Was bürgerlicher Feminismus ist und wo er scheitert

Die Bezeichnung „bürgerlicher Feminismus“ ist aktuell nicht sehr gebräuchlich, was vor allem daran liegt, dass die Alternativen aus dem linksradikalen Bereich, der sozialistische und der anarchistische Feminismus, nicht gerade Hochkonjunktur haben. Es gibt unterschiedliche Einteilungsmöglichkeiten feministischer Ausrichtungen. Die akademisch am häufigsten vertretene ist die in Liberalfeminismus und Radikalfeminismus. Historisch gibt es aber auch andere feministische Ansätze, die sich teilweise in einzelnen Aspekten diametral gegenüber standen. So wollten Frauen aus dem Proletariat nicht auch noch in Fabriken arbeiten müssen, die Frauen des wohlhabenden Bürgertums dagegen waren bestrebt, einer Arbeit nachgehen zu können. Als grobe Unterscheidung kann man sagen, dass der bürgerliche Feminismus nicht antikapitalistisch ist und sich nicht gegen die bürgerliche Gesellschaft richtet. Stattdessen geht es um das Erreichen bestimmter Ziele innerhalb dieser Gesellschaftsform und Wirtschaftsordnung. Bürgerliche Gesellschaften bezeichnen die Gesellschaftsform, die sich mit den Unabhängigkeitskriegen der USA und der französischen Revolution beginnend in Europa und Nordamerika durchgesetzt haben. An Stelle der Herrschaft des Adels trat die Herrschaft des Bürgertums, die Stände- wurde durch eine Klassengesellschaft abgelöst. Herrschte bis zum Beginn der Moderne der Feudalismus als Gesellschaftsmodell, wurde dieser mit der Moderne abgelöst und zuerst mit der Durchsetzung des Kapitalismus wirtschaftlich, ab dem Ende Zweiten Weltkrieg zumindest im Westen endgültig durch die bürgerlich Gesellschaften ersetzt. Auch heute noch stehen die europäischen Staaten in direkter Traditionslinie der Leitsätze der französischen Revolution – mit all ihren Fehlern und Unzulänglichkeiten.
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Die Inkonsequenz des bürgerlichen Feminismus
 
Der sozialistische und anarchistische Feminismus streben daher nicht nur nach einer Emanzipation innerhalb der bestehenden Gesellschaft, als integraler Teil der feministischen Theorie wird die Überwindung der selbigen als Ziel ausgerufen. Die Frau soll von allen Ausbeutungsverhältnissen befreit werden. Dabei wurde von Beginn an ein viel stärkerer Fokus auf die Arbeit und damit verbundene Aspekte gelegt. Hierzu ein Zitat August Bebels von 1879 zur Veranschaulichung:
 
„Die volle Emanzipation der Frau und ihre Gleichstellung mit dem Mann ist eins der Ziele unserer Kulturentwicklung, dessen Verwirklichung keine Macht der Erde zu verhindern vermag. Aber sie ist nur möglich auf Grund einer Umgestaltung, welche die Herrschaft des Menschen über den Menschen – also auch des Kapitalisten über den Arbeiter – aufhebt.“ (aus: „Die Frau und der Sozialismus“ – 62. Auflage, Berlin/DDR, 1973, S. 515-522)
 
Bei sozialistischem und anarchistischem Feminismus spielt der Antikapitalismus eine wichtige Rolle und es wird auf Problematiken rund um die Verteilung von Arbeit und auf die Lebensverhältnisse von Frauen geschaut. Damit wird dann auch die bürgerliche Gesellschaft zur Zielscheibe, da es diese Gesellschaftsform bisher nirgends ohne Kapitalismus gab und gibt. Ziel ist die Überwindung von Kapitalismus und bürgerlicher Gesellschaft. Zentral ist hier die Lohnarbeit, welche in dieser Ausprägung ein spezifisches Phänomen des Kapitalismus ist. In diesem Konzept ist angelegt, dass Menschen selbst zur Ware werden und sich für die Lohnausbeutung zurichten (lassen). Je besser man sich an den Arbeitsmarkt anpasst, desto besser sind die Chancen für den Erfolg bzw. den beruflichen Aufstieg. Besonders deutlich kommen die spezifischen Ausbeutungsformen von Kapitalismus und patriarchaler Prägung in den Bereichen Leihmutterschaft und Prostitution/Pornografie zum Vorschein. An diesen Beispielen lässt sich der Unterschied zwischen bürgerlichem und sozialistischem/anarchistischem Feminismus sehr gut darlegen.
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Leihmutterschaft als Ergebnis von Patriarchat, Kapitalismus und bürgerlicher Gesellschaft
 
