Nürnberg und das Problem mit der Polizei

Die Bilder und Videos haben wir inzwischen alle gesehen, selbst der Oberbürgermeister von Nürnberg äußerte sich kritisch zum Polizeieinsatz in Nürnberg gegen Berufsschüler*innen, die die Abschiebung ihres Mitschülers nach Afghanistan verhindern wollten. Cops gehen mit Pfeffer und Schlagstock in Menge rein, es gibt diverse Verletzte. Und das alles, weil Cops einen Berufsschüler aus dem Unterricht abholen und zur Abschiebung nach Afghanistan bringen sollen und dies auch mit aller Gewalt durchsetzen wollten. An diesem Beispiel zeigt sich exemplarisch die grundlegende und strukturelle Irrationalität der Polizei im bürgerlichen Staat: Trotz aller Veränderungen ist die Polizei ein autoritär-hierarchischer Befehlsapparat zur Stützung der gerade aktuellen Ordnung und Rechtslage.

Ein bisschen Staatstheorie

Die moderne Staatstheorie wurde entscheidend von Thomas Hobbes und seinen Ausführungen zu Gesellschaftsvertrag und Staat (bei ihm als Leviathan bezeichnet) geprägt. Ausgehend von einem grundlegend schlechten Menschenbild („Der Mensch ist dem Mensch ein Wolf.“) postulierte Hobbes eine präventive Zustimmung der Bürger zur Abgabe sämtlicher Rechte und Freiheiten an einen allmächtigen Staat, vor dem alle gleich seien – und der dafür dann mit dieser Allmacht für Ruhe und Ordnung sorgen kann/soll/wird. Damit legte er den Grundstein für das Konstrukt des staatlichen Gewaltmonopols und des theoretisch neutralen Staats gegenüber allen.

Natürlich ist ein Staatsgebilde nicht einfach so nur durch Worte und wegen einem ideell angenommen Gesellschaftsvertrag wird noch lange keine Gesellschaftsordnung durchgesetzt. Der Staat braucht eine reale Gewalt, um dies zu tun. Das direkte Mittel dazu ist die Polizei, die repressiv Gesetzesverstöße und entsprechende Strafen durchsetzt – und somit als Abschreckung auch präventiv wirkt. Damit das alles auch funktioniert, muss der Staat dafür sorgen, dass er das Gewaltmonopol innehat. Anordnungen ist folge zu leisten, ansonsten droht Zwang – so wie gestern in Nürnberg.

Der Fehler im System

…ist gar nicht so schwer zu finden. Die Polizei als solche ist eine Institution, die sich zwar in Aufbau und Organisation überall ähnlich darstellt (autoritär und hierarchisch), als Kernaufgabe aber „nur“ die öffentliche Ordnung im Sinne der aktuellen Gesellschaftsform hat. Daher gibt und gab es Polizei mehr oder weniger funktionsgleich in grundverschiedenen Systemen und Gesellschaften wie NS-Deutschland, Sowjetunion, Brasilien, Saudi-Arabien und Indien. Der hierarchische Aufbau mit Befehlsketten von oben nach unten mag in Krisensituationen und zur allgemeinen Verwaltung vorteilhaft sein, bei unethischen und menschenverachtenden Befehlen ist es das genaue Gegenteil. Zum einen können sich Verbrecher so mit einem „Ich habe nur Befehle ausgeführt“ herausreden (DER Klassiker im Nachkriegsentlastungsbingo), zum anderen erschwert bis verunmöglicht es die Befehlsverweigerung („Was hätte ich denn tun können?“ aus dem selben Bingo).

Zwar wurden nach dem Zweiten Weltkrieg Mittel wie die Remonstration für solche Fälle legal eingeführt (hier ein praktisches Beispiel für remonstrierende Cops: http://www.shortnews.de/id/1093209/hamburg-polizisten-verweigerten-befehlsausfuehrung-bei-einsatz-gegen-fluechtlinge), in der Praxis kommen diese aber kaum zum Einsatz. Und würden in einem Fall wie Nürnberg auch gar nicht greifen. Die Abschiebung nach Afghanistan ist legal, denn Afghanistan ist ein sicheres Herkunftsland. Die Polizei hat diese Abschiebung also durchzusetzen – wie menschenverachtend sie auch sein mag. Denn dies ist die bestehende legale Rechtslage, welche von der Polizei durchgesetzt werden muss.

Befehlsträger

Die Polizei ist eben nur Befehlsträger, was zu teilweise absurden Situationen führen kann. So könnte ein Cop in den 60ern Homosexuelle nach §175 verhaftet haben (vielleicht noch mit ein bisschen Schlagstockeinsatz, um es diesen Schwuchteln zu zeigen), um dann in den 80ern einen CSD als Einsatzleiter zu schützen. Alles völlig legal und im Sinne der jeweils aktuellen Rechtsordnung. Zu den Vorfällen in Nürnberg sind in den Kommentaren auch immer mal wieder Cops zu lesen, wie hier beim Spiegel zum Beispiel:

Kommentar: „Vernünftige Beamte“ schieben in solchen Situationen nicht ab. Sie verweigern den Befehl…

Polizeibeamter: Wenn das so einfach wäre. Schau mal ins Beamtengesetz. Danach kannst Du Deinen unqualifizierten Post löschen.
Mir tun die Kollegen in Bayern nur leid.

Damit ist die gesamte Krux eigentlich auf den Punkt gebracht. Selbst wenn Cops eine solche Abschiebung nicht durchführen wollten, sie sind dazu verpflichtet. Denn sie sind Befehlsträger und dem Dienstherrn verpflichtet. Und da geht es dann eben nicht um moralisch oder ethisch richtig und falsch. Da geht es um eine Anordnung und deren Durchführung. Was dann zu den Szenen in Nürnberg führen kann. Diese Szenen sind eine unmittelbare Konsequenz aus dem derzeitigen Staats- und Polizeirecht. Und da ist jetzt noch nicht mal mit einbezogen, dass Personen in autoritären und hierarchischen Machtstrukturen gerne mal zu mehr Gewalt neigen und diese ein Eigenleben entwickeln können. Alle regelmäßigen Demoteilnehmer*innen können ein Lied davon singen.

Eine Festnahme in Nürnberg