Ich bin den 8. März leid.
Ich bin es leid, in diesen 24 Stunden in meiner Timeline mit #empowermentund #feminism überhäuft zu werden.
Ich bin es leid, dass mein Emailpostfach mit Glückwünschen und Sonderangeboten zum Weltfrauentag geflutet wird.
Ich bin es leid, zu hören „Frauen haben ihre Stimmen entdeckt“ oder „Frauen erheben ihre Stimmen“.
Ich bin den 8. März leid.
Viele Männer sonnen sich immer noch allzu gerne im Schein ihres patriarchalen Männlichkeitskonstrukts. Gleichzeitig merken sie jedoch, wie an den Grundfesten des Gerüsts der Geschlechterbilder und damit an ihrer Selbst gerüttelt wird. Wie ihre Privilegien ins Wanken geraten. Wie Männlichkeit neu definiert wird. Wie gut, dass es den Weltfrauentag gibt. Ein Tag, an dem die nervigen Frauen mal all ihre Sorgen auf den Tisch packen können, man redet ein bisschen darüber und danach ist wieder Ruhe.
Der Weltfrauentag ist das Zugeständnis einer Gesellschaft, die sich einen speziellen Tag als Symbol geben muss, um sich der Ungerechtigkeit zu erinnern, die sie in Kooperation mit einem aus zum Großteil mit Männern besetztem Staatsapparat ihren Untertanen zweiter Klasse – uns Frauen – antut. Sie gibt sich einen symbolischen Tag für Inhalte, die bis in den kleinsten Winkel der Gesellschaft hinein Thema der Tagesgeschäfte sein müssten.
Am 8. März werden jährlich die gleichen Forderungen in endloser Manier vorgetragen, platziert zwischen Glückwunschrufen und verteilten Blumen. Forderungen nach guter Kinderbetreuung, gleichen Gehältern, Frauenquoten, dem Recht auf Abtreibung usw. Forderungen, die richtig und wichtig sind. Forderungen, die dennoch nicht weit genug gehen. Auf das „Warum?“ gäbe es hier zahlreiche Antworten. Eine davon ist, dass die feministische Bewegung, falls man in Deutschland überhaupt noch von einer solchen sprechen möchte, gespalten ist. Die feministisch Solidarität unter Frauen ist leider recht dürftig. Dies wird beispielsweise daran deutlich, dass der Forderungskatalog bestimmte Themen konsequent ausspart.
Jedes Jahr werden die gleichen Listen an Forderungen in den Raum gestellt. Bei manchen findet man auch mal zumindest die Erwähnung von sexueller oder häuslicher Gewalt, konkretisiert wird dies jedoch selten. In der Detail-Diskussion stellt sich dann leicht raus, dass es mit der Frauensolidarität leider nicht von so weit her ist. Dabei ist vor allem der Blick auf das nicht Vorhandene interessant, der Blick auf all das, was in den Forderungskatalogen und Aufrufen fehlt:
An der Stelle muss eins klar gesagt werden: Wer sich gegen Sexismus, Rassismus und Kapitalismus stellt, muss sich auch gegen Prostitution und Pornografie stellen. Ein Großteil der Frauen, die in Deutschland und anderen Ländern in diesen Bereichen ausgebeutet werden, gehört ethnischen Minderheiten an, stammt aus dem Ausland und lebt in prekären Verhältnissen. (Die Ausnahme bestätigt die Regel).
Im Kontext der Institutionalisierung haben autonome Frauenprojekte oftmals ihren radikalen Kern verloren. Ihre harten Kämpfe der 70er/80er Jahre sind in den Hintergrund getreten oder wurden ganz vergessen. Sozialeinrichtungen sind entstanden mit professionellem Personal, das jedoch häufig zu den Frauenkämpfen keinen Bezug hat. Ausreichend ist die Qualifikation für den Job, nicht noch die Überzeugung vom feministischen Kampf. Ein radikalfeministisches Selbstverständnis ist nicht vonnöten.
Der Diskurs wird verwässert. In den Vordergrund treten die individuellen Wünsche, nicht die Betrachtung der Frau als Klasse, als Kollektiv, die einem ebenso kollektiven Unterdrückungsmechanismus ausgesetzt ist. Brotkrumen, die uns zugeworfen werden in Form von ein paar Reförmchen werden als vermeintlicher Fortschritt gefeiert. Weite Teile der Frauenbewegung werden in das kapitalistische Gesamtkonstrukt integriert und Herrschaftsverhältnisse zementiert, indem man sich im Patriarchat häuslich einrichtet, anstatt diese radikal infrage zu stellen. Dafür wird sich artig bedankt und dies anschließend als „Empowerment“ gefeiert.
