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Volle Konfrontation – Voll gegen die Wand

 
Der spanische Regierungschef, Mariano Rajoy, hat heute in einer vierzigminütigen Rede vor dem spanischen Parlament in Madrid auf die gestrige aufgeschobene Unabhängigkeitserklärung Kataloniens vom katalanischen Regionalpräsidenten, Carles Puigdemont, reagiert.
Bereits gestern Abend direkt nach Puigdemonts mit Spannung erwarteter Rede, hatte ein Sprecher der Zentralregierung verlauten lassen, dass die Unabhängigkeitserklärung Kataloniens inakzeptabel sei. Stimmen aus dem In- und Ausland waren sich indes nicht sicher, was Puigdemont nun tatsächlich gesagt hatte. Hatte er Katalonien für unabhängig erklärt, oder nicht? Wenn ja, hat er auch die Abspaltung erklärt?
Manche hielten seine Formulierung und sein Vorgehen für die verzweifelte Aktion eines Mannes, der mit dem Rücken gegen die Wand steht. Er musste die Regierung in Madrid besänftigen, gleichzeitig aber seine separatistischen Anhänger bei Laune halten. War es ein Zeichen von Schwäche die Unabhängigkeit Kataloniens zu erklären, diese aber direkt wieder auszusetzen?
Andere vermuten eher politisches Kalkül dahinter. Puigdemont hat nicht viel Spielraum und muss sich genau überlegen, was er macht. Ihm nützt vor allem die Konfrontation mit Madrid. Wenn die spanische Regierung weiterhin so repressiv und reaktionär auftritt, wie bisher, kann er sich und seine Anhänger als die Unterdrückten darstellen. Wenn es ein taktischer Schachzug war, ist nun die Frage, wie Mariano Rajoy darauf regiert. 
Dieser trat heute vor das Parlament und schilderte in seiner Rede die Illegalität des Referendums und warum das Ergebnis seiner Ansicht nach nichtig ist. Er sei zwar bereit zum Dialog, lehne jedoch eine internationale Vermittlung, wie sie Puigdemont vorgeschlagen hatte, ab. „Warum sollten Dritte bei uns vermitteln?“ fragte der Ministerpräsident und machte somit deutlich, dass er diesen Konflikt für eine rein interne Angelegenheit Spaniens hält.
Dann fordert er Carles Puigdemont auf, zu erklären, ob er nun Katalonien als einen unabhängigen Staat definierte habe oder nicht. Solle dies der Fall sein, könnte Rajoy den Senat damit beauftragen Artikel 155 der spanischen Verfassung anzuwenden, der es der Zentralregierung gestattet den Präsidenten und die Regierung einer autonomen Gemeinschaft, die gegen Spanien und seine Verfassung handelt, abzusetzen und die Verwaltung zu übernehmen. Im Senat besitzt Rajoys konservative Partido Popular eine absolute Mehrheit. Die Abstimmung über die Anwendung des Artikels wäre nur Formsache.
Es kommt nun darauf an, was Puigdemont genau gemeint hat, als er gestern sagte, dass er als Präsident der katalanischen Regierung das Mandat vom Volk habe, „Katalonien in einen unabhängigen Staat in Form einer Republik umzuwandeln.“ Wenn er Katalonien als souverän definiert hat, so hat Rajoy die rechtliche Grundlage, um Artikel 155 anzuwenden. Da ist es unwichtig, dass Puigdemont die Unabhängigkeit ausgesetzt hat.
Abschließend bewegte sich Rajoy dann doch tatsächlich einen kleinen Schritt auf seine politischen Gegner zu, indem er sagte, er sei zu einer Verfassungsreform bereit, in der der politische Status Kataloniens geklärt werden solle. Dieser Vorschlag wurde auch von der sozialdemokratischen PSOE und ihrem Parteichef Pedro Sánchez unterstützt. Klar ist jedoch, dass ein Austritt Kataloniens aus dem spanischen Staat nicht zu Debatte stehen würde.
Hohes Risiko 
Mariano Rajoy hat das Angebot zum Dialog von Puigdemont nicht ganz ausgeschlagen, es allerdings auch nicht angenommen. Er hat die internationale Vermittlung abgelehnt und das Problem somit zur Chefsache erklärt. Mit seiner Ankündigung Artikel 155 anzuwenden, sollte Puigdemont Katalonien für unabhängig erklärt haben, hat er den reaktionärsten Weg und die härteste Antwort gewählt. Sollte Carles Puigdemont taktisch vorgehen, wie es einige vermuten, macht Rajoy erneut genau das, was dem Separatisten nützt. Wie in dem Strategiepapier für die Unabhängigkeit Kataloniens, das die Guardia Civil im September sichergestellt hat, beschrieben sucht Puigdemont den Weg der Konfrontation, da nur diese ihm nützt. Er hat keine andere Wahl. Rajoy dagegen hat freie Auswahl an Möglichkeiten. Er könnte und er sollte einen Gang runterschalten und das Angebot zum Dialog annehmen. So könnte er die Separatisten diplomatisch ausmanövrieren. Stattdessen hält er voll drauf. Volle Konfrontation und volles Risiko die Einheit Spaniens mit Anlauf gegen die Wand zu fahren.
Nicht nur die Einheit Spaniens. Auch die Einheit und die Existenz der Europäischen Union stünden auf dem Spiel, sollten es Nationalisten tatsächlich schaffen eine kleine Region abzuspalten. Die nächsten Separatisten in Flandern und Norditalien würden sich beflügelt fühlen und ihrerseits den Druck erhöhen. Rajoy und Puigdemont spielen mit dem Feuer und setzten die Zukunft einer jungen Generation aufs Spiel. Das ist das Resultat, wenn zwei Nationalisten nichts als die volle Konfrontation kennen.
 
