Brandanschläge auf die Bahn – pro und contra

In der Nacht von Sonntag auf Montag haben sich Brandanschläge auf Kabelschächte der Deutschen Bahn ereignet. Neben Zugausfällen in ganz Deutschland hatte dies auch Ausfälle bei Vodafone, Telekom und anderen Anbietern zur Folge. Auf Indy haben sich Linksradikale dazu bekannt. Auch wenn die Ermittlungen nicht abgeschlossen sind, halten wir das Bekenner*innenschreiben für glaubwürdig. In Teilen der Linken wird diese Aktion zum Teil heftig kritisiert. 
 

Um ein wenig die Argumente von Befürworter*innen und Gegnern dieser Aktion aus einer linken Perspektive zu beleuchten, stellen wir die Positionen in einen exemplarischen Streitgespräch gegenüber. Dabei spiegeln die Argumentationen und Positionen nicht zwangsläufig unsere eigenen wieder.

LS = Laura Stern argumentiert pro, ES = Erich Schwarz contra

 
 
LS: Du hast die Sache mit Brandanschlägen ja mitbekommen. Davon waren bundesweit Zugverbindungen betroffen, außerdem ist das Internet in einigen Regionen gestört. Eine ganz schön große Wirkung für so eine Aktion. Nicht schlecht.
 
ES: Absolut. Die Akteur*innen dahinter haben sich auf die Fahne geschrieben, der Logistik des Kapitals das Handwerk zu legen. Objektiv betrachtet haben sie aber lediglich für einen Tag bzw. zum Teil für mehrere Tage die Infrastruktur einiger Unternehmen lahmgelegt oder beeinträchtigt. Der Kapitalismus als solches kommt nicht zum Erliegen. Dahinter verbirgt sich also entweder ein sehr verkürzter Kapitalismusbegriff oder ein autoritäres Verständnis von Kapitalismuskritik. 
 
LS: Es war doch auch gar nicht Sinn und Zweck der Aktion, den Kapitalismus zum Erliegen zu bringen. Der Kontext ist doch klar in dem Schreiben auf Indy auszumachen – sofern es denn echt ist. Es geht um eine Störung des Betriebs und um ein Signal vor dem G20-Gipfel in Hamburg. Und das Signal ist: Wir tragen das kapitalistische Verwertungssystem, welches Menschen verdinglicht und als Waren der Wertschöpfungslogik unterwirft, nicht mit.
 
ES: Sie tragen die Verwertung von Menschen nicht mit, verwerten sie aber für ihre Zwecke. Die normalen Pendler*innen, die eventuell mit antikapitalistischem Gedankengut liebäugeln, haben kein Verständnis für eine solche Aktion. Der Gedankengang geht insofern fehl, als dass bei der Aktion nicht bedacht wurde, wen es betrifft. Die Deutsche Bahn bekommt trotzdem das Geld für bereits bezahlte Tickets und Vodafone-Kund*innen müssen trotzdem ihre Handy-Rechnung bezahlen. Der Umsatzverlust für die Unternehmen ist verschwindend gering im Gegensatz zu den Sympathieverlusten in der Bevölkerung. 
 
LS: Diese Argumentation klingt doch in Teilen wie die, wenn Gewerkschaften mal wieder (wenn sie es denn überhaupt tun) zum Streik aufrufen. Ich erinnere da nur an den Streik der GDL bei der Bahn. Davon waren natürlich auch ganz viele normale Pendler*innen betroffen. Aber der Kampf für besseren Lohn und bessere Arbeitsbedingungen ist doch trotzdem immer unterstützenswert, da hier eben für ein besseres Leben von Menschen gekämpft wird. Genauso ist doch hier das Ziel der direkten Aktion, ein syndikalistisches Grundprinzip, um die Verwertungsmaschine zumindest zu stören. Im Endeffekt soll damit ja der Kapitalismus abgeschafft werden – wovon wir alle profitieren würden. Direkt bewirkt ein Streik für mich auch nichts Gutes, wenn es nicht meine Branche ist. Es erhöht aber den Druck auf alle anderen Bereiche, mehr für die Arbeitenden zu tun. Und hier wird auch Druck ausgeübt.
 
