Buchrezension „Extrem unbrauchbar – Über Gleichsetzungen von links und rechts“

Im Verbrecher Verlag ist vor ein paar Wochen ein Sammelband zum Thema Extremismustheorie erschienen. Dieser ist die zweite Veröffentlichung der „Edition Bildungsstätte Anne Frank“, welche von der namensgleichen Bildungseinrichtung aus Hessen verantwortet wird. Der Rahmen des Sammelbandes ist mit einigen Stichworten ganz gut umrissen: Extremismus-, Totalitarismus-, Hufeisentheorie und Zentrismus/Ideologie der Mitte. Die einzelnen Beiträge im Band behandeln einzelne Aspekte aus diesem Spektrum, vorsortiert in fünf Kategorien: 
 
    (1) Eine Theorie, die keine ist
    (2) Im Dickicht der Institutionen
    (3) Das Recht des Stärkeren 
    (4) Mythos Mitte und 
    (5) Nachtritt. 
 
Die Beiträge stammen unter anderem von Politikwissenschaftler*nnen wie Wolfgang Wippermann und Dana Ionescu. Es gibt ein Interview mit den Leitern der Bildungsstätte Anne Frank, Artikel von Mitarbeiter*nnen der Bildungsstätte wie Eva Berendsen und Tom Uhlig, politsch-satirisch Aktiven wie Paula Irmschler und Leo Fischer und ein Interview mit der Facebook-Seite Das goldene Hufeisen.
 
 
Vorweg gibt es gleich das Fazit, unter dessen Berücksichtigung die Detailkritik zu lesen ist: Es ist ein empfehlenswerter Sammelband mit teilweise hervorragenden Beiträgen. Man merkt dem Band an, dass er von einer demokratischen Bildungsstätte herausgegeben wurde – einige Beiträge beziehen sich explizit auf den Bereich der politischen Bildung und der dort aktiven Vereine und Träger*nnen. Wer mit diesem Bereich nicht viel zu hat und sich politisch auch nicht in der „Mitte“, in der Mehrheitsgesellschaft oder im bürgerlichen Bereich verortet, wird nicht alle Artikel hochgradig spannend finden oder sich in ihrer Intention wiederfinden. In der Summe bündelt das Buch aber Artikel mit größtenteils politikwissenschaftlichem Anspruch zum Themenbereich Extremismus und richtet sich klar gegen staatliche, behördliche und rechte Diskursbestimmung durch damit verbundene Konzepte und eine inhaltlichen Entkernung der politischen Debatte. Wer wissen will, was damit nicht stimmt, wird hier mit teils exzellentem Material versorgt. Und auch wer mit dem Thema vertraut ist, wird genügend interessante Details und Denkanstöße bekommen.
 
 
Empfehlenswerte Artikel, chronologisch:
 
Rechts von uns ist das Land – Eva Berendsen, Katharina Rhein, Tom Uhlig
– Politik(wissenschaft) als Mythos; Die Extremismustheorie und das Hufeisen – Daniel Keil
– Eine Totalitarismustheorie, die eigentlich keine ist; Die deutschsprachige Rezeption von Hannah Arendts Theorie der totalen Herrschaft – Dana Ionescu
– Politische Bildung als Verfassungsschutz? Über ein deprimierendes Demokratieverständnis – Katharina Rhein
– Extremismus – Ein Konzept zur Lähmung des Kampfes gegen rechts – Ingolf Seidel
– Im Recht; Der Extremismusbegriff schützt vor allem eins: Die Verfasstheit der bestehenden Wirtschafts- und Sozialordnung gegen emanzipatorische Politik – Maximilian Pichl
– „Wehrhafte Demokratie“ oder wie ein Inlandsgeheimdienst zum Demokratieschützer wird – Sarah Schulz
– Deutschlands Platz an der Arktis; Wie sich die Volksgemeinschaft an Kälte wärmt– Tom Uhlig
– Antisemitsm – Connecting People – Katharina Rhein, David Uhlig
– Interview mit Das goldene Hufeisen – David Uhlig
 

Rein ins Extreme

 
Die drei Herausgeber*innen lassen sich nicht lumpen und eröffnen den Band mit einer standesgemäßen Einleitung, die den politischen Zeitgeist in den Jahren der Chemnitzer Ausschreitungen, des Mordes an Lübcke, des Endes der juristischen Aufarbeitung des NSU-Komplexes und der Etablierung der rechtsradikalen AfD in allen Landes- und Bundesparlamenten themenspezifisch seziert und den Finger auf die offenen Widersprüche und Fehlentwicklungen der letzten Jahre legt. Die größte Enttäuschung folgt direkt auf dem Fuße, liefert Wolfgang Wippermann doch einen sehr schwachen Beitrag ab. Es wird viel angeschnitten, wenig untermauert und noch weniger zum Abschluss gebracht.
 
