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Der Hambacher Forst und radikaler Aktivismus

Derzeit läuft im Hambacher Forst die Räumung der friedlichen Besetzung. Aktivist*innen wohnen seit Jahren friedlich in dem Wald und schützen ihn so vor der Abrodung. Der Energieriese RWE will dort Braunkohle fördern und da stört ein Wald halt. Die Besetzung des Waldes verhindert dies erfolgreich seit Jahren und ist dem Konzern ein Dorn im Auge. Bis auf eine Parzelle wurde das gesamte Gebiet aufgekauft, man hat Anwohner*innen und Gemeinden mit Aktien und dergleichen eingekauft und kann auch auf die Politik zählen. Nur dürfen sie nicht roden wenn sich Menschen im Wald befinden. Auf Baumhäusern leben dutzende Menschen je nachdem wie lange sie wollen dort und praktizieren eine möglichst gleichgestellte und hierarchielose Lebensweise. Mit bis zu 4000 Einsatzkräften und schwerem Gerät wird die Räumung der vermutlich größte Polizeieinsatz des Landes Nordrhein-Westfalen. Bundesweit gibt es Soliaktionen, in Berlin wurde kurzzeitig die Landesvertretung NRW besetzt, von Demonstrationen aus schaffen es Aktivist*innen die Polizeiketten am Hambacher Forst zu durchfließen und die Bilder dominieren gerade neben dem Trubel um Nazis, Maaßen und Seehofer die Nachrichten aus Deutschland.

 

In den Medien ist das Echo ein geteiltes, die Polizeimassen rufen aber die Frage hervor, warum man bei gewalttätigen Nazis und Faschos nicht mal annäherungsweise so zahlreich und entschlossen auftreten kann wie gegen friedliche Menschen in einem Waldgebiet. Zum einen liegt das natürlich daran, dass der Einsatz länger geplant ist als zumindest der Sonntag und der Montag in Chemnitz. Zum anderen aber auch ohne jeden Zweifel daran, dass hier ein Großunternehmen ein Interesse daran hat und der bürgerliche Staat dieses Interesse mit Staatsgewalt durchsetzt. Wer sich mit der Geschichte der politischen Ökonomie auskennt weiß, dass die Entstehung der Nationalstaaten eng mit der Durchsetzung des Kapitalismus verbunden war.

Ressentiments und Dummheit

 

Nun gibt es zur Räumung des Hambacher Forstes auch sehr viel Mist zu lesen. Zum einen macht sich mal wieder das gesamte Ressentiment gegenüber angeblich versifften Ökos, am besten noch weiblich als „Ökotussen“ oder dergleichen beschimpft, breit. Munter schmeißt man Hippies und ökologische Aktivist*innen in einen Topf, den offensichtlichen anarchistischen Charakter der Besetzung ignoriert man ganz und freut sich schelmisch wenn die Polizei brutal gegen friedliche Menschen vorgeht. Diesen Ökospinnern gehören halt mal die Ohren lang gezogen! Auch in einigen linken Kreisen gibt es dieses Ressentiment, welches aus einer Ablehnung des Hippietums und einem gnadenlosen technikgläubigen Fortschrittsoptimismus resultiert.

 

Den Höhepunkt stellt allerdings ein unterirdisch schlechter Artikel von Stefan Laurin bei den Ruhrbaronen dar. Dieser fährt schon im Titel das Ökoressentiment und eine glatte Falschbehauptung auf: „Hambacher Forst: Die Linke wurde nicht für Menschen in Flughörnchen-Kostümen erfunden“. Das ist wirklich so dumm, man kann Laurin eigentlich nur erwidern: Journalismus wurde auch nicht für Schalke-Fans mit schlechtem Kleidungsgeschmack erfunden. Exakt die gleiche inhaltliche Ebene ist das, nämlich gar keine. Zudem wurde die Linke nicht erfunden. Niemand hat sich hingesetzt und das erfunden, was man heute als links bezeichnet. Es war ein gesellschaftlicher Prozess, an dem viele Personen beteiligt und auch vor 200 Jahren nicht immer derselben Meinung waren. Es gibt einige Punkte, aus denen sich dann letztendlich unterschiedliche linke Theorieansätze entwickelt haben. Da wären die nicht eingehaltenen Versprechen der bürgerlichen Gesellschaft von Freiheit und Gleichheit und die massiven gesellschaftlichen Umbrüche inklusive Massenverelendung im Zuge der Durchsetzung von Kapitalismus und Lohnarbeit. Widerspruch darauf war unausweichlich und keine Erfindung im wie die Glühbirne oder die Eisenbahn.

