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Demoaufruf für Chemnitz, Samstag den 01.09.2018

Die Ereignisse aus Chemnitz sind allen bekannt: Der rechte Mob hatte Sonntag und Montag die Stadt zumindest teilweise in der Hand, der bürgerliche Staat hat versagt und war effektiv nicht handlungsfähig. Am Montag stellten sich über 1000 Menschen den Rechten entgegen, die bis zu 6000 Menschen mobilisieren konnten und zu ca. einem Drittel gewaltbereit bis gewalttätig waren. Die Polizei und das Bundesland Sachsen haben auf ganzer Linie versagt und marodierenden Männergruppen die Straße überlassen. Die Jagdszene, die Angriffe auf Migranten, Journalist*innen und Antifaschist*innen sind durch die Medien gegangen, ebenso die Hitlergrüße und die rechten Parolen.

Für den Samstag hat sich nun ein Bündnis aus Pegida und AfD angekündigt, die Landesverbände Sachsen + Anhalt sowie Thüringen mobilisieren. Höcke wird reden, mehr oder weniger das gesamte rechtsradikale Spektrum ruft zur Teilnahme auf. Nach den Mobjahren 2014 bis 2016 hat man inzwischen mit der AfD eine Partei im Rücken und nutzt Chemnitz als Anlass um wie in Kandel und Cottbus die lokale rechtsradikale Szene zu bündeln und einen direkten Kanal zwischen Partei und rechtem Mob herzustellen. Man probt den Aufstand gegen die BRD, man will schauen wie weit man gehen kann und dann analysieren wie man beim nächsten Mal nocj weiter kommt.

Aus diesem Grund ist es absolut notwendig am Samstag so zahlreich wie es nur irgendwie geht nach Chemnitz zu reisen. Die bis zu 6000 vom Montag können locker gerissen werden, es ist Wochenende und die AfD fährt große Kaliber auf. Im Zeiten wie diesen ist eine militante und zahlreiche Antifa bitter notwendig. Was im Chemnitz auf der Straße zu sehen war ist die Keimzelle des Faschismus, die gewalttätigen Männerbünde. Fahren wir nach Chemnitz und bieten diesem Mob Einhalt!

Aktuelle Infos bekommt ihr beim Bündnis Chemnitz Nazifrei

„Weder Rächer*innen noch Richter*innen, Befreier*innen wollen wir sein!“

Anarchismus und die Frage der Gewalt

– Ein Gastbeitrag –

„Gewalt gehört nicht in die Politik.“
Diese Maxime hat sich im politischen Diskurs als Totschlagsargument durchgesetzt. Sie diskreditiert ganze politische Gedankenkonstrukte aufgrund der gewählten Mittel zur Umsetzung. Wie also gehen wir als Anarchist*innen mit der Gewaltfrage theoretisch um?
Um einer möglichen Antwort auf diese zugegeben amibvalente Situation näher zu kommen, stellen wir uns im folgenden die Frage ob und wenn wie, Militanz zu begründen ist und beginnen mit der Festellung, dass Gewalt ein probates (= geeignetes) Mittel innerhalb eines Staates darstellt um politische, individuelle und kollektivistische Interessen zu verfolgen. Die Gewaltenteilung bzw. Gewaltenverschränkung soll hierbei eine Konzentration und den damit ermöglichten Machtmissbrauch vorbeugen. Durch die Exekutive (= ausführende Gewalt) wird, im Zweifelsfall in Form der „Kollegen in Uniform“, strukturelle Gewalt (= Gewalt, welche weniger mit direktem psychisch/physischem Druck arbeitet sondern durch Umstände und Gegebenheiten seinen Zwang ermöglicht. Z.B. soziale Ächtung, Angst bei Verstößen gegen allgemein anerkannte Gesetze und Verhaltensweisen) physisch umgesetzt.
Gewalt ist hierbei selbstverständlich wenn es darum geht Zwangsmaßnahmen durchzusetzen, denn in der letzten Konsequenz muss das Staatsgebilde sicherstellen, dass der Rahmen erhalten bleibt. Gesetze und politische Entscheidungen werden durchgesetzt – egal ob uns das stört oder nicht.
Okey, wir haben den Rahmen abgesteckt. Gewalt wird als staatliches Mittel zum Zweck des Erhaltes der politischen Ordnung anerkannt. Das Gewaltenmonopol soll dabei sicherstellen, dass die einzige legitime Gewalt innerhalb des Staates die bleibt welche das System schützt und stützt.
Sie ist also als eine kollektivistische Gewalt zu betrachten.
Sie wird vom Kollektiv legitimiert und handelt mit der Sinnrichtung das Kollektiv vor dem Individuum zu schützen.
Aber auch eine Art der individualistischen Gewalt ist im Staatskonstrukt verankert, der Selbstschutz. Das Individuum hat das Recht darauf in erster Linie die eigene Person vor physischen und psychischen Angriffen mit Zuhilfenahme angemessener Mittel zu schützen.
Und hier wird es interessant, denn der persönliche Schutz stellt den Knackpunkt anarchistischer Gewaltausübung dar. Denn bisher war die Dissonanz zwischen Worten und Taten verschiedener Anarchist*innen zum Thema Gewalt bestechend und wird fortwährend diskutiert.

„Müßte man, um zu siegen, auf öffentlichen Plätzen Galgen errichten, so will ich lieber untergehen.“
– (Errico Malatesta)

  1. Wie lässt es sich vereinbaren bewaffnete Aufstände zu führen aber gleichzeitig in seinen Schriften an der Theorie der zwingenden Vereinbarkeit von Mittel und Ziel festzuhalten, laut der die genutzten Mittel niemals konträr zum gewünschten Ziel gewählt werden sollten?
    Dem gehen wir jetzt auf den Grund.
    Der Anarchismus stützt sich auf selbstbestimmte Individuen deren ureigenstes Recht darauf beruht, dass ihm als Mensch kein anderer Mensch etwas gegen den eigenen Willen antut. Das Individuum ist sowohl psychisch als auch physisch nicht zu verletzten. Bereits Kant hat festgestellt, dass „die Freheit des Menschen dort endet wo die des anderen beginnt“ und der Selbstschutz mit verhältnismäßigen Mitteln ist die stringente (= logische) Konsequenz dieser Idee.
    In einer Gesellschaft in der strukturelle Gewalt die Rahmenbedingungen stellt wird die Dilemmasituation bewusst, denn durch Gesetze und den gesellschaftlichen Rahmen entsteht eine Situation von unpersonalisierter Gewalt (= Gewalt, welche nicht direkt zwischen zwei Individuen entsteht sondern ohne konkreten persönlichen Konflikt, obligatorisch gegenüber allen ausgeübt wird). Diese Gewalt wiederum kann ausgeübt werden, ohne dass der geschädigte Mensch direkte Verteidigungshandlungen vornehmen kann. Die strukturelle, unpersönliche Gewalt verhindert bzw. erschwert die Selbstverteidigungshandlung zu gunsten des zu erhaltenden Staatskonstruktes.
    Was nun tun?
    Wie schützt sich das anarchistische Individuum ohne die Mittel/Ziel Kongruenz (=Deckungsgleichheit, bzw. Entsprechung) zu verletzen? In unserer Analyse nimmt der Sachverhalt der strukturellen Gewalt den besonderen Wendepunkt ein.
    Stellen wir uns vor, eine protofaschistische Partei ist im Begriff den politischen Diskurs derart zu beeinflussen, dass die strukturelle Gewalt beginnt die persönliche Unversehrtheit zu tangieren. Faschistische Tendenzen steigen an, Rassismus und anderes diskriminierendes Gedankengut wird in Gesetzen verankert und obwohl die angesprochene Partei möglicherweise niemals selber personalisierte Gewalt ausgeübt hat, ist die Selbstverteidigungshandlung nicht mehr möglich wenn der Diskurs bereits verschoben wurde. Um also angemessen und verhältnismäßig auf die Angriffe gegenüber der persönlichen Freiheit reagieren zu können, muss in diesem Falle vorgebeugt werden. Dabei darf nie vergessen werden, dass Gewalt niemals Selbstzweck sein darf.
    Nazis boxen ist im anarchistischen Modell keine Angriffshandlung sondern eine Form der Verteidigung in der die Gewalt darauf gerichtet sein muss die eigene Freiheit bis zum Rande der Freiheit des Gegenübers zu verteidigen und keinen Schritt weiter.
    Malatesta machte einst klar, dass wir als Anarchist*innen nie den Anspruch haben können zu richten, es muss unsere Aufgabe sein durch große Taten auf zu zeigen was möglich ist. Die große Tat besteht hier darin eine klare Grenze zu ziehen.
    Wir sollten uns nicht dazu erheben über Menschen und ihre Lebensentwürfe zu richten aber mit allen MItteln unsere persönliche Freiheit vor Eingriffen gegen unseren Willen zu schützen.
    Gewalt ist nicht schön, ich verachte Gewalt.
    Aber die Ausübung der selbigen ist legitim. Dies zu verneinen wäre eine Lüge.