 
Doch davon sollte man sich nicht entmutigen lassen. Denn die drei folgenden Beträge enthalten Schellen für Verfassungsschutz, Extremismustheorie und die jeweiligen Vertreter*innen, die es in sich haben.  Wer weiß schon, dass die Bundeszentrale für politische Bildung in den ersten Jahren Bundeszentrale für Heimatdienst (ja, Heimatdienst) hieß und maßgeblich von antikommunistischen Altnazis aufgebaut wurde, die stellenweise das seit Jahrzehnten als ungerechtfertigt angesehene KPD-Verbot angestrengt haben? Wer weiß schon, dass die Hufeisentheorie eine Selbstverortung rechtsradikaler Kräfte zu Beginn der 30er war, mit der man sich als wahre Vertreter des Volkes im Sinne der Volksgemeinschaft zu positionieren suchte, während die Linken mit ihrem Klassenkampf dies nicht seien und zu viel Klassenkampf dem Volk nicht gut täte, was von Backes in seiner Übernahme des Modells aber geflissentlich unter den Tisch fallen gelassen wird? Wer weiß schon, dass führende Extremismustheoretiker wie Jesse, Backes, Patzelt, Pfahl-Traughber und andere teils offiziell, teils inoffiziell für den Verfassungsschutz gearbeitet haben und heute trotzdem als unabhängige wissenschaftliche Experten für die Medien gelten und bei der Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlichen? Wer weiß, dass Hannah Arendt mit ihren Arbeiten zur totalen Herrschaft explizit nicht die DDR gemeint hat und auch die Sowjetunion nur unter Stalin als totale Herrschaft ansah, heute aber entgegen ihrer Aussagen als Säulenheilige der Totalitarismustheorien und als Namensgeberin eines solchen Instituts herhalten muss, dessen außerordentlicher Professor Lothar Fritze sogar in Schnellroda beim rechtsradikalen Institut für Staatspolitik referiert hat? 
 

Mehr davon

 
Die große Stärke des Sammelbands liegt genau in solchen Details und Ausführungen, die die politische Ideengeschichte des Extremismusbegriffs nachzeichnen, seine Entstehung erläutern und einordnen und den sehr begrenzten Rahmen dieses Modells anschaulich darlegen. Und so bekommt die Selbstdarstellung der BRD und ihrer Sicherheitsorgane sehr viel Kritik ab. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnten Nazis ihren Antikommunismus in den Behörden, die sie oft selber aufgebaut haben, weiter ausleben und Opfer des Nationalsozialismus in der BRD ein zweites Mal staatlich verfolgen, während sie selber unbehelligt von ihren Verbrechen der Nazizeit blieben. Interessant sind auch die Passagen, in denen der Extremismusbegriff staats- und verfassungstheoretisch eingeordnet wird. So ist es ein Zynismus, dass politische Bildung in Form der Bundeszentrale für politische Bildung genauso wie der Verfassungsschutz dem Innenministerium unterstellt ist und somit als staatliche Behörde einen Extremismusbegriff verbreitet, der den staatlichen Bereich explizit ausklammert und keiner Kritik unterzieht. Demokratieförderung dient hier also nicht dem Fördern eines kritischen Denkens auch gegenüber staatlichen Institutionen, sondern allein der Verbreitung der Mär, die „Ränder“ der Gesellschaft seien problematisch. Das man Menschen- und Bürgerrechte in der Regel GEGEN staatliche Institutionen erkämpfen musste, spielt keine Rolle. Der Staat und die Behörden gelten nicht als Instrumente zur Durchsetzung bestimmter Machtinteressen, die sich zudem ändern können. 
 
 
Ebenfalls hervorzuheben ist der Verweis auf die Verengung des Rahmens, den man von behördlicher Seite als nicht-extremistisch ansieht. So wird entgegen der Konzeption des Grundgesetzes, in dem mit voller Absicht keine Wirtschaftsordnung festgelegt ist, der antikapitalistische Kampf sehr oft als extremistisch und somit verfassungsfeindlich eingestuft. Staatliche Behörden sorgen damit aktiv für eine Auslegung des Grundgesetzes, welche die aktuelle Verfasstheit von Staat und Wirtschaft schützt – und nicht was verfassungsrechtlich im Rahmen der Ausgestaltungsmöglichköglichkeiten läge. Das Grundgesetz schützt eben nicht zwangsläufig den Kapitalismus und auch nicht die Behördenstruktur der BRD, ebensowenig ist Demokratie an die aktuelle Verfasstheit der BRD geknüpft. Gerade in Anbetracht der aktuell laufenden Militarisierung der Polizei und der Befugniserweiterungen Richtung Autoritarismus steht man schnell als potentiell extremistisch dar, obwohl man sich eigentlich im Rahmen der Grundgesetzintention befindet und die eigenen Rechte gegen den Staat verteidigen will.
 
