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Lübcke, Halle, Thüringen, Hanau – wackelt das Hufeisen?

Es handelt sich um einen Gastbeitrag der Facebookseite Das goldene Hufeisen.

Aller Anfang ist schwer besagt ein Sprichwort. Das stimmt nicht immer, in diesem Fall aber schon. Damit ist nicht nur der formelhafte Einstieg in den Text mit einem Stichwort (wahlweise auch Zitat einer berühmten Person) gemeint, sondern auch die Wahl des Zeitraums, der in diesem Artikel verhandelt werden soll. Fängt man beim NSU an? Nimmt man die Hogesa-Demo 2014 in Köln? Die darauf folgenden Ausschreitungen der Jahre 2015/16 oder den Mob von Chemnitz? Den Anschlag von München? All das spielt sicher mit rein, insbesondere NSU und München, trotzdem scheint es am sinnvollsten zu sein, den Mord an Walter Lübcke als Startpunkt für die Betrachtungen zu nehmen.

Diese Seite beschäftigt sich mit der Hufeisentheorie, angeschlossen daran wird insbesondere die damit eng verknüpfte Extremismustheorie beleuchtet. Diese baut wiederum auf Totalitarismustheorien auf. Damit steht ein zentrales Merkmal der bundesdeutschen Politikbetrachtung im Fokus. Näheres dazu ist unserem Interview im empfehlenswerten Buch „extrem unbrauchbar“ zu entnehmen, welches wir dankenswerterweise veröffentlichen durften. Nachzulesen ist es mit einem Rückblick aus dem Dezember 2019 hier: https://rambazamba.blackblogs.org/2019/12/25/rueckblick-ausblick-und-das-interview-aus-extrem-unbrauchbar/ Und in den letzten Monaten macht es immer mehr den Anschein, als ob eben dieses zentrale Denkmodell der BRD langsam anfängt zu wackeln. Der Mord an Walter Lübcke hat in Verbindung mit vielen anderen Ereignissen und Entwicklungen im rechtsradikalen Spektrum eine inzwischen spürbar breite Debatte in der Öffentlichkeit angestoßen. In überregionalen Zeitungen wie im Tagesspiegel und der Zeit, im Spiegel und bei ZDF heute wird die Hufeisentheorie kritisch diskutiert.

Die Ausgangslage

 

Das Hufeisenmodell ist ebenso simpel wie anschaulich und falsch. Darin liegt seine agitatorische und propagandistische Stärke – aber ebenso auch seine Schwäche, wenn es eine Situation wie die jetzige gibt. Da es simpel und gleichzeitig auch grafisch sehr anschaulich ist, spricht es intuitiv auch Personen ohne größere Kenntnis politischer Theorie an und erschließt sich sofort. Die letzten Jahre sind aber mit wenigen Ausnahmen, die prominentesten wären hier G20 in Hamburg und die maßlos überzogene Kantholzdebatte um Magnitz, von rechten Mobs, rechter Gewalt, rechter Landnahme und rechtem Terror geprägt. Alle paar Monate wird eine rechte Terrorgruppe aufgedeckt, rechte Bedrohungen veranlassen Lokalpolitiker*innen zum Rücktritt und zum Beantragen von Waffenscheinen, es gibt Sprengstoffanschläge und Mobs auf den Straßen. Zusätzlich wurde noch das rechtsterroristische Hannibalnetzwerk offengelegt, welches Verbindungen zu Terroristen und lokalen Terrorzellen hat, bestens in Armee, Spezialeinheiten und Behörden vernetzt war bzw. ist und Vorbereitungen für einen Tag X mit Waffentrainings und Exekutionen linker Politiker*innen eine ganz reale und realistische Gefährdung darstellt. Zusätzlich werden teilweise im Wochentakt Waffenlager von Rechten ausgehoben, welche teilweise mit Waffengebrauch dagegen halten und einen Polizisten erschossen haben.

In diese Gemengelage fügen sich jetzt drei Ereignisse in Deutschland und eine Entwicklung ein, die offenkundig zu einem Umdenken bei Einigen geführt haben. Da wäre der Mord an Walter Lübcke aus Kassel. Von Rechten und Rechtsradikalen wie Erika Steinbach (bis 2017 Parteikollegin von Lübcke in der CDU) wurde er wegen seiner humanistischen Haltung und entsprechenden Äußerungen ab 2015 als Ziel für den rechten Onlinemob markiert. Wenige Monate vor seiner Ermordung befeuerte Steinbach 2019 erneut den Mob gegen ihn. Der Täter, Stephan Ernst, ist seit Jahrzehnten in Neonazikreisen aktiv, hat Verbindungen zu Combat 18, zum NSU-Komplex und anderen rechtsterroristischen Kreisen, ist also alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. Die Verbindung von Onlinemob, Angriffen rechtsradikaler Leitfiguren und -medien und den Untergangsbeschwörungen des rechten Lagers sind offensichtlich. So sehr man auch versuchen mag einen Einzeltäter zu stilisieren, Ernst kann nicht losgelöst vom rechten Onlinediskurs betrachtet werden. Und es gibt noch sehr viele andere Personen, die ähnlich wie Ernst ticken.

Die Anschläge in München und Halle

 

Die beiden anderen Ereignisse sind Teil einer weltweiten Entwicklung: Der Anschlag von München und der Anschlag von Halle als Teil der Onlineradikalisierung ansonsten nicht eine klassische rechtsradikale Sozialisierung durchlaufender Terroristen. München ist im kollektiven Gedächtnis nicht stark als rechter Terroranschlag verankert und es ist einer beständigen Recherche- und Öffentlichkeitsarbeit zu verdanken, dass diese Tat nachträglich als rechter Terror anerkannt wurde und nicht als Amoklauf wie zum Beispiel Winnenden klassifiziert wird. Dennoch ist er einer der weltweit ersten Anschläge des neueren Typus rechten Terrors, der mit Christchurch seinen bisher blutigsten Höhepunkt fand und zu dem auch der Anschlag in Halle, bei dem ein größeres Blutbad durch die gesicherte Tür der Synagoge verhindert wurde, zu zählen ist. Halle wurde durch die komplette Offenheit des Täters bezüglich seiner Motive sofort als rechter Terror begriffen und die ideologischen Schnittstellen zu meinungsführenden Personen, Gruppen und Parteien im rechtsradikalen Spektrum in Sachen Antifeminismus, Antisemitismus, völkischem Denken, Maskulinismus und Umvolkungswahn wurden schnell aufgezeigt.