Als Veranschaulichung sei zum Thema Leihmutterschaft auf einen Text der Störenfriedas verwiesen (Mira Siegel: „Leihmutterschaft: Kolonialisierte Frauenkörper), https://diestoerenfriedas.de/leihmutterschaft-kolonialisierte-frauenkoerper/ ), die sich radikalfeministisch verorten. In diesem Text wird man viele richtige Beobachtungen wiederfinden und sich immer wieder an die marxsche Kritik des Kapitals erinnert fühlen. Einige Beispiele:
 
– „Leihmutterschaft, legalisierte Prostitution und Pornographie stehen in einem engen Zusammenhang: Sie bedeuten die fortschreitende, maximale Kolonialisierung von Frauenkörpern für Profit.“
– „Frauen werden in der Leihmutterschaft auf ihre bloßen Reproduktionsfähigkeiten reduziert, die sie gegen Bezahlung zur Verfügung stellen. Einzelne Aspekte und Funktionen ihres Körpers werden als warenförmig erklärt und somit frei verfügbar. Und nicht nur die Frauen werden zur Ware: Das gilt auch für die Kinder, an die wie bei einem Produkt “Qualitätsansprüche” gestellt werden.“
– „Ähnlich wie Sex wird die Schwangerschaft so zu einem Job, mit dem keine emotionalen Gefühle verknüpft werden sollen – der marxistische Begriff der Entfremdung wird so auf die Spitze getrieben.“
– „Frauen sollen selbst über ihren Körper verfügen können, fordern einige Feministinnen – und ignorieren dabei, dass Sexualität und Reproduktion seit jeher die Unterdrückungsinstrumente des Patriarchats sind, die nun unter kapitalistischen Vorzeichen bis zum Maximum ausgebeutet werden.“
 
Das Problem hier ist, dass die Autorin schlichtweg inkonsequent ist und anscheinend nicht ganz begriffsfest ist. So finden sich ebenfalls immer wieder Formulierungen wie diese:
 
– „Die Globalisierung und die neoliberale Wirtschaftsordnung erleichtern es nur, diese Ausbeutung hinter Begriffen wie “Vertragsfreiheit” und “Selbstbestimmung” zu verschleiern.“
– „Neoliberale Verwertung von Frauenkörpern“
– „Das Machtgefälle, die Aspekte von Ausbeutung und menschlicher Kälte dieses Handelns werden verschleiert, in dem man es einen “Vertrag” nennt – der neoliberale Freibrief zur Unmenschlichkeit und maximaler Ausbeutung.“
– „Mit Leihmutterschaft lässt sich inzwischen mehr verdienen als mit Prostitution – beides Formen zahlenmäßig überwältigender Fälle von Ausbeutung, die jenseits von Legalität und Menschenrechten laufen, neoliberal jedoch als Befreiung einer winzigen, kaufkräftigen Elite gefeiert werden.“
– „Sexualität und Reproduktion sind Bereiche, die aus der neoliberalen Verwertungsideologie herausgenommen werden müssen, weil wir sonst uns selbst und unser Menschsein zerstören.“
 
