Bürgerrechtsbewegung wie Martin Luther King oder Rosa Parks. Auffällig dabei ist, dass sich alles rund um PoC dreht. Andere Themen wie Homophobie, Sexismus, etc. waren eher Randphänomene.

Jedoch unterscheiden sich die Gruppen eklatant voneinander, sowohl in der Ideologie als auch in der Umsetzung. Martin Luther King engagierte sich nicht-gewalttätig und eher agitatorisch. Er versuchte Diskriminierungen zu beseitigen. Die Black Panthers Party dagegen schreckte nicht vor Gewalt zurück. Sie war maoistisch ausgelegt, im weiteren Verlauf wurden aber auch nationalistische Thesen vertreten. Noch kruder wurde es bei der Nation of Islam, die eine Vorstellung von „Black-Supremacy“ mit einem aggressiven Islamismus verband. Daran zeigt sich schon wie unterschiedlich die Vorstellungen vom Kampf gegen Unterdrückung war.

Alle Bewegungen litten unter massiver Kriminalisierung und Verfolgung durch die Behörden. Hinzu kam die Ablehnung durch die mehrheitlich weiße Gesellschaft. Auch heutzutage müssen PoC in Amerika noch stark Alltagsrassismus erfahren.

Eine neue Welle der Diskriminierung kam durch die „Alt-Right“-Bewegung auf. „White Supremacy“ und andere Ideologien dürfen wieder offen gezeigt werden. Diese waren zwar nie verschwunden, jedoch trauten sich die meisten Anhänger nicht dies in Zeiten von „political correctness“. Dies änderte sich jedoch rund um die Zeiten der Wahl von Donald Trump. Rassistische Gruppierungen witterten Morgenluft und griffen offen Andersdenkende, PoC, Muslime, Juden, LGBTIQ*-Personen an und fühlten sich sicher.

Um diesem etwas entgegenzusetzen, bilden sich neuerdings verstärkt antifaschistische Gruppen. Diese stellen sich rassistischen „Rallies“ entgegen. Dabei kommt es des Öfteren zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit „Alt-Right“-Anhängern – mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Der Antifaschismus ist also aus purer Notwendigkeit entstanden.

Das größte Ereignis dieser neuen antifaschistischen Bewegung in Amerika war wohl der Protest rund um die Vereidigung von Donald Trump. Antifaschistische Gruppen riefen zum Protest auf, der gewaltig ausfiel. Autonome Gruppen ließen ihrer Wut in den Straßen von Washington freien Lauf. Auch dort wurden wieder gewaltige Repressionsmaßnahmen durchgeführt. Aktivist*innen wurden zu 3 Jahren Haft verurteilt wegen „Vermummung, Sachbeschädigung und Angriffen auf Polizeibeamte“. Hier zeigt sich, dass der Staat keine Gnade zeigt, wenn es um Linke geht – woran uns das wohl erinnert.

Ideologisch zeigen sich einige Unterschiede, was sich jedoch historisch erklären lässt. Der antifaschistische Kampf in Amerika war immer auf Verteidigung ausgelegt und auf die Anti-Diskriminierungs-Agenda von Minderheiten. Eine vollständige ideologische Agenda gibt es nicht. Meist orientieren sich die Aktivist*innen eher an maoistischen/stalinistischen Ideen. Ausgeklügelte anarchistische Elemente – abseits des Sprühens des A – finden sich eher selten.

Dies muss jedoch auch ein Auftrag an amerikanische Aktivist*innen sein. Eine Selbstverteidigungshaltung ist gut und wichtig, dort darf es jedoch nicht aufhören. Auch ideologische Schulung und das Entwickeln einer tragfähigen Zukunftsvision gehören dazu. Dabei sollten sie jedoch darauf achten sich nicht in totalitären System zu verlieren, die sie ja gerade versuchen zu bekämpfen.

Polizei stürmt genehmigtes G20-Camp in Hamburg

Die gestrigen Ereignisse von Hamburg in der Rekapitulation:

Aktivist*innen wollten gestern das vom Bundesverfassungsgericht erlaubte Protest-Camp aufbauen. Zunächst wurden sie von den Polizist*innen aufgehalten, die mit einem Großaufgebot vor Ort war.

Nach vielen hin und her durfte dann das Camp aufgebaut werden. Dabei wurden strenge Auflagen angesetzt, u.a. keine Schlafzelte.

Spät am Abend stürmte die Polizei das Camp. Angeblich weil Auflagen verletzt worden seien und auch Schlafzelte aufgebaut worden waren.

Mit brutaler Härte wurde gegen die Aktivist*innen vorgegangen. Es wird von mehreren Verletzten berichtet, darunter auch Schwerverletzte.

Die Polizei scheint bereits vor dem eigentlichen G20 zu eskalieren. Dies passt aber ins Bild. Kriminalisiert, verletzt und der demokratischen Grundrechte beraubt – interessiert die Polizei nicht.

Davon dürfen wir uns aber nicht einschüchtern lassen. Unsere Solidarität gilt allen Aktivist*innen vor Ort. Falls ihr vorhabt euch den Protesten anzuschließen, sucht euch eine Bezugsgruppe, informiert euch und lasst euch nicht einschüchtern.

Bildquelle: https://twitter.com/jan_augustyniak/status/881620794069180417