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Rechte Memetemplates und wie Incelideologie den Zeitgeist kapert

Vor Memes kann man sich heutzutage in den sozialen Netzwerken nicht retten, sie sind ein fester Bestandteil. Teilweise greifen sie auf bestimmte Modeerscheinungen zurück, wie zum Beispiel Sozialcharaktere der Marke „Boomer“, „Karen“ oder auch „alte weiße Männer“. So schnell wie sich einige im kollektiven Gedächtnis verankern, genauso schnell können sie auch wieder verschwinden. Gerade wegen der Vereinfachung und Zuspitzung bestimmter Situationen und Ansichten, die durch die Templates ermöglicht wird, sind Memes so erfolgreich. Sie können keine fundierte Analyse der Verhältnisse ersetzen, sind aber auch ein nicht zu unterschätzender Teil im agitatorischen Werkzeugkoffer geworden.

Seit etlichen Monaten fällt dabei auf, wie sich durch Templates Teile der Incelideologie bis tief in linksradikale Kreise vordringen und dort munter reproduziert werden. Als aktuelles Beispiel dient das Meme mit dem alles sagenden Titel „Soyjak Fans vs. Chad Fans“. Auf was spielt dieses Template also an? „Soyjak Fans“ greift das aus rechtsradikalen Kreisen stammende Zerrbild der sogenannten „Soyboys“ auf. Damit ist nicht nur das als linksgrünversifft gesehene Sojaessen als Symbol für vegane Ernährung gemeint. Eigentlich geht es darum, dass im Soja Östrogene enthalten sind. Wer Soja esse verweibliche dadurch – für Rechte mit ihrem Hang zu Patriarchat und Maskulinismus ein klares Hassobjekt des Spotts. Bier enthält übrigens auch Östrogene, aber an Tatsachen ist man dort ja eher selten interessiert.

„Chad Fans“ spielt auf die „Chads“ an, eine der beiden zentralen Figuren der Incelideologie. „Chads“ werden bestimmte körperliche Eigenschaften zugeschrieben, die sie von Natur aus befähigen würden quasi endloss Frauen abzubekommen und wer diese körperlichen Eigenschaften nicht hat, wird Jungfrau bleiben. Denn wir alle wissen ja, Frauen sehen ein markantes Kinn und schwupps sind sie verliebt und schwanger. It’s magic! Bei Incels dient diese strenge Aufteilung dazu, sich in Foren gegenseitig schlecht und bis hin zum Selbstmord zu reden – oder zum Terroranschlag gegen Frauen, weil diese angeblich nur auf Chads stehen und nicht gewillt sind, die bescheidenen Anforderungen der Incels ohne jegliches Klagen zu erfüllen. Man diskutiert auch darüber, dass der Staat Männern die Frauen zur freien sexuellen Verfügung zuteilen solle, damit nicht nur Chads in Genuss von Sex und schönen Frauen (am besten Jungfrau und mit 30 Jahren Erfahrung im Bett ausgestattet) kämen.

Im Kern dreht sich Incelideologie um eine Form der gesellschaftlichen Hierachie und Ausgrenzung, welche anhand von maskulinistischen Idealen und der Zuschreibung körperlicher Eigenschaften eine Art Coolnessfaktor als alles bestimmendes Ordnungs- und Verteilungsprinzip der Ressourcen Ansehen und Frauen/Sex annimmt. Wer dabei keine Rolle spielt sind Frauen, sie dienen nur als Fick- und Hassobjekt in Personalunion.

Und genau diese Form der Coolness als alles entscheidender Faktor wird in den Memes weitertransportiert. Jedes „Virgin xyz vs Chad xyz“-Meme trägt die Ideologie weiter, es gehe nur um die Coolness. Man müsse bestimmte Eigenschaften erfüllen, um zu den coolen Kids zu gehören, die dann wie in diesen ganzen schlimmen Filmen die Kings der Highschool sind und sich auch genauso verhalten dürfen gegenüber den nicht coolen Kids. Dieses Denken ist die Grundlage dieser Memes und man bekommt es auch nicht dadurch weg, dass man es mit linken Inhalten versucht zu konterkarieren. Die Templates selber funktionieren nur, wenn man Coolness als erstrebenswerten Faktor annimmt. Denn es geht den Memes nicht darum den Inhalt ins Zentrum zu stellen, es geht um eine hierarchische Ordnung der Gesellschaft, bei der die nicht-coolen Leute am unteren Ende der Hackordnung stehen und Ausgrenzung sowie Benachteiligung deren quasi natürliches Schicksal sei. Warum man dies als Linke in jedem Fall ablehnen sollte muss nicht erklärt werden – zusätzlich zur eklatanten Frauenfeindlichkeit.

