Wovon Jana aus Kassel nichts wissen will…

Deutschland Ende 2020 – Seit nun mehr 8 Monaten bestimmt die Sars-Cov2-Pandemie weltweit den Alltag der Menschen und lässt dabei gesellschaftliche Widersprüche und Missstände im globalen System apersonaler Herrschaft namens „Kapitalismus“ deutlich zu Tage treten. Während auf der einen Seite die Kapitalvermögen trotz einer sich anbahnenden, heftigen Rezession kräftig gewachsen sind, bedeutet diese Krise für einen Großteil der lohnabhängig Beschäftigten (vor allem Jene aus dem Niedriglohnsektor) und LeistungsempfängerInnen praktisch Existenz bedrohende Zustände. 
 
Nicht nur dass die fortschreitende Präkarisierung weiter Teile der Gesellschaft während der Pandemie einen erheblichen sozialen Zündstoff birgt – die Tatsache, dass die Politik die Kosten und Nebenwirkungen der Krise auf das Pflegepersonal, auf Beschäftigte in der Logistik und der Lieferdienstindustrie und auf ArbeitnehmerInnen in der Produktion, also mit anderen Worten mal wieder auf die Schwächsten in der Gesellschaft abwälzt, liefert mehr als genug Gründe, um wütend zu sein und auf die Straße zu gehen.
 

1. Die Totalität der Verwertungslogik/ Die Widersprüche im System

 
Nur um mal einen kleinen Abriss zu geben:
Durch die chronische Unterfinanzierung und Unterbesetzung im Gesundheitssektor hat das Gesundheitsministerium kurzer Hand beschlossen, dass bestimmte Regelungen zur Kontaktbeschränkung für Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser, bei denen Personalmangel herrscht, nicht mehr gelten. Dort werden dementsprechend Pflegekräfte eingesetzt, die nicht nur Kontakt mit Infizierten hatten, sondern die selbst positiv auf Covid19 getestet wurden. Mit anderen Worten – Wenn man als Pflegekraft in einer Einrichtung mit dünner Personaldecke arbeitet, kann es sein, dass man trotz nachweislicher Covid19-Infizierung zur Arbeit erscheinen muss.
 
Hinzu kommt, dass ebenfalls aufgrund des eklatanten Personalmangels in der Pflege einige Bundesländer das Arbeitsgesetz für Beschäftigte in Kliniken und Pflegeheimen kurzer Hand gekippt haben. Die Arbeitszeiten wurden auf maximal 12 Stunden pro Tag verlängert, die Ruhezeiten zwischen den Schichten verkürzt und die Wochenstunden auf 60 erhöht. 
 
Wie es um die eigentlich bitter nötige gesellschaftliche Solidarität mit den Beschäftigten im Pflegebeireich aussieht, konnte man im Sommer sehen. So war man sich im öffentlichen Diskurs und gerade in den Medien zu nächst einig, dass von allen Berufsgruppen vor allem das Pflegepersonal essentiell zur Krisenbekämpfung sei und gerade einen aufopferungsvollen Kampf für die Gesellschaft führe. KrankenpflegerInnen und Krankenhauspersonal wurden in den Medien geradzu als HeldInnen gefeiert. Jeder dürfte sich noch an die im nachhinein zynisch wirkenden Klatsch-Orgien erinnern. 
Als eben jene „HeldInnen“ aber dann tatsächlich gesellschftliche Anerkennung einforderten und für ihren Dienst wenigstens etwas mehr Geld haben wollten, war es mit der Solidarität schnell vorbei. Während der Großteil der Gesellschaft dem Pflegesektor längst wieder mit der gleichen Ignoranz wie vor der Krise begegnete, gab es keine Niederträchtigkeit, welche die bürgerliche Presse von Welt über Zeit bis Spiegel nicht dem Pflgepersonal vorwarf, weil man sich traute mit Streik zu drohen. 
Jaja, wer kennt sich nicht, die Raffzähne im Pflegedienst.
 