Das Problem ist der historische Ballast
Die Reaktion Rajoys und seiner Regierung auf das Referendum vom 1. Oktober und die Forderungen der Separatisten, verdeutlichen, wo Spaniens politisches Hauptproblem liegt. Die Quelle der inneren Konflikte ist die zentralistische Regierung in Madrid. Auch wenn sich viele der Gemeinschaften mittlerweile weitläufige Autonomierechte erkämpft haben, hält die Regierung dennoch an ihrem Zentralismus fest. Dieses Relikt des Franquismus ist ein Indiz für die fehlende Aufarbeitung von fast 40 Jahren faschistischer Diktatur. Heute wird zwar in den Schulen Aufarbeitung betrieben, aber die Generationen der Eltern und Großeltern haben nach dem Tod Francisco Francos die Geschichte genauso totgeschwiegen wie die Menschen in Deutschland in der Nachkriegszeit.
Die Partido Popular von Regierungschef Rajoy ist die Partei der konservativen Eltern und Großeltern. Auch wenn sie politisch etwa wie CDU und CSU einzuordnen ist, trägt diese Partei einen gewaltigen historischen Ballast mit sich herum.
Spanien braucht mehr Aufarbeitung. Nicht nur in den Schulen, sondern vor allem auch im politischen System. Die vorgeschlagene Verfassungsreform von Rajoy wird da nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sein. Was wirklich nötig ist sind grundlegende Reformen der staatlichen Struktur des Landes. Der Zentralismus muss abgeschafft werden und die dritte Republik muss gegründet werden. Ein Bundesstaat in dem alle Regionen genügend Freiheiten haben. Nur so kann der Postfranquismus der Partido Popular überwunden werden. Nur so hat Spanien eine Zukunft in Einheit.
Denn ob es eine Lösung ist, wenn sich einzelne Regionen der Kleinstaaterei hingeben und somit wieder ein Zeitalter des Nationalismus einläuten, darüber lässt sich streiten. Mit einer grundlegenden Reform kann Spanien seine Probleme gemeinsam überwinden.

Gemischte Gefühle zum katalanischen Referendum – ein Bericht aus Spanien von Tom Lewis

Der 1. Oktober wurde in Spanien mit gemischten Gefühlen erwartet. Während viele Menschen in Katalonien euphorisch dem Referendum entgegenblickten, sahen viele im Rest Spaniens die anstehende Wahl eher kritisch. Was alle gemeinsam hatten: Unsicherheit. Wie würde sich die spanische Regierung verhalten? Was kommt nach dem Referendum?
 
Der gestrige Tag hat zumindest einmal die erste Frage beantwortet. 761 Verletzte vermeldet das katalanische Gesundheitsministerium. Die Bilder, die den ganzen Tag in den Nachrichten zu sehen waren, zeigten äußerste Brutalität und Polizeigewalt gegen Menschen, die von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machen wollten. Als befände man sich im Bürgerkrieg ging die Guardia Civil in voller Kampfmontur mit Knüppeln und Gummigeschossen auf einfache Bürger los. Wahllokale wurden blockiert und Wahlurnen sichergestellt, die Menschen antworteten mit Sitzblockaden und Sprechchören.

Am Ende herrschte mehr Verunsicherung als vorher. Wie es weiter geht, weiß nun niemand. Die Gräben zwischen Barcelona und Madrid dürften nun aber so tief sein wie seit dem Ende des Franco-Faschismus nicht mehr. Das Land ist gespalten.
 