Auch die Art der Radikalisierung ist breit diskutiert worden. Im Gegensatz zur klassischen Nazisozialisation über Stiefelnazikreise und Kameradschaften haben wir es hier mit im realen Leben eher wenig vernetzten Rechtsradikalen zu tun. Das Antifa Infoblatt hat sich in den letzten beiden Ausgaben ausführlich mit dieser weltweiten Entwicklung beschäftigt, die umfangreichen Recherchen sind empfehlenswert. Und als vorläufiger Schlusspunkt reiht sich nun Hanau als Schauplatz rechten Terrors ein. Lübcke, Halle und Hanau liefern in nicht einmal zehn Monaten drei tödliche Terroranschläge mit rechtsradikaler Motivation zusätzlich zu den bereits angesprochenen Waffenbeschlagnahmungen, Festnahmen rechter Terrorgruppen, dem Hannibalnetzwerk und so weiter. Eine ähnliche Entwicklung gibt es linksradikalen Lager nicht, das simple Adäquanzdenken des Hufeisens lässt sich nicht mit der Realität abgleichen.

Im Gegenteil sind es gerade Linke, die sich nach allen Fällen rechtsradikalen Terrors als Erste an vorderster Front gegen Rechte stellen. Nach allen drei Anschlägen sind umgehend Linke in allen Landesteilen auf die Straße gegangen und haben gegen rechten Terror und für eine schonungslose Aufklärung demonstriert. Antifaschist*innen waren vielfach direkter und weitreichender in ihren Forderungen und Solidaritätsbekundungen mit Walter Lübcke als dessen Parteikolleg*innen von der CDU. Die Union ist nicht spontan auf die Straße gegangen, Antifas schon. Linke haben ihrerseits die verhaltenen Reaktionen der Union nach dem Mord an einem Unionsmitglied scharf kritisiert. Und das wird auch innerhalb der Union nicht unbemerkt geblieben sein. Ausgerechnet die Antifa, die böse linksextremistische Krawall- und Chaotentruppe, die man mit christlich-konservativen Ansichten aus der bürgerlichen Mitte (so ja das Selbstbild Vieler in der CDU) aus tiefstem Herzen ablehnt, gehen in voller Solidarität mit einem Unionsmitglied auf die Straße und sind wütender als die eigene Partei.

Heimathorst und eine mögliche Erkenntnis

 

Eine Person, bei der möglicherweise ein Umdenkprozess eingesetzt hat, ist ausgerechnet Horst Seehofer. Ja, es ist sehr spekulativ und weil es sich um den Heimathorst handelt, ist diese Spekulation auch mit höchster Vorsicht zu genießen zu genießen und steht unter jeder Menge Vorbehalt. Dennoch ist das, was man von Seehofer seit dem Anschlag von Halle hört, durchaus ein qualitativer Unterschied zu dem, was man von CSU-Leuten erwarten kann. Gerade dort hat man ja das Hufeisen und die Extremismustheorie für sich gepachtet. Auch an die Berliner JU mit ihrem „Schlager gegen Links“ sei hier verwiesen, was exemplarisch für die weltanschauliche Verzerrung der Realität steht, in der sich Einige dort befinden.

Und ausgerechnet Horst Seehofer verbittet sich nach Hanau sämtliche Verweise auf Linke und erteilt dem Hufeisen somit eine Absage. Möglicherweise hat es bei ihm Klick gemacht, nachdem es in Kassel, Halle und jetzt auch Hanau click click click gemacht hat. Als Bundesinnenminister ist er ja direkt mit solchen Terroranschlägen befasst und bekommt auch alle anderen hier bereits aufgezählten Entwicklungen und Ereignisse auf den Tisch gelegt. Das Wissen, dass es dann auch noch in Armee, Polizei und Behörden potentiell rechtsterroristische Netzwerke gibt, die sich auf einen Tag X vorbereiten und Zugriff auf zumindest Teile der staatlichen Logistik und Informationsressourcen haben, gleichzeitig Waffen, Munition und Namenslisten sammeln, dürfte in Verbindung mit dem Mord an Lübcke zumindest momentan das Seehofesche Hufeisendenken auf den kalten und harten Boden der Realität geholt haben. Es war auch Seehofer, der der Aufzählung von Halle und Hanau richtigerweise den Anschlag von München als ersten des neueren rechtsradikalen Terrortypus vorangestellt hat.

Allerdings darf man nicht den Fehler begehen, diesem möglichen Erkenntnisgewinn einiger Personen zu viel Hoffnung abzugewinnen. Öffentliche Distanzierungen vom Hufeisen sind wegen der genannten Entwicklungen und Bedrohungsszenarien aus dem rechten Spektrum mitunter notwendig, um sich selber öffentlich nicht zu sehr zu diskreditieren. Selbst Friedrich Merz hat sich vom Hufeisen distanziert, während er gleichzeitig rechtsradikale Forderungen umsetzen will um Rechtsradikale zu bekämpfen. Da werden dann nicht mehr Linke mit Nazis in einen Topf geworfen, um unter dem Deckmantel der (nicht existenten) Mitte rechte Politik zu betreiben. Man lässt halt einfach das zusammenschmeißen weg.

Nicht zu viel Freude

 

Der Bereich, in dem ein Seehofer das Hufeisen beerdigt hat, ist (sollte es denn so sein) auf den des Terroristischen begrenzt. Abseits davon steht das Hufeisen zur Diskussion, wird sich aber vor allem in der Praxis weiterhin äußerster Beliebtheit erfreuen. Als jüngstes Beispiel dafür kann den Scherz über Erschießungen und verpflichtende Arbeit für Reiche und die Reaktionen darauf heranziehen. Da wird dann tatsächlich von der FDP ein Tagesordnungspunkt im Bundestag anberaumt, ob die Linkspartei überhaupt verfassungskonform sei. Die CSU veröffentlicht Sharepics, Abgeordnete wollen die ganze Partei unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stellen und so weiter. Dabei wird nicht unbedingt offen das Hufeisen geworfen, ganz ohne kann man solche Aktivitäten aber nicht betrachten. Zu fest ist das Hufeisendenken gerade durch Union und FDP gehegt und gepflegt worden und wird es auch immer noch. Der Beißreflex Richtung Sozialdemokratie, Sozialismus, Anarchismus und Kommunismus sitzt tief und wird als fester Bestandteil der bundesrepublikanischen politischen Bildung auch nicht so schnell weggehen. Seit der Französischen Revolution bekämpft die Obrigkeit im deutschsprachigen Raum jegliche Progression von links, da hört man doch nicht wegen ein bisschen rechtem Terror mit auf.