Doch auch in anderen Arbeitszweigen, etwa im produzierenden Gewerbe, sieht es mit der Einhaltung der Schutzmaßnahmen für die Beschäftigten ähnlich aus. Etliche Unternehmen haben die im Frühjahr auf Druck der Gewerkschaften und Interessenvertretungen der Belegschaft getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie wieder zurückgenommen. In diesen Betrieben arbeitet die Belegschaft quasi ohne oder nur mit unzureichenden Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung weiter und setzt sich so gezwungener Maßen einem unverhältnismäßig höheren Risiko der Ansteckung aus. Der allgegenwärtige Zwang zur Kapitalverwertung herrscht ungebrochen und er fordert seine Opfer. So kam es wohl alleine in den letzen Wochen in den BMW-Werken in Dingolfing und München, beim Paketelieferservice DHL, beim Tiefkühlkosthersteller Frosta und beim Merzedes-Benz-Werk in Düsseldorf zu Infektionsausbrüchen unter der Belegschaft. Es sind also auch hier wieder die einfachen MitarbeiterInnen, die den Preis für die Aufrechterhaltung der Akkumulation und die üppigen Ausschüttungen von Dividenden etwa an die Familien Quandt und Kladden mit ihrer eigenen Gesundheit bezahlen müssen.
 

2. Die Psychologie der „QuerdenkerInnen“

 
Diese Tatsachen machen deutlich: Grund genug gäbe es, um wütend zu sein – wütend über die gesellschaftlichen Verhältnisse, wütend über die ungerechte Verteilung der Lasten dieser Krise, und ja, auch wütend über die Art und Weise, wie die Regierung diese Krise managed – nämlich in dem sie auf instrumentelle Art Menschenleben zu Arbeitskraftbehältern degradiert, die zur Pandemiebekämpfung regelrecht „vernutzt“ werden sollen, wie eben in der Pflege.
Das sind legitime Anliegen um gerade als Linke die eigene Wut darüber nicht in sich hinein zu fressen, auf die Straße zu gehen und den herrschenden Verhältnissen den Kampf anzusagen. 
Und tatsächlich gehen nun schon seit einigen Wochen viele Menschen auf die Straße, um ihrem Protest gegen die Regierung und ihre Maßnahmen Ausdruck zu verleihen.
 
Jedoch handelt es sich bei diesen „Querdenken“ genannten Demonstrationen gegen die Regierung und ihre Maßnahmen nicht um einen Ausdruck der Solidarisierung untereinander gegen die sozialen Umstände und die Totalität der kapitalistischen Vergesellschaftung, die diese hervorruft. Nein, weit gefehlt. 
Sieht man sich die Proteste und deren TeilnehmerInnen an, so bekommt man schnell den Eindruck: Das sind keine ökonomisch oder sozial marginalisierten Massen, die sich gegen unzureichende Schutzmaßnahmen oder allzu offenkundige Ausbeutung seitens ihrer ArbeitgeberInnen oder der Regierung auflehnen. Abgesehen von den üblichen AkteurInnen rechter Parteien, Hooligans und Kameradschaften, welche die Hygiene-Demos von rechts außen zu unterwandern versuchen, bietet sich einem Beobachtenden ein heterogenes Bild aus Verschwörungsideologen, AnhängerInnen der Reichsbürger-Szene und Eso-Hippies. Auch jede Menge augenscheinlich wohl saturierte, ältere Damen und Herren in Jack-Wolfskin-Uniform, welche sich betont „weder links noch rechts“ geben, aber ganz genau zu wissen scheinen, dass die Bundesrepublik Deutschland sich unter Merkel in eine Diktatur verwandelt hätte. Diese sei selbstredend „schlimmer als die DDR“(oder Wahlweise „das Dritte Reich“) und folglich gelte es sie zu Stürzen. Kurz um, man wähnt sich mit Nazis und allerlei anderen seltsamen Menschem „im Widerstand“ gegen die „Merkel-Diktatur“
 