Star Trek: Discovery und das #nzsbxn

Star Trek nahm schon immer Bezug auf aktuelle politische Themenfelder. Konzipiert als eine Art Fully Luxury Automated Gay Space Communism hat die Menschheit das kapitalistische Wirtschaftssystem überwunden und auch Religion spielt keine Rolle mehr. Mit Commander Uhura nahm eine schwarze Frau völlig normal eine zentrale Rolle in der ersten Serie ein und es gab eine der ersten Kussszenen über ethnische Grenzen hinweg im amerikanischen TV zu sehen. Mit Checkov war auch ein Russe an Bord – mitten im Kalten Krieg. Am 24. September ist nun der neuen Serienteil Discovery angelaufen. Und macht perfekte Werbung für #nzsbxn

Spoileralarm: Es wird ein paar Dinge aus den ersten beiden Folgen zu lesen geben, die zumindest die Rahmenhandlung vorwegnehmen.

Der klingonische Faschismus

Angesiedelt 10 Jahre vor der Original Series, beginnt die Serie mit dem Startevent des großen Kriegs zwischen der Föderation und den Klingonen. Und bei den Klingonen wird die volle Ladung Faschismus geliefert. Die Grundlagen dafür waren ja schon immer gegeben: Eine kriegerisches Volk, welches aggressiv mit seinen Nachbarn umgeht, die Männer im Kampf, die Frauen im Haushalt, Größe, Stärke, Ehre, Militarismus. Nach kanonischer Storyline ist das klingonische Reich im Jahr 2256 ein totlitäres Regime. In den ersten beiden Folgen von Discovery wird das nun komplett zu waschechtem Faschismus ausgebaut. Schauen wir uns dazu einmal kurz die zusammenfassende Faschismusdefinition von Matthew Lyons an:

„Faschismus ist eine Form rechtsextremer Ideologie, die die Nation oder Rasse als organische Gemeinschaft, die alle anderen Loyalitäten übersteigt, verherrlicht. Er betont einen Mythos von nationaler oder rassischer Wiedergeburt nach einer Periode des Niedergangs und Zerfalls. Zu diesem Zweck ruft Faschismus nach einer ‚spirituellen Revolution‘ gegen Zeichen des moralischen Niedergangs wie Individualismus und Materialismus und zielt darauf, die organische Gemeinschaft von ‚andersartigen‘ Kräften und Gruppen, die sie bedrohen, zu reinigen. Faschismus tendiert dazu, Männlichkeit, Jugend, mystische Einheit und die regenerative Kraft von Gewalt zu verherrlichen. Oft – aber nicht immer – unterstützt er Lehren rassischer Überlegenheit, ethnische Verfolgung, imperialistische Ausdehnung und Völkermord. Faschismus kann zeitgleich eine Form von Internationalismus annehmen, die entweder auf rassischer oder ideologischer Solidarität über nationale Grenzen hinweg beruht. Normalerweise verschreibt sich Faschismus offener männlicher Vorherrschaft, obwohl er manchmal auch weibliche Solidarität und neue Möglichkeiten für Frauen einer privilegierten Nation oder Rasse unterstützen kann.“

Rasse als organische Gemeinschaft: check
anderen überlegen: check
verherrlicht: check
nationale Wiedergeburt nach vermeintlichem Zerfall: check (die Stämme sollen vereint werden)
spirituelle Revolution: check (der Wille Kahless‘ soll neu erwachen)
gegen Individualismus: check (die Gemeinschaft zählt)
Reinigung der Rasse: check
Bedrohung von außen besiegen: check
Männlichkeit: check
mystische Einheit: check
regenerative Kraft von Gewalt verherrlichen: check (im Kampf wird es die Erlösung geben)
rassische Überlegenheit: check (es wird mehrfach betont, dass die Klingonen rein im Blut sind)
imperialistische Ausdehnung: wird angestrebt
Völkermord: es soll alles vernichtet werden, was nicht klingonisch ist
offene Männliche Vorherrschaft: check

Nehmen wir dann noch die klingonische Mystifizierung von Kampf und Tod sowie den Ahnenkult mit dazu (verstorbene Klingonen werden mit Sarkophagen an den Schiffshüllen befestigt, um so im Geiste weiter mitzukämpfen), dann haben wir hier eine volle Packung faschistischer Ideologie am werkeln. Und das auch relativ akkurat rübergebracht, sieht man von der notwendigen Plakativität ab, dies alles in zwei Folgen als Nebenschauplatz darzustellen.

#klngnnbxn – die Hilflosigkeit der Föderation

Die Föderation steht in Folge 1 und 2 vor der Frage, wie jetzt mit diesem faschistischen Feind umzugehen. Michael Burnham, die zentrale Figur der Serie, hat eine jahrelange Ausbildung bei den Vulkaniern hinter sich und wendet sich nach Entdeckung des Klingonenschiffs an ihren Mentor. Dieser erzählt vom Umgang der Vulkanier mit den Klingonen. Nach einem erfolglosen diplomatischen Kontaktversuch, welcher sofort mit einem klingonischen Angriff beantwortet wurde, wird ohne Nachsicht und umgehend bei jeglichem Kontakt #klngnnbxn betrieben. Sie haben verstanden, dass einer faschistischen Ideologie nicht friedlich oder diplomatisch zu begegnen ist. Es hilft nur konsequente und radikale Feindschaft, wo immer man sie und ihre Träger*innen trifft.

Die Föderation hingegen ist auf Diplomatie und Verhandlungen aus und hat auch die Maxime, niemals als erstes zu feuern. In den ersten beiden Folgen wird auch deutlich, dass jegliches Verständnis dafür fehlt, wie umfassend der Aggressionswille von Faschist*innen ist. Man kann mit ihnen nicht reden. Und so kommt es dann, wie es kommen muss: Die Klingonen greifen die Föderation an, in der Schlacht gibt es große Verluste auf beiden Seiten. Der Pazifismus der Föderation ist im Angesicht eines faschistischen Akteurs zum Scheitern verurteilt. Den ein faschistischer Akteur ist IMMER aggressiv.

