Grün und türkis ergibt braun
Bei der Wahl im September erhielten die österreichischen Grünen mit 13,9% realistische Aussichten auf eine Regierungsbeteiligung als Juniorpartnerin mit der ÖVP, die wiederum ein Ergebnis von 37,46% einfuhr.
Aber wie nun diese Rolle ausfüllen, ohne die eigenen Grundsätze zu verraten? Gar nicht! Das wissen wir spätestens, seitdem Donnerstag die Ziele im neuen Koalitionsvertrag bekannt gegeben worden sind. Für den Bald-Kanzler Sebastian Kurz, „Das Beste aus beiden Welten“. Dementsprechend fasste er den Kern der neuen Legislatur mit folgendem Satz zusammen: „Es ist möglich, das Klima und die Grenzen zu schützen.“
Ja, was soll man davon halten?
Jemand, der mit der FPÖ koaliert hat, hat sich längst als menschenfeindlich und ohne antifaschistischen Minimalstandard geoutet.
Von jemandem, der sich bei Viktor Orban anbiedert und gegen EU-Kommissionspräsident Juncker stellt, um sich für den Verbleib von Fidesz in der Europäischen Volkspartei auszusprechen, ist eben nicht mehr zu erwarten.
Jemandem, der die private Seenotrettung für die Toten im Mittelmeer verantwortlich macht, kann man nur bewusste Täuschung geballte Inkompetenz attestieren.
Den Großteil der Ministerien hat sich die ÖVP gesichert: zehn an der Zahl und zwar wichtige Schlüsselpositionen. Dazu gehören u. a. das Innen- und Außenministerium, Arbeits-, Wirtschafts-, Verteidigungs- und Integrationsministerium. Das sind alle Ministerien, die irgendwie den Bereich Asyl und Migration tangieren – mit Ausnahme des Justizministeriums. Dies haben die Grünen bekommen, zusätzlich noch Umwelt und Gesundheit.
Die Punkte zu Klima- und Umweltpolitik bilden den grünen Juwel des Programms, der womöglich Vieles von dem Desaster kompensieren soll, was im Koalitionsvertrag zu Asyl und Einwanderung festgehalten ist. Zu den Zielen gehört es u. a. Österreich bis 2040 „klimaneutral“ zu machen, immerhin zehn Jahre früher als es Deutschland und die EU versprochen haben, aber immer noch viel zu spät (Eine Studie der EU stellte 2030 als das Schlüsseljahr für die Menschheit heraus: „Sollten Temperaturen über 2030 hinaus weiter ansteigen, werden wir mit häufiger vorkommenden Dürren und Überschwemmungen konfrontiert sein, mit extremerer Hitze und der Armut von 100 Millionen Menschen.“ https://espas.secure.europarl.europa.eu/…/ESPAS_Report2019.… )
Bis 2035 soll es keine Öl- und Kohleheizungen mehr geben und die Energiewende vollständig umgesetzt sein. Der Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes ist geplant und Flüge sollen teurer werden. Auf die CO2-Steuer haben die Grünen gleich ganz verzichtet. Bei all diesen Punkten muss berücksichtigt werden, dass es sich dabei um Ankündigungen in einem Bereich handelt, bei dem gerade die großen Industrienationen ihre selbstgesteckten der Reihe nach verfehlen – und die im Detail auch nicht unbedingt das versprechen, was wir uns darunter vorstellen. Verkehrstechnisch interessant ist noch das sogenannte 1-2-3-Ticket: Man zahlt damit für entweder ein Bundesland, drei Bundesländer oder ganz Österreich 1, 2 oder 3 Euro am Tag für ein Jahresticket, welche alle öffentlichen Verkehrsmittel abdeckt. Für Wien ändert sich dabei gar nichts, da man dort bereits 365 Euro fürs Jahrenticket zahlt.
Die Einkommensteuer für GeringverdienerInnen soll von 25 auf 20 Prozent abgesenkt werden, auch die weiteren Stufen werden gesenkt. Mehreinnahmen durch Steuern gibt es also nicht, auch nicht durch eine Vermögenssteuer, Unternehmen sollen sogar noch entlastet werden durch eine Senkung der Körperschaftssteuer (womit übrigens unklar bleibt, wie der Ausbau der Öffentlichen eigentlich finanziert werden soll). Im Regierungsprogramm findet sich ebenfalls der Schwarze-Null-Fetisch, den Deutschland von Wolfgang Schäuble nur allzu gut in Erinnerung hat.
Noch in ihrem Wahlprogramm hatten die Grünen unter dem Motto „Solidarität kennt keine Grenzen“ gefordert, sichere und legale Zugänge nach Europa zu schaffen. Das ist natürlich längst hinfällig, der Koalitionsvertrag präsentiert sich bei diesem Themengebiet ganz auf Linie der ÖVP.