 

 

Auf diesem Niveau wird dann auch munter weiter gemacht, die Hauptaussage des Artikels ist folgende: Der Hambacher Forst soll abgeholzt werden, damit RWE weiter Kohle baggern kann. Warum? Weil Arbeitsplätze und so. Keine Pointe. Der Artikel, der einem erst erzählt wofür die Linke nach Ansicht des Autors eigentlich erfunden wurde vertritt dann zu hundert Prozent die Linie von RWE, dem Großkonzern. Weil der ja Arbeitsplätze schaffe, ne starke Gewerkschaft und übertarifliche Bezahlung habe. Mag ja sein, du kannst dann aber nicht ernsthaft erzählen das wäre eine linke Argumentation. Eher klingt hier das „Sozial ist, wer Arbeit schafft“ eines Alfred Hugenbergs durch. Wenn man exakt die Position eines Großkonzerns vertritt sollte man etwas hellhörig werden und die eigene Position überprüfen.

 

Der Artikel widmet sich dann auch konsequent dem Hochhalten der Atomkraft (Fukushima und Endlagerungsproblem anyone?) und sagt man müsse konsequent an der Seite der Arbeiter*innen und der Gewerkschaft stehen. Letzteres ist ein absolut valider Punkt. Nur wird hier in klassisch liberaler Manier der Arbeitsstandpunkt gegen den ökologischen Standpunkt ausgespielt und der Konzern bleibt unbehelligt. Sollte einem eigentlich auffallen, außer man heißt Laurin. Atomstrom ist auch nur deshalb so günstig weil die Unternehmen die Tertiärkosten dafür nicht tragen müssen und diese hauptsächlich von der Allgemeinheit zu tragen sein werden. Kann man jetzt natürlich gut finden, ist aber auch das klassische Muster der Industrie solange beteiligt zu sein, wie es Profite gibt, und dann rauszuziehen, wenn es das nicht mehr hergibt. Die Gewerkschaft von RWE hat übrigens auch nur ein Partikularinteresse und das ist das der RWE-Belegschaft. Wenn man sämtliche größeren Zusammenhänge rausnimmt mag das Argument funktionieren – aber auch nur dann. Wenn man zum Beispiel gegen deutsche Waffenexporte ist, sei es auch nur in bestimmte Regionen, könnte man auf exakt die gleiche Art und Weise mit der Rheinmetallbelegschaft argumentieren und liefert dann munter Leopard-Panzer in die Türkei, mit denen dann Krieg gegen die Kurden geführt und ein autoritäres Regime islamistischer Färbung gestützt wird. Aber man steht auf der Seite der deutschen Arbeiter*innen!

 

Radikal, ökologisch und antikapitalistisch

 

Was hat die Besetzung des Hambacher Forstes jetzt aber tatsächlich geschafft? Eine ganze Menge. Zusammen mit Ende Gelände hat man dem Ökoaktivismus eine radikale Ausdrucksform jenseits von Greenpeace-Mitgliedschaft oder fragwürdigen Peta-Aktionen geschaffen. Man kommt aus dem linksradikalen Spektrum oder ist dorthin anschlussfähig, im Gegensatz zu den meisten anderen Orgas, die mit Kapitalismuskritik nichts am Hut haben. Die Besetzung des Hambacher Forstes und Ende Gelände sind das, was die Grünen mal teilweise waren und was sie mit ihrem Gang durch die Parlamente verloren haben: radikal. Die Grünen hingegen sind inzwischen Kretschmar und verschärfen Polizeigesetze. Und was die Besetzung auch schafft: Sie bringt das Thema Klimawandel wieder auf die Tagesordnung und stellt die Frage, wie es denn eigentlich in Zukunft weitergehen soll.

 

Eines ist klar: Der Klimawandel zeigt sich inzwischen ganz real, auch in Deutschland. Solche heißen Monate wie den diesjährigen Juli werden wir öfter bekommen. Die Landwirtschaft hat massive Ernteausfälle zu beklagen, was sich irgendwann möglicherweise auch mal auf die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln auswirken könnte oder zumindest zu einer Einschränkung der Auswahl führt. Und der Klimawandel mit seinen Auswirkungen kümmert sich einen feuchten Scheißdreck um Wertabspaltung und Lohnarbeit, der kommt ohne Rücksicht auf Verluste und bedroht die reale Existenz von zig Millionen Menschen. In den nächsten 50 Jahren wird es jede Menge Klimaflüchtlinge geben. Maßgeblich verursacht durch die Wirtschaft des globalen Nordens und der industrialisierten Nationen. Waldbrände, Dürren, Sturm- und Flutschäden – all das nimmt schon zu und wird es auch weiterhin. Es geht ja auch gar nicht mehr darum den Klimawandel zu verhindern, es geht nur darum seine Auswirkungen auf ein bestimmtes Level einzugrenzen. Das hat sehr viel mit ökologischem Wirtschaften, mit Generationengerechtigkeit und mit internationaler Solidarität zu tun. Und die Frage, wie man damit jetzt gesamtgesellschaftlich umgeht stellt die Besetzung des Hambacher Forstes.