Wirklich interessant und tatsächlich auch spannend (da ist sich das Adminteam einig) wird allerdings die kommende Auseinandersetzung innerhalb von CDU/CSU und FDP in Sachen Umgang mit der AfD. Die Vorgänge in Thüringen rund um die Wahl Kemmerichs mit AfD-Stimmen zum Ministerpräsidenten haben das Schlaglicht auf ein tiefsitzendes Problem beider Parteien geworfen. CDU/CSU und FDP haben mit der AfD die meisten inhaltlichen Übereinstimmungen und Schnittstellen. Das trifft sowohl auf alle anderen Parteien im Bundestag insgesamt zu, als auch auf Landesverbände und insbesondere die Bereiche Soziales, Wirtschaft, Sicherheit, Familie und alles, was mit Migration und Umverteilung zu tun hat. Bei der CDU gibt es dort mit der Merkel-Fraktion einen klaren Gegenpol, doch aktuell scheint die Partei unter dem Eindruck der AfD-Erfolge auf die Linie Friedrich Merz einzuschwenken. Dabei wirkt es so, als ob man sich in weiten Teilen der Union freut, das Kapitel Merkel hinter sich lassen und endlich wieder nach alter Manier dem Konservatismus frönen zu können. Sozialchauvinisten wie Merz oder der JU-Vorsitzende Kuban sind Aushängeschilder dieser Entwicklung und Marschroute.

Die Selbsttäuschung, in Verbindung mit einer Immunisierungsstrategie und vorweggenommener Kritikabwehr, man habe als „bürgerliche Mitte“ gar nichts mit Rechtsradikalen jeglicher Art zu tun, bröckelt zusehends. Für Kundige des Themenkomplexes war und ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich Landesverbände der Union und der FDP offen für eine Koalition mit der AfD positionieren. Die inhaltliche Nähe verbindet dabei genauso wie die tiefsitzende Ablehnung von Allem, was man als links verortet. Die AfD agiert insofern taktisch ziemlich klug mit ihrem wahnhaften Eindreschen auf alles irgendwie Linke. Egal wie hart sie übertreibt, verfälscht und lügt, sie stärkt damit die Fraktion in Union und FDP, die Linke aufs Blut verabscheuen. Und ja, davon gibt es nicht allzu wenige. Die Diskursverschiebung wird dort in Teilen freudig aufgegriffen, die nationalkonservative Werteunion ist da nur das Vorzeigeexemplar entsprechender Aktivitäten. Es ist keine Raketenwissenschaft vorherzusagen, dass es in den nächsten fünf Jahren offene Kooperations- und Koalitionsangebote auf Landesebene geben wird.

Bruchlinien

 

Spannend wird dabei vor allem, wo genau innerhalb der Parteien die Bruchlinien zu beobachten sein werden. Denn es gibt bei aller notwendigen Kritik, sei es an den konkreten Positionen oder am illusorischen Selbstbild der Mitte, auch eine starke Fraktion innerhalb der Union, die eine Zusammenarbeit mit der AfD kategorisch ablehnt. Wie stark diese Fraktion in der FDP ist, können wir nicht sagen. Da Christian Lindner aber bereits vor der Wahl Kemmerichs eine Duldung durch die AfD gebilligt hat, dabei aber den öffentlichen Gegenwind unterschätzte und zurückrudern musste, dürfte sie schwächer als in der CDU sein.

Innerhalb beider Parteien muss man sich aber auch gerade in Hinblick auf das Selbstbild der Mitte zusehends zu der Erkenntnis kommen, dass die eigene Partei diesem Anspruch nicht einmal formal gerecht wird. Die Möglichkeit, dass die AfD eine im bürgerlich-demokratischen Sinne konservative Partei wird, ist seit Jahren vorbei. Mit der Abwahl Luckes war der Weg der Partei entschieden und spätestens nach dem Ausscheiden Petrys 2017 braucht man auch gar keine großen Diskussionen mehr zu führen. Die AfD ist rechtsradikal und wer in ihr Mitglied ist, hat zumindest mit Nazis und Faschos kein Problem. Analog gilt für Personen, die Kooperationen und Koalitionen mit der AfD für möglich halten, dass sie kein Problem haben, mit Faschos und Nazis zu kooperieren und koalieren. Dieser Realität müssen sich alle Mitglieder zwangsläufig stellen.

Welche Konsequenzen daraus erwachsen, wird sich zeigen. Sicherlich werden Personen aus der Partei oder den betreffenden Fraktionen austreten, wenn es zu konkreten Kooperationen kommt. Ebenso wird es zu einem offenen Machtkampf zwischen Bundespartei und den Landesverbänden kommen, die mit der AfD offen zusammenarbeiten wollen. Die Bundespartei wird dabei aller Voraussicht nach verlieren, da der Drang einiger Landesverbände zur Kooperation stärker sein wird.

Neben der Entwicklung hin zur AfD und zur aktiven Stützung des parlamentarischen Rechtsradikalismus gibt es aber auch die gegenteilige Entwicklung. Man muss registrieren, dass es ebenfalls einflussreiche Kräfte gibt, die eine Normalisierung der Beziehung zur Linkspartei zumindest in Teilen anstreben. Der Unvereinbarkeitsbeschluss mit AfD und Linkspartei wackelt nicht nur hin zur AfD. Gerade die Personalie Ramelow, einem katholischen und sehr moderaten Sozialdemokraten, liefert im Gegenspiel mit Bernd Höcke, völkischer Faschist par excellence, die Gretchenfrage, wie man es denn nun mit dem Hufeisen halte.

In der Praxis hat sich die Linkspartei in den letzten 30 Jahren deutlich von der SED hin zu einer völlig normalen Partei im bundesrepublikanischen Parteiengefüge entwickelt. Der überwiegende Teil der Partei hat kein Interesse daran, die BRD grundlegend über den Haufen zu werfen. Und auch sämtliche Regierungsbeteiligungen haben bisher keine Gulags gebracht. Man kann – im Guten wie im Schlechten – der Linkspartei insgesamt Verfassungstreue attestieren. Sie versucht die Verfassung in einer sozialistischen bzw. sozialdemokratischen Art auszulegen, nicht mehr, nicht weniger. Aus diesem Grund hat sich auch bei einigen Vertreter*innen von CDU und FDP die Haltung durchgesetzt, die Linkspartei als gleichwertige Partei innerhalb des Parteiensystems zu sehen. Es gibt ja auch immer mal wieder fraktionsübergreifende Absprachen, in die auch die Linkspartei eingebunden wird.