Die Metapher

Damit spiegeln die ersten beiden Folgen von Star Trek: Discovery sehr akkurat die derzeitige Lage mehr oder weniger weltweit dar. Während reaktionäre und faschistische Kräfte auf dem Vormarsch sind, halten Liberale und aufrechte Demokrat*innen den Pazifismus und die Dialogbereitschaft hoch. Aus der Vergangenheit wurde nichts gelernt, die dem Faschismus elementare Aggressivität wird geleugnet oder übersehen. Statt konsequent und ohne wenn und aber mit faschistischem Gedankengut aufzuräumen, wird beschwichtigt und die rechte Flanke zugemacht. Wenn sich Leute dann aktiv gegen Faschos stellen und die Suppe auslöffeln wollen, die der Rest der Gesellschaft ihnen eingebrockt hat, gibt es Repression und Verfolgung.

Auch die amerikanische Gesellschaft zeigt sich im Angesicht von Trump in weiten Teilen machtlos. Man vertraut einerseits auf die Verfassung mit den „checks and balances“, andererseits wird darauf gehofft, dass er das doch alles nicht ernst meinen könne. Doch kann er. Genauso wie es rechte Kräfte immer ernst meinen mit dem, was sie sagen und tun. Faschos und Neonazis sowieso. Mit solchen Personen lässt sich kein konstruktiver Dialog führen, denn sie wollen nicht an einem teilnehmen. Es ist absurd in Anbetracht der AfD im Bundestag auf irgendeine Form der Normalisierung zu hoffen, damit die ruhiger werden. Diese schöne Vorstellung wird nicht klappen. Mit einem religiösen Spinner wie Osama bin Laden kann auch nicht verhandelt werden. Und die klare Kante muss dann auch genauso hart und konsequent gegen nationalistischen und völkischen Spinner gezeigt werden.

Deontologische und teleologische Ethik und ihre Anwendung im antifaschistischen Bereich

Bei der Überschrift werden sich viele radikale Linke wohl fragen was das mit dem Antifaschismus zu tun hat. Kritiker*innen werden uns ohnehin vorwerfen Antifaschist*innen würden grundsätzlich nicht nach ethischen Gesichtspunkten handeln. Ein Vorwurf, der sich leicht entkräften lässt, wenn man sich ein wenig mit Ethik und ihren verschiedenen Standpunkten befasst.

Deontologie und Teleologie – wtf?

Es gibt deontologische und teleologische (wird heutzutage eher als Konsequentialismus bezeichnet) Handlungsethiken. Bei einer teleologischen Handlungsmaxime wird die Handlung alleine nur am Erwirken eines bestimmen Ziels bemessen, während bei der deontologischen Ethik („Pflichtethik“) vor allem die Handlung an sich bewertet wird. Teleologisches Handeln zeichnet sich dadurch aus, dass kein Handeln ausgeschlossen werden kann, solange es der Erfüllung des Zwecks dient. Handlungsweisen können deshalb nach deontologischer Sichtweise in verschiedenen Kategorien nach „gut“ oder „schlecht“ qualifiziert werden. Aus deontologischer Sicht hingegen werden bestimmte Handlungsweisen von vorneherein als schlecht qualifiziert werden können, da sie einer vorher bestimmten Regel zuwiderlaufen.

Ein klassisches praktisches Beispiel: Ein volles Flugzeug wurde entführt. Terrorist*innen drohen damit mit den Tausenden von Passagieren in ein bewohntes Gebiet hineinzufliegen. Angeblich haben sie sogar noch Sprengkörper an Bord, die den Vernichtungsradius noch deutlich erhöhen würden. Nur diese Dinge sind bekannt, eine Kontaktaufnahme mit den Entführer*innen nicht mehr möglich. In wenigen Minuten werden sie ihr Ziel erreicht haben. Was also ist zu tun?

Zieht man die beiden oben genannten ethischen Aspekte in Betracht gibt es eine Bandbreite von Handlungsoptionen. Menschen, die aus teleologischen Aspekten handeln, könnten das Flugzeug abschießen lassen und trotzdem diese Handlungsweise als gut rechtfertigen, da somit deutlich weniger Tote in Kauf genommen werden als wenn das Flugzeug im Wohngebiet zum Absturz gebracht worden wäre. Selbst wenn im Nachhinein entdeckt wird, dass keine Sprengkörper an Bord waren, könnte es aus teleologischer Sicht als gut gerechtfertigt werden, da vorher nur anzunehmen war, dass sich tatsächlich Explosionsmittel an Bord befanden. Aus deontologischer Sicht hingegen können bestimmte Handlungen von vorneherein als schlecht qualifiziert werden. Wenn beispielsweise das Gebot „Du sollst nicht töten“ als Handlungsmaxime ausgegeben wird, wäre das Abschießen des Flugzeugs aus dieser Sicht grundsätzlich schlecht. Es könnte nur Schadensbegrenzung betrieben werden, beispielsweise durch Evakuierung des Gebiets.

Deontologische Ethiker*innen legt also Wert darauf welche Maxime für sie gilt und ordnen dem auch das Ziel unter, während Teleolog*innen moralisch flexibler sind. Solange das angestrebte Ziel erreicht wird, können auch scheinbar grausame Taten gerechtfertigt werden. Auch der Hedonismus oder der Machiavellismus lassen sich unter der Teleologie zusammenfassen. In der modernen Ethik-Diskussion werden aber sehr wohl auch Aspekte allgemeines Moralverständnis wie die Wahrung der Menschenwürde mit einbezogen. Handeln wird also nach den Jünger*innen dieser Strömung nur dann auch als nicht schlecht qualifiziert, wenn sie bestimmte Grundkriterien erfüllt.

Was hat das jetzt mit Antifaschismus zu tun?

 Wir erleben immer wieder in Diskussionen verschiedene Sichtweisen. Gerade bei umstrittenen Themen wie z.B. der Militanz-Debatte gibt es immer wieder heftige verbale Auseinandersetzungen. Dabei kann es doch recht einfach sein. Bedienen wir uns doch der oben genannten ethischen Prinzipien. Menschen, die grundsätzlich Gewalt ablehnen, werden Militanz nicht billigen. Sie sind leicht als Deontolog*innen identifizierbar. Es kann in einer Debatte deshalb nur darum gehen, dieses Prinzip der Gewaltlosigkeit an sich anzugreifen. Würde diese Person mit einer ethisch deontologischen Sichtweise denn auch weiterhin gewaltfrei bleiben, wenn er direkt angegriffen wird? Inwiefern unterscheidet sich die Selbstverteidigung gegenüber einem präventiven Angriff auf Faschisten, behält man im Hinterkopf, dass sie aufgrund ihrer faschistischen Ideologie grundsätzlich gewaltbereit gegenüber Andersdenkenden sind?

Menschen mit teleologisch geprägter Sichtweise dürften eher positiv zur Militanz stehen. Der Zweck heiligt die Mittel. Faschist*innen, die mit gebrochener Nase im Krankenhaus liegen, werden keine Angriffe auf Migrant*innen in dieser Zeit verüben können. Wenn ihre Autos brennen, werden sie keine Möglichkeit haben – vor allem in der Provinz – zu Treffen zu fahren, an Aktionen weiter weg teilzunehmen, etc. Dies darf jedoch nicht zu einem reinen Gewaltfetisch verkommen. Was davon abhalten kann, ist das allgemeine Moralverständnis. Der Kampf um die befreite Gesellschaft darf nicht über Gulags führen.

Die Schwierigkeit liegt also für ethisch-orientierte Antifaschist*innen darin nicht die Mittel dem Zweck völlig unterzuordnen und bestimmte Grundprinzipien aufrechtzuerhalten. Welche das genau sind und wie diese zu erreichen sind, wird in den verschiedenen radikalen linken Gruppen ausgiebig diskutiert. Gruppen mit unterschiedlicher Prägung werden dazu auch unterschiedlich Antworten finden. Wo andere nicht vor Mord oder Internierungslagern zurückschrecken, werden andere wiederum vor Waffeneinsatz – selbst als Selbstverteidigung – zurückschrecken.