 

Die Besetzung selber wird den Klimawandel nicht beeinflussen. Ob dieser Wald nun stehen bleibt oder nicht ist völlig egal aus globalökologischer Sicht. Aber darum geht es ja auch nicht nur. Es geht um die große Frage, die man immer wieder gerne in den Hintergrund drängt: Wie wollen wir als Gesellschaft weiter leben und wirtschaften? Da stellt sich die Frage des Kapitalismus und die Frage der bürgerlichen Gesellschaft ganz unmittelbar. Im Kapitalismus produziert man eben gewinnorientiert und nach marktwirtschaftlichen Prinzipien. Da ist dann tatsächlich sinnvoll eine Jeans über zehntausende Kilometer hinweg produzieren zu lassen oder ganze Landschaften wegzubaggern. Es rechnet sich halt in dem Moment. In einer nicht marktwirtschaftlich orientierten Wirtschaft könnte man aber zum Beispiel die Energiebilanz eines Produktes als oberste Maxime ausgeben und käme auf einmal zu einer völlig anderen Produktionsstruktur und Produktentwicklung.

 

 

Wer von der Überwindung des Kapitalismus reden will, darf von Ökologie nicht schweigen. Im Gegenteil, die Suche einer besseren Wirtschafts- und Gesellschaftsform darf sich nicht nur auf die Frage des Arbeitsverhältnisses beschränken. Ökologie und Antikapitalismus haben viele Schnittstellen und können organisch verbunden werden. Denn der Kapitalismus beutet sowohl den Menschen als auch die Natur aus. Man muss dann aber auch so ehrlich sein und den Leuten mitteilen, dass es keinen Luxury Gay Space Communism mit Privatjet für alle geben kann. Der wird ein bisschen anders aussehen. Wenn man auf andere Dinge als Kosteneffizienz schaut muss der ökologische Faktor eine gewichtige Rolle spielen. Und dann wird Fliegen teurer. Dann kostet Fleisch mehr. Dann wird der Individualverkehr zurückgeschraubt und das eigene Auto eventuell sogar ein Auslaufmodell. Zumindest solange bis sich die neue Wirtschaftsform gefunden hat. Und dann müssen unökologische Industriezweige auch mal absterben. So läuft das eben wenn man die Art des Produzierens und des Wirtschaftens radikal umstellt. Da kommt es zu radikalen Brüchen. Das muss man auch so schonungslos sagen. Genauso wie die Leopard-Produktion bei Rheinmetall idealerweise keine Zukunft hat und deutsche Waffen so nicht mehr in aller Welt töten können.

 

Dies ist dann auch die Reibungsstelle zwischen Ökologie und Antikapitalismus. Aber anstatt hier den Laurin-Move zu machen und beide gegeneinander zum Vorteil des Großkonzerns auszuspielen muss man eine Lösung finden, die beide Interessen möglichst vereinigt und sich gegen RWE als kapitalistischen Konzern richtet. Keine Frage, einfach ist das nicht. Aber das ist noch lange kein Grund sich völlig unnötigerweise zum Sprachrohr der Industrie zu machen und jeglichen emanzipatorischen Anspruch aufzugeben, weil man partikular meint die Interessen des Proletariats zu vertreten. Denn der Artikel bei den Ruhrbaronen hat vor allem folgende Kernaussagen: Besetzung stoppen, RWE buddeln lassen, Kohle- und Kernkraft stützen. Sehr progressiv. In diesem Sinne: Hambi bleibt!

Wenn die „Guten“ so richtig lästern – das Elend des Lookismus

Am Samstag fand in Themar ein inzwischen wohlbekanntes Neonazikonzert statt. Etwa 6000 Personen aus dem neonazistischem und faschistischem Spektrum kamen zusammen und präsentierten gut dokumentiert, wie das gewaltbereite Neonaziklientel so aussieht. Unter dem Schutze des Demonstrationsrechts wurde dann auch in trauter Runde ordentlich dem deutschen Gruß gefrönt, die Polizei sah keine Veranlassung, die Veranstaltung zu beenden oder einzugreifen. Einige Fotos der Veranstaltung machen seit dem die Runde. Neben einem Polizisten bei einem vermeintlichen persönlichen Kontakt mit Faschos und diversen Nazi-Motiven und Slogans inklusive Liebeserklärungen an Hitler macht vor allem das Bild eines sehr korpulenten Mannes die Runde, auf dessen T-Shirt der Aufdruck „Nationalstolz kann man nicht zerbrechen“ auszumachen ist.