 
Weniger spannend sind Teile der Artikel bezüglich der Bildungspolitik und wie man mit dem Extremismusbegriff versucht, Linke oder den Kampf gegen rechts zu be- und verhindern. Dies liegt nicht daran, dass dies nicht wichtig wäre. Man kennt die Leier und die Taktik nur eben seit Jahren und eine Aufarbeitung dieser Mechanismen ist nicht sonderlich anregend, dafür aber bitter nötig, wenn man die aktuellen Debatten um das Programm „Demokratie fördern“ anschaut und die Diskreditierungsversuche von Seiten der AfD und anderen rechtsradikalen Akteuren im Kopf hat. Die Diskursanalyse zum NSU-Komplex und der Beitrag zum Thema Islam und Extremismuskonzeption lesen sich ebenfalls wie Füllwerk und liefern leider keine spannenden Erkenntnisse oder neue Blickwinkel auf diese Bereiche. Etwas deplatziert wirkt der Beitrag über Feminismus, was vor allem daran liegt, dass die Autorinnen es nicht wirklich schaffen, die Verbindung zum Thema des Buches deutlich zu machen. Man fragt sich oft, was das denn jetzt hier soll und wie das mit der Extremismustheorie zu tun hat. 
 

Probleme mit der Mitte

 
Allein wegen der Form fällt der Beitrag „Deutschlands Platz an der Antarktis“ aus dem Rahmen. Kontrastiert durch die Erzählung einer deutschen Antarktisexpidition kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs wird hier mit deutlichem Einschlag der kritischen Sozialpsychologie versucht, dem Mythos der guten Mitte die notwendige Kälte der bürgerlichen Vergesellschaftung in der Moderne gegenüberzustellen, welche sich exemplarisch am Holocaust zeigt. Hier fragt man sich auch die ganze Zeit, wie das alles in den Rahmen des Buches passen soll, wird dann aber kurz vor Schluss vollumfänglich abgeholt und man versteht, was das mit dem Mythos der Mitte zu tun haben soll. Die Entzauberung dieses Mythos fällt leider etwas ungenügend aus. Vollkommen richtig wird auf Antisemitismus als ein alle politischen Spektren durchdringendes Welterklärungskonstrukt verwiesen, allerdings hätten hier konkrete Namensnennungen nicht geschadet. Dabei liefert auch die „Mitte“ genügend Personen, um die Behauptung, Antisemitismus gäbe es nur an den „Rändern“, Lügen zu strafen. Personen wie Möllemann, Blüm oder Kohl gelten nicht als extremistisch, die Außenpolitik der Bundesregierung mit antisemitischen Regimen hat ebenfalls nichts mit einem linksradikalen Antizionismus zu tun und ist in der Mehrheitsgesellschaft zu verorten. 
 
 
Vielleicht krankt die Entzauberung der Mitte auch ein wenig daran, dass wichtige Aspekte schon in den vorangehenden Beiträgen aufgegriffen wurden. Hier hätte ein frischer Blick oder eine ungewohnte Perspektive sicher gut getan. Im Interview mit dem goldenen Hufeisen findet man dazu passende Ansätze: Insbesondere im amerikanischen Raum hat Zentrismus bzw. centrism eine relativ prominente Rolle innerhalb politischer Diskussionen, da hier seit 200 Jahren zwei Parteien das Land regieren. Der internationale Blick kann zudem die „Mitte“ in Perspektive rücken, da jedes Land eine andere politische Mitte hat und konkrete Gesetze und Konzepte anders verortet werden. Auch ist Mitte immer relativ, wenn man sich nur einmal vor Augen führt, was 1950 so als Mitte angesehen wurde und was heute im Kontrast dazu als selbstverständlich gilt. Mit Ansätzen dieser Art hätte man dem Mythos Mitte in ausgearbeiteten Beiträge sicher noch mehr Schaden zufügen können. So bleibt dieser Abschnitt hinter seinen Möglichkeiten zurück.
 
 
Wie bereits zu Beginn deutlich gemacht, ist der Sammelband klar zu empfehlen, die Kritik findet hier auf einem hohen Niveau statt und man bekommt kompakt eine gute Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex und ausreichend Gründe genannt, warum man auf den Extremismusbegriff am Besten vollkommen verzichten sollte.