Angesichts des gefestigten parlamentarischen Rechtsradikalismus in Form der AfD stellt sich die ganz praktische Frage, wie man zu einem antifaschistischen Minimalkonsens steht (sprich keinerlei Kooperation und Zusammenarbeit mit der AfD) und welche ideologischen Unterschiede man bereit ist, bei der Bekämpfung der AfD außen vor zu lassen, um handlungsfähig zu sein. In welcher Form und in welchem Umfang das passieren wird ist schwer zu sagen. Es bleibt aus Sicht des Hufeisens aber spannend, was da auf uns zukommt.

Buchrezension „Extrem unbrauchbar – Über Gleichsetzungen von links und rechts“

Im Verbrecher Verlag ist vor ein paar Wochen ein Sammelband zum Thema Extremismustheorie erschienen. Dieser ist die zweite Veröffentlichung der „Edition Bildungsstätte Anne Frank“, welche von der namensgleichen Bildungseinrichtung aus Hessen verantwortet wird. Der Rahmen des Sammelbandes ist mit einigen Stichworten ganz gut umrissen: Extremismus-, Totalitarismus-, Hufeisentheorie und Zentrismus/Ideologie der Mitte. Die einzelnen Beiträge im Band behandeln einzelne Aspekte aus diesem Spektrum, vorsortiert in fünf Kategorien: 
 
    (1) Eine Theorie, die keine ist
    (2) Im Dickicht der Institutionen
    (3) Das Recht des Stärkeren 
    (4) Mythos Mitte und 
    (5) Nachtritt. 
 
Die Beiträge stammen unter anderem von Politikwissenschaftler*nnen wie Wolfgang Wippermann und Dana Ionescu. Es gibt ein Interview mit den Leitern der Bildungsstätte Anne Frank, Artikel von Mitarbeiter*nnen der Bildungsstätte wie Eva Berendsen und Tom Uhlig, politsch-satirisch Aktiven wie Paula Irmschler und Leo Fischer und ein Interview mit der Facebook-Seite Das goldene Hufeisen.
 
 
Vorweg gibt es gleich das Fazit, unter dessen Berücksichtigung die Detailkritik zu lesen ist: Es ist ein empfehlenswerter Sammelband mit teilweise hervorragenden Beiträgen. Man merkt dem Band an, dass er von einer demokratischen Bildungsstätte herausgegeben wurde – einige Beiträge beziehen sich explizit auf den Bereich der politischen Bildung und der dort aktiven Vereine und Träger*nnen. Wer mit diesem Bereich nicht viel zu hat und sich politisch auch nicht in der „Mitte“, in der Mehrheitsgesellschaft oder im bürgerlichen Bereich verortet, wird nicht alle Artikel hochgradig spannend finden oder sich in ihrer Intention wiederfinden. In der Summe bündelt das Buch aber Artikel mit größtenteils politikwissenschaftlichem Anspruch zum Themenbereich Extremismus und richtet sich klar gegen staatliche, behördliche und rechte Diskursbestimmung durch damit verbundene Konzepte und eine inhaltlichen Entkernung der politischen Debatte. Wer wissen will, was damit nicht stimmt, wird hier mit teils exzellentem Material versorgt. Und auch wer mit dem Thema vertraut ist, wird genügend interessante Details und Denkanstöße bekommen.
 
 
Empfehlenswerte Artikel, chronologisch:
 
Rechts von uns ist das Land – Eva Berendsen, Katharina Rhein, Tom Uhlig
– Politik(wissenschaft) als Mythos; Die Extremismustheorie und das Hufeisen – Daniel Keil
– Eine Totalitarismustheorie, die eigentlich keine ist; Die deutschsprachige Rezeption von Hannah Arendts Theorie der totalen Herrschaft – Dana Ionescu
– Politische Bildung als Verfassungsschutz? Über ein deprimierendes Demokratieverständnis – Katharina Rhein
– Extremismus – Ein Konzept zur Lähmung des Kampfes gegen rechts – Ingolf Seidel
– Im Recht; Der Extremismusbegriff schützt vor allem eins: Die Verfasstheit der bestehenden Wirtschafts- und Sozialordnung gegen emanzipatorische Politik – Maximilian Pichl
– „Wehrhafte Demokratie“ oder wie ein Inlandsgeheimdienst zum Demokratieschützer wird – Sarah Schulz
– Deutschlands Platz an der Arktis; Wie sich die Volksgemeinschaft an Kälte wärmt– Tom Uhlig
– Antisemitsm – Connecting People – Katharina Rhein, David Uhlig
– Interview mit Das goldene Hufeisen – David Uhlig
 

Rein ins Extreme

 
Die drei Herausgeber*innen lassen sich nicht lumpen und eröffnen den Band mit einer standesgemäßen Einleitung, die den politischen Zeitgeist in den Jahren der Chemnitzer Ausschreitungen, des Mordes an Lübcke, des Endes der juristischen Aufarbeitung des NSU-Komplexes und der Etablierung der rechtsradikalen AfD in allen Landes- und Bundesparlamenten themenspezifisch seziert und den Finger auf die offenen Widersprüche und Fehlentwicklungen der letzten Jahre legt. Die größte Enttäuschung folgt direkt auf dem Fuße, liefert Wolfgang Wippermann doch einen sehr schwachen Beitrag ab. Es wird viel angeschnitten, wenig untermauert und noch weniger zum Abschluss gebracht.
 
 
Doch davon sollte man sich nicht entmutigen lassen. Denn die drei folgenden Beträge enthalten Schellen für Verfassungsschutz, Extremismustheorie und die jeweiligen Vertreter*innen, die es in sich haben.  Wer weiß schon, dass die Bundeszentrale für politische Bildung in den ersten Jahren Bundeszentrale für Heimatdienst (ja, Heimatdienst) hieß und maßgeblich von antikommunistischen Altnazis aufgebaut wurde, die stellenweise das seit Jahrzehnten als ungerechtfertigt angesehene KPD-Verbot angestrengt haben? Wer weiß schon, dass die Hufeisentheorie eine Selbstverortung rechtsradikaler Kräfte zu Beginn der 30er war, mit der man sich als wahre Vertreter des Volkes im Sinne der Volksgemeinschaft zu positionieren suchte, während die Linken mit ihrem Klassenkampf dies nicht seien und zu viel Klassenkampf dem Volk nicht gut täte, was von Backes in seiner Übernahme des Modells aber geflissentlich unter den Tisch fallen gelassen wird? Wer weiß schon, dass führende Extremismustheoretiker wie Jesse, Backes, Patzelt, Pfahl-Traughber und andere teils offiziell, teils inoffiziell für den Verfassungsschutz gearbeitet haben und heute trotzdem als unabhängige wissenschaftliche Experten für die Medien gelten und bei der Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlichen? Wer weiß, dass Hannah Arendt mit ihren Arbeiten zur totalen Herrschaft explizit nicht die DDR gemeint hat und auch die Sowjetunion nur unter Stalin als totale Herrschaft ansah, heute aber entgegen ihrer Aussagen als Säulenheilige der Totalitarismustheorien und als Namensgeberin eines solchen Instituts herhalten muss, dessen außerordentlicher Professor Lothar Fritze sogar in Schnellroda beim rechtsradikalen Institut für Staatspolitik referiert hat? 
 