ES: Risiko und Ertrag sind aber vollkommen unterschiedlich. Wenn Lokführer*innen oder andere Arbeiter*innen für bessere Löhne oder Arbeitsbedingungen streiken, Ist das immer unterstützenswert. Bei dieser Aktion ging es aber nicht darum, marginalisierten Gruppen wie Streikenden zu helfen, sondern ein Zeichen zu setzen. Ja kann man machen. Muss das in dieser Form geschehen? Militanz als radikale Praxis sollte sich auch am Wohl der Gesellschaft orientieren. 
 
Der Druck wird jetzt nur auf jene ausgeübt, die eventuell die G20-Proteste unterstützen wollen. Repressionsorgane haben bereits im Vorfeld die große Linkenjagd eröffnet und dies wird sie sicherlich nicht von ihrem Plan abbringen.
 
LS: Die Repression gegen Linke findet doch eh statt. Ob nun wegen des G20-Gipfels oder des AfD-Parteitags – ein Grund findet sich immer. Und wenn es nicht vor dem Gipfel passiert, dann nachher. Es ist doch vorher klar, dass es richtig knallen wird. Es ist von vielen Seiten ein kompromissloses Verhalten angekündigt. Den Gipfel direkt in Hamburg abhalten zu wollen, war und ist eine schlechte Idee. Dann kommen mit Erdogan, Trump und Putin noch drei der meistgehassten Personen zu dem Gipfel. Und als Signal gegen den Gipfel und das kapitalistische System, welches von diesem Gipfel repräsentiert wird, sollen die Kosten dafür in die Höhe getrieben werden. Und dieses Signal hier zeigt eindeutig, dass Leute zu militanten Mitteln greifen, um darauf aufmerksam zu machen. Machen wir uns nichts vor: Nach dem Gipfel rollt eine massive Repressionswelle durch das gesamte linke Spektrum.
 
ES: Ist die Frage, ob sie vor oder nach dem Gipfel rollt. Militanz an sich zu verteufeln liegt mir fern. Es geht immer um das richtige Augenmaß bei der Wahl des Zwecks und der darauf folgenden direkten Aktion. Treffe ich die, die es treffen soll oder vielleicht doch jemanden, den es nicht treffen soll? Du sprichst es an: die Repressionswelle kommt – so oder so. Lägen da nicht andere Ziele näher? 
Kritik und Eigenkritik gehört immer zu den Basics linker Tugenden. Anscheinend feiern sich die Akteur*innen dahinter ziemlich selbst – zumindest klingt es so in dem Bekennerschreiben. Aber ein Großteil der Linken tut dies eben nicht. Mal ganz davon abgesehen was andere Bevölkerungsschichten davon halten. 
 
LS: Die Kritik, die es zu hören gab, war doch vielfach sehr bürgerlich. „Die Leute kommen nicht zu ihrer Arbeit“ und dergleichen – wie ja auch hier von dir angebracht. Natürlich bringt so eine Aktion entsprechende Unannehmlichkeiten mit sich. Wenn man sie denn so bezeichnen will. Aber genau das ist doch auch eines der Ziele. Der Motor des Kapitalismus soll zumindest ein bisschen ins Stottern geraten. Und in den Kommentaren wird ganz oft bürgerlich-kapitalistische Verwertungslogik reproduziert. Es wird hier nicht der Kampf gegen den Kapitalismus unterstützt, es wird das Funktionieren der jetzigen Arbeitswelt mit dem Mensch als Ware verteidigt. Das ist doch völlig absurd. Der Kapitalismus ändert sich eben nicht einfach so. Da gehört auch direkte Aktion dazu. Dieser Ansatz hat doch auch früher zu der Idee des Generalstreiks geführt: Dem System einfach die komplette Basis – die Warenproduktion – entziehen. Hier wird das eben auf andere Weise angegangen.
 