Was heißt das nun für uns?

 Es muss ein Mittelweg gefunden werden. Aus unserem Selbstverständnis heraus, aus dem wir weder Mao noch Stalin feiern, aber durchaus zum #TeamNzsBxn gehören, ist ein Militanz ein Mittel des Antifaschismus. Es ist gewiss nicht das einzige oder gar immer das beste Mittel. Aber in ihrer Ideologie gefestigte Faschos verstehen teilweise keine andere Sprache. Sollte man aber direkt bei jede*m 12-Jährigen, der aus Provokation Hitler-Witze reißt, ein solch ideologisch gefestigtes Weltbild annehmen? Wo liegen die Grenzen? Wer bestimmt dies?

Eine genaue Trennschärfe ist da schwierig. Die Fragen müssen aber gestellt werden. Ab wann verkommt der Antifaschismus zum bloßen Gewaltfetisch und wann ist die Militanz ein probates Mittel? Insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmenden Repression und der Diskreditierung der Bewegung sollte sich jede*r diese Frage stellen.

Amerika und der Antifaschismus

Antifaschistische Gruppen haben in Europa eine lange Tradition. Dies liegt vor allem an dem europäischen Faschismus in der 30ern in Italien und Deutschland vor allem, dem ein direkter Konterpart entgegen gesetzt werden musste. In Amerika gab es zwar auch faschistische Bewegungen mit positivem Bezug auf Nazi-Deutschland in dieser Zeit, diese waren aber eher klein.

Hinzu kommt, dass Amerika zur damaligen Zeit selbst noch mehrheitlich rassistisch und diskriminierend gegenüber Minderheiten war. Die Rassentrennung war Alltag (auch nach der offiziellen Aufhebung 1964), ultrakonservative Politiker im Amt bestärkten diese noch. Gruppen wie der KKK hatten 6 Millionen Mitglieder. Gerade mal hundert Jahre zuvor war ja auch erst die Sklaverei abgeschafft worden.

Nennenswerte militante Gegenwehr gab es erst in den 60ern mit Gruppen wie der „Black Panthers Party“ oder „Nation of Islam“. Zwar gab es auch schon vorher Vorreiter der Bürgerrechtsbewegung wie Martin Luther King oder Rosa Parks. Auffällig dabei ist, dass sich alles rund um PoC dreht. Andere Themen wie Homophobie, Sexismus, etc. waren eher Randphänomene.

Jedoch unterscheiden sich die Gruppen eklatant voneinander, sowohl in der Ideologie als auch in der Umsetzung. Martin Luther King engagierte sich nicht-gewalttätig und eher agitatorisch. Er versuchte Diskriminierungen zu beseitigen. Die Black Panthers Party dagegen schreckte nicht vor Gewalt zurück. Sie war maoistisch ausgelegt, im weiteren Verlauf wurden aber auch nationalistische Thesen vertreten. Noch kruder wurde es bei der Nation of Islam, die eine Vorstellung von „Black-Supremacy“ mit einem aggressiven Islamismus verband. Daran zeigt sich schon wie unterschiedlich die Vorstellungen vom Kampf gegen Unterdrückung war.

Alle Bewegungen litten unter massiver Kriminalisierung und Verfolgung durch die Behörden. Hinzu kam die Ablehnung durch die mehrheitlich weiße Gesellschaft. Auch heutzutage müssen PoC in Amerika noch stark Alltagsrassismus erfahren.

Eine neue Welle der Diskriminierung kam durch die „Alt-Right“-Bewegung auf. „White Supremacy“ und andere Ideologien dürfen wieder offen gezeigt werden. Diese waren zwar nie verschwunden, jedoch trauten sich die meisten Anhänger nicht dies in Zeiten von „political correctness“. Dies änderte sich jedoch rund um die Zeiten der Wahl von Donald Trump. Rassistische Gruppierungen witterten Morgenluft und griffen offen Andersdenkende, PoC, Muslime, Juden, LGBTIQ*-Personen an und fühlten sich sicher.

Um diesem etwas entgegenzusetzen, bilden sich neuerdings verstärkt antifaschistische Gruppen. Diese stellen sich rassistischen „Rallies“ entgegen. Dabei kommt es des Öfteren zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit „Alt-Right“-Anhängern – mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Der Antifaschismus ist also aus purer Notwendigkeit entstanden.

Das größte Ereignis dieser neuen antifaschistischen Bewegung in Amerika war wohl der Protest rund um die Vereidigung von Donald Trump. Antifaschistische Gruppen riefen zum Protest auf, der gewaltig ausfiel. Autonome Gruppen ließen ihrer Wut in den Straßen von Washington freien Lauf. Auch dort wurden wieder gewaltige Repressionsmaßnahmen durchgeführt. Aktivist*innen wurden zu 3 Jahren Haft verurteilt wegen „Vermummung, Sachbeschädigung und Angriffen auf Polizeibeamte“. Hier zeigt sich, dass der Staat keine Gnade zeigt, wenn es um Linke geht – woran uns das wohl erinnert.

Ideologisch zeigen sich einige Unterschiede, was sich jedoch historisch erklären lässt. Der antifaschistische Kampf in Amerika war immer auf Verteidigung ausgelegt und auf die Anti-Diskriminierungs-Agenda von Minderheiten. Eine vollständige ideologische Agenda gibt es nicht. Meist orientieren sich die Aktivist*innen eher an maoistischen/stalinistischen Ideen. Ausgeklügelte anarchistische Elemente – abseits des Sprühens des A – finden sich eher selten.

Dies muss jedoch auch ein Auftrag an amerikanische Aktivist*innen sein. Eine Selbstverteidigungshaltung ist gut und wichtig, dort darf es jedoch nicht aufhören. Auch ideologische Schulung und das Entwickeln einer tragfähigen Zukunftsvision gehören dazu. Dabei sollten sie jedoch darauf achten sich nicht in totalitären System zu verlieren, die sie ja gerade versuchen zu bekämpfen.