Mehr davon

 
Die große Stärke des Sammelbands liegt genau in solchen Details und Ausführungen, die die politische Ideengeschichte des Extremismusbegriffs nachzeichnen, seine Entstehung erläutern und einordnen und den sehr begrenzten Rahmen dieses Modells anschaulich darlegen. Und so bekommt die Selbstdarstellung der BRD und ihrer Sicherheitsorgane sehr viel Kritik ab. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnten Nazis ihren Antikommunismus in den Behörden, die sie oft selber aufgebaut haben, weiter ausleben und Opfer des Nationalsozialismus in der BRD ein zweites Mal staatlich verfolgen, während sie selber unbehelligt von ihren Verbrechen der Nazizeit blieben. Interessant sind auch die Passagen, in denen der Extremismusbegriff staats- und verfassungstheoretisch eingeordnet wird. So ist es ein Zynismus, dass politische Bildung in Form der Bundeszentrale für politische Bildung genauso wie der Verfassungsschutz dem Innenministerium unterstellt ist und somit als staatliche Behörde einen Extremismusbegriff verbreitet, der den staatlichen Bereich explizit ausklammert und keiner Kritik unterzieht. Demokratieförderung dient hier also nicht dem Fördern eines kritischen Denkens auch gegenüber staatlichen Institutionen, sondern allein der Verbreitung der Mär, die „Ränder“ der Gesellschaft seien problematisch. Das man Menschen- und Bürgerrechte in der Regel GEGEN staatliche Institutionen erkämpfen musste, spielt keine Rolle. Der Staat und die Behörden gelten nicht als Instrumente zur Durchsetzung bestimmter Machtinteressen, die sich zudem ändern können. 
 
 
Ebenfalls hervorzuheben ist der Verweis auf die Verengung des Rahmens, den man von behördlicher Seite als nicht-extremistisch ansieht. So wird entgegen der Konzeption des Grundgesetzes, in dem mit voller Absicht keine Wirtschaftsordnung festgelegt ist, der antikapitalistische Kampf sehr oft als extremistisch und somit verfassungsfeindlich eingestuft. Staatliche Behörden sorgen damit aktiv für eine Auslegung des Grundgesetzes, welche die aktuelle Verfasstheit von Staat und Wirtschaft schützt – und nicht was verfassungsrechtlich im Rahmen der Ausgestaltungsmöglichköglichkeiten läge. Das Grundgesetz schützt eben nicht zwangsläufig den Kapitalismus und auch nicht die Behördenstruktur der BRD, ebensowenig ist Demokratie an die aktuelle Verfasstheit der BRD geknüpft. Gerade in Anbetracht der aktuell laufenden Militarisierung der Polizei und der Befugniserweiterungen Richtung Autoritarismus steht man schnell als potentiell extremistisch dar, obwohl man sich eigentlich im Rahmen der Grundgesetzintention befindet und die eigenen Rechte gegen den Staat verteidigen will.
 
 
Weniger spannend sind Teile der Artikel bezüglich der Bildungspolitik und wie man mit dem Extremismusbegriff versucht, Linke oder den Kampf gegen rechts zu be- und verhindern. Dies liegt nicht daran, dass dies nicht wichtig wäre. Man kennt die Leier und die Taktik nur eben seit Jahren und eine Aufarbeitung dieser Mechanismen ist nicht sonderlich anregend, dafür aber bitter nötig, wenn man die aktuellen Debatten um das Programm „Demokratie fördern“ anschaut und die Diskreditierungsversuche von Seiten der AfD und anderen rechtsradikalen Akteuren im Kopf hat. Die Diskursanalyse zum NSU-Komplex und der Beitrag zum Thema Islam und Extremismuskonzeption lesen sich ebenfalls wie Füllwerk und liefern leider keine spannenden Erkenntnisse oder neue Blickwinkel auf diese Bereiche. Etwas deplatziert wirkt der Beitrag über Feminismus, was vor allem daran liegt, dass die Autorinnen es nicht wirklich schaffen, die Verbindung zum Thema des Buches deutlich zu machen. Man fragt sich oft, was das denn jetzt hier soll und wie das mit der Extremismustheorie zu tun hat. 
 

Probleme mit der Mitte

 
Allein wegen der Form fällt der Beitrag „Deutschlands Platz an der Antarktis“ aus dem Rahmen. Kontrastiert durch die Erzählung einer deutschen Antarktisexpidition kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs wird hier mit deutlichem Einschlag der kritischen Sozialpsychologie versucht, dem Mythos der guten Mitte die notwendige Kälte der bürgerlichen Vergesellschaftung in der Moderne gegenüberzustellen, welche sich exemplarisch am Holocaust zeigt. Hier fragt man sich auch die ganze Zeit, wie das alles in den Rahmen des Buches passen soll, wird dann aber kurz vor Schluss vollumfänglich abgeholt und man versteht, was das mit dem Mythos der Mitte zu tun haben soll. Die Entzauberung dieses Mythos fällt leider etwas ungenügend aus. Vollkommen richtig wird auf Antisemitismus als ein alle politischen Spektren durchdringendes Welterklärungskonstrukt verwiesen, allerdings hätten hier konkrete Namensnennungen nicht geschadet. Dabei liefert auch die „Mitte“ genügend Personen, um die Behauptung, Antisemitismus gäbe es nur an den „Rändern“, Lügen zu strafen. Personen wie Möllemann, Blüm oder Kohl gelten nicht als extremistisch, die Außenpolitik der Bundesregierung mit antisemitischen Regimen hat ebenfalls nichts mit einem linksradikalen Antizionismus zu tun und ist in der Mehrheitsgesellschaft zu verorten. 
 