Geht daran gerade in Zeiten der Coronawirtschaftskrise die Welt zugrunde? Sicher nicht. Gibt es wichtigere Themen? Sicherlich. Diese Seite dient aber auch dazu, persönliche Beobachtungen und Ansichten zu teilen, selbst wenn sie nur eine subjektive Relevanz besitzen. Und bei den hier verhandelten Memes und Templates stößt inzwischen täglich sauer auf, wie sorglos man in linken Kreisen mit Memes umgeht, welche auf den Schwachen und Ausgegrenzten herumhacken und die Pointe auf die Kosten derer machen, die eh im sozialen Gefüge unten stehen. Und es ist schreckend, wie weit sich der Kern der Incelideologie im Zeitgeist verankern konnte.

Q-Anon und das geschlossene Weltbild

Aktuell macht der Q-Anon-Wahn auch in Deutschland ziemlich Welle. Unter anderem durch Xavier Naidoo vertreten erfreut sich dieser Mythos einer immer größeren Beliebtheit, der zumindest anekdotischen Erfahrungsberichten nach mehr Leute erreicht als man annehmen könnte. Auch vorher unauffällige Personen teilen Q-Inhalte im Familien- oder Arbeitschat. Eine gute Gelegenheit also, um sich ein wenig mit Verschwörungswahn als Welterklärung zu beschäftigen.

Was ist Q-Anon eigentlich?

Dazu muss ein wenig in die Welt der US-amerikanischen Wahnvorstellungen eintauchen, genauer gesagt in die Welt des sogenannten „Pizzagate“. Pizzagate behauptet, es gäbe einen Pizzaladen in Washington DC, der als Ladenfront für einen Pädophilenring für die Reichen und Mächtigen in der Hauptstadt der Vereinigten Staaten dienen soll. Mit den Pizzabestellungen würden in Wahrheit nur Codes durchgegeben, die dann entsprechend Kinderblut oder Babys sein sollen. Es hängen natürlich alle mit drin, die man so aufzählen kann: Soros, die Obamas, Bill Gates, die Clintons und so weiter und so fort. Dieses Märchen erlangte einige Popularität und wurde aufgrund der völligen Absurdität vergleichsweise bekannt. Q-Anon hat Pizzagate jetzt abgelöst. Wobei abgelöst ist das falsche Wort, da Pizzagate ein Teil von Q-Anon ist.

Im Zentrum von Q-Anon steht eine unbekannte Person namens Q, die „die Wahrheit“ über die Verschwörung verbreiten würde. In den USA richtet sich diese wie bei Pizzagate vor allem gegen das liberale und demokratische Establishment mit all den üblichen antisemitischen Ausläufern, die solche Wahnideen dann gerne annehmen. Der eh in seinen Ausprägungen bizarre Personenkult um Donald Trump hat dann dazugeführt, diese Verschwörung als gegen Trump als Person gerichtet zu sehen, teilweise soll Trump sogar Q selber sein. Ab 2018 gab es deshalb immer wieder Schilder mit dem Buchstaben „Q“ auf öffentlichen Veranstaltungen von Trump zu sehen. Sein bonarpartistischer, volkstribunenartiger Stil, bei dem er ständig gegen die Eliten wettert, zu denen er selbst ganz besonders zählt, bietet sich an, um Trump als Heiland zu identifizieren.