G20 – eine Nachbetrachtung

Wir wollen im Nachfolgenden anhand verschiedenerer Meinungen und Perspektiven ein Résumeé für die Proteste gegen den G20-Gipfel ziehen. Dafür haben wir 13 Thesen aufgestellt, zu der jede*r ihre/seine Meinung wiedergeben wird. Natürlich wird eine letztliche Antwort nicht möglich sein, doch nach den sich überschlagenden Ereignissen wollten wir auch für uns eine Klarheit schaffen. Klar ist: die Tage in Hamburg stehen für eine Zäsur. Für die Sicht der Außenwelt auf die radikale linke Szene und womöglich auch auf die radikale Linke untereinander. Kritik, auch untereinander, ist immer wichtig. Damit entsolidarisieren wir uns nicht von den einzelnen Akteur*innen generell, wollen aber auch eine kritische Perspektive einnehmen. 
Thesen
1. Grundsätzlich sind Proteste gegen den G20-Gipfel notwendig.
2. Eine (wie auch immer geartete) Eskalation war sowohl von Politik, Polizei als auch Demonstrierenden gewollt.
3. Die Polizei hatte niemals Interesse an einem Dialog mit der radikalen Linken und wollte wortwörtlich Blut sehen.
4. Die Inhalte der Proteste gegen G20 finden wegen der Ausschreitungen kaum Beachtung.
5. Die „Ergebnisse“ des Gipfeltreffens finden wegen der Ausschreitungen kaum Beachtung.
6. Die breite Öffentlichkeit hat sich auch vorher nicht für die Inhalte des Treffens und der Proteste interessiert.
7.  Die Ausschreitungen waren reiner Selbstzweck ohne politischen Hintergrund, ein Großteil der Randalierer*innen waren keine Linken.
8. Es muss jemand zur politischen Verantwortung gezogen werden.
9.Gipfel wie der G20 sind absolut unnötig.
10. Großstädte sind als Veranstaltungsorte solcher Gipfeltreffen ungeeignet.
11. Die Gewalt wurde von vornherein eingeplant, um von Seiten der Politik und der Polizei Wahlkampf zu machen.
12. Die Medien interessieren sich in den meisten Fällen nicht für Inhalte, sondern für spektakuläre Bilder.
13. Die Mehrheitsgesellschaft unterliegt einem massiven Doppelstandard und hat jetzt endlich wieder einen Grund, zum Teil menschenverachtend gegen alles (vermeintlich) linke zu hetzen.
ES: Erich Schwarz
TL: Tom Lewis
LS: Laura Stern
1. Grundsätzlich sind Proteste gegen den G20-Gipfel notwendig.
ES: Proteste sind immer legitim. Gerade bei solchen Großevents wie dem G20-Gipfel kann man direkt zeigen, was man von solchen Events hält. Aber es muss hier um die Inhalte gehen, die kritisiert werden. Eine Demo ist niemals reiner Selbstzweck, sondern verfolgt ein direktes Ziel. Und gerade wenn man sich anschaut, welche (lächerlichen) Ergebnisse der G20-Gipfel gebracht hat, war der Protest auf jeden Fall notwendig.
TL: 
Auch wenn ich solche Gipfel für notwendig halte, sind es die Proteste dagegen umso mehr. Wenn die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf diesem Gipfel liegt und hunderttausende gegen Kapitalismus, gegen Ausbeutung und Krieg protestieren, kann man damit ein mächtiges Zeichen setzen. Vor allem, wenn Diktatoren daran beteiligt sind, können diese kritisiert werden, was in ihren Ländern nicht möglich ist.
LS:
Ich sehe die Sache pragmatisch: Es ist ein großes Event, bei dem sowieso Interesse an einem Protest besteht. Also kann dieser auch aus dem radikal linken Spektrum heraus organisiert werden. Damit gelangen entsprechende Positionen an ein viel größeres Publikum als sonst. Es ist dann eine Frage der Umsetzung, ob und wie gut das dann gelingt. Diesen Gipfel als Agitationsmöglichkeit auszulassen, halte ich für nachlässig.
2. Eine (wie auch immer geartete) Eskalation war sowohl von Politik, Polizei als auch Demonstrierenden gewollt.
ES: Durch die Erkenntnisse, die sowohl der Polizei als auch der politischen Führung vorlagen, wussten sie, was auf sie zukommt. Im Vorfeld wurde ja auch kräftig Stimmung gemacht (auch von der linken Szene) und da auch die Repressionsschiene gefahren. Letztlich schaden aber die erzeugten Bilder allen. Der Polizei kann es aber am ehesten egal sein. Individuelle Disziplinar- oder gar Strafverfahren sind zwar wahrscheinlich, aber in der Mehrheitsgesellschaft wird dennoch am ehesten auf die linke Szene eingeschlagen. Die Polizei hat in den Augen vieler nichts falsch gemacht, dort wird dann eher die politische Führung dafür zur Verantwortung gezogen z.B. das Ganze überhaupt in Hamburg stattfinden zu lassen oder die chaotische Einsatzplanung.
TL: 
Davon ist auszugehen. Wenn man sich die Vorbereitungen auf beiden Seiten anschaut, stellt man fest, dass sowohl die Polizei, als auch die an den Ausschreitungen beteiligten Protestierenden sich darauf eingestellt haben, Gewalt anzuwenden und eine Eskalation herbeizuführen.
Was die Politik angeht, halte ich es tatsächlich nicht für eine böse Absicht, sondern eher für totale Selbstüberschätzung und Unverständnis der Situation. Wenn Olaf Scholz den G20 mit einem Hafengeburtstag vergleicht und die Bundesregierung der Überzeugung ist, es sei eine gute Idee, einen Gipfel etwa 500m entfernt von einem der größten alternativen Viertel Europas abzuhalten, dann ist das dumm, aber nicht bösartig.
LS:
Machen wir uns nichts vor: Ein Teil der in Hamburg Protestierenden wollte Riots und Gewalt. Das muss so klar und offen festgestellt werden. Wir haben es hier nicht mit dem AfD-Parteitag zu tun, sondern mit einem internationalen Großevent. Und vor allem im mediterranen Raum sind die Auseinandersetzungen viel brutaler als in Deutschland. Dafür läuft die Repression dort anders. Von Seiten der Polizei und der Politik wurde von vornherein auf Konfrontation gesetzt. Je näher der Gipfel kam, desto mehr wurde der Offensivkurs offensichtlich. Die Polizei wollte zu keinem Zeitpunkt die Rechte der Bürger*innen so weit es möglich wäre gewahrt wissen. Sie wollte mit aller Härte Tatsachen schaffen und sich selbst legitimieren. Die Räumung von Entenwerder am Sonntag und der völlig überflüssige Wasserwerfereinsatz am Dienstag haben das dann ganz konkret vor Ort deutlich gemacht. Der Tiefpunkt der polizeilichen Gewalttaktik war das Zusammenknüppeln der „Welcome to Hell“-Demo am Donnerstag. In Kombination mit den ganzen Schikanen und Rechtsbrüchen vor Ort ergibt sich dann eine Stimmung, die bei militanten Linken nicht zur Zurückhaltung führt. „Wir können machen, was wir wollen – und werden trotzdem gepfeffert. Dann können wir auch richtig loslegen, einen Unterschied macht das nicht wirklich.“ – so ähnlich dürfte ein vielgedachter Gedanke gelautet haben. Und ich bin auch der Meinung, dass dies alles vorher absehbar war. Bei einer Sache wie G20 gibt es enorm viele Gefahrenanalysen und -abschätzungen. Mit der Standortwahl Hamburg sind entsprechende Szenarien unter Garantie bis in höchste politische Ämter bekannt gewesen. Von daher: Die Eskalation wurde einerseits von allen Seiten zum Teil gewollt, von den anderen Teilen billigend in Kauf genommen.
3. Die Polizei hatte niemals Interesse an einem Dialog mit der radikalen Linken und wollte wortwörtlich Blut sehen.