Ein Punkt ist beispielsweise der, dass es eine Präventivhaft geben soll, d.h. es besteht die Möglichkeit, Geflüchtete zu inhaftieren allein aufgrund der Annahme, sie könnten eine Straftat begehen. Für ÖsterreicherInnen oder andere EU-Staatsangehörige sollen die sogenannten Rückkehrzentren für Asylsuchende, ein Überbleibsel der ÖVP-FPÖ Politik, bleiben bestehen.
In der ach so „neuen Migrationsstrategie“ haben sich ÖVP und Grüne für eine Erleichterung der Arbeitsmigration entschieden. Wer sich also gut im Wirtschaftssystem nutzbar machen kann, darf kommen, der Rest wird konsequent abgeschoben oder kommt am besten gar nicht erst.
Der Clue beim Thema Migration ist allerdings ein anderer. So hält der Koalitionsvertrag fest, beide Regierungsparteien haben die Möglichkeit, sich außerhalb der Koalition Mehrheiten zu suchen, falls eine Einigung untereinander nicht möglich ist. Heißt im Klartext: Ein Freibrief für Kurz in Sachen Migration mit einer FPÖ-Mehrheit seine Politik durchzusetzen und zwar mit dem Abnicken der Grünen. Hauptsache, die Koalition bleibt bestehen, koste es, was es wolle. So scheint das grüne Credo: Mitregieren um jeden Preis und eine Beruhigungspille fürs Gewissen. Mitstimmen muss man zwar nicht, es als Koalitionspartnerin mittragen und umsetzen aber sehr wohl.
Insgesamt haben die Grünen erhebliche Zugeständnisse machen müssen, wenn man nicht sogar schon von Selbstaufgabe sprechen kann, der ÖVP hingegen tun die Kompromisse wahrscheinlich kaum weh, vor allem vor dem Hintergrund der Stimmung in der Bevölkerung, bei der sich zumindest vordergründig in weiten Teilen ein immer stärkerer Wille abzeichnet, gegen den Klimawandel vorzugehen. Die Grenzen des Sag- und Umsetzbaren hat die ÖVP in Zusammenarbeit mit der FPÖ erweitert, vieles davon wird mitgenommen in die neue Koalition und damit mit dem Einverständnis der Grünen fortgesetzt, die damit aktiv den gesellschaftlichen Rechtsruck vorantreibt.
Mit „Wir sind gewählt worden, um Verantwortung zu übernehmen“, appellierte der grüne Parteichef und neue Vizekanzler Werner Kogler beim Bundeskongress um die Stimmen der Delegierten. Und obwohl Sebastian Kurz in der Vergangenheit deutlich gezeigt hat, für welche Politik er steht, hat eine verantwortungslose Mehrheit der Grünen von 93,18% für ein Bündnis mit der ÖVP gestimmt. Die Vorstellung, diese ÖVP sei formbar und habe nur noch nicht die richtigen Argumente gehört, ist opportunistisch, fahrlässig und naiv. Ernsthaft anzunehmen, sich gegen die ÖVP behaupten zu können, zeugt von einer ungemeinen Selbstüberschätzung.
Da haben wohl nicht wenige die Koksvorräte von Strache angezapft.
Abseits der konkreten Regierungsbildung hat diese Koalition durchaus einen Modell- bzw. Laborcharakter, der die internationale Politik der nächsten Jahrzehnte beeinflussen könnte. Aktuell hat sich die Rechte auf ein Anzweifeln des Ausmaßes bis hin zur vollständigen Leugnung des menschenverursachten Klimawandels festgelegt. Insbesondere Rechtsradikale weisen jegliche Änderungen durch mneschlichen Einfluss von sich und tun teilweise so, als ob das Klima sich gar nicht ändern würde. Die zunehmenden Extremwetterbedingungen werden diese Taktik des Leugnens zusehends mit den harten Realitäten konfrontieren. Man schaue nur mal nach Australien, solche Katastrophen werden sich häufen. Dementsprechend muss sich auch die Taktik der Rechten ändern, sie müssen sich den Klimaänderungen stellen und diese in ihre Programme einarbeiten.
Der Satz, man könne sowohl das Klima als auch die Grenzen schützen, ist dabei möglicherweise die Leitlinie, mit der sich das bewerkstelligen ließe. Interessant wird es sein, wie nicht nur das konservative Lager, sondern vor allem die Rechtsradikalen darauf reagieren werden. Alte Parolen der Marke „Umweltschutz ist Heimatschutz“ warten zusammen mit den rechtsradikalen Ursprüngen der Ökobewegungen darauf, für das 21. Jahrhundert aufpoliert zu werden. Und da man eh harsche Maßnahmen umsetzen muss, um dem Klimawandel zu begegnene, kann man ja gleich noch ein paar mehr radikale Maßnahmen autoritärer Natur gegen Unliebsame und Fremde durchführen. Wenn man schon mal dabei ist…
[Sophie Rot]