Mit Brotkrumen dürfen wir uns aber nicht zufrieden geben. Es ist an der Zeit, die Kämpfe unserer Mütter fortzuführen, Forderungen radikaler äußern und durchzusetzen.
In den letzten Jahren sind in anderen Ländern Massen von Frauen für ihre Rechte auf die Straße gegangen. Dieses Jahr wird auch in Deutschland von diversen Gruppen und Initiativen zu Streiks aufgerufen. Frauenstreiks haben in der Geschichte eine lange Tradition, beginnend in der antiken Erzählung „Lysistrata“ von Aristophanes, in der Frauen in Sex- und demzufolge zwangsläufig Gebärstreiks traten und somit die Schicksale Spartas und Athens beeinflussten, weil so kein weiteres Kanonenfutter für die Kriege „produziert“ werden konnte.
Streiks von Frauen gab es in den letzten 150 Jahren immer wieder, so beispielsweise 1975 in Island, als ca. 90% der Frauen ihre Arbeit niederlegten, um gegen Benachteiligung am Arbeitsplatz einzutreten. Bereits ein Jahr später wurde selbige gesetzlich verboten und dies ist nur ein(!) Beispiel, bei dem ein Frauenstreik den gewünschten Erfolg bescherte.
Die vermeintlich typische Frauenarbeit wird auch in Deutschland immer noch als geringwertiger betrachtet (Studie, 2010: http://ekvv.uni-bielefeld.de/…/mit_zweierlei_ma%C3%9F_gemes… ) Gewalt gegen Frauen ist an der Tagesordnung. Jeden Tag versucht ein Mann in Deutschland seine (Ex-)Partnerin zu töten. Jeden dritten Tag gelingt es. Das Recht auf körperliche Selbstbestimmung wird eingeschränkt. Regressive Kräfte sind auf dem Vormarsch. Heute, am symbolträchtigen 8. März, formieren sich überall auf der Welt Streikbewegungen gegen alle Formen der Unterdrückung gegen uns und wir können Regierungen in die Knie zwingen, denn zu wichtig sind sowohl unsere bezahlte wie unbezahlte Arbeit, damit dieses ausbeuterische System funktioniert. Zu wichtig sind wir, denn wir sind über 50% der Bevölkerung.
Ein Streik am Weltfrauentag darf jedoch nicht das Einzige bleiben, was wir tun.
Ziviler Ungehorsam ist in unserer Zeit fast schon verpönt und die Bereitschaft, ein Risiko einzugehen, ist sehr gering geworden, bedenkt man auch die Tatsache, dass die neuen PolGs die Situation noch verschärft haben. So besteht selbst vermeintlich militanter Antifaschismus bei Demos oftmals nur noch darin, hinter einer Absperrung der Staatsmacht zu stehen und ein paar Parolen zu brüllen.
Feminismus kommt heute mit Einhornschildern um die Ecke, die das Patriarchat wegglitzern sollen. Frauen werden heute nicht mehr befreit, sondern „empowert“, damit sie es sich im Patriarchat schön gemütlich machen, sich vom kapitalistischen System ausbeuten lassen und lernen, noch „Danke“ zu sagen für die Unterdrückung, die sie erfahren, weil es „choice“ ist. Das Patriarchat wird nicht mehr bekämpft, sondern legitimiert – mit Hilfe eines Feminismus, der keiner ist.
Dass wir vergebens auf wirklich Veränderungen warten, wurde uns am Beispiel der Diskussion um den §219a eindrucksvoll bewiesen. Eine lange Diskussion. Am Ende viel Wirbel um nichts. Um etwas zu bewegen, brauchen wir wieder mehr selbst verwaltete Räume und Projekte, in denen diskutiert und Lösungen entwickelt werden können. Mehr, lautere und deutlichere Aktionen – wie auch immer diese aussehen mögen -, die unsere Anliegen in die Gesellschaft tragen.
Frauen haben ihre Stimme nicht entdeckt. Sie war schon immer da. Ich bin den 8. März leid, denn er ist nichts weiter als ein Deckmantel des Patriarchats, das wir beseitigen wollen.
[Sophie Rot]