ES: Dass die Polizei keine Lust auf Dialog hatte, hat sie bereits im Vorfeld bewiesen. Überharte Einsätze gegen die Campierenden, Kriminalisierung im Vorfeld von Demonstrierenden, Stoppen der „Welcome to Hell“ Demo aus nichtigem Grund, nachdem im Vorfeld keine Auflagen erteilt wurden, etc. Die Polizei hatte nach meinen Beobachtungen tatsächlich Angst. Sie waren bereit Blut zu vergießen. Das sieht man auch an dem SEK-Einsatz. Sie ist ultrabrutal vorgegangen, keine Frage.
TL: 
Wenn man sich einen Hardliner wie Hartmut Dudde als Einsatzleiter engagiert, dann hat man generell kein Interesse an Dialog. Dafür gibt es Hardliner. Sie sollen nicht reden und diskutieren, sondern handeln.
Die vorher angekündigte Nulltoleranzpolitik der Einsatzleitung war schon ein Wink in diese Richtung, da damit nicht nur gesagt wird, dass man Randalierer*innen mit aller Macht der Staates bekämpfen will, sondern auch, dass man jede Form von Widerstand hart angeht. Auch wenn es sich dabei um eine friedliche Demo handelt.
LS:
Es gab kein Interesse an einem Dialog. Es sollten von vornherein Tatsachen durch schiere Macht und Überlegenheit geschaffen werden. Dudde wollte die direkte Konfrontation, hat sie gesucht und letztendlich auch gefunden.
4. Die Inhalte der Proteste gegen G20 finden wegen der Ausschreitungen kaum Beachtung.
ES: Letztlich ja. Die Medien berichten fast ausschließlich über die Ausschreitungen. Dass über 100.000 Menschen zu den Demos kamen und friedlich ihre Meinung gegen den Gipfel gezeigt haben, wird kaum wahrgenommen. Auch der militante Protest wie die Blockadeaktionen – wenn auch nur symbolisch erfolgreich – wird kaum wahrgenommen. Das Einzige, was medial und in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, sind die Ausschreitungen. Selbst in der (radikalen) linken Szene hat dieser kaum eine Relevanz, weil alle nur über die Bilder in der Sternenschanze diskutieren.
TL: 
Das ist leider immer so. Den heutigen Medien, vor allem im Zeitalter der Digitalisierung, sind spektakuläre Bilder immer wichtiger als Inhalte. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sämtliche Aufmerksamkeit den Ausschreitungen zuteilwurde, während die friedlichen Demonstrationen meistens nur eine Nebenbemerkung wert waren.
LS:
Die Gegenfrage hier ist doch, ob die Inhalte des Gegenprotestes ohne die Ausschreitungen wahrgenommen würden. Und da zeigt doch die Vergangenheit, dass dies bisher eher weniger der Fall war. Natürlich, bürgerliche Kampagnen wie gegen TTIP und CETA haben ihr Einzelanliegen sehr gut in die Öffentlichkeit gebracht. Wir reden hier von radikal linker Seite aber um einen kompletten Wechsel des Wirtschaftssystems. Selbst Personen, die sich seit Jahren gegen den Kapitalismus engagieren, „glänzen“ teilweise mit arg verkürzter Analyse und ner Menge Bauchgefühl. Das Thema ist einfach so komplex, es kann kaum massentauglich jenseits schon längst bekannter und abgedroschener Phrasen aufbereitet werden. Und Hand auf Herz: Wer liest sich schon Demoaufrufe durch? Kaum jemand. Es ist doch utopisch anzunehmen, dass ohne die Riots die harten Inhalte der Gegenproteste eine große Reichweite bekommen hätten. Und die der radikal Linken noch mal weniger.
5. Die „Ergebnisse“ des Gipfeltreffens finden wegen der Ausschreitungen kaum Beachtung.
ES: Hier sieht es ähnlich aus wie bei den Inhalten des Protestes. Die Inhalte werden kaum aufgearbeitet. Obwohl Erdogan und auch Trump gezeigt haben wie wenig sie an einem Dialog für eine bessere Welt interessiert sind. Dieser G20-Gipfel ist nämlich – anders als es uns manche Medien suggerieren wollen – kein nettes Kaffee trinken mit Philharmoniebesuch, sondern dort werden knallharte politische Entscheidungen getroffen. Bei dem Treffen sollten Afrika und besonders die Migrationspolitik im Vordergrund stehen. Letztlich führte dieses Treffen zu einer noch stärkeren Austeritätspolitik, während sich die Linken darüber in den Haaren haben, wer denn nun eigentlich an den Ausschreitungen schuld ist.
TL: 
Einerseits verhält es sich hier genauso, wie mit den Inhalten der Proteste. Auch die Ergebnisse dieser Gipfel gingen ein wenig in den Krawallen unter. 
Andererseits muss man dazu sagen, dass die meisten Menschen, sich sowieso nicht für den Gipfel an sich interessiert haben, geschweige denn überhaupt eine Ahnung hatten, worum es inhaltlich geht.
LS:
Wen interessieren schon die Ergebnisse und Beschlüsse? Wer was darüber wissen will, findet alle relevanten Informationen. Wir haben es hier mit Geopolitik und der Weltwirtschaft zu tun. Themen, die eher nicht bei*m Friseur*in besprochen werden. Sofern kein direktes Interesse besteht oder die Ergebnisse tatsächlich wichtig sind oder gar Auswirkungen auf die Gesellschaft hier haben, ist die Aufmerksamkeitsspanne doch eher gering. Meine These: Die Ergebnisse interessieren eh kaum, daran ändern auch die Ausschreitungen wenig.
6. Die breite Öffentlichkeit hat sich auch vorher nicht für die Inhalte des Treffens und der Proteste interessiert.
ES: Es wurde nach meiner Auffassung sehr wenig über die Formen des Protests und auch die Inhalte des Gipfeltreffen berichtet. Das mediale Bild wurde bereits dort von der Diskussion über die „gewaltbereiten Autonomen“ bestimmt. Die Protestinhalte waren ohnehin egal, aber für viele wurde der G20-Gipfel auf ein Stelldichein reduziert ohne tatsächliche Auswirkungen, was einfach nicht der Fall ist.
TL: 
Die mediale Berichterstattung befasste sich hauptsächlich mit der Vorbereitung der Polizei auf den Gipfel und mit allgemeinen Fragen, ob Trump und Putin sich unterhalten würden und ob diese Gespräche Ergebnisse bringen würden. Worum es in den Gesprächen wirklich gehen würde, schien aber nur wenige zu interessieren. 
LS:
Hier ist ein bisschen Selbstkritik fällig: Wir haben uns auch nicht wirklich inhaltlich mit G20 beschäftigt. Im Gegenteil, wir haben mit den Riots und entsprechenden Bildern kokettiert. Im Laufe der letzten Wochen ist mir dann klargeworden, dass dies falsch ist. Gegen Nazis oder Islamist*innen kann die Mobi im Vorfeld gerne so militant sein, wie sie will. Dabei haben wir es aber auch mit konkreten Ereignissen und Gruppierungen zu tun. Bei einem Komplex wie der Überwindung des Kapitalismus ist ein reiner Riotfetisch einfach viel zu kurz gegriffen und geht am Thema vorbei. Die Blockaden um den Hafen herum sind exakt der richtige Weg und entsprechen auch den Grundbetrachtungen, die zur Entwicklung des Generalstreikkonzepts geführt haben: Dem Kapitalismus seine Grundlage – die geordnete Warenproduktion – entziehen oder sie zumindest stören. Und zwar so, dass (theoretisch) kein Mensch zu Schaden kommt. Dieser Aufgabe sind wir nicht gerecht geworden. Und der Protest wurde eigentlich auf die Frage reduziert, wie hart die Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Linken wird. 
7.  Die Ausschreitungen waren reiner Selbstzweck ohne politischen Hintergrund, ein Großteil der Randalierer*innen waren keine Linken.