 
Vielleicht krankt die Entzauberung der Mitte auch ein wenig daran, dass wichtige Aspekte schon in den vorangehenden Beiträgen aufgegriffen wurden. Hier hätte ein frischer Blick oder eine ungewohnte Perspektive sicher gut getan. Im Interview mit dem goldenen Hufeisen findet man dazu passende Ansätze: Insbesondere im amerikanischen Raum hat Zentrismus bzw. centrism eine relativ prominente Rolle innerhalb politischer Diskussionen, da hier seit 200 Jahren zwei Parteien das Land regieren. Der internationale Blick kann zudem die „Mitte“ in Perspektive rücken, da jedes Land eine andere politische Mitte hat und konkrete Gesetze und Konzepte anders verortet werden. Auch ist Mitte immer relativ, wenn man sich nur einmal vor Augen führt, was 1950 so als Mitte angesehen wurde und was heute im Kontrast dazu als selbstverständlich gilt. Mit Ansätzen dieser Art hätte man dem Mythos Mitte in ausgearbeiteten Beiträge sicher noch mehr Schaden zufügen können. So bleibt dieser Abschnitt hinter seinen Möglichkeiten zurück.
 
 
Wie bereits zu Beginn deutlich gemacht, ist der Sammelband klar zu empfehlen, die Kritik findet hier auf einem hohen Niveau statt und man bekommt kompakt eine gute Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex und ausreichend Gründe genannt, warum man auf den Extremismusbegriff am Besten vollkommen verzichten sollte.

Im Osten was Neues

In der Nacht von Samstag auf Sonntag wurde ein 35 Jähriger in Chemnitz ermordet. Unklar sind die Umstände zu großen Teilen immer noch, die vermutlichen Täter sind allerdings in Untersuchungshaft.  Ein irakischer und ein syrischer Flüchtling. Kurden überdies, wie sich kürzlich herausstellte, nachdem tagelang versucht wurde zu kolportieren, der Angriff sei ein islamistischer Terrorakt gewesen.

Weil Sachsen Sachsen ist und Gewalt dort vor allem nicht gern gesehen wird, wenn sie von Nichtdeutschen verübt wird, folgte die nächsten Tage was den Meisten schon bekannt sein dürfte: Sonntags mobilisierten Chemnitzer Hooligannetzwerke und Rechte Gruppen unter dem Motto „Wir holen uns unsere Stadt zurück“ zu einer Spontandemo, auf der klargemacht wurde wie das Motto gemeint ist:

Mit klassischen Parolen der Kameradschaften und unter denselben Rufen die am selben Tag 26 Jahre zuvor vorm Sonnenblumenhaus in Rostock Lichtenhagen zu vernehmen waren, als Nazis es mit Brandsätzen und Steinen angriffen, „Deutsch-Sozial-National und eben „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“, zogen bis zu 1000 Nazis durch die Stadt, machten Jagd auf alle die ihnen nicht deutsch genug aussahen und Linke.

 

Die Polizei, von Kurzfristigkeit der Mobilisierung und der Größe des Mobs wohl hier noch überrascht, scheiterte daran die Umsetzung einer temporären national befreiten Zone zu verhindern. Am folgenden Montag wiederholte sich das Versagen auf schlimmerer Ebene. Erneut war eine Demonstration angekündigt, diesmal mit öffentlicher Mobilisierung, mit Schützenhilfe der AfD, kurz mit mehr Reichweite, mehr Infrastruktur und dem Erfolgsmoment für die Nazis, am Vortag die Stadt für sich gehabt zu haben, im Rücken.

Die Sächsische Polizei allerdings wurde einmal mehr ihrem Ruf gerecht es mit der Durchsetzung des Rechts bei Nazis nicht ganz so genau zu nehmen. Wenige hundert Beamte sicherten die Kundgebung ab, auf der dutzendfach Hitlergrüße gezeigt wurden, von der Flaschen und Pyrochtechnik auf die antifaschistische Gegendemo geworfen wurden und von der wiederum, nach Ende der Veranstaltungen Angriffe auf Antifaschisten ausgingen.

Für den nächsten Samstag mobilisiert die AfD nun im großen Stil. Klar ist: Man will die Erfolge von Sonntag und Montag wiederholen. Befürchtet wird, dass bis zu 10.000 in Chemnitz demonstrieren werden. Ob die Sächsische Polizei diesmal gewillt ist, und sei es nur um ihren Imageschaden, den sie in Teilen der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit durch ihr gewähren-lassen noch erleidet, abzuwenden, Gewalt gegen Chemnitzer Flüchtlinge und Linke zu unterbinden bleibt abzuwarten. Dass all dies in Sachsen passiert ist, ist nicht überraschend, ist der Freistaat schon seit Jahrzehnten für eine florierende Naziszene bekannt, wobei der Übergang zwischen „normalen“ Rassisten und organisierten Neonazis gerade hier oft fließend ist.

 

Eine neue Qualität aber hat Chemnitz. Nicht, weil es dort wesentlich brutaler zuging als bei Nazievents in der  Vergangenheit. Nicht, weil die Polizei, wenn überhaupt, dann nur zögerlich eingreift. Was jeder rechtsnationalen Partei der letzten Jahrzehnte misslungen ist, gelang hier der AfD: Organisierte Naziszene und  „besorgte Bürger“ in der Sache vereint zusammenzubringen und einen medialen Diskurs zu schaffen, flankiert von AfD Verlautbarungen und Tweets, in dem Hitlergrüße und Menschenhatz höchstens als unangenehme Lappalien auftreten. Es darf durchaus als Zäsur gelten, dass ein Naziaufmarsch dieser Größe und dieser Militanz von der (vorgeblich) bürgerlichen Rechten so stark begrüßt und unterstützt wird.

Dass, wer sich dafür entscheidet ein gemeinsames Anliegen mit Neonazis zu haben, ein politisches Subjekt ist, dass genau dafür auch Verantwortung trägt, ist nicht nur vielen Leitmedien Anathema sondern auch einigen Ex-Antideutschen, die nunmehr unter dem Namen „Ideologiekritik“ firmieren, keinerlei Erwähnung mehr wert. So sehr sieht man sich dort im Kampf gegen den politischen Islam eingebunden, dass noch am banalsten deutschen Mob etwas Verteidigungswertes gefunden werden soll. Wenn die Empörung so groß ist, dann müsse ja etwas dran sein, an der Sache mit den Flüchtlingen, so billig, so propagandistisch ist die weiter um sich greifende Logik.