Der Begriff „neoliberal“ taucht sehr oft auf und wird synonym mit „kapitalistisch“ verwendet, ohne dass die Tragweite des Geschriebenen verstanden worden zu sein scheint – wie man am Zitat erkennen kann, dass Sexualität und Reproduktion „aus der neoliberalen Verwertungsideologie herausgenommen werden müssen.“ Der Kardinalsfehler ist hier, die Verwertungsideologie als spezifisch neoliberal zu bezeichnen. Diese Art von Verwertungsideologie ist grundlegend für die kapitalistische Verwertung und elementar für die bürgerliche Gesellschaft als Gesamtkomplex. Vertragsfreiheit ist auch nichts spezifisch Neoliberales, sie ist eine der Grundfesten des Kapitalismus. Leihmutterschaft und Prostitution sind in diesem Sinne logische Konsequenzen des Kapitalismus, in dem jegliche menschliche Körperfunktion und Tätigkeit zur Ware am Markt wird. Hier ist dann die Besonderheit, dass sie zusammen mit patriarchaler Ausbeutung auftritt und die warenförmige Zurichtung sich sehr anschaulich aufzeigen lässt. Der Feind ist hier nicht der Neoliberalismus. Dieser ist nur eine Strömung innerhalb der kapitalistischen Ordnung. Es ist diese Ordnung selber, welche das Ziel zu sein hat, wenn man gegen Leihmutterschaft ist. Und es ist auch nur ein einziger Schritt, um von der Lohnarbeit Leihmutterschaft hin zu sämtlicher Lohnarbeit zu kommen. Diese wird dann nicht mehr zwangsläufig mit patriarchaler Ausbeutung zusammenfallen, aber trifft als Ausbeutungsverhältnis dennoch die allermeisten Frauen, sofern sie nicht zur ausbeutenden Klasse zählen.
 
Der Artikel suggeriert, ja impliziert sogar durch seinen unpräzisen Umgang mit Begrifflichkeiten, dass es einen „gerechten“ oder „guten“ Kapitalismus geben könne, wenn man nur den Neoliberalismus zurückdrängen würde.
 
Und damit scheitert der Artikel, da er eben nicht auch konsequenterweise die Überwindung des Kapitalismus als sowohl ausreichende wie hinreichende Bedingung aufgreift. Nun mag man sagen, der Artikel könnte auch die Überwindung des Kapitalismus implizieren. Richtig, könnte man. Wir halten uns hier aber an die Schlussforderung, welche eben das Herausnehmen von Sexualität und Reproduktion aus der neoliberalen Verwertungslogik fordert. Weder wird das Ende dieser Verwertungslogik insgesamt gefordert noch die eigentlich zwingende Konsequenz gezogen, gleich den Kapitalismus als Wirtschaftssystem zu überwinden und die Zwänge seiner Strukturen und Mechanismen abzustreifen. Nicht mal die neoliberale Verwertungslogik soll enden, sie soll nur nicht mehr für Sexualität und Reproduktion gelten. Ist diese Verwertungslogik also nur dann schlecht, wenn sie mit einer patriarchalen Ausbeutung zusammenfällt? Diese Perspektive ist einseitig. Ein Hinweis darauf, dass jede Form von Lohnarbeit Ausbeutung ist, fehlt. Somit bleiben diesem Artikel letztendlich einige richtige Ansätze in seiner Konsequenz im Bürgerlichen verhaftet. Warum? Weil Tragweite und Form der kapitalistischen Wirtschaftsordnung nicht verstanden, zumindest nicht in die Ausführungen integriert wurden. Man borgt sich sogar Marx‘ Begriff der Entfremdung, lässt aber den universalistischen Anspruch dessen Kritik für einen Partikularismus unter den Tisch fallen.
 