ES: Zum Teil waren die Ausschreitungen sicher nicht politisch motiviert. Das war Riot ohne Sinn und Verstand. Einzelne Aktionen kann man zwar sicher als militant bzw. linksradikal motiviert betrachten wie z.B. die Weiterreichung von Lebensmitteln an Obdachlosen nach der Plünderung des REWE oder das Verbrennen von Porsche-Fahrzeugen. Letzteres kann man aus linksradikaler Sicht durchaus kritisch sehen. Dies erscheint mir als gelebte regressive Kapitalismuskritik. Wirklich antikapitalistisch ist das in meinen Augen nicht. Noch viel weniger ist es halt antikapitalistische Kritik Kleinwagen anzuzünden, kleine Blumenläden anzugreifen oder Ähnliches. Entweder da hat jemand Kapitalismuskritik mal so gar nicht verstanden oder es ging einfach nur um Krawalle der Krawalle wegen.
Nach den bisherigen Berichten war eine bunte Mischung an den Krawallen beteiligt. Auch Linke oder sich selbst als links bezeichnende Personen waren dabei. Die Verantwortung jedoch ausschließlich auf andere zu schieben sehe ich nicht als zielführend an. Das Thema des militanten Widerstands bzw, der Gewaltanwendung ist ein immer wiederkehrendes Thema in der radikalen Linken. Es muss eine Diskussion darüber geben, wie und zu welchem Zweck solch eine Militanz ein Mittel sein kann. 
TL: 
Dass die Randalierer*innen keine Linken waren, halte ich für ebenso eine undifferenzierte Aussage wie die Aussagen von Konservativen, die behaupten, alle Linken seien so. Auch wenn nachweisbar Neonazis und „Krawalltouristen“ beteiligt waren, so ist die Mehrheit doch dem linken Spektrum zuzuordnen.
Hier haben wir ein häufig vorkommendes Argument von uns Linken, dass wir einfach sagen „das waren keine Linken“ wenn man uns kritisiert. Das halte ich für falsch und unehrlich. Denn so setzen wir uns nicht mit internen Probleme auseinander, sondern schieben sie nur beiseite. Ich kann jemandem doch das Linkssein nicht absprechen, nur weil ich seine Art zu Denken oder zu agieren schlecht finde. Auch diese Leute sind links und wir müssen uns damit auseinandersetzen.
Nun zur eigentlichen Frage: Ich gehe davon aus, dass die meisten, die dort randalierten das eher aus Riot um des Riot Willens gemacht haben, also keinen wirklichen politischen Grund hatten. Zumindest sehe ich keinen Sinn darin einfach nur zu zerstören und ein linkes Viertel zu zerlegen. Diese Ausschreitungen haben sich also von jeglichem politischen Hintergrund entfernt, was jedoch nichts daran ändert, dass die Akteur*innen mehrheitlich links waren.
LS:
Ich schließe mich den anderen so weit erst einmal an. Wir müssen uns der Verantwortung stellen, dass die Ausschreitungen durch die Gegenproteste überhaupt erst möglich waren. Natürlich sind Personen genau deshalb angereist. So wie in Frankfurt/Main zur EZB-Eröffnung. Und natürlich feiern sich viele Linke für ihr Militanz und Gewalt, da lässt sich teilweise eine Gruppendynamik feststellen. Vor allem aus anarchistischer Sicht gibt es ja auch diverse Vorbilder in Sachen Zerstörung: Propaganda der Tat und Banküberfälle zum Beispiel. Dies bekämpft aber immer nur Symptome und nie die Ursache. Mir kommt es manchmal so vor, als würden einige nicht verstehen, was das Ende vom Kapitalismus dann tatsächlich bedeutet. Es ist eine Änderung der Art des Wirtschaftens und des Bankenwesens, nicht eine komplette Abschaffung all dessen. Auf der anderen Seite kann ich natürlich die Wut verstehen, die viele Menschen umtreibt. Nur ist Wut eben das Gegenteil von analytisch. Mir tun die Autos, Schaufenster und so weiter keinen Millimeter leid. Nur muss eben auch eine erschöpfende Antwort kommen, warum das jetzt alles gut sein soll. Auf welcher Ebene jetzt was genau wie erreicht wurde – und was genau nicht. Den Kapitalismus wird durch Riots niemand überwinden. 
8. Es muss jemand zur politischen Verantwortung gezogen werden.
ES: In solchen Fällen wird immer schnell ein Kopf gefordert. Dabei macht es recht wenig Unterschied, ob es jemand wie Scholz oder Dudde ist. Letztlich wird es kaum etwas ändern. Dies dürfte wenn überhaupt nur ein „Trostpflaster“ für die Betroffenen sein. 
TL: 
Sicher, nur bezweifle ich, dass das anständig gemacht werden wird. Es haben sich schon längst alle Olaf Scholz als Bauernopfer herausgesucht. Dieser hat zwar die dümmste Einschätzung in der Geschichte aller Fehleinschätzungen von sich gegeben, als er meinte, der G20 sei ja kaum schlimmer als ein Hafengeburtstag, doch hauptverantwortlich ist er nicht.
Scholz war nicht der Einsatzleiter der Polizei und es war auch nicht seine Idee, den Gipfel in Hamburg zu veranstalten. Er hat dem nur zugestimmt. Die Idee jedoch kam von der Bundesregierung. Daher sollte die politische Verantwortung größtenteils bei der Regierung liegen und nur zu einem Teil bei Scholz.
Allerdings haben alle bereits mit Scholz ihren Schuldigen, daher ist davon auszugehen, dass es für Merkel und Co keine Folgen haben wird.
LS:
Es wird sich schon wer finden, vielleicht hat Scholz sich mit seinen Aussagen zur Polizeigewalt selber dafür angeboten (oder anbieten müssen). Im Endeffekt ist das aber auch egal, ein Name ist nur ein Name und keine Analyse der Ereignisse vor Ort. Mir ist egal, wer da jetzt zurücktritt. Die Frage ist eher, was es in unsere Richtung für Konsequenzen gibt. Und da überschlägt sich die hochfeine demokratische Mitte gerade mit Forderungen, die Errungenschaften des bürgerlichen Staates auszusetzen und sich quasi selber abzuschaffen. Mich interessieren die Inhalte, nicht irgendwelche Namen. Wenn das Resultat dann ist, dass unfähige Personen den Hut nehmen müssen und Journalist*innen bei der nächsten Sache nicht mehr weggeprügelt werden, dann ist das natürlich eine konkrete Verbesserung. In dieser Richtung sehe ich nur im Moment nichts.
9. Gipfel wie der G20 sind absolut unnötig.
ES: Durch die G20-Gipfel wird sich morgen die Welt nicht verändern. Viele Entscheidungen werden auch an anderer Stelle getroffen. Der Kosten/Nutzen-Faktor ist immer äußerst hoch, selbst wenn man es an einem abgeschiedenen Ort wie Heiligendamm macht. Von daher wäre auch ein Abschaffen der G20-Treffen möglich.Es geht aber nicht darum das Reden an sich abzuschaffen, sondern ein solches Massentreffen. Es ist ja nicht so, dass diese Politiker*innen nie miteinander reden würden bzw. deren wichtigste Mitarbeiter*innen.
TL: 
Ich denke, dass solche Gipfel durchaus nötig und nützlich sein können. Man hat leider immer den Eindruck, dass die ganzen Staatscoberhäupter zusammenkommen, zwei Tage lang leere Worthülsen durch Konferenzsäle werfen und hinterher eine Erklärung abgeben, die mit so vielen Kompromissen versetzt ist, dass man im Prinzip auch ein leeres Blatt hätte abgeben können.
Das ist frustrierend aber dennoch ist es meiner Meinung nach besser, als wenn die Politiker*innen gar nicht miteinander sprechen. Jeder noch so kleine Erfolg dieser internationalen Gipfel ist den Aufwand wert. Man sollte sich nur für die Zukunft überlegen, wenn man einlädt, um am Ende auch etwas Handfestes vorweisen zu können. Ein Donald Trump hat für mich beispielsweise nichts auf einer solchen Veranstaltung zu suchen.
LS:
Ich kann nichts dagegen haben, dass Leute miteinander reden. Die Gegenfrage ist ja, wie es ohne diese Gipfel und Verhandlungen aussieht. Und da ist mir so ein Treffen dann schon lieber als nationalistisches Kleindenken. Vernünftige Kritik richtet sich deshalb nicht gegen den Gipfel an sich, sondern a) gegen konkrete Beschlüsse, b) mahnt an, was nicht beschlossen und besprochen wurde und c) stellt natürlich die Systemfrage. Dass so ein Treffen dann auch mal wieder ein Kuscheln mit Diktaturen und Autokratien mit sich bringt, ist aus radikal linker Sicht tatsächlich eher zu vernachlässigen. Der Punkt ist natürlich wichtig, aber sollte nicht der zentrale Kritikpunkt sein.
10. Großstädte sind als Veranstaltungsorte solcher Gipfeltreffen ungeeignet.
ES: Durch die Struktur von Großstädten ist ein Kontrollieren von Protestierenden nahezu unmöglich. Die Polizei hat durch ihre Einsatztaktik selbst zu einer Verschlimmerung der Lage beigetragen. Sie haben zu einem Versprengen der Gruppen geführt, wodurch die Randalierer*innen freie Hand bekamen und es zu der Eskalation kamen. Aber z.B. auch bei Heiligendamm gab es Fehler in der Polizeitaktik. Letztlich wird es überall Probleme geben. 
TL: 
Absolut. Nicht nur werden die Einwohner*innen der Stadt tage- und wochenlang in ihrer Freiheit eingeschränkt, es entsteht auch ein finanzieller Schaden für die Stadt.
Dazu ist eine Kontrolle einer Großdemo in einer Stadt viel schwerer, was im Endeffekt zu solchen Ausschreitungen führt, da es auf beiden Seiten Menschen gibt, die auf eine Eskalation aus sind.
LS:
Der Aufwand steht in einfach in keinerlei Verhältnis zum wie auch immer gearteten Nutzen. Ob ein Beschluss nun in der Sahara oder im Herzen Tokios beschlossen wird, ist dem Beschluss egal. Die Einschränkungen vor Ort allerdings nicht. Genua hatte doch eigentlich gezeigt, warum eine so unüberschaubare Großlage in einem Stadtgebiet nicht zu vertreten ist. 
11. Die Gewalt wurde von vornherein eingeplant, um von Seiten der Politik und der Polizei Wahlkampf zu machen.
ES: Das glaube ich nicht. Die innere Sicherheit steht bei allen Parteien auf dem Wahlkampfprogramm. Am ehesten profitieren dürften die Mitte/Rechts-Parteien. Warum sollte also ein SPD-Oberbürgermeister dies provozieren? Letztlich dürfte es der eigenen Partei eher schaden. 
TL: 
Geplant würde ich nicht sagen. Vielleicht bin ich naiv, aber mein Glaube an das Gute im Menschen hält mich davon ab, an eine von langer Hand geplante Eskalation zu glauben. Was ich aber glaube, ist, dass man es wohlwissend passieren ließ. 
Die Politik wusste, dass die Polizei eine harte Einsatztaktik auffahren würde und die Polizei wusste, dass sie viele Freiheiten haben würde.
LS:
Entsprechende Äußerungen gibt es diesem Zusammenhang jetzt öfter zu lesen. Für mich sind das aber reine Spekulationen, die ohne belastbare Beweise oder Indizien auch nur Spekulationen bleiben. So was driftet dann auch gerne in Richtung von Verschwörungstheorien „gegen die da oben“ ab, daher beteilige ich mich erst gar nicht daran. Gewalt und Ausschreitungen wurden in Kauf genommen – mehr kann ich nicht sagen.
12. Die Medien interessieren sich in den meisten Fällen nicht für Inhalte, sondern für spektakuläre Bilder.
ES: Krawallbilder verkaufen sich gut. Auch die regelrechte Hetzjagd der Bild, die vorher noch genüsslich die schlimmsten Bilder auf der Titelseite hatten, zeigt ein übles Ausmaß. Aber damit haben die Randalierenden letztlich diesen Medien einen riesigen Dienst erwiesen. Ob ohne Krawalle die Bilder der friedlichen Demonstration von 100.000 Menschen auf den Titelseiten gelandet wäre, lässt sich schwer sagen. Viele, die jetzt ohne Unterlass Krawallbilder für ihre Artikel nehmen, hätten es wahrscheinlich nicht getan.
TL: 
Auch Medien sind leider profitorientiert, daher denken viele Zeitungen vor allem daran, wie sie sich vermarkten können. Also ja, Bilder sind immer „besser“ als Inhalte.
LS:
„Die Medien“ ist an dieser Stelle eine für mich nicht haltbare Kollektivierung. Davon ab ist natürlich eine inhaltliche Auseinandersetzung immer schwieriger als seichte Unterhaltung. Ein Thema wirklich zu durchdringen, erfordert viel Arbeit und Zeit, erst Recht bei Antifaschismus und Kapitalismus. Es geht hier nicht um den Rasen nebenan, sondern tatsächlich ums Ganze. Und wer mit der Berichterstattung nicht zufrieden ist, kann problemfrei selber für eine bessere sorgen. Außerdem kommt hier das tiefsitzende Ressentiment gegenüber der Linken zum Tragen. Es geifert sich eben viel einfacher, wenn man nicht differenzieren muss. 
13. Die Mehrheitsgesellschaft unterliegt einem massiven Doppelstandard und hat jetzt endlich wieder einen Grund, zum Teil menschenverachtend gegen alles (vermeintlich) linke zu hetzen.
ES: Die Menschen haben jetzt einen Vorwand um gegen alles Linke zu hetzen. Hier zeigt sich ein erschreckender Schulterschluss der Mitte mit der extremen Rechte. Da werden scheinbar normale Bürger*innen auf einmal zu Verfechter*innen des sofortigen Erschießens oder Ähnlichem. Und denen erscheint das völlig normal. Wir haben es ja auf unserer eigenen Seite erlebt. Da fehlte jegliche Differenzierungsfähigkeit. Das ist echt erschreckend und sollte in der öffentlichen Diskussion einen deutlich größeren Platz einnehmen. 
TL: Doppelmoral sehe ich überall und gerade jetzt nach G20 verfallen viele Konservative erst recht ins Autoritär-Reaktionäre. Endlich sind die Linken wieder die Bösen!
Jetzt kann man mehr Überwachung fordern und alles für den Wahlkampf instrumentalisieren oder empört aus Talkshows verschwinden. Recht praktisch ist es auch, dass man die eigenen dummen Aussagen darüber, dass man keine drei Minijobs brauche, wenn man etwas Anständiges gelernt hätte, unter den Teppich kehren kann und sich nun künstlich aufregen kann. 
Was vielen (auch einigen Linken) fehlt ist differenziertes Denken. Die Politik hat Fehler gemacht und die Einsatztaktik der Polizei war alles andere als deeskalierend. Aber wir müssen auch die Randalierer*innen kritisieren. Das ist differenziert.
LS:
Linke Kritik ist seit über 200 Jahren gegen die Mehrheitsgesellschaft gerichtet. Progression und Emanzipation der bestehenden Verhältnisse fordern einerseits Akteur*innen in Machtpositionen heraus, andererseits wirkt der Aufbruch ins Ungewisse immer abschreckend auf Viele. Die Behäbigkeit in Verbindung mit Unwissenheit und tiefsetzender Ablehnung dessen, was als „links“ stigmatisiert wird, brechen sich jetzt wieder ungefiltert Bahn. Menschen fühlen sich dann wohl, wenn sie sich über andere erheben können. Und genau das bekommen wir jetzt ab. Die Äußerungen und Forderungen der letzten Tage führen uns allen direkt vor Augen, wie sich eine theoretisch aufgeklärte humanistische Gesellschaft von innen heraus faschisieren kann. War es vor zwei Jahren noch schick, sich gegen die Nazis der eigenen moralisch-ethischen Überlegenheit zu versichern, sind jetzt mal wieder Linken dran. Mit bürgerlicher Querfront nach ganz rechts inklusive. Der Deutschen reine Seele – unreflektierter Hass. Ich verzichte dankend.