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Gemischte Gefühle zum katalanischen Referendum – ein Bericht aus Spanien von Tom Lewis

Der 1. Oktober wurde in Spanien mit gemischten Gefühlen erwartet. Während viele Menschen in Katalonien euphorisch dem Referendum entgegenblickten, sahen viele im Rest Spaniens die anstehende Wahl eher kritisch. Was alle gemeinsam hatten: Unsicherheit. Wie würde sich die spanische Regierung verhalten? Was kommt nach dem Referendum?
 
Der gestrige Tag hat zumindest einmal die erste Frage beantwortet. 761 Verletzte vermeldet das katalanische Gesundheitsministerium. Die Bilder, die den ganzen Tag in den Nachrichten zu sehen waren, zeigten äußerste Brutalität und Polizeigewalt gegen Menschen, die von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machen wollten. Als befände man sich im Bürgerkrieg ging die Guardia Civil in voller Kampfmontur mit Knüppeln und Gummigeschossen auf einfache Bürger los. Wahllokale wurden blockiert und Wahlurnen sichergestellt, die Menschen antworteten mit Sitzblockaden und Sprechchören.

Am Ende herrschte mehr Verunsicherung als vorher. Wie es weiter geht, weiß nun niemand. Die Gräben zwischen Barcelona und Madrid dürften nun aber so tief sein wie seit dem Ende des Franco-Faschismus nicht mehr. Das Land ist gespalten.
 
Die Schuldigen sind auf beiden Seiten zu suchen. Die zentralistische politische Ordnung Spaniens sorgt gerade in den autonomen Regionen des Landes immer wieder für Ärger und der seit 2011 amtierende Ministerpräsident Mariano Rajoy und seine konservative Partei Partido Popular (PP) haben abermals bewiesen, dass sie aus den vergangenen Jahren nichts gelernt haben.
Katalonien ist die reichste Region Spaniens und hat eine starke Wirtschaft. Trotzdem sind 30% der jungen Menschen in der autonomen Region arbeitslos und die Löhne stagnieren. Denn Katalonien zahlt mehr an Madrid, als es bekommt. Ärmere Regionen wie die Extremadura werden mit dem katalanischen Geld unterstützt. Das ist dasselbe Solidaritätsprinzip, wie wir es aus Deutschland mit dem Länderfinanzausgleich kennen. Die Finanzen sind auch das Hauptargument der Separatisten in Katalonien. Man wünscht sich mehr Reichtum und will nicht andauernd teilen. Das Solidaritätsprinzip wurde hier nicht verstanden.
 
Dieser katalanische Nationalismus hat also durchaus etwas von einem kleinbürgerlichen Wohlstandsnationalismus und von Futterneid. Andererseits ist es verständlich, dass sich Katalonien wünscht, mehr Verfügungsgewalt über die eigenen Finanzen zu haben. Dieses Recht fordert man seit Jahren bei der spanischen Regierung ein. Doch Rajoy und die PP bleiben stur und weichen keinen Millimeter von ihrer Position ab, was die Katalanen dazu bewegt hat, innerhalb von drei Jahren zwei Unabhängigkeitsreferenden abzuhalten.
 
Doch statt die Leine wenigstens mal für einen Moment loszulassen, zieht Rajoy immer fester, je fester auch die andere Seite zieht. Er lässt das Referendum bereits eine Woche vorher für illegal erklären und fährt härteste repressive Maßnahmen auf. Katalanische Politiker werden festgenommen und hunderte Beamte der Bundespolizei Guardia Civil werden nach Katalonien geschickt. Menschen werden bei der Ausübung ihrer demokratischen Rechte mit äußerster Gewalt attackiert und verletzt. 
 
Die katalanische Regierung hat derweil alles dafür getan, dass dieses Referendum einen entscheidenden „Stunde Null“-Charakter bekommt. Volle Konfrontation mit Madrid. Beide Seiten ziehen wild an der Leine und keiner ist bereit auch nur ein Stück nachzugeben und zu versuchen gemeinsam an einem Strang zu ziehen.
Anstatt sich gleich abspalten zu wollen, sollte man wieder konstruktive Gespräche suchen. Statt die katalanischen Forderungen zu ignorieren sollte Rajoy die Tür für Verhandlungen öffnen. Und statt Zivilisten verprügeln zu lassen, sollte er die Menschen in Ruhe wählen lassen. Wie man danach mit dem Ergebnis umgeht, hätte man dann in Ruhe besprechen können. Jetzt haben die Separatisten dank der Bilder aus Barcelona, Girona etc. den moralischen Vorteil. Denn sie sind wieder die Unterdrückten.
 
Wir haben also auf der einen Seite einen regionalen Nationalismus, der sich gegen einen zentralistischen Staat richtet und für eine Unabhängigkeit aus wirtschaftlichen Gründen kämpft. Auf der anderen Seite einen spanischen Nationalismus, dessen Ziel es ist den Zentralismus und die Herrschaft Madrids über den Rest des Königreiches aufrecht zu erhalten.
 
Ich selber befinde mich in Spanien und durfte mir in Granada ein Bild der Lage in Spanien machen. Die Verkaufszahlen von spanischen Nationalflaggen ist einer Zeitung nach explodiert. Das lässt sich recht gut daran erkennen, dass beinahe jeder dritte Balkon mit einer rot-gelb-roten Flagge geschmückt ist, auf der noch die Falten zu erkennen sind. Bereits am Tag vor dem Referendum hat man hin und wieder Leute in den Straßen gesehen, die eine spanische Flagge mit sich herumtrugen. Laut hupend fuhr ein ganz in Flaggen gehülltes Auto herum dessen Insassen spanische Flaggen aus den Fenstern schwenkten. Gestern dann fand eine Demonstration mit einigen hundert Teilnehmern statt, die allesamt mit Flaggen erschienen waren, um gegen das Referendum und für die Einheit Spaniens zu demonstrieren. 
Wie gesagt, die Gräben sind nun tiefer als vorher. Die spanische Gesellschaft ist gespalten. Während die einen ihre Unabhängigkeit wollen, fordern die anderen Einheit. Nach dem gestrigen Tag steht Spanien eine schwere innere Krise bevor.