Egal ob die wie auch immer geartete „Kritik“ an der Regierung nun von NWO-SchwurblerInnen, ImpfgegnerInnen, Nazi-Kadern, Hooligans oder einfach nur verwirrten bürgerlichen Subjekten geäußert wird, auffällig dabei ist, dass man sich für die oben genannten gesellschaftlichen Probleme wenig bis gar nicht interessiert. Außer der geheuchelten Sorge um die Vereinsamung älterer Menschen oder um die Beeinträchtugung der (vornehmlich) eigenen Kinder durch die Einhaltung einiger simpler Hygienemaßnahmen, wie etwa das Tragen eines Mund-Nase-Schutzes, richtet sich die Wut der KleinbürgerInnen, die da auf die Straße gehen, mehrheitlich gegen einige Einschränkungen individueller Freiheiten, die im Vergleich mit dem von Rassenwahn durchzogenem Unterdrückungsregime der Nazis als „marginal“ gelten könnten. Und auch im Vergleich zu der Masse an Menschen, die momentan entweder durch Kurzarbeitergeld-Regelung, Arbeitsplatzverlust oder gar das Wegbrechen ganzer Beschäftigungszweigs auf Grundsicherungsniveau irgendwie über die Runden kommen müssen oder in 12-Stunden-Schichten sich auf einer Intensivstation für die Gesellschaft aufopfern dürfen, nehmen sich die Einschränkungen, von denen der Rest der Gesellschft (und damit auch die „Corona-LeugnerInnen„) betroffen sind, geradezu lächerlich aus.
 
Dennoch wird dieses vergleichsweise marginale „Los“ von den Protestierenden geradezu als „Freiheitsberaubung“, die Maßnahmen der Regierung als „Ermächtigungsgesetz“, also als diktatorische Willkür auf gleicher Ebene wie die der Nazis empfunden. Selbst nimmt man sich dementsprechend als erstes und einziges Opfer dieser neuen Nazis und als WiderstandskämpferInnen gegen eben jene wahr. Nach dieser Logik trifft dann der eigene Vergliech mit Figuren der Zeitgeschichte wie Anne Frank und Sophie Scholl natürlich zu. Drunter macht man es sowieso nicht im Widerstand gegen die Merkel-Diktatur.
 
Diese geschichtsvergessene Selbstdarstellung der Corona-LeugnerInnen zeugt zunächst mal nicht etwa von einem selbstlosen Widerstandskampf, den man da in altruistischer Manier für andere Menschen gegen ein grassierendes Unrecht führen würde, sondern in erster Linie zeugt es von einer gehörigen Portion Egomanie, die diese narzistisch gekränkten bürgerlichen Subjekte mit sich herumschleppen. Wo die Inhalte fehlen, muss der Pathos des Heroischen beschworen werden, der sich natürlich um die ProtagonistInnen selbst dreht. Stets ist man dabei aufrechtes, aber ahnungsloses Opfer dunkler Mächte und heroische/r KämpferIn gegen eben jene Mächte zugleich. Ein in Verbindung mit dem Massenerlebnis durchaus subjektkonstituierender Vorgang – Man erhöht sich selbst, stellt sich auf eine Stufe mit den Opfern des Nationalsozialismus und Mitgliedern der Weißen Rose, stilisiert sich gleicher Maßen zur verfolgten Unschuld und zum heldenhaften Widerstand und zieht so aus dem Spektakel sein Selbstwertgefühl.
 