ES: Nö. Ich war als Pendler sogar direkt betroffen. Extrem nervig, aber hey, ich hab es überlebt. Schlimmer als der normale Wahnsinn der DB war das auch nicht. 
Es geht um die Sympathien, die verspielt wurden. Die normalen Büroangestellten oder Arbeiter*innen wird das kaum mitziehen. Denen fehlen Stunden oder Lohn. Generalstreiks wie in Griechenland hatten die Sympathien aller. Ob Bauern/Bäuer*innen, Büroangestellte oder andere: alle haben das verstanden und ja auch mitgezogen. Direkte Aktionen können auch anders aussehen als auf autoritäre Art und Weise zu sagen: Ihr seid alles böse Kapitalist*innen und wir schenken jetzt euch mal richtig einen ein. 
 
LS: Da kommen wir jetzt in den Bereich der Kritik, die ich auch teile. Für solche Aktionen braucht es eigentlich eine gewisse schon vorher vorhandene Sympathie nennenswerter Teile der Bevölkerung. Die ist und war hier definitiv nicht gegeben. Zur Agitation sind diese Anschläge auch nicht wirklich geeignet. Eine Angestellte, die nicht zur Arbeit kommt, wird nicht wirklich die Sinnhaftigkeit hinter dieser Aktion verstehen. Dazu ist ein gewisses Vorwissen in Sachen Wertkritik und Warenfetisch, also dem grundlegenden Charakter des Kapitalismus, von Nöten. Dabei wird dann aber wieder der Kontext G20 außer Acht gelassen. Der Gipfel soll zehn Gehminuten von der Schanze stattfinden? Hamburg soll sinnloserweise zu einer Hochsicherheitszone werden? Ok, dann sorgen wir dafür, dass die Kosten dafür so hoch wie möglich werden. Denn all das hättet ihr euch sparen können, in dem ihr den Gipfel auf zum Beispiel Helgoland veranstaltet hättet.
 
ES: Das hat aber diese Gruppe versäumt. Anstatt die exorbitanten Kosten des G20-Gipfels aufzuzeigen und ihre Beweggründe zu erklären, ist das Bekenner*innenschreiben stattdessen ein Potpourri von linken Allgemeinplätzen. Sie sprechen von der „sich stetig optimierenden Maschine“. Dies bleibt aber im luftleeren Raum stehen. Sie reißen niemanden mit. Ein Störung wird nicht das Ende bedeuten. Dann könnte es auch eventuell kommen, wie die Akteur*innen selbst schreiben: „Probieren, scheitern. Erneut probieren, besser scheitern. Gewinnen vielleicht. In jedem Fall weiter kommen.“ Das kann man nicht als Gruppe, sondern nur als Gesellschaft als Ganzes.
 
LS: Nun ist ja noch ein bisschen hin zum Gipfel. Für mich ist das hier die Auftaktaktion für die letzte Phase unmittelbar vor dem Gipfel. Ich bin mir sicher, da wird noch einiges kommen. Abschließend kann die Sache erst im Rückblick bewertet werden, im Kontext aller dann gelaufenen Aktionen. So als Einzelaktion ist die Sache anders zu werten. Da fehlt mir einfach noch der Gipfel für eine abschließende Beurteilung. Was aber auf jeden Fall schon mal gezeigt wurde: Es kann etwas passieren und auch mit relativ wenigen Leuten lässt sich der geordnete Ablauf der kapitalistischen Produktionsweise merklich stören. Eventuell bewirkt dies ja, dass sich mehr Leute zur Sabotage entschließen, ganz im syndikalistischen Sinne. Für mich wurde ein Signal gesetzt, was auch das Ziel war. Natürlich hagelt es Kritik. Aber die bekommen wir fast immer ab. Sei es nun der Hausbesuch bei Istvan in Leipzig oder die Blockaden um den AfD-Parteitag – es kommt auf das an, was erreicht werden soll. Würdest du die Blockaden in Köln nachträglich abbrechen, weil viele Bürgis davon abgeschreckt wurden? 
 
ES: Hier stimmten – meiner Meinung nach – Ertrag und Risiko. Ja, es wird immer Leute geben, die sich durch linksradikale Aktionen abgeschreckt fühlen werden und die Extremismustheorie anstimmen werden. Haben wir ja auch immer wieder beobachtet. Letztlich bleibt es eine Beurteilungssache. Klar können wir das Gesamtbild erst nach dem G20-Gipfel beurteilen. Ganz sicher werden auch dann immer noch viele linksradikale Aktionen verteufeln, egal wie diese aussahen.