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Frauenkampftagsfolklore

Am Montag ist es wieder so weit: Es ist der internationale Frauenkampftag. Die jährliche Folklore hat schon begonnen, Aufrufe und Kampfansagen gibt es auf allen Kanälen zu sehen. Und das ist gut so. Aber nicht ausreichend. Denn in der radikalen Linken macht man es sich mitunter etwas leicht und das in mehrfacher Hinsicht.
 
Da wäre zum einen die individuelle Ebene. Warme Worte und der erwartbare Post am 8. März mit einem eventuellen Demobesuch sagen absolut nichts darüber aus, ob sich jemand wirklich mit den unterschiedlichen Aspekten patriarchaler Unterdrückung und des Antifeminismus auseinandergesetzt hat. Dazu zählen unter anderem Sexismus, Maskulinismus, Incels, frauenfeindliche Sozialcharaktere wie Nice Guys, Rape Culture, Männerrechtsbewegung, religiöser Antifeminismus, häusliche Gewalt, fehlende Chancengleichheit, ungleich verteilte Carearbeit, verstärktes Armutsrisiko, sexistische Schönheitsideale, Kommodifizierung weiblicher Körper und Sexualität und und und. Vor allem zählt auch das eigene Verhalten dazu – und das nicht nur bei Männern. Internalisierte Frauenfeindlichkeit ist ein Phänomen, welches sehr unangenehm in der eigenen Aufarbeitung ist.
 

Das Private ist politisch

 
Gerade bei Männern ist der Habitus eine ganz große Baustelle. Man wird von der Geburt an in alte Rollenbilder hinein geprägt und durch eine patriarchale Gesellschaft selber patriarchal geprägt. Sich dessen nicht nur mit einem Häkchen auf der To-Do-Liste bewusst zu werden, sein eigenes Verhalten anderen gegenüber kritisch zu beurteilen und sexistische Verhaltensweisen und Denkmuster zu überwinden, ist sehr viel harte Arbeit und hat mit viel unschöner Selbsterkenntnis zu tun. Dies ist ein fortlaufender Prozess und nichts, was man mal eben an ein paar Pflichtterminen im Jahr macht.
 
Die Gefahr besteht hier, dass einige Linke sich diesem Reflexionsprozess erst gar nicht oder nur teilweise stellen. Auf dem Papier ist man ja sowieso dagegen, also braucht man sich dann auch nicht großartig weiter damit beschäftigen. Man verlagert die Problematik auch gerne nach außen und meint, mit ein paar Gesetzesänderungen und Initiativen wäre dem Problem beizukommen. Im Gegensatz zum Kapitalismus haben wir es hier aber mit einer Unterdrückungsform zu tun, welche wir auch individuell ausüben. Dies bedeutet, man kann selber einen Unterschied machen und die Welt weniger sexistisch gestalten. Man sollte daher immer wieder darauf drängen, die teilweise wohlfeile Selbstgefälligkeit zu durchbrechen und eine Veränderung des Verhaltens auch von Linken einzufordern.
 
Es gibt ja gerade einen zumindest im Antifaspektrum prominenten Fall mit Sören Kohlhuber. Dieser hat sich in der Vergangenheit sexistisch verhalten und geäußert. Seit letztem Jahr läuft ein Aufarbeitungsprozess mit einer Arbeitsgruppe, welche einerseits für Betroffene eine unabhängige Anlauf- und Beschwerdestelle darstellt, andererseits den Reflexionsprozess leitet und entscheiden wird, ob dieser Prozess erfolgreich war. Auch wenn es innerhalb der Linken insgesamt besser als im Rest der Gesellschaft ist und eine sehr viel höhere Aufmerksamkeit für diese Problematiken vorhanden ist, bleibt das Problem des Sexismus und einer strukturellen Benachteiligung dennoch bestehen.
 

Männer unter sich

 
Ein wirklich gewichtiger Faktor ist dabei, dass insbesondere unter Männern und im männlichen Bekanntenkreis kaum über das Thema geredet wird, insbesondere was die Verhaltensweisen angeht. Auch in der Linken gibt es stellenweise einen männlichen Gruppenschutz für andere Männer, Vorfälle werden nur halbherzig aufgearbeitet. Die Vorfälle beim Festival „Monis Rache“ (Filmaufnahmen von den Frauen-WCs wurden gemacht und verbreitet) und deren anfänglich schleppende Aufklärung wären hier als Beispiel zu nennen. Sich im Jahr ein paar Mal auf eine Demo mit feministischen Anspruch zu stellen, ändert daran halt wenig.
 
Die Probleme tauchen aber nicht immer nur fernab des eigenen Umfelds auf, sie sind in der Regel in jedem Bekannten- und Familienkreis anzutreffen. Es muss daher ein offener, solidarischer und im Notfall konsequenter Umgang mit derartigen Problemen gefunden werden. Am Anfang dessen steht aber überhaupt erst einmal die Erkenntnis, nicht immer nur in radikaler Pose die Gesellschaft anzuklagen, sondern auf sich selbst und das eigene Umfeld zu schauen. Und dies passiert nicht dadurch, dass man sich öffentlich zum Jahrestag solidarisch zeigt.
 