Scheinheilig auf der richtigen Seite

Was sich in den Kommentarspalten zu diesem Bild beobachten lässt, zeigt wieder einmal das massive Problem zwischen Anspruch und Wirklichkeit der eigenen vermeintlichen moralischen Überlegenheit, die sich im Zweifelsfall aber doch nur in dumpfester Überheblichkeit äußert. Vor allem schnelle Medien wie Facebook oder Twitter laden dazu ein, unreflektiert in die Tasten zu hauen und sich am bundesweiten Diffarmierungswettbewerb zu beteiligen. Nazis sind ja scheiße, also immer feste druff. Das dabei der eigene Anspruch flöten geht, ist egal. Jede Ingroup braucht offensichtlich ein Objekt, an dem dann mal lustvoll sämtlicher Anstand ins Gegenteil gekehrt und so richtig gelästert werden kann. Da man sich ja auf der richtigen Seite wähnt – gegen Nazis ist ja immer gut – kann ruhig das Niveau der schlimmsten Boulevardpostillen unterboten werden. Über die man sonst am Besten immer noch schimpft ob ihrer stupiden Triebbefriedigung auf Kosten anderer.

Machen wir uns nichts vor, wir haben alle in gewissem Maße schon selber an diesen Beleidigungsolympiaden teilgenommen. Und natürlich kokettieren viele Seiten, Accounts und Medien zu einem gewissen mit Empörung bzw. Zielgruppenbefriedigung. Hier geht es aber nicht um ein Kokettieren, hier geht es um die Masse an unterirdischen Kommentaren, die sich von Menschen auf der „richtigen“ Seite Bahn bricht – und berechtigte Zweifel aufkommen lässt, wie viel beim Thema Antifaschismus verstanden wurde. Wie konsequent setzt man die eigenen Ansprüche an sich selber um, wenn man sich wegen eines übergewichtigen Faschos ähnlich hetzend und diskriminierend geriert, wie das Objekt des Spottes? Es gibt ganze Seiten, die sich auf das Vorführen von Menschen stützen – und einen inhaltlichen Mehrwert über den Moment der Empörung hinaus oftmals vermissen lassen, von wirklich tiefgreifenden Analysen ganz zu schweigen.

Verteidigungsreflexe

Die Parallelen zur Causa Nazischlampe mit Alice Weidel sind offensichtlich. Ist der Ausdruck im direkten satirischen Kontext als Erwiderung auf ihre Forderung vom Ende der politischen Korrektheit zu verteidigen, da er die logische Konsequenz aus eben dieser Forderung darstellt und mit der daraufhin eingereichten Klage die Scheinheiligkeit Weidels offenbarte, nahmen ihn viele Leute einfach nur zum Anlass, endlich ungehindert eine Frau als „Schlampe“ bezeichnen zu können. Emanzipatorisch ist daran nichts, im Gegenteil. Es werden nur alte Muster unter dem scheinheiligen Deckmantel der „richtigen Seite“ repliziert. Und so verwundert es nicht, dass sich auch hier ein Autor findet, der den ganzen Lästerbros, -sis, inbetween und else einen Persilschein genau dafür ausstellt. Stefan Laurin mimt hier in einem Kommentar bei den Ruhrbaronen die Kronkartoffel gegen den eigenen Anspruch.

Wirklich anspruchsvoll fällt seine Verteidigung nicht aus, es solle hier das Ideal der Nazis (Herrenmenschen dies das) mit ihrer Wirklichkeit konfrontiert werden. In welche Tradition er sich damit stellt, kann in diesem Kommentar nachgelesen werden. Was Laurin weiterhin geflissentlich übersieht oder übersehen will – die meisten Kommentare geben sich ja nicht einmal den Anschein, hier irgendwie einen vermeintlichen Anspruch der Nazis und dessen Scheitern aufzuzeigen. Eine ideologische Auseinandersetzung findet nicht statt, da sie gar nicht gewollt ist. Hier wollen einfach nur Menschen ihrem Lästertrieb nachgeben, den sie sonst ja leider nicht so ausleben können. Es geht den meisten Kommentierenden bei diesem Bild um nichts anderes als Selbstbefriedigung und Circle Jerk. Und auf diese Doppelmoral kann konsequenter Antifaschismus nun wirklich gut verzichten.