Es ist kein Glückstreffer den die AfD mit Chemnitz gelandet hat, sondern Ergebnis ihres strategischen Kalküls. Cottbus und Kandel dürfen hier exemplarisch als Vorläufer dienen, bei denen lokale Strukturen unterstützt wurden und durch Pressearbeit seitens der Partei zusätzliche öffentliche Aufmerksamkeit erhielten.

 

In Zeiten in denen große deutsche Zeitungen die Frage stellen, ob es nicht doch vertretbar sei, Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken zu lassen, wäre es mehr als nur naiv daran zu glauben, die gesellschaftliche Resistenz gegen weitere Vorstöße der AfD sei so groß, dass diese, samt der inzwischen offensichtlich gut integrierten neonazistischen Straßenkampftruppe, auf absehbare Zeit keine ernsthafte Gefahr darstelle. Sicher, die meisten westdeutschen Großstädte dürften von Geschehnissen wie in Chemnitz vorerst verschont bleiben, auf den immer erfolgreicheren Kurs der AfD, sowohl mediale Diskurse zu dirigieren, als auch den klassischen Straßenaktivismus der deutschen Naziszene einzubinden, nicht zu reagieren erscheint schlicht und ergreifend als fatal.

Daran ändern auch keine buntdeutschen Saubermannevents etwas, wie man sie fürs nächste Wochenende und den kommenden Montag erwarten darf, bei denen aber in altbekannter Hufeisenmanier, im gleichen Atemzug mit der Kritik der Vorkommnisse der vorigen Woche eine Absage an den Linskextremismus und eine Mahnung vor antifaschistischen Interventionen erfolgen wird.

Dieser Interventionen bedarf es immer dringender.

Sozialismus und die heutige Linke

GASTBEITRAG

Die Geschichte hat uns gelehrt, dass Klassenkämpfe der Motor des Fortschritts sind. Von den Händlern, welche die feudale Herrschaft umgeworfen haben, somit den Weg für den Kapitalismus ebneten. Sie nutzten den Staat um die bürgerliche Revolution voranzutreiben. Später, als sozialistische Ideen aufkeimten, nutzten die Faschisten, befeuert und unterstützt von der bürgerlichen Klasse, den Staat, um diese „rote Bedrohung“ auszumerzen. Diese offene Terrorherrschaft zeigt deutlich wozu eine Klasse, die einen Staat beherrscht, in der Lage ist. Sie kann ganz Bewegungen vernichten, mit einem Fingerschnippen die unpolitische Bevölkerung zu ihrer Agenda bekehren.

Die Feinde der Revolution nutzen dieses Werkzeug seit nun schon Jahrhunderten um uns kleinzuhalten. Also wann und warum kam der Wandel weg vom Staatssozialismus bis hin zum unverhohlten, fast schon pubertären Antikommunismus?
Als die „rote Bedrohung“ Ende der 80er endgültig gebannt wurde sah sich die bürgerliche Klasse als Sieger des Kampfes. Antikommunistische Propaganda konnte ohne Zwischenrufe in den Massen verbreitet werden. Die Eltern der neuen Generation lehrten vehement, dass es alternativlos sei. Wir hätten die Wahl zwischen malochen bis man mit Ende 60 in Rente geht, oder man steht jeden Morgen um 5 Uhr in der Schlange für ein Laibbrot. Diese Alternativlosigkeit ist in unserer Generation akzeptiert und nicht hinterfragt. Wenn mal jemand aus dieser Hölle ausbricht geht die Person oft den Weg des Anarchismus.

Wieso auch nicht? Ist doch ein schöner Gedanke. Individuelle Freiheit im freien Kollektiv. Gestützt vom Hass gegen jede Autorität, Jahrzehnte langem Antikommunismus und das gute Gefühl im Bauch das richtige für alle zu wollen. Jedoch, dass individuelle Freiheit mit der Freiheit des Kollektivs nicht immer einher geht wird ignoriert. Ebenso, dass kein geschichtlicher Erfolg zu verbuchen ist.

Man kann mich jetzt falsch verstehen und sagen ich würde aktiv gegen den Anarchismus kämpfen und ein Sektentum aufbauen wollen. Das ist durch und durch falsch. Genossen und Genossinnen, egal ob sozialistisch oder anarchistisch sehe ich als Teil des Gerechten Kampfes. Ohne wenn und aber. Jedoch ist Kritikfähigkeit eines der höchsten Güter des Kampfes. Egal bei wem.

Sollte man Anarchismus auf den Müll der Geschichte werfen? Nein! Sollte man den Leninismus auf den Müll der Geschichte werfen? Nein! Alte Ideen machen neue Ideen. Allerdings ist die kritische Hinterfragung von der Sowjetunion genauso wichtig wie das Hinterfragen der CNT-FAI, den so rund wie nieder geschrieben funktioniert es nie.

Also zurück zum Punkt. Wieso sollte die Linke nicht den Staat als Werkzeug des Klassenkampfes benutzen? Weil die Sowjetunion in eine bürokratische Hölle ausgeartet ist die durch die Angst vor der Konterrevolution am Ende genau das herbeirufte, was sie verschrie? Nein. Es ist nicht schwarz und weiss. Es gibt auch lilablassblau. Rosa Luxemburg zum Beispiel war definitiv eine Staatssozialistin die offen gegen den Leninismus Kritik übte. Ein Staat? Ja. Kontrollgremien? Ja. Sowjets? Auf jeden Fall. An diesen Ideen kann man Anschluss finden wenn man vorher dem Sozialismus abgeneigt war aufgrund von den Fehlern der Sowjetunion.

Uns wird ein Werkzeug geboten um die Revolution auszuführen, zu schützen und letztendlich die Konterrevolution zu schlagen um das kollektiv der Arbeiterklasse zu befreien. Das sollten wir auch nutzen. Denn die Befreiung der Arbeiterklasse ist kein Schenkelklopfer, sondern ein Faustschlag gegen die bürgerliche Klasse. Und dieser Faustschlag muss stark sein.

Rache für Sarah

Es folgt ein Gastbeitrag der Gruppe Pawlitchenko, den wir auf unserer Plattform veröffentlichen.

