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Rache für Sarah

Es folgt ein Gastbeitrag der Gruppe Pawlitchenko, den wir auf unserer Plattform veröffentlichen.

Der Fall Sarah Rambatz sorgte vor der Bundestagswahl für einiges Aufsehen. Eine Person leakte einen Screenshot aus einer geschlossenen Gruppe und verursachte neben dem Verlust vom Listenplatz zur Wahl für einen volksdeutschen Mob, der sich volkstümelnd in sexistischen, antisemitischen, sexuellen, Todes- und sonstigen Gewaltphantasien erging und die Sarah und Familie direkt bedrohten. Durch Recherche haben wir den Täter ausfindig gemacht. Es handelt sich dabei nicht um einen Neonazi oder einen irgendwie organisierten Rechten. Es handelt sich um das, was gemeinhin als „besorgter Bürger“ firmiert. Der eigentlich unauffällige Nachbar von nebenan, der einem einen Bausparvertrag schmackhaft machen möchte, ein Auto verkaufen oder eine Lebensversicherung. Um einen normalen Alltagsrassisten also, von denen es viel zu viele gibt und die das Leben in Deutschland so deutsch machen.

Vice-Artikel mit guter Zusammenfassung des Mobsturms: https://motherboard.vice.com/de/article/vbb9y9/diese-nutte-gehort-totgebumst-mordaufrufe-gegen-linken-politikerin-nach-facebook-post?utm_medium=link

Wir haben Screenshots von einem Teil der Beleidigungen und Drohungen gesammelt und zusammen mit einem Schreiben an seine Arbeitsadresse geschickt. Zusätzlich ging mit einem Fakeprofil eine Nachricht sowohl an ihn als auch an seine Lebensgefährtin, die inhaltsgleich mit dem Brief war. Wichtig war uns, dass der Täter sich des Umfangs des von ihm verursachten Mobs voll bewusst wird und hoffentlich reflektiert, was so in jedem Maße durchschnittliche Personen wie er mit ihren Alltagsrassismus und ihrem Deutschtum bei Menschen anrichten.

Antisemitismus und Rassismus waren auch nach dem alliierten Sieg über das Dritte Reich nie wirklich weg. Nachdem aber die bürgerlichen und sozialistischen Revolutionsnationen die Zivilisation zwangsweise nach Deutschland gebracht hatten, waren sie für wenige Generationen eher „untergärig“. Kaum jedoch dass die Sowjetmacht den Deutschen nicht mehr im Nacken saß, begannen – nach dem nationalistischen Rausch der Wiedervereinigung – Neonazis, unter dem Gejohle ganz gewöhnlicher Bürgerinnen und Bürger „national befreite Zonen“ in Ostdeutschland zu errichten. Die folgenden Reformen nach Wegfall der Systemkonkurrenz bestanden vor allem in Verelendungsprogrammen für breite Bevölkerungsschichten, die die Menschen mehr als zuvor in die Rolle vereinzelter Arbeitskraftbehälter drängten.

Während die Kluft zwischen arm und reich immer weiter zunimmt, nährt die Angst vor der eigenen Überflüssigkeit in einem System gnadenloser Konkurrenz Hass und Neid. Statt dass man sich dagegen wehrt, sich für Reallöhne abzurackern, die auf obszön niedrigem Niveau stagnieren, um einen absurd hohen Außenhandelsüberschuss zu erzielen, mit dem der Krisengewinnler Deutschland seine europäischen Nachbarländer destabilisiert, verachtet man hierzulande all jene, deren Lebensinhalt nicht Deutschlands Titel als Exportweltmeister ist. Statt dass man nach Wegen sucht, die gigantischen Produktivkräfte nutzbar zu machen, um ein solidarisches Europa aufzubauen, vergeht man hier lieber vor Missgunst beim bloßen Gedanken daran, in den anderen europäischen Ländern könnte nicht genug geschuftet werden.

Auf diesem Ressentiment wurde vor vier Jahren die AfD begründet, die seitdem immer weiter nach rechts rückt und dabei nicht etwa an Zustimmung verliert, sondern im Gegenteil auf ihrem Marsch in die Vergangenheit das schlummernde Potential einer sich radikalisierenden „Mitte“ hebt. Dabei muss sie sich noch nicht einmal Mühe geben, denn sie wird nach Kräften unterstützt: von Massenmedien, deren Geschäftsmodell der permanente Skandal ist. Und von einem politischen Establishment, das bis heute weder einen vernünftigen Umgang mit dem radikalen Islam noch mit den Problemen gefunden hat, die es mit sich bringt, wenn unzählige Menschen aus verheerten patriarchalen Gesellschaften nach Europa fliehen, und dessen bestes Argument für sich zu sein scheint, nicht die Partei der offenen Reaktion zu sein. Von dieser wiederum erwartet noch nicht einmal ihre eigene Wählerschaft mehrheitlich, dass sie zum Lösen irgendwelcher Probleme imstande wäre. Diejenigen dagegen, die zuallererst ins Fadenkreuz jihadistischer Mordbanden und religiösen Alltagsterrors genommen werden – also Frauen, sexuelle Minderheiten, Jüdinnen und Juden –, geraten durch den Rechtsruck nur noch mehr in Bedrängnis.

Das erschreckende, aber leider eben nicht erstaunliche Ausmaß der Versuche, unsere Genossin Sarah mit Drohungen sexueller Gewalt gegen sie, ihre Familie, ihren Freundes- und Bekanntenkreis einzuschüchtern, steht in einer Reihe mit ungezählten ähnlichen Attacken auf Feministinnen, die auf diese Weise zum Schweigen gebracht werden sollen, und gibt beredtes Zeugnis von dieser Entwicklung.

Der deutsche Mob ist traditionell autoritätshörig und wartet auf ein Zeichen von oben, um nach unten losstiefeln zu können. Das ernüchternde Wahlergebnis der am härtesten gehypten Partei der letzten Dekaden wird von gewaltbereiten Neonazis im ganzen Bundesgebiet als Signal verstanden werden, „ihrem Volk“ den Weg frei zu prügeln. Auf einen Staat, dessen Sicherheitsapparat sich in wildem Aktionismus eine völlig marginalisierte Linke zur „linksextremistischen“ Gefahr zusammenspinnt, während er mit der realen Bedrohung durch den Islamismus schon chronisch überfordert ist, und dessen unübersehbares Problem mit institutionellem Rassismus von den Verantwortlichen einfach ausgesessen wird, sollte niemand zu große Hoffnungen setzen.

Umso wichtiger wird in dieser Situation die Solidarität mit allen potentiellen und tatsächlichen Opfern des Mobs. Und umso wichtiger wird es, über den Umgang mit den jeweils aktuellen Krisenphänomenen hinaus Wege in eine Welt jenseits unerbittlicher Konkurrenz zu finden.
Ein Angriff auf eine von uns ist ein Angriff auf uns alle. Wir stehen solidarisch an der Seite unserer Genossin Sarah. Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die deutsche überwinden – Sozialismus oder Barbarei.

Gruppe Pawlitschenko“