Was übrigens auch fehlt, ist der Verweis darauf, dass man den Lebensstandard in der betroffenen Frauen anheben kann und somit die materiellen Gründe dieser mit klarem Klassenverhältnis versehenen Ausbeutung den Nährboden zu entziehen. Da die meisten Frauen in Ländern mit allgemein niedrigerem Lebensstandard und Durchschnittseinkommen leben, ist man damit sofort in einer Kritik der wirtschaftsimperialistischen Praxis der Industrienationen gelandet und muss das gesamte weltweite Wirtschaftssystem in Frage stellen. Wenn Frauen nicht mehr arm sind bzw. deren Existenzsicherung nicht an genannte Einnahmequellen gekoppelt ist, brauchen sie sich auch nicht als Fabrik für den Menschenhandel hergeben. Eine allgemeine Ächtung der Leihmutterschaft inklusive Verbot ist der viel schnellere Weg, diese Ausbeutung zumindest größtenteils zu unterbinden. Solange die materiellen Verhältnisse aber nicht geändert werden, wird dieses Ausbeutungsverhältnis immer im Kapitalismus angelegt sein. Auch diese Erkenntnis fehlt im Artikel – und das, obwohl sehr oft auf die Wohlstandsasymmetrie der Ausbeutung hingewiesen wird, sprich reiches oder zumindest wohlhabendes, wirtschaftlich gut situiertes Paar kauft sich die Gebärfunktion der Frau, die sich während den Zeitraum der Schwangerschaft verpflichtet, bestimmte Vorgaben einzuhalten, die ihre körperliche Selbstbestimmung einschränken. Dafür bezahlt das Paar eine Firma, die den Hauptteil des Betrages einstreicht und der Leihmutter kommt nur ein geringer Prozentsatz zugute. Um das möglichst viel Profit zu machen, wird die Ausbeutung bis zu einem Maximum getrieben und so wählen diese Firmen meist Frauen aus Entwicklungsländern zur Umsetzung dieser sexistischen und rassistischen Praxis.
 
Damit ist dieser Artikel aber nicht allein. Generell zeichnet es den bürgerlichen Feminismus aus, dass eine allgemeine Verbesserung der materiellen Lebensverhältnisse der Frauen eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Ein praktisches Beispiel dafür ist ein Artikel der Emma, welcher 1990 erschien und 2003 zum Tode von Margret Thatcher noch einmal veröffentlicht wurde. Die bürgerliche Ideologie springt einem förmlich entgegen bei dem Lobgesang:
 
„Und im Inneren krempelte sie die verkrustete britische Klassengesellschaft um.“ Revolution von oben“ nannte Thatcher die Vision, aus Großbritannien eine Nation der Leistungswilligen und Ehrgeizigen zu machen. Daß Klasse, Rasse oder Geschlecht niemanden auf dem Weg nach oben behindern müssen, davon war die Krämerstochter aus der tiefsten Provinz zutiefst überzeugt.“
 
„Thatcher wußte genau, daß sie auch wegen ihres Geschlechts im Rampenlicht stand. Also hütete sie sich, Müdigkeit oder Unkenntnis zu offenbaren. Also lernte sie, mit vier Stunden Schlaf auszukommen und auch nach Mitternacht Aktenberge zu bewältigen. Eine Super-Frau eben.“
 
Revolution von oben und maximale Selbstausbeutung werden hier als positiv dargestellt, die Verarmung weiter Teile der britischen Working Class unter ihrer Herrschaft wird lediglich in der Einleitung der Wiederveröffentlichung angeschnitten: „Sie verordnete den Briten in der Wirtschaftskrise mit eiserner Faust eine Radikalkur, die auf Kosten der Schwächeren ging […]“ Dies wird dann aber umgehend relativiert, mit einem Satz, der den Unterschied ums Ganze aufzeigt: „Frauenpolitisch aber war Thatcher der Knaller!“ Für die Emma ist der Lebensstandard von Frauen wohl nicht frauenpolitisch. Anders ist nicht zu erklären, warum man sie für die Verschlechterung der materiellen Lebensumstände tausender Frauen nicht kritisiert. Ein linksradikaler Feminismus sorgt sich dagegen auch immer um den Lebensstandard von Frauen und hat als Ziel, diesen zu verbessern. Ebenso ist eine auf Leistungswilligkeit und Ehrgeiz, also der offensiven Bejahung der kapitalistischen Ideologie in Form der protestantischen Arbeitsethik ausgelegte Wirtschafts- und Sozialpolitik, das exakte Gegenteil eines linken Feminismus. Hier steht ein möglichst angenehmes Arbeiten mit möglichst niedrigem Zeitaufwand bei gleichzeitiger kollektiver Absicherung der Grundbedürfnisse im Vordergrund. Thatcher will die maximale kapitalistische Vergesellschaftung mit ihren Ausbeutungsverhältnissen, ein linker Feminismus will eben diese Vergesellschaftung mit ihren Ausbeutungsverhältnissen überwinden. Statt einer Revolution der besitzenden Klasse ist die Revolution der ausgebeuteten Klasse das Ziel. Denn in einer patriarchal geprägten Gesellschaft leiden dann auch wieder verstärkt Frauen unter der Ausbeutung, da sie im Schnitt sozioökonomisch schlechter gestellt sind als Männer.
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Prostitution als Ergebnis von Patriarchat, Kapitalismus und bürgerlicher Gesellschaft
 