Die Schuldigen sind auf beiden Seiten zu suchen. Die zentralistische politische Ordnung Spaniens sorgt gerade in den autonomen Regionen des Landes immer wieder für Ärger und der seit 2011 amtierende Ministerpräsident Mariano Rajoy und seine konservative Partei Partido Popular (PP) haben abermals bewiesen, dass sie aus den vergangenen Jahren nichts gelernt haben.
Katalonien ist die reichste Region Spaniens und hat eine starke Wirtschaft. Trotzdem sind 30% der jungen Menschen in der autonomen Region arbeitslos und die Löhne stagnieren. Denn Katalonien zahlt mehr an Madrid, als es bekommt. Ärmere Regionen wie die Extremadura werden mit dem katalanischen Geld unterstützt. Das ist dasselbe Solidaritätsprinzip, wie wir es aus Deutschland mit dem Länderfinanzausgleich kennen. Die Finanzen sind auch das Hauptargument der Separatisten in Katalonien. Man wünscht sich mehr Reichtum und will nicht andauernd teilen. Das Solidaritätsprinzip wurde hier nicht verstanden.
 
Dieser katalanische Nationalismus hat also durchaus etwas von einem kleinbürgerlichen Wohlstandsnationalismus und von Futterneid. Andererseits ist es verständlich, dass sich Katalonien wünscht, mehr Verfügungsgewalt über die eigenen Finanzen zu haben. Dieses Recht fordert man seit Jahren bei der spanischen Regierung ein. Doch Rajoy und die PP bleiben stur und weichen keinen Millimeter von ihrer Position ab, was die Katalanen dazu bewegt hat, innerhalb von drei Jahren zwei Unabhängigkeitsreferenden abzuhalten.
 
Doch statt die Leine wenigstens mal für einen Moment loszulassen, zieht Rajoy immer fester, je fester auch die andere Seite zieht. Er lässt das Referendum bereits eine Woche vorher für illegal erklären und fährt härteste repressive Maßnahmen auf. Katalanische Politiker werden festgenommen und hunderte Beamte der Bundespolizei Guardia Civil werden nach Katalonien geschickt. Menschen werden bei der Ausübung ihrer demokratischen Rechte mit äußerster Gewalt attackiert und verletzt. 
 
Die katalanische Regierung hat derweil alles dafür getan, dass dieses Referendum einen entscheidenden „Stunde Null“-Charakter bekommt. Volle Konfrontation mit Madrid. Beide Seiten ziehen wild an der Leine und keiner ist bereit auch nur ein Stück nachzugeben und zu versuchen gemeinsam an einem Strang zu ziehen.
Anstatt sich gleich abspalten zu wollen, sollte man wieder konstruktive Gespräche suchen. Statt die katalanischen Forderungen zu ignorieren sollte Rajoy die Tür für Verhandlungen öffnen. Und statt Zivilisten verprügeln zu lassen, sollte er die Menschen in Ruhe wählen lassen. Wie man danach mit dem Ergebnis umgeht, hätte man dann in Ruhe besprechen können. Jetzt haben die Separatisten dank der Bilder aus Barcelona, Girona etc. den moralischen Vorteil. Denn sie sind wieder die Unterdrückten.
 
Wir haben also auf der einen Seite einen regionalen Nationalismus, der sich gegen einen zentralistischen Staat richtet und für eine Unabhängigkeit aus wirtschaftlichen Gründen kämpft. Auf der anderen Seite einen spanischen Nationalismus, dessen Ziel es ist den Zentralismus und die Herrschaft Madrids über den Rest des Königreiches aufrecht zu erhalten.
 
Ich selber befinde mich in Spanien und durfte mir in Granada ein Bild der Lage in Spanien machen. Die Verkaufszahlen von spanischen Nationalflaggen ist einer Zeitung nach explodiert. Das lässt sich recht gut daran erkennen, dass beinahe jeder dritte Balkon mit einer rot-gelb-roten Flagge geschmückt ist, auf der noch die Falten zu erkennen sind. Bereits am Tag vor dem Referendum hat man hin und wieder Leute in den Straßen gesehen, die eine spanische Flagge mit sich herumtrugen. Laut hupend fuhr ein ganz in Flaggen gehülltes Auto herum dessen Insassen spanische Flaggen aus den Fenstern schwenkten. Gestern dann fand eine Demonstration mit einigen hundert Teilnehmern statt, die allesamt mit Flaggen erschienen waren, um gegen das Referendum und für die Einheit Spaniens zu demonstrieren. 
Wie gesagt, die Gräben sind nun tiefer als vorher. Die spanische Gesellschaft ist gespalten. Während die einen ihre Unabhängigkeit wollen, fordern die anderen Einheit. Nach dem gestrigen Tag steht Spanien eine schwere innere Krise bevor.