Der Fall Sarah Rambatz sorgte vor der Bundestagswahl für einiges Aufsehen. Eine Person leakte einen Screenshot aus einer geschlossenen Gruppe und verursachte neben dem Verlust vom Listenplatz zur Wahl für einen volksdeutschen Mob, der sich volkstümelnd in sexistischen, antisemitischen, sexuellen, Todes- und sonstigen Gewaltphantasien erging und die Sarah und Familie direkt bedrohten. Durch Recherche haben wir den Täter ausfindig gemacht. Es handelt sich dabei nicht um einen Neonazi oder einen irgendwie organisierten Rechten. Es handelt sich um das, was gemeinhin als „besorgter Bürger“ firmiert. Der eigentlich unauffällige Nachbar von nebenan, der einem einen Bausparvertrag schmackhaft machen möchte, ein Auto verkaufen oder eine Lebensversicherung. Um einen normalen Alltagsrassisten also, von denen es viel zu viele gibt und die das Leben in Deutschland so deutsch machen.

Vice-Artikel mit guter Zusammenfassung des Mobsturms: https://motherboard.vice.com/de/article/vbb9y9/diese-nutte-gehort-totgebumst-mordaufrufe-gegen-linken-politikerin-nach-facebook-post?utm_medium=link

Wir haben Screenshots von einem Teil der Beleidigungen und Drohungen gesammelt und zusammen mit einem Schreiben an seine Arbeitsadresse geschickt. Zusätzlich ging mit einem Fakeprofil eine Nachricht sowohl an ihn als auch an seine Lebensgefährtin, die inhaltsgleich mit dem Brief war. Wichtig war uns, dass der Täter sich des Umfangs des von ihm verursachten Mobs voll bewusst wird und hoffentlich reflektiert, was so in jedem Maße durchschnittliche Personen wie er mit ihren Alltagsrassismus und ihrem Deutschtum bei Menschen anrichten.

Antisemitismus und Rassismus waren auch nach dem alliierten Sieg über das Dritte Reich nie wirklich weg. Nachdem aber die bürgerlichen und sozialistischen Revolutionsnationen die Zivilisation zwangsweise nach Deutschland gebracht hatten, waren sie für wenige Generationen eher „untergärig“. Kaum jedoch dass die Sowjetmacht den Deutschen nicht mehr im Nacken saß, begannen – nach dem nationalistischen Rausch der Wiedervereinigung – Neonazis, unter dem Gejohle ganz gewöhnlicher Bürgerinnen und Bürger „national befreite Zonen“ in Ostdeutschland zu errichten. Die folgenden Reformen nach Wegfall der Systemkonkurrenz bestanden vor allem in Verelendungsprogrammen für breite Bevölkerungsschichten, die die Menschen mehr als zuvor in die Rolle vereinzelter Arbeitskraftbehälter drängten.

Während die Kluft zwischen arm und reich immer weiter zunimmt, nährt die Angst vor der eigenen Überflüssigkeit in einem System gnadenloser Konkurrenz Hass und Neid. Statt dass man sich dagegen wehrt, sich für Reallöhne abzurackern, die auf obszön niedrigem Niveau stagnieren, um einen absurd hohen Außenhandelsüberschuss zu erzielen, mit dem der Krisengewinnler Deutschland seine europäischen Nachbarländer destabilisiert, verachtet man hierzulande all jene, deren Lebensinhalt nicht Deutschlands Titel als Exportweltmeister ist. Statt dass man nach Wegen sucht, die gigantischen Produktivkräfte nutzbar zu machen, um ein solidarisches Europa aufzubauen, vergeht man hier lieber vor Missgunst beim bloßen Gedanken daran, in den anderen europäischen Ländern könnte nicht genug geschuftet werden.

Auf diesem Ressentiment wurde vor vier Jahren die AfD begründet, die seitdem immer weiter nach rechts rückt und dabei nicht etwa an Zustimmung verliert, sondern im Gegenteil auf ihrem Marsch in die Vergangenheit das schlummernde Potential einer sich radikalisierenden „Mitte“ hebt. Dabei muss sie sich noch nicht einmal Mühe geben, denn sie wird nach Kräften unterstützt: von Massenmedien, deren Geschäftsmodell der permanente Skandal ist. Und von einem politischen Establishment, das bis heute weder einen vernünftigen Umgang mit dem radikalen Islam noch mit den Problemen gefunden hat, die es mit sich bringt, wenn unzählige Menschen aus verheerten patriarchalen Gesellschaften nach Europa fliehen, und dessen bestes Argument für sich zu sein scheint, nicht die Partei der offenen Reaktion zu sein. Von dieser wiederum erwartet noch nicht einmal ihre eigene Wählerschaft mehrheitlich, dass sie zum Lösen irgendwelcher Probleme imstande wäre. Diejenigen dagegen, die zuallererst ins Fadenkreuz jihadistischer Mordbanden und religiösen Alltagsterrors genommen werden – also Frauen, sexuelle Minderheiten, Jüdinnen und Juden –, geraten durch den Rechtsruck nur noch mehr in Bedrängnis.

Das erschreckende, aber leider eben nicht erstaunliche Ausmaß der Versuche, unsere Genossin Sarah mit Drohungen sexueller Gewalt gegen sie, ihre Familie, ihren Freundes- und Bekanntenkreis einzuschüchtern, steht in einer Reihe mit ungezählten ähnlichen Attacken auf Feministinnen, die auf diese Weise zum Schweigen gebracht werden sollen, und gibt beredtes Zeugnis von dieser Entwicklung.

Der deutsche Mob ist traditionell autoritätshörig und wartet auf ein Zeichen von oben, um nach unten losstiefeln zu können. Das ernüchternde Wahlergebnis der am härtesten gehypten Partei der letzten Dekaden wird von gewaltbereiten Neonazis im ganzen Bundesgebiet als Signal verstanden werden, „ihrem Volk“ den Weg frei zu prügeln. Auf einen Staat, dessen Sicherheitsapparat sich in wildem Aktionismus eine völlig marginalisierte Linke zur „linksextremistischen“ Gefahr zusammenspinnt, während er mit der realen Bedrohung durch den Islamismus schon chronisch überfordert ist, und dessen unübersehbares Problem mit institutionellem Rassismus von den Verantwortlichen einfach ausgesessen wird, sollte niemand zu große Hoffnungen setzen.

Umso wichtiger wird in dieser Situation die Solidarität mit allen potentiellen und tatsächlichen Opfern des Mobs. Und umso wichtiger wird es, über den Umgang mit den jeweils aktuellen Krisenphänomenen hinaus Wege in eine Welt jenseits unerbittlicher Konkurrenz zu finden.
Ein Angriff auf eine von uns ist ein Angriff auf uns alle. Wir stehen solidarisch an der Seite unserer Genossin Sarah. Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die deutsche überwinden – Sozialismus oder Barbarei.

Gruppe Pawlitschenko“