In Deutschland nimmt dieser Wahn nun noch einmal eine ganz besondere Form an. Zuletzt wurde Q-Anon insbesondere im Zuge des finalen Outings von Xavier Naidoo stark in die Öffentlichkeit gerückt. Was man seit über zehn Jahren wissen konnte, wenn man denn nur wollte, hat Naidoo jetzt in Gänze selber bestätigt. Mehr oder weniger munter (wenn er nicht gerade vor der Kamera in Tränen ausbricht) berichtet er die neuesten Neuigkeiten aus Schwurbelhausen. Ob durch sein öffentliches Einstehen jetzt einfach mehr Leute den gleichen Schritt vollziehen und mit ihrem verschwörungsmythologischen Denken an die Öffentlichkeit treten, oder ob gerade tatsächlich mehr Leute diesem absurden Wahn verfallen, lässt sich schwer sagen und müsste in Einzelgesprächen mit den Betroffenen ermittelt werden.

Die Meta-Wahnidee

Da man den regionalen Bezug zu den USA nicht hat, baut man Q-Anon zur weltweiten Verschwörung aller Eliten gegen die Schlafschafe aus. Dies geschieht auch in den USA selber, man tauscht sich ja eh weltweit aus. Dennoch gibt es regionale Besonderheiten durch unterschiedliche Sozialisation und Differenzen im kollektiven (Schwurbel-)Gedächtnis. Einen Axel Stoll, Gottvater des Wahns, wird außerhalb des deutschsprachigen Raums kaum bekannt sein. Ebenso sind Reichsbürger*innen ein recht spezifisches Phänomen hierzulande. Welche Verzweigungen Q-Anon in Zukunft nehmen wird, ist noch unklar. Sicher ist aber, dass Q-Anon auch eine Form des Eskapismus darstellt. Man kann sich in Echtzeit in einer Form globalen Live-Krimis die Zeit vertreiben und sich die Geschichte selbst erarbeiten. Es ist spannend, mitreißend, emotional und beschäftigt gut. Ein nicht zu verachtender Nebeneffekt davon, dass man sich die Welt erklärt.

Aber es bietet sich an, in einer Zeit wie der aktuellen mit der Corona-Krise die perfekte Erklärung für alles zu liefern. Q-Anon fungiert momentan als Meta-Wahnidee, welche in der Lage ist, so gut wie alle anderen einzubauen. Damit liefert Q-Anon die Blaupause schlechthin für ein geschlossenes Weltbild, mit dem alles erklären kann. Aber wie funktioniert eigentlich so ein geschlossenes Weltbild? Zusammenfassen kann man es mit Pippi Langstrumpf:

Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt

Wir alle sehen unsere Umgebung durch unsere subjektive Perspektive. Wie wir Ereignisse, Gegenstände und Beobachtungen einordnen, bestimmt auch welche Schlüsse wir aus ihnen ziehen und wie wir handeln. Um uns das Leben zu vereinfachen und nicht jede einzelne Beobachtung jedes Mal aufs Neue analysieren zu müssen, bilden wir ein Weltanschauung heraus. Mit ihr ordnen wir in bestimmte Kategorien ein und können mögliche größere Sinnzusammenhänge erkennen und verstehen.

Unterschiedliche politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Theorien sind zumindest in Teilen solche Weltanschauungen. Alle haben sie ihre spezifischen Herangehensweisen, interpretieren und verstehen Zusammenhänge anders. Manchmal nur in Nuancen, manchmal mit einem Unterschied ums Ganze. Oftmals stoßen Weltanschauungen aber an ihre Grenzen. Es ist unmöglich, alle Ereignisse und alle Handlungen vollständig mit einem einzigen theoretischen Ansatz zu erklären, oftmals liefert die Realität Widersprüche in sich selbst und zu den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Theorien.

Das Begreiflichmachen des nicht vollständig Begreifbaren

An solchen Stellen entscheidet sich dann, ob man in die Richtung eines notwendig falschen Bewusstseins, einer ideologischen Zurichtung geht, oder ob man das eigene Weltbild modifiziert und der Realität anpasst. Was ist ein notwendig falsches Bewusstsein? Die Formulierung geht auf Marx zurück, der von einem „falschen Bewusstsein“ sprach, und wurde von Georg Lