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Interview mit dem Kollektiv „IfS dichtmachen“

Was war der Anlass für die Gründung eures Kollektivs?
 
Zum Anlass der „Sommerakademie“ 2016 des sogenannten „Instituts für Staatspolitik“ in Schnellroda haben sich Aktivist*innen aus dem Saalkreis und aus Halle getroffen, um den ersten Gegenprotest zu planen und durchzuführen. Nach den ersten paar Demonstrationen erschien es uns dann sinnvoll, dem Ganzen auch einen Rahmen zu geben, also eine Gruppe zu gründen, in der weitere Leute aus der Region aktiv werden können.
 
Das IfS wurde im Jahr 2000 gegründet, Antaios und Sezession folgten 2002 und 2003. In welcher Form gab es in der Zwischenzeit Proteste und Aufklärung über Schnellroda in der Region?
 
Wir demonstrieren, wie gesagt, seit September 2016 zu jeder größeren Veranstaltung des „IfS“ bzw. des Verlags Antaios (insbesondere zu den „Winter- und Sommerakademien“). Davor gab es keine organisierten Proteste. Allerdings wissen wir, dass die Anwesenheit der Kubitscheks und ihre politische Tätigkeit seit den ersten größeren Medienberichten zur „Neuen Rechten“ dort schon kritisch diskutiert wurde und auch auf Ablehnung stieß. Es gab also auch vor unserem Engagement Konfliktpunkte bzgl. der faschistischen Agitation im Ort.
 
Welche Relevanz für die radikale Rechte hat Kubitschek mit seinen Plattformen?
 
Kubitschek ist mit seiner Verlagsgruppe (Ellen Schenke, Benedikt Kaiser) ein Stichwortgeber und ein Anheizer. Er ist zwar weit davon entfernt, der große „intellektuelle Strippenzieher“ hinter der AfD zu sein, als der er sich gerne ausgibt oder von diversen Jouralist*innen ausgegeben wird, aber wenn er eine Parole ausgibt, dann wird diese von den „Identitären“, von „Ein Prozent für unser Land“ und auch von manchen AfD-Hetzer*innen aufgenommen und mit voller Überzeugung als neuste brillante Erkenntnis aus Schnellroda vertreten. Auch wenn man das nicht überschätzen darf, stiften Kubitscheks Plattformen also eine gewisse Einheit in Teilen der extremen Rechten, bringen die Vernetzung der Menschenfeind*innen voran und sorgen für den akademischen Anstrich, der aus der Perspektive vieler Medien aus Nazi-Kameradschaftern plötzlich „identitäre Hipster“ macht – auch wenn der Schein da inzwischen endlich gebrochen scheint. Auch wenn die Bedeutung Kubitscheks etwa für die AfD, wie bereits erwähnt, nicht so bedeutend ist wie Kubitschek dies gerne verlautbart, ist darauf hinzuweisen, dass er es war, der einen Tag nach Höckes „Dresdner Rede“ in der Sezession die Verteidigungslinie vorgab. 
 
Was sind die wichtigsten regionalen und überregionalen Vernetzungen von Schnellroda?
 
Also regional möchten wir vor allem darauf hinweisen, dass sich das „IfS“ offensichtlich hervorragend mit der klassischen Neo-Nazi-Szene in Sachsen-Anhalt versteht. Es wurden mehrmals Nazis aus dem weiteren Umland beobachtet, die „das Schäfchen“ (den Veranstaltungsort der „Akademien“) während unserer Demonstrationen auf Befehl von Kubitschek „schützen“ sollten – d.h. davor standen und gepöbelt haben. Bundesweit spielt für die Schnellroda-Gruppe die AfD die größte Rolle: Während man sich früher immer als außerparlamentarisch präsentiert hat, ist man heute absolut auf AfD-Kurs und prügelt sich mit anderen Rechtsextremen um die parlamentarischen Fleischtöpfe. Deshalb waren 2019 auch gleich Alexander Gauland und Alice Weidel als „Stargäste“ auf den „Akademien“, während ansonsten eigentlich nur das Stammpersonal heranzitiert wurde. Über Deutschland hinaus fügt sich das „IfS“ in ein Netzwerk der europäischen extremen Rechten ein, wobei man von einem osteuropäischen Schwerpunkt ausgehen kann, da bereits Faschisten aus Ungarn, Serbien und Kroatien anwesend waren und Kubitschek dort auch schon auf Tour war.
 
Welche unmittelbaren Auswirkungen bzw. welche Wirkmacht auf die nähere Umgebung sind aus eurer Sicht feststellbar seit sich Schnellroda zu einer auch bundesweit relevanten rechtsradikalen Plattform entwickelt hat?
 
Als unmittelbarste Auswirkung ist sicher das sog. „Haus der Identitären Bewegung in Halle“ zu verstehen, dessen gewählter Standort ja unter anderem auf die Nähe zu Schnellroda zurückzuführen ist. Ansonsten lässt sich der Einfluss eher punktuell fassen, etwa wenn bestimmte Kreistagsabgeordnete Kontakte zu Kubitschek pflegen oder die Vermittlung von „Identitären“ oder dem „IfS“ nahestehenden Faschisten als Mitarbeiter von Landtags- oder Bundestagsabgeordneten.
 
In welcher Form seid ihr aktiv, wie klärt ihr auf?
 
Wir bringen jährliche Reader raus, in denen wir die Redebeiträge unserer Demonstrationen und unsere Recherchebeiträge sammeln und dazu ein kleines Fazit verfassen, um über unsere Arbeit zu informieren. Darüber hinaus schreiben wir auch Blogeinträge zu aktuellen Themen rund um die „Neue Rechte“ und bringen demnächst einen Schnellroda-spezifischen Newsletter heraus, der auch an die Anwohner*innen des Dorfes gehen soll. Prinzipiell versuchen wir, unsere Demonstrationen immer mit der Information an die Bevölkerung zu verbinden und starten dementsprechend auch immer mit einem Infostand vor der Demo. Darüber hinaus versuchen wir, uns auch kritisch mit der Ideologie der „Neuen Rechten“ und speziell des „IfS“ auseinandersetzen und bieten Vorträge zu dem Themenbereich an.
 
Merkt ihr, ob und wenn ja in welcher Form sich der Protest in Schnellroda gegen die Akademien auswirkt?
 
Immer wieder konnten die Akademien durch unseren Protest nicht in der geplanten Form stattfinden, da die Rechten sich nicht selten von unserer reinen Anwesenheit haben ablenken lassen. Wir können darüber hinaus bei Kubitschek und seinen Anhänger*innen eine gewisse Resignation beobachten: Während man 2016 noch auf „Defend Schnellroda“ machte, versucht man nun sehr aggressiv so zu tun, als wären wir gar nicht da. Trotzdem verwenden die „Sezession“ und andere Schmierblätter aber immer noch Artikel auf uns, in denen erklärt wird, wie egal wir Kubitschek sind. Wir glauben, dass unsere Demonstrationen dementsprechend dazu beitragen, die Attraktivität der „Akademien“ zu schmälern und dass die Rechten sich inzwischen überlegen müssen, wen sie da einladen und wen nicht.
 
Gab es bereits Bedrohungssituationen und/oder Auseinandersetzungen zwischen euch und AkteurInnen des Schnellroda-Netzwerks?
 
Es gibt immer wieder „aufklärende“ Artikel und Tweets aus dem Umfeld von Schnellroda, die unseren „Linksextremismus“ oder unsere Unterstützung durch diese oder jene vermeintlich super-wichtige Institution „aufdecken“ sollen. Was da dann berichtet wird, ist zwar immer öffentlich einsehbar, aber mit welcher Selbstüberschätzung so getan wird, als hätten die Faschos eine ernsthafte Recherche vorgelegt, ist ganz amüsant. Trotzdem birgt das natürlich auch eine Bedrohungssituation: Die in solchen Berichten namentlich genannten Mitstreiter*innen sollen dem rechtsextremen Mob vorgeworfen werden und auch wenn es oft nicht funktioniert, wissen wir ja inzwischen leider alle, zu was ein digitaler Shitstorm werden kann. Darüber hinaus gab es auf den vergangenen Demonstrationen von uns immer wieder Pöbeleien durch die Faschist*innen. Sie fanden oftmals ihr Akademieprogramm so langweilig, dass sie lieber Stress an unseren Infoständen gemacht und sich sonstwie daneben benommen haben. Insbesondere die „Identitären“ bauen unheimlich gerne Drohkulissen auf und kokettieren mit ihren Gewalttaten, die sie öffentlich dann wieder leugnen.
 
Die IB in Halle hat kürzlich die Aufgabe des Hauses in der Adam-Kuckhoff-Straße 16 bekannt gegeben (wie ernst das real genommen werden muss, wird sich zeigen). Generell sind bei der IB fortwährend Anzeichen des Zerfalls festzustellen. Damit neigt sich ein Aktions- und Bewegungsexperiment Kubitscheks dem Ende entgegen. Was könnte eurer Ansicht nach darauf folgen oder neu gestartet werden?
 
Es bleibt zunächst zu konstatieren, dass die „IB“ zwar offiziell aus dem Haus ausgezogen ist, jedoch weiterhin Kader im Haus wohnen. Auch Antaios und EinProzent betreiben dort weiterhin ein Büro. Derzeit scheinen jedoch Ressourcen und Ideen zu fehlen selbstständig zu agieren. Den Auszug der IB würden wir dahingehend interpretieren, dass versucht wird Druck und somit auch Aufmerksamkeit vom Haus zu nehmen. Man muss daher aufpassen und weiterhin wachsam bleiben, ob es ihnen gelingt, das Haus effektiv nutzen zu können. Die identitäre Ortsgruppe scheint ja ein Revival der „Kontrakultur Halle“ zu versuchen. Dass das für die Gruppe zum Erfolg führt, darf aus unserer Sicht jedoch bezweifelt werden.
 
Anfang Oktober 2019 gab es das versuchte Massaker in der Synagoge in Halle, bei dem ein Rechtsradikaler zwei Menschen erschoss. Als Motivation nannte er typische Elemente rechtsradikaler Ideologien wie z. B. eine sogenannte Umvolkung oder jüdische Weltverschwörung, Feminismus als Zerstörer der Nation/des Volkes: Finden sich diese Inhalte und wenn ja in welchem Umfang auch in den Veröffentlichungen aus Schnellroda wieder? 
 
Der Verlag Antaios fällt seit Jahren dadurch auf, dass er Bücher verlegt, auf die sich Rechtsterroristen aktiv beziehen. Im Verlagsprogramm findet sich das Standardwerk zum „Großen Austausch“ von Renaud Camus, Texte des Bloggers „Fjordman“, an dem sich Anders Behring Breivik orientiert hat und auch das Buch, welches beim Komplizen des Lübcke-Mörders gefunden wurde – in einer Hasstirade gegen Walter Lübcke wurde dessen Name markiert. Zu diesem Thema gab es auch einen Redebeitrag von uns bei der Demonstration gegen die „Sommerakademie“ 2019 den wir aufgrund der Aktualität noch mal für den Anfang Januar erscheinenden Schnellroda-Newsletter aufgearbeitet haben. Natürlich wäre es falsch, das „IfS“ direkt mit dem Anschlag in Halle in Verbindung zu bringen, was jedoch nicht bedeutet, dass es im Umkehrschluss nichts damit zu tun hat. Neben den Bezügen zur publizierten Literatur des „Antaios-Verlages“ bleibt festzuhalten, dass an der „Sommerakademie“ 2019 Kader der „Reconquista Germanica“ teilnahmen, die sich in ihrem „meme-war“ auf dieselben Imageboards wie der spätere Attentäter bezogen.
 
Wie kann man euch vor Ort oder von außerhalb am besten unterstützen?
 
Wir freuen uns in erster Linie über Teilnehmer*innen auf unserer Demo am 11.01. in Schnellroda (oder den nächsten Demonstrationen). Ansonsten finden wir es auch wichtig, dass unsere Inhalte weiter verbreitet werden und dass Menschen das Problem in Schnellroda auf dem Schirm haben. Dazu bieten wir auch Vorträge an.
 
Von wo kann man eure Materialien und Rechercheergebnisse beziehen?
 
Unsere Broschüren erscheinen kostenfrei als PDF auf unserem Blog. Dort stellen wir auch zeitnah Redebeiträge und Analysen online. Ansonsten folgt uns am besten auf Facebook und Twitter. Auf Anfrage verschicken wir auch unser Infomaterial.
 
Welche anderen Anlaufstellen bzw. Materialien zu dem Kubitschek-Komplex könnt ihr empfehlen? 
 
Grundsätzlich möchten wir auf die Rechercheergebnisse von „Sachsen-Anhalt rechtsaußen“ verweisen, in denen viele Informationen zu den Akteur*innen des „IfS“ und der Verstrickung in andere Milieus dokumentiert sind. Allgemein zur „Neuen Rechten“ finden wir die Bücher von Volker Weiß sowie die verschiedenen Publikationen zur Identitären Bewegung empfehlenswert. Das „IfS“ selber scheint ein wenig ein blinder Fleck in einer kritischen Publizistik zu sein, die genannten Empfehlungen reißen das „IfS“ immer nur am Rande an. Wir hoffen daher auch, mit unseren Broschüren und Analysen zu weitgehender kritischer Auseinandersetzung mit der Ideologie und dem Wirken des „IfS“ anzuregen und eine Grundlage dafür bereitzustellen.
 
Welche rechtsradikalen Aktivitäten abseits von Schnellroda und der IB gibt es in Halle und der Region?
 
Es gibt im Saalekreis und in Halle über die sogenannte „Neue Rechte“ hinaus einige klassische Neo-Nazis, rechtsextreme Hooligans und andere gewaltbereite Faschist*innen. Am bekanntesten sind dabei wahrscheinlich die Aufmärsche des Hetzers Sven Liebich, die er regelmäßig in Halle stattfinden lässt. Zwar ist sein Publikum seit Jahren sehr klein, aber er verbreitet beständig faschistische Propaganda, stört Veranstaltungen und stachelt sein Gefolge zur Gewalt an, während Polizei und Justiz scheinbar keinen allzu großen Handlungsbedarf sehen. In der Region kam es vor allem zwischen 2015 und 2017 zu größeren Neonazi-Demos in Querfurt, Bad Lauchstädt, Merseburg, Eisleben und weiteren Orten. Die Oraganisator*innen haben sich jetzt aber anderen Betätigungsfeldern zugewandt wie Kampfsport und Rechtsrock.
 
In welcher Form werdet ihr von Stadt/Land und Zivilgesellschaft unterstützt oder behindert? 
 
Wir haben einige zivilgesellschaftliche Unterstützer*innen aus Halle und der Region, die unsere Veranstaltungen entweder begleiten, bewerben oder materiell supporten. Immer wenn wir aktiv auf Organisationen zugekommen sind, haben wir positives Feedback bekommen. Allerdings würden wir uns natürlich auch wünschen, dass noch mehr antifaschistische, zivilgesellschaftliche Gruppen von sich aus in Schnellroda oder der Umgebung aktiv werden. Von offizieller Seite sieht es da aber deutlich schlechter aus: Ohne jedes Argument stellt der Verfassungsschutz des Landes Sachsen-Anhalt Mutmaßungen in seinem Bericht darüber an, ob wir „extremistisch beeinflusst“ wären. Und die Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen im Saalekreis ist auch eher schwierig. Aber das sind wahrscheinlich Sachen, die inzwischen fast jede antifaschistische Gruppe treffen.

Wie den Schoß unfruchtbar machen – über das Versagen im Umgang mit Rechten

Die Diskussion um den Umgang mit Rechtsradikalen ist insbesondere seit dem Aufkommen und wachsenden Erfolg der AfD recht prominent im gesellschaftlichen Diskurs. „Mit Rechten reden“ – oder nicht – ist ein allseits bekanntes Schlagwort geworden. Wie man jetzt mit der AfD und Einzelpersonen genau verfährt ist eine nicht immer einfach zu beantwortende Frage. Die Frage stellt sich allerdings schon etwas länger, Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ kann als Türöffner für den heute noch aktuellen Diskurs bezeichnet werden. Hierbei spielt die SPD-Mitgliedschaft Sarrazins die entscheidende Rolle. Wäre sein Buch von einem NPD-Funktionär oder beim Kopp Verlag erschienen, es hätte niemanden außerhalb kleiner rechtsradikaler Kreise interessiert. Wenn ein Rechter ein rechtes Buch schreibt, dann ist der Inhalt erwartbar. Mit dem Parteibuch der SPD und der Vergangenheit als Finanzsenator in Berlin war Sarrazin aber mit dem Gütesiegel der bürgerlichen „Mitte“ versehen und theoretisch ja sogar so was wie ein Linker.

Allein durch diesen Umstand konnte das Buch bei einem renommierten Verlagshaus erscheinen, welches mehr Mittel und Wege für das Marketing zur Verfügung hat. Außerdem konnte man „Deutschland schafft sich ab“ als Skandalbuch eines Politikers verkaufen, der jetzt endlich mal die Wahrheit auftischt, auch wenn das Establishment diese nicht hören will. Gegen diese Kombination aus gefühlten Wahrheiten und Rebellenpose konnte man anschreiben wie man wollte, mit Logik und Argumenten kam man dem nicht bei. Wer liest denn schon ernsthaft ein Buch und prüft dann selbstständig die Argumente und Fakten nach, um sich dann ein fundiertes Urteil über den Inhalt zu erlauben? Eben. Mit „Deutschland schafft sich ab“ wurde eine für die breite Öffentlichkeit neue Sprache in den Mainstream eingeführt. Der Historiker Volker Weiß hat dazu geschrieben und das genau analysiert. Wer mehr dazu wissen möchte, kann dies in seinem Buch „Deutschlands Neue Rechte. Angriff der Eliten – Von Spengler bis Sarrazin“ nachlesen.

Worum geht es, was läuft falsch?

 

In der Wochenzeitung Die Zeit ist vergangene Woche in der Reihe 10 nach 8 ein Text von Verena Weidenbach erschienen, der sich auch mit dem Thema des Umgangs mit der AfD beschäftigt. Vorweg: Der Artikel ist sehr gut und eine unbedingte Leseempfehlung. Er unterscheidet sich wohltuend von anderen Artikeln, da er eine klare Position vertritt und zu erkennen gibt, dass Weidenbach tatsächlich Ahnung von der Materie hat. Sehr oft hat es nämlich den Anschein, dass Personen über Antifaschismus (hier im Sinne des allgemeinen Kampfes gegen Rechtsradikale in allen Betätigungsfeldern zu verstehen) und die politische Rechte schreiben, die keine oder nur sehr rudimentäre Erfahrung und Sachkenntnis in dem Bereich haben. Es ist ja erst einmal nicht verwerflich, wenn Personen sich nicht auskennen. Zum Problem wird es dann, wenn man sich ohne Kenntnis des konkreten Gegenstandes ein Urteil erlaubt und dieses dann auch noch der breiten Öffentlichkeit präsentieren kann.

Viele der Diskussionsbeiträge zum Thema „Mit Rechten reden“ und „Umgang mit Rechten/der AfD“ lesen sich sich so, als ob die für den Beiträge verantwortlichen Person nichts über konkrete antifaschistischer Arbeit und die dazugehörenden Probleme wissen. Auch eine Kenntnis rechter und rechtsradikaler sowie politikwissenschaftlicher Theorien und Begriffe allgemein ist oft schmerzlich zu vermissen. Das trifft nicht nur auf Journalist*innen zu, wiegt hier aber schwerwiegender. Dies soll an drei Beispielen genauer ausgeführt werden. Als erstes dient ein relativ bekanntes Zitat Bernd Höckes aus einer Rede im Jahr 2018:

«Wir werden die Macht bekommen – und dann werden wir das durchsetzen, dann werden wir das durchsetzen, was notwendig ist, damit wir auch in Zukunft noch unser freies Leben leben können. Dann werden wir nämlich die Direktive ausgeben, dass am Bosporus mit den drei großen M – Mohammed, Muezzin und Minarett – Schluss ist.»

Wessen Theorie ich nicht kenn…

 

In Bento, dem Portal des Spiegels für Jüngere, wird daraus dann, dass „er nach einer Machtübernahme der AfD in Deutschland auch vor der Türkei nicht haltmachen will. Den Islam wolle er dem Land dann verbieten.“  In der Welt wird fabuliert, dass „ihn auch Muslime am Bosporus fürchten“ müssen. Was beiden Autoren hier fehlt, ist die Kenntnis von Carl Schmitts Begriff des Politischen. Dieser ist einer der wichtigsten Einflüsse auf das politische Denken der Rechten und bildet die Grundlage für den Ethnopluralismus. Kurz gesagt, es geht um die räumliche Trennung von in sich geschlossenen politischen Einheiten. Höcke will also nicht der Türkei den Islam verbieten, er will den Islam und seine Anhänger*innen bis zum Bosporus räumlich begrenzen. Für ihn stellt der europäische Kontinent eine christliche Einheit dar, die man in dieser Form auch erhalten muss. Die Konsequenzen für den bereits historisch Jahrhunderten inklusive Islam multikonfessionellen Balkan sind interessanterweise niemandem eine Erwähnung wert.

Die fehlende Kenntnis der ideologischen und weltanschaulichen Grundlage führt dann zu einer inhaltlichen Verfälschung und wird an die Lesenden weitergegeben. Die Funktion der Journalistin, das Gesagte möglichst korrekt einzuordnen und kontextuell dem möglicherweise unwissenden Publikum aufzubereiten, ist hier vollständig abhanden gekommen und wird sogar in das Gegenteil verkehrt, da man Ver- statt Aufklärung liefert. Fehler wie diese sind symptomatisch für den deutschen Journalismus und demzufolge auch für den öffentlichen Diskurs.

Es ist erstaunlich, wie unpräzise mit Begriffen aus den Sozialwissenschaften und der politischen Ideengeschichte umgegangen wird. Ein prominentes Beispiel ist Ulf Poschardt, Chefredakteur der Welt-Gruppe. Seit fast 30 Jahren ist er in journalistischen Toppositionen beschäftigt und versagt regelmäßig an simpelsten Themen. Die G20-Proteste waren für ihn „Faschismus von links“ und Hamburg wurde zum „Bürgerkriegsgebiet“. Beides ist so offenkundig hirnrissig, dass man sich gar nicht erst zu einer Erwiderung herablassen möchte. Es gibt nur zwei Erklärungsmöglichkeiten:

1. Poschardt weiß, dass er die Begriffe falsch benutzt und insbesondere den Faschismusbegriff gegen jedwede halbwegs vernünftige Faschismustheorie einsetzt. Er entscheidet sich bewusst dagegen, verfälscht und lügt.

2. Er hat keine Ahnung, was diese Begriffe bedeuten.

Beide Optionen sind für eine Person in seiner Position eigentlich untragbar und zeugen in jedem Fall davon, dass ihm die fachliche Kompetenz fehlt, die sein Posten eigentlich erfordern sollte. Da wir von der Welt-Gruppe reden, ist diese Art von Hufeisenverfälschung hingegen sogar exakt die Art von Qualifikation, die es für den Job braucht.

Handzahme Uninformiertheit – leichtes Spiel für Rechtsradikale

 

Ein Beispiel, bei dem sich sowohl fachliche Inkompetenz und völliges Unvermögen im Umgang mit Rechtsradikalen finden, ist das Interview mit im ZDF Morgenmagazin mit Jörg Meuthen nach dem Terroranschlag von Halle. Mit zahnlosen Fragen über bestimmte Formulierungen Höckes versuchte man Meuthen beizukommen, der diese weitestgehend ignorierte und die bekannte Opferrolle darbot. Scharfe Nachfragen gab es nicht, die fünf Minuten ließen eh keine Zeit um Meuthen ernsthaft in eine Ecke zu drängen. Aus journalistischer Sicht war dieses Interview eine Vollkatastrophe und Blamage. Dabei hätte man, wenn man schon einem rechtsradikalen Spitzenpolitiker Sendezeit einräumt, ihn mit seinen eigenen Aussagen konfrontieren können.

Dem ZDF Morgenmagazin lagen garantiert die Aussagen des Halleattentäters aus dem Video und dem Manifest vor, waren diese doch schon am selben Abend mit ein wenig Recherche zu finden. Wenn wir das schaffen, dann auch ein Großbetrieb wie das ZDF. Es war bekannt, dass der Attentäter an die jüdische Weltverschwörung und den gesteuerten Bevölkerungsaustausch glaubt. Nicht nur gibt es dazu aus den Reihen der AfD unzählige zustimmende Aussagen, Meuthen selber hat sich diesbezüglich mehrfach selber geäußert. In einem Facebookpost führte er aus, wie George Soros die Flüchtlingsströme nach Europa lenken würde und was die SPD damit zu tun hat. Der sonst üblicherweise lautstark von AfD-Mitgliedern verbreitete Verschwörungsmythos des gesteuerten Bevölkerungsaustauschs wurde hier rot angepinselt und somit zur jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung light.

Man konnte also wissen, mit wem man es zu tun hat und das Meuthen selbst ideologischer Wegbereiter der Weltsicht ist, die zwei Menschen in Halle das Leben kostete und fast zu einem Massaker in der Synagoge führte. Und da wir vom ZDF Morgenmagazin reden, kann man dieses Wissen erwarten. Es handelt sich schließlich nicht um einen alleine betriebenen Youtube-Channel, sondern um eine der Flagschiffsendungen eines Senders mit einem Umsatz von über 2 Milliarden Euro jährlich. Für gute Rechercheleute bleibt aber wohl nicht viel übrig. Meuthen konnte sich relativ gefahrenfrei durch ein zahnloses Kurzinterview navigieren. Erkenntnisgewinn: Null

Die journalistischen Versäumnisse im Umgang mit Rechten haben dazu geführt, dass dieses Jahr die ARD-Talkshows „hart aber fair“ mit Frank Plasberg, „Maischberger“ und „Anne Will“ sowie die ZDF-Sendung “ Maybrit Illner“ den Negativpreis „Die goldene Kartoffel“ erhalten haben. Wohl verdient, wie nicht nur das (nicht mit dem Preis bedachte) Morgenmagazin mit dem Meuthen-Interview zeigte. Sandra Maischberger lädt anlässlich des AfD-Parteitags in Braunschweig Meuthen als Gast ein, um über den Kampf von „Moderaten“ und „Radikalen“ in der Partei zu sprechen. Ohne die Sendung gesehen zu haben, lässt schon die Ankündigung Schlimmstes befürchten.

Keinen Plan, aber Hauptsache irgendwas mit Populismus und Extremismus

 

Ein wirklich eklatantes Problem stellt die offenkundige Begriffslosigkeit dar. Man versteckt diese hinter der Nutzung einiger Schlagwörter, mit denen man meint den Gegenstand korrekt erfasst zu haben und muss sich nicht mit lästigen Fragen über die korrekte Begriffsverwendung rumschlagen. Die am häufigsten benutzten Begriffe sind dabei rechtspopulistisch und rechtsextrem. Was genau diese Begriffe jetzt inhaltlich bedeuten, wird dabei selten klar und eigentlich auch nie erklärt. Man geht davon aus, alle wüssten schon, was gemeint ist. Nun handelt es sich dabei aber um Begrifflichkeiten, die man tunlichst unterlassen (rechtsextrem) oder nur sehr begrenzt (rechtspopulistisch) verwenden sollte.

Mit dem Begriff des Rechtsextremismus verwendet man einen Begriff des Verfassungsschutzes, gegründet von Exnazis und Antikommunisten, welcher der Extremismustheorie entstammt. Diese ist in den Sozial- und Politikwissenschaften aus gutem Grund kaum in Verwendung, der ihr Erklärungsgehalt sehr marginal ist und zudem eine ideologische Ordnung der politischen Landschaft vornimmt, welche statt auf Inhalte auf (vermeintliche) Äußerungsformen zurückgreift. Mehr dazu kann man hier nachlesen: https://rambazamba.blackblogs.org/2018/02/15/die-extremismustheorie-urspruenge-inhalt-und-konsequenzen/. Wer das Denken des Verfassungsschutzes nicht reproduzieren will, sollte daher diesen Begriff aus dem Wortschatz streichen. Beim Begriff des Populismus handelt es sich nicht direkt um einen extremismustheoretischen Ausdruck. Er wird in den Sozialwissenschaften häufiger verwendet, konzentriert sich aber ebenso wie der Extremismusbegriff vor allem auf die Form, nicht auf den Inhalt. So kommt es dann zustande, dass Rechts- und Linkspopulismus und -extremismus häufig im selben Atemzug genannt und gedacht werden, ohne das es um konkrete Inhalte ginge. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der ständige Vergleich von den Aussagen einer AfD-Person und gleichklingenden Formulierungen Hitlers oder einer anderen Nazigröße, wobei es den Vergleichen in der Regel ausschließlich um die Form, also die Formulierung, geht, und eher selten um das inhaltlich damit Ausgedrückte. Wie man den Populismusbegriff mit Bedacht auf seinen beschränkten Erklärungsgehalt einsetzt, kann man in einem Artikel von Floris Biskamp im Katapult Magazin sehen.

Form vs. Inhaltslosigkeit und Sachunkenntnis

 

Dieses Konzentrieren auf die Form ist dann auch einer der großen Schwachpunkte im Umgang vieler Medien mit Rechten, sowie allgemein im öffentlichen Diskurs. Wenn man vorrangig auf das wie achtet, und nur rudimentäre Kenntnisse über rechte Weltanschauungen und Theoriegebilde hat, kommen solche eklatanten Fehler wie bei der eingangs aufgezeigten Fehlinterpretation Höckes raus. Wie soll man denn argumentativ etwas entgegensetzen, wenn man das Gesagte kaum verstehen und ideengeschichtlich einordnen kann? Selbstverständlich ist es zu viel verlangt, von allen Journalist*innen eine umfangreiches Kenntnis rechter Ideologien zu erwarten. Man darf aber erwarten, dass etablierte Medien mit entsprechender Vernetzung und Budget über Kontakte verfügen, die sich wirklich mit dem Thema auskennen. Warum hat das ZDF kein zentrales Rechercheteam zur radikalen Rechten? Mit nur fünf Personen hätte man ein ausreichend großes Team, um eine Datenbank zu erstellen und aktuelle Entwicklungen im Auge zu behalten, so dass sämtliche Sendungen darauf zurückgreifen könnten. Bei der gesellschaftlichen Relevanz des Themas sind fünf Festanstellungen bei einem Jahresbudget von zwei Milliarden sicherlich drin.

Neben dem Fokus auf das Formale fällt zudem eine oftmals schlechte Kenntnis von Äußerungen jenseits prominenter Reden oder Aussagen auf. Gaulands Vogelschiss und seine Boatengäußerungen sind bekannt, seine Rede in Schnellroda dagegen findet keine Beachtung. Dabei stellt er dort in der Keynote Winterakademie 2019 des IfS ganz klar sein antisemitisches Weltbild unter Beweis und aktualisiert die antisemitische Chiffre des wurzellosen Kosmopoliten in die Jetztzeit. Auch Meuthen und Weidel haben dort geredet und rechtsradikaler als in dieser sich als Kaderschmiede des Rechtsradikalismus verstehenden Institution geht es in Deutschland kaum.

Süßer die Schellen nie klingen

 

Was den Artikel in der Zeit von ganz vielen anderen Artikeln abhebt, ist die Detailkenntnis des rechtsradikalen Spektrums. Hier ist eine Person, namentlich Verena Weidenbach, die sich mit den Originalquellen beschäftigt hat und somit nicht auf die üblichen Diskursmanöver der Rechten hereinfällt. Wie so etwas aussehen kann, hat der bereits erwähnte Volker Weiß vorgemacht. Bei einer Fachtagung in Halle ist auch der Faschist Tillschneider von der AfD anwesend und versucht nach Ende von Weiß‘ Eröffnungsvortrag, diesem ans Bein zu pinkeln. Tillschneider stellt sich in eine angeblich demokratische Tradition der „Konservativen Revolution“ aus Weimarer Zeiten bis heute. Weiß ist Historiker und kennt daher vermutlich die Publikationen der 20er besser als Tillschneider selber und zerlegt diesen dementsprechend mit seiner Replik:

„Die Autoren, auf die man sich in Schnellroda [dort sitzt das Institut für Staatspolitik, Anm. d. V] beruft, haben die Demokratie, die Weimarer Demokratie, verachtet. Und das haben sie immer wieder gesagt, geschrieben und betont. Die können Sie jetzt nicht plötzlich demokratisch vereinnahmen. Dafür hätte Sie Ernst Jünger ausgelacht, Oswald Spengler hätte Sie ausgelacht, Moeller van den Bruck hätte Sie ausgelacht.“

Tillschneider, Faschist und einflussreicher Politiker in der Landes-AfD, kann dem nichts entgegensetzen. Er weiß ja selber, was diese Leute geschrieben haben. Und er weiß auch, dass Volker Weiß ihm das jederzeit nachweisen kann. Dieses mag Störmanöver bei Anne Will oder Frank Plasberg funktionieren, die vermutlich noch nie den Namen Moeller van den Bruck gehört haben und auch inhaltlich wenig zum Thema sagen können. So wie Weiß hier Tillschneider zerlegt hat, so kann man dann auch tatsächlich mit Rechten reden. Man darf ihnen nur nicht die Initiative überlassen und muss sich fachlich gut auskennen. Und vor allem kommt es auf das Setting an.

Mit Rechten kann man nicht reden – Frankfurter Buchmesse 2017

 

Negativbeispiele dafür, wie man es nicht tun sollte, lieferte die Frankfurter Buchmesse. Wer auch immer auf die Idee gekommen ist, 2017 den Antaios Verlag von Kubitschek direkt neben die Amadeu-Antonio-Stiftung und die Bildungsstätte Anne Frank zu platzieren, muss ordentlich am Klebstoff geschnüffelt haben. Der Gedanke war vermutlich, dass man die Rechtsradikalen durch das Fachpersonal direkt nebenan entschärfen könne. Wer sich auch nur ein wenig mit dem Konglomorat von Götz Kubitschek auskennt (Antaios, Sezession, IfS, Ein Prozent) und seinem Umfeld auskennt, weiß, dass das keine gute Idee ist. Dem geistigen Ziehvater der Identitären geht es ja nach eigenem Bekunden nicht um Dialog und Diskurs, sondern um deren Zerstörung. Worauf Weidenbach in ihrem Zeit-Artikel auch verweist. Folgerichtig machten verurteilte rechtsradikale Gewalttäter Stress und es kam zu Tumulten, bei denen sich die Rechten fast nach Belieben selber in Szene setzen konnten. All das wäre vermeidbar gewesen. Man hätte nur mal die Leute fragen müssen, die sich mit Kubitschek auskennen.

Auf ganz grandiose Art und Weise ist dann auch Daniel-Pascal Zorn gescheitert. Dieser ist Autor des programmatischen Buches „Mit Rechten reden“. Genau das hatte er vor und begab sich auf der Buchmesse in eine Diskussion mit Martin „Lichtmesz“ Semlitsch, Autor bei der Sezession und ebenfalls ideologischer Vordenker der Identitären. Man weiß nicht genau, um was es in dem Gespräch ging. Was man aber weiß, ist die publikumswirksame Inszenierung dieses Gesprächs von Seiten Semlitschs. Dieser veröffentlichte schlicht ein Bild in den sozialen Netzwerken, welches ihn im Gespräch mit einem Autor zeigt, der gerade in allen Feuilletons besprochen wird. Was hat dieses Reden mit einem Rechten also gebracht? Eine willkommene Möglichkeit der Selbstinszenierung als akzeptabler Gesprächspartner. Was hat es nicht gebracht? Irgendwas im Kampf gegen rechts. Da kann man schon mal klatschen für das selbsternannte Fachpersonal für reden mit rechts.

Unkenntnis und Professuren schließen sich nicht aus

 

Aktuell macht ein Buch von Cornelia Koppetsch die Runde, populärwissenschaftlich aufbereitete Soziologie liegt im Trend. In ihrem Buch versucht sie zu erklären, warum die AfD gewählt wird. Den großen Aufschrei gibt es jetzt darüber, dass sie fachlich unsauber gearbeitet hat und Quellenangaben nicht oder nur lückenhaft liefert. Eine wirkliche inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Buch findet kaum statt, obwohl oder gerade weil es durch die Feuilletons gejagt wird. Man muss sich nämlich schon mit rechter Theorie und Ideengeschichte auskennen, um so ein Buch inhaltlich bewerten zu können. Eine Fachkenntnis über rechte Akteur*innen und Orgas wäre auch nicht schlecht, ebenso wie eine gewisse Vorbildung in den Sozialwissenschaften. Anderweitig gerät man in die Gefahr, das Buch einfach nur zu paraphrasieren und keiner kritischen Überprüfung zu unterziehen. Wie soll das auch gehen, ohne Fachkenntnis? Nur weil eine Person einen akademischen Titel hat, muss sie noch lange nicht richtig liegen. So ist das auch bei Koppetsch der Fall. Ihr Anspruch einer „theoriegeleiteten Empathie“ kippt vom sozialwissenschaftlichen Erklären und Verstehen ins Verständnis ab. Koppetsch übernimmt die Feindbilder der Rechten und macht die dann für den Aufstieg der Rechten verantwortlich. Dass es sich dabei um eine kaum kaschierte antisemitische Chiffre (kulturkosmopolitische Elite) handelt, merkt sie wohl selbst überhaupt nicht mehr. Koppetsch hat null Ahnung von Rechtsextremismusforschung. Sie rezipiert zwar zum Beispiel Weiß und Julian Bruhns, das war es dann aber auch schon. Keine Rechercheseiten, keine Betroffenen kommen zu Wort, es ist eine bloße Wiedergabe des AfD-Sprechs mit gelegentlich halbherzigen Distanzierungen.

Exemplarisch für völlige Inkompetenz mit großem Titel steht auch Ulrike Guérot, Professorin für europäische Politik und Demokratieforschung. Die behauptete in Bezug auf den AfD-Hardliner Kalbitz, dass nur demokratische Parteien und Personen zu Wahlen in Deutschland zugelassen würden. Diese Professorin! für Demokratieforschung kennt offenbar ihr eigenes Fachgebiet nicht und hat vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Verbotsantrag bezüglich der NPD noch nichts gehört. Das höchste Gericht hat der NPD attestiert, im Wesenszug nationalsozialistisch zu sein. Verboten wird sie nicht, weil sie so marginal ist, dass sie keine ernsthafte Gefahr für die demokratische Grundordnung darstellt.

Gern genommene Entschuldungsmodelle

 

Wenn man den öffentlichen Diskurs verfolgt, dann hat man oft den Eindruck, man ist eher darum bedacht die Probleme und Ursachen woanders zu verorten, als sich und das eigene (auch weltanschauliche) Umfeld kritisch zu betrachten. Vielleicht haben gerade deshalb populär-soziologische Bücher aktuell Konjunktur. Sie liefern Erklärungsmodelle, die oftmals sogenannte Theorien mittlerer Reichweite sind. Dabei wird nicht das gesamte Gesellschaftsmodell untersucht und erklärt, stattdessen nimmt man sich bestimmte Teilaspekte vor. Koppetsch zum Beispiel arbeitet genau in diesem Feld. Sie will nicht die gesamte Gesellschaft und politische Landschaft (v)erklären, sie will den Erfolg der AfD erläutern. Praktischerweise ist eine Theorie mittlerer Reichweite aber immer noch so abstrakt, dass sich Individuen nicht unmittelbar davon angesprochen fühlen müssen. Was kann man als einzelner Mensch denn schon gegen gesellschaftliche Prozesse tun? Und so drängt sich der Eindruck auf, dass solche Theorien vorrangig deshalb prominent aufgegriffen werden, weil sie eine Entschuldungsmöglichkeit liefern.

Außerdem bieten diese Theorien den Vorteil, dass man sich nicht im Bereich der konkreten Bekämpfung von Rechtsradikalen die Hände schmutzig machen muss. Ja, diese Schicht der Kosmopoliten (hallo antisemitische Trope) ist bei Koppetsch halt in seiner Gesamtheit Schuld. Da muss man nicht in Güstrow oder Halle nachfragen, was denn die konkreten Probleme mit Rechtsradikalen vor Ort sind, und welche konkreten Maßnahmen denn helfen, welche nicht und was für Hilfe man leisten sollte. Man kann die Problematiken fein säuberlich von sich wegschieben und in die abstrakte Ebende der gesellschaftllichen Prozesse auslagern. Denn auch das zeichnet den öffentlichen Diskurs sehr oft aus: Diejenigen, die aktiv gegen Faschos, Nazis, Hools und Rechtsradikale aktiv sind, bekommen kaum Gehör. Sie könnten das betrügerische Selbstbild der Mehrheitsgesellschaft zerstören, dass man ja mit Rassismus, Antisemitismus und dergleichen nichts zu tun hat. Antisemit*innen sind immer die anderen, aber nie ein Augstein, ein Blüm, ein Todenhöfer, ein Dehm oder ein Gauland. Es ist nie das eigene Umfeld, welches die Probleme bereitet. Und vor allem sind es nie die eigenen Positionen und das eigene Verhalten, welche mitunter ursächlich für bestimmte Probleme sind. Ein Plasberg oder eine Maischberger werden von sich ganz sicher behaupten, entschieden gegen rechts agiert zu haben und mit dem Aufstieg und der Normalisierung Rechtsradikaler nichts zu tun zu haben.

#dankeantifa und militant – so geht guter Widerstand

Würde man Antifaschist*innen und Initiativen gegen rechts denn mal zuhören, müsste man auch das hohe Ross des Pazifismus verlassen und seine eigene moralische Überlegenheit der Frage der Effektivität unterordnen. (Mehr zur Gewaltfrage hier: https://rambazamba.blackblogs.org/2019/01/17/die-gewaltfrage/) Es urteilen sehr oft Leute über Antifaschismus, die sich mit dem Feld inhaltlich gar nicht auskennen. Konkrete Vorschläge werden nie unterbreitet, Sitzblockaden dagegen sind dann fast schon der neue Faschismus von links. Wer sich in der Antinaziarbeit auskennt weiß, dass man mit Rechten nicht redet. Dabei ist ja auch nicht gemeint, dass man sich nie mit Einzelpersonen unterhält oder Bildungsarbeit mit gefährdeten Person betriebt, man kann durchaus Individuen durch einen längeren Diskussionsprozess in ihren Ansichten entschärfen oder auch ganz aus der rechten Szene rausholen. Nur passiert so was nicht in der Öffentlichkeit und nicht bei Personen und Gruppen, die ein gefestigtes rechtes Weltbild aufweisen. Mit einem Semlitsch braucht man nicht reden, der ist durch und durch Faschist, lebt ganz gut davon und wird sich auch nicht in seinen Ansichten ändern. Sobald es sich um Situationen handelt, in denen Rechte im Diskurs normalisiert werden – egal ob öffentlich, politisch oder privat – wird nicht mit ihnen geredet. Sie sind raumgreifend und wenn man ihnen die Möglichkeit zur Raumnahme bietet, dann werden sie diese ergreifen. Also muss man ihnen so konsequent es geht alle Räume versagen. Und zwar mit allen erforderlichen Mitteln.

Wer sich die Geschichte faschistischer Gruppen und Bewegungen anschaut, wird zu dem Schluss kommen müssen, dass es zwangsläufig zu einer Form der potentiell gewalttätigen Konfrontation kommen muss. Nur massiver Gegendruck und aktive Gegenraumnahme schaffen es, faschistische Bewegungen kleinzubekommen. Und zwar auf allen Ebenen. Wenn man sich das Viersäulenkozept der NPD anschaut, dann findet man dort den Kampf um die Parlamente, die Köpfe, die Straße und den organisierten Willen. Und in allen Bereichen muss der Faschismus bekämpft werden: Als Partei, im Weltanschaulichen und im Diskurs, auf der Straße und organisatorisch. Wenn Staat und das, was man als Zivilgesellschaft bezeichnet, dies nicht oder nur unzureichend leisten, muss der Antifaschismus notwendigerweise eigenständig so gut es geht diese Schwachstellen ausfüllen. Auf den Staat ist dabei nie Verlass, im Zweifelsfall muss man gegen ihn arbeiten. Und insbesondere das konservative Bürgertum hat sich in den letzten 100 Jahren regelmäßig zum Steigbügelhalter rechtsradikaler Bewegungen und Diktaturen gemacht. Die Diskussion in Thüringen zeigt aktuell wieder deutlich, dass diese Gefahr nicht historisiert werden kann, sie ist aktuell wie eh und je.

Was den Artikel von Verena Weidenbach auszeichnet ist, dass sie das weiß. Sie spricht zwar nicht dafür aus, Nazis so lange zu Kantholzen, bis sie keine Lust mehr aufs Nazisein haben. Aber sie weiß, dass man Rechtsradikale politisch und gesellschaftlich niemals in einen Dialog oder in einen Diskurs einbinden darf. Würden Staat und Zivilgesellschaft dies konsequent schaffen, es wäre viel weniger militanter Antifaschismus notwendig.