Wo der Protestzirkus sich vornehmlich um die Selbstdarstellung und ums eigene Ego dreht, bleibt dementsprechend kein Platz für Mitgefühl oder Solidarität mit anderen Menschen. Skandalisierung der Verhältnisse in der Pflege oder der wachsenden Armut, der steigenden Prekarisierung und der Existenzbedrohung ganzer Bevölekungsschichten durch die Krise – Fehlanzeige! Das Schicksal all Jener, die in den Kliniken und Pflegeeinrichtungen bei schlechter Bezahlung und chronischer Unterbesetzung schuften, hat diese Leute schon vor der Krise nicht interessiert, eben so wenig wie sie für die sich immer weiter in die Breite der Gesellschaft hineinfressende soziale Schieflage interessiert haben. Auf Demos, die für einen solidarischen Umgang mit der Krise warben, war dieser Schlag Menschen jedenfalls nicht zu sehen. 
 
Aus diesem Desinteresse am Schicksal Anderer, vor allem sozial schwächerer Menschen, lässt sich durchaus ein tief verwurzelter Sozialchauvinismus ableiten. Bei den Forderungen, endlich die Kontaktbeschränkungen aufzuheben, damit man wieder in seine angestammte Bar gehen und seine Risikogruppen-Großeltern besuchen kann, zeigt sich eine Indifferenz gegenüber dem Leben anderer Menschen. Das Leben vor allem der Anderen wird selbstverständlich geringer geschätzt. Eine Eigenschaft, die im Falle des ebenso schon mehrfach bei Hygiene-Demos zu beobachtenden autoritären Strafbedürfnisses gegenüber wahlweise PolitikerInnen, VertreterInnen vom RKI oder sogar anwesenden Cops als typisch für autoritär zugerichtete Charaktere gilt. 
 
Genau betrachtet handelt es sich bei diesen QuerdenkerInnen“ sehr oft nicht um beinharte Nazis, aber doch um autoritäre Elendsgestalten, die ihren gekränkten Narzissmus auf der Straße ausagieren, ohne selbst dabei so ganz genau zu wissen, was sie wollen und wofür sie sind dafür aber ganz entschieden wogegen. Das reaktionäre Krakeelen auf den Hygiene-Demos hat mit dem solidarischen Kampf für andere Menschen oder Selbstermächtigung gegen die bestehenden Verhältnisse oder gar „Revolution“ nichts zu tun. Viel mehr handelt es sich um eine autoritäre Revolte, an deren Ende stets die Herrschaft des Mobs steht. Kurzum, mit diesen Leuten ist keine befreite Gesellschaft zu machen, im Gegenteil: Man kann ihnen als Linke/r nur selbst Widerstand entgegenbringen und ansonsten Maximalabstand halten!
 

3. Wie umgehen mit den Protesten

 
Um es zusammenfassend also nochmal zu sagen: Die sich selbst als „QuerdenkerInnen“ bezeichnenden Protestierenden stellen sich momentan also für ein paar bürgerliche Freiheiten auf die Straße. Die sozialen und ökonomischen Probleme, die gesamtgesellschaftlich mit der Krise zusammenhängen und welche in ihren Auswirkungen viel dramatischer sind, kümmern sie wenig. 
Aus linker Perspektive ist dazu natürlich festzuhalten, dass man sowohl für individuelle Freiheiten wie auch für ein soziales Miteinander eintritt, ganz klar. Nur sind die momentanen Einschränkungen gewisser individueller Freiheiten und Grundrechte aber keine Willkür sondern durch die momentane Lage bedingt. Sie machen Sinn um Leben zu retten, und das alleine sollte schon Grund genug sein, um sie zu respektieren, auch wenn man an sonsten als Linke/r mit dem Treiben bürgerlicher Staatsraison auf Kriegsfuss steht. Mehr noch – Der Antagonismus, den man dem System entgegenbringt sollte eignetlich Antrieb genug sein, den selbsternannten „QuerdenkerInnen“ nicht einfach so die Straße zu überlassen, sondern zum Einen den kruden Parolen dieses zu sich kommendne „Volksmobs“ und dessen regressiven Bestrafungsphantasien die eigenen, emanzipatorischen Inhalte entgegenstellen und zum Anderen dem Staat unt der herrschenden  Klasse unmissverstänflich klar zu machen: 
Nicht auf unserem Rücken!- Es geht nur solidarisch!