Auch beim Thema Prostitution (welches argumentativ sehr eng mit dem Bereich der professionellen Pornografie verbunden ist bzw. es viele Überschneidungspunkte gibt), lässt sich dieser Unterschied herausarbeiten. Hier sei dann auch einmal besonders auf den Liberalfeminismus verwiesen. Während im Radikalfeminismus immerhin eine Kritik an Leihmutterschaft und Prostitution/Pornografie stattfindet, wenn auch nicht konsequent in Sachen Reichweite der Kritik und in der Ursachenbekämpfung, so werden diese Ausbeutungsverhältnisse vom Liberalfeminismus in der Regel befürwortet und gefördert und mit dem Argument der vermeintlichen Freiwilligkeit legitimiert und beschönigt. Dort hat man mit der warenförmigen Zurichtung des Menschen, hier der Frauen, gar kein Problem und feiert das ganz im Sinne der bürgerlichen und patriarchalen Ideologie als Wahlfreiheit. Strukturelle Benachteiligungen und das Erkennen von Ausbeutungsverhältnissen mit klarem patriarchalen Charakter werden mit einem „Aber wenn sie es so will“ verteidigt. Hier wird die Freiheit zur Ausbeutung propagiert, nicht die Freiheit von selbiger. Anstatt die Zwänge des Systems aufzuzeigen und die jeweiligen Ausbeutungen offen zu legen, bestärkt man hier die möglichst effektive Unterordnung unter diese Zwänge. Zu lesen gab es das erst vor Kurzem bei uns, als wir uns kritisch mit einer Ausbildung im Pornobereich auseinandersetzten (Hier nochmal zum Nachlesen: https://www.facebook.com/antifakampfausbildung/posts/2378137888898693?__tn__=K-R ).
 
Das Thema Prostitution ist ein Dauerbrenner und einer der größten Streitpunkte zwischen Radikal- und Liberalfeminismus. Auch bei uns gibt dazu immer wieder Kritisches zu lesen. Verfolgt man diese Debatte aber einmal jenseits unbedeutender linker Winzzirkel dreht sie sich vor allem um die Frage Verbot oder Legalisierung und was jeweils in welcher Form und Ausprägung. Es gibt unterschiedliche Formen des Verbots. Immer wieder ist zum Beispiel vom nordischen Modell die Rede, welches nur die Freier bestraft. Ob und wie sinnvoll das ist und ob bzw. welche Konsequenzen daraus für die Prostituierten abzuleiten sind, darüber wird viel gestritten. Aber was im breiten Diskurs fehlt, ist eine umfassende Analyse der materiellen Umstände inklusiver der daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen. Zwar gab es Prostitution schon lange, bevor sich die kapitalistische Wirtschaftsordnung etabliert hat, doch ebenso wie Leihmutterschaft ist Prostitution im Kapitalismus unwiderruflich angelegt. Hätte es sie vorher nicht gegeben, der Kapitalismus hätte sie hervorgebracht. Wenn alles für den Markt warenförmig zugerichtet wird und jede menschliche Handlung und Funktion für den Handel verfügbar gemacht wird, dann trifft das auch auf die Sexualität zu. Hier tritt dann wieder ein spezifisch patriarchales Ausbeutungsverhältnis auf, da mit großer Mehrheit Männer von der sexuellen Ausbeutung profitieren und Frauen die Ausgebeuteten sind. Einen Klassencharakter kann man auch leicht feststellen, da es insbesondere Frauen aus einkommensschwachen Schichten sind, die in die Prostitution gehen oder dazu gedrängt und gezwungen werden. Um es sehr plakativ auszudrücken: Wie viele Millionärstöchter findet man am Straßenstrich?
 
Auch in den Debatten kommt die ökonomische Lage von Frauen immer wieder zur Sprache, auch bei uns wurde dahingehend argumentiert. Prostitution bietet Frauen unter Umständen eine halbwegs gute finanzielle Absicherung bei vergleichsweise wenig zeitlichem Aufwand im Verhältnis zu vielen anderen Tätigkeiten. Diesen Punkt darf man auf gar keinen Fall unterschlagen, denn dies ist eine der entscheidenden Ursachen für Prostitution innerhalb der bürgerlichen Gesellschaften. Und das ist auch der Grund, warum man Prostitution und professionelle Pornografie im Kapitalismus nicht vollständig wird verhindern können. Solange es sich finanziell rechnet, dass Männer sich für Geld den weiblichen Körper als Gebrauchsgegenstand für Sex oder visuelle und auditive Projektionsfläche ihrer Fantasien kaufen können, wird es beides geben. Die Verbotsforderungen werden das Problem nicht nachhaltig lösen können. Ein Verbot wird Prostitution reduzieren, aber auch gleichzeitig in die Illegalität treiben. Beendet werden kann sie damit nicht, außer man installiert einen monströsen Überwachungs- und Repressionsapparat, um möglichst viele sexuelle Interaktionen zwischen Menschen auf mögliche Prostitution überprüfen zu können.
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Fazit
 
Wer also ernsthaft gegen Prostitution, Leihmutterschaft und die Frau als Ware ist, muss einerseits aus den beim Thema Leihmutterschaft angesprochenen Gründen gegen den Kapitalismus sein. Andererseits muss auch erkannt werden, dass ein Ende von Prostitution im Kapitalismus nicht möglich ist. Auch in einer postkapitalistischen Gesellschaft, so wie wir sie uns im Idealfall vorstellen, wird es patriarchale Prägungen geben und das Ende des Kapitalismus bedeutet nicht automatisch das Ende der Prostitution. Aber es gibt dann überhaupt erst die realistische Möglichkeit dazu, da die Versorgungssischerheit kollektiv gelöst wird und Existenzängste nicht mehr individuelle Problemstellungen sind. Prostitution zumindest aus diesen Gründen fällt damit dann aller Wahrscheinlichkeit vollständig weg. Nur hört man davon in den Debatten etwas? Nein. Als Einschub mag jetzt kommen, dass das ja auch ein sehr großer Anspruch ist und das auf absehbare Zeit einfach unrealistisch in der Umsetzung. Das stimmt. Das Ende des Patriarchats und von patriarchaler Ausbeutung zu fordern, ist aber kaum weniger klein im Anspruch. Und selbst wenn man sich auf den Bereich des Möglichen fokussiert, sollte ein konsequenter Feminismus diese Grundkritik an der bürgerlichen Gesellschaft und dem Kapitalismus immer wieder anbringen und darauf bestehen, anstatt dazu zu schweigen. Wenn diese Kritik nicht erbracht wird, handelt es sich um bürgerlichen Feminismus. Dieser will dann das Elend der kapitalistischen Ausbeutung gleichmäßig auf die Geschlechter verteilen.
 
Wirklich radikal und effektiv kann Feminismus nur sein, wenn er 1. die patriarchale Ordnung angreift, 2. den Kapitalismus überwinden will und 3. mit der Fassade der vermeintlichen Gleichstellung und unserer bürgerlichen Gesellschaft bricht.
 
[Laura Stern und Sophie Rot]