Für was eigentlich kämpfen?

 
Aber nicht nur im Privaten gibt es Baustellen, die sich nicht durch die Frauenkampftagsfolklore beheben lassen. Im juristischen Sinne hat die Frauenbewegung in den deutschsprachigen Ländern so gut wie alles erreicht. Es gibt immer noch Einschränkungen in die körperliche Selbstbestimmung mittels der Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen und dem Verbot der Werbung bzw. Aufklärung darüber bei Frauenärztinnen. Der legalistische Kampf ist aber so gut wie vollständig gewonnen. Damit ist eine gesellschaftliche Gleichstellung aber noch lange nicht erreicht, womit wir zu einer weiteren Baustelle kommen.
 
Abseits von Wortradikalismus gibt es zur Zeit wenig Konkretes zu vernehmen. Ein Problem nicht nur im Feminismus, aber eben auch hier. Wie man die immer wortreich und ausdrucksstark benannten Ziele der freien Gesellschaft und des Endes des Patriarchats erreichen will, bleibt man meistens schuldig. Dabei werden ja Probleme benannt: Ungleiche Bildungschancen, ungleiche Verteilung bei der häuslichen Arbeit inklusive Erziehung, niedrigere Bezahlung, schlechtere Karrierechancen, höheres Armutsrisiko, erhöhtes Risiko häuslicher Gewalt, sexuelle Gewalt, Sexualisierung weiblicher Körper, patriarchale Rollenerwartung, ungesunde Schönheitsideale und noch vieles mehr.
 

Lasst uns konkret werden

 
Nehmen wir das konkrete Beispiel der Carearbeit im häuslichen Umfeld. Putzen, waschen, bügeln und die Kinder betreuen sind Tätigkeiten, welche überproportional häufig von Frauen erledigt werden. Selbst im Jahr 2021 hängen in WGs Karten am Kühlschrank, auf denen steht: „Feminismus ist für mich, wenn die Männer genauso viel putzen.“ Die Mehrbelastung von Frauen wird dann gerne in unbezahlten Arbeitsstunden angegeben und oft als Wirtschaftsleistung von x Milliarden im Jahr beziffert. Nur welche konkreten Lösungsvorschläge hat die radikale Linke für das Problem zu liefern, wenn man zusätzlich die Kommodifizierung von Tätigkeiten als Problem erkannt hat? Carearbeit soll aufgewertet werden, aber wie genau? Man muss Konzepte erarbeiten, die diese Tätigkeiten nicht noch weiter den Marktlogiken unterwerfen und der Kapitalverwertung damit weitere Felder öffnet.
 
So leid es einem tut, aber hierzu findet man auf den üblichen Veranstaltungen rund um den Frauentag keine Antworten, so wie man sie auch in der radikalen Linken allgemein kaum findet. Dabei sind das aber die Aufgaben, denen sich ein nicht nur an Worten interessierter Feminismus widmen muss. Auf welche Art muss die Funktionsweise des Wirtschaftssystems und der Gesellschaft geändert werden, um die genannten Probleme sinnvoll zu bekämpfen? Welche Zwischenschritte sind dazu notwendig, wie sollen diese Maßnahmen finanziert werden? Was hat die radikale Linke am Frauenkampftag konkret für alleinerziehende Mütter unterhalb der Armutsgrenze im Angebot?
 
Die Frauentagsfolklore hat darauf keine Antwort. Mitunter bekommt man den Eindruck, dass man sich mit solchen harten Fragen nicht beschäftigen will. Man müsste dann ja konkret werden, konkrete Maßnahmen vorschlagen und jede Menge Arbeit in das Ausarbeiten von Konzepten stecken. Oder zumindest wissen, welche Konzepte es bereits gibt und diese dann auch pushen. Man müsste konkrete Positionen beziehen und dafür kämpfen. Eine Sache, die in der radikalen Linken zur Zeit kaum anzufinden ist, egal um welches Thema es geht. Abseits vom Antifaschismus sieht es da ziemlich düster aus. Kritik können wir alle mehr oder weniger gut, umsetzbare Lösungsansätze dafür entwickeln aber nicht.
 
Ereignisse wie der Frauenkampftag liefern, wenn man sich nicht konsequent mit den Problemstellungen beschäftgit, die Selbstversicherung, dass man doch genug mache. Aber man sollte sich gegenüber ehrlich sein und fragen, ob man denn wirklich mehr als Kritik und die richtige Grundeinstellung vorzuweisen hat. Diese sind wichtig, aber für einen erfolgreichen Aktivismus ist auch die Handlungsseite notwendig. Auf sich selbst und das eigene Umfeld bezogen, aber auch auf konkrete gesellschaftliche Probleme. Diese beheben sich schließlich nicht von alleine und nicht nur an einem Tag im Jahr.