In meiner Familie – wie wahrscheinlich auch in vielen anderen in Deutschland – wurde gerne über das geschwiegen, was im zweiten Weltkrieg so passiert ist. Aber eigentlich war es gar nicht kompliziert. Opa war ein waschechter Nazi. Mit 18 freiwillig in den Krieg – „für Führer und Vaterland“. Bei der Marine gedient, u.a. im Geschütztermin gesessen. Nach dem Krieg musste er dann in Gefangenschaft. War natürlich voll ungerecht, wenn man ein Nazi ist.
Von da an war es die bestverschwiegenste Familiengeschichte. Aber es hatte sich nix an der Einstellung meines Opas geändert. Er hat bis zu seinem Tod immer gesagt, die einzigen Bücher, die er gelesen habe, seien „die Bibel und mein Kampf“. Und das hat er oft gesagt. Kollektives Schweigen. Genauso wie wenn er stolz verkündete Nazis weiter zu wählen (NPD, REP, etc.).
Grundsätzlich waren aber sowohl meine Mutter als auch mein Vater gegen Nazis. 68er halt. Nur bei der eigenen Familie gab es irgendwie eine Ausnahme. „Opa ist halt alt“, „sprich es einfach nicht an“, „er wusste ja nicht was da genau passiert“, „da mussten alle mitmachen, sonst wären sie erschossen worden“. Das Schlimmste daran: nach einer Zeit haben sie selbst diese Lügen geglaubt – wider besseren Wissens.
Als ich älter wurde und so langsam begriff, was mit Euphemismen wie „während des Kriegs“, „damals“ oder „als alles besser war“ gemeint war, konnte ich mich nur abgrenzen. Auch wenn ich damals noch nicht alles verstand, so wusste ich schon, dass ich Autorität nicht mag. Für meinen autoritären und autoritätshörigen Großvater natürlich ein Unding. Als ich dann stärker in all das einstieg, wurde das Zerwürfnis umso stärker. Aber meine Überzeugungen waren stärker als familiäre Bindungen.
Nur meine Familie sah das immer noch anders. Obwohl auch links, war es für sie kein Widerspruch. Lieber nicht drüber sprechen. Sie wurden zu dem, was sie immer gehasst hatten. Nazi-Zeit aufarbeiten schön und gut, aber bitte doch nicht in der eigenen Familie. Damit stehen sie nicht alleine. Ich kenne viele Familien, in denen die eigene Familien-Biographie nie aufgearbeitet wurde.
Das Gedächtnis der Deutschen klammert nicht nur große Teile der Geschichte aus. Sie klammern auch alles aus, was das eigene Weltbild kaputt macht. Die Ausreden, wie oben, werden anderen auch bekannt sein. Die eigene Familie ist heilig. Selbst wenn es Nazi-Schurken sind. Wie sollte auch eine Entnazifierung stattfinden, wenn sie laut der eigenen Familie nie etwas falsch gemacht haben? Aber das bleibt nunmal nicht begraben.
Für einen offensiven Umgang mit der eigenen Familiengeschichte ist es für mich zu spät, aber nicht für alle. Deren Großeltern leben vielleicht noch. Deren Familie hält vielleicht immer noch die Klappe. Ein echter, ernsthafter Umgang mit der Vergangenheit, gerade im persönlichen, könnte wohl dazu führen, dass endlich nicht mehr rumgedruckst wird. Kein Schweigen mehr, keine Verherrlichung mehr. Endlich alles auf den Tisch bringen und das Nazi-Gen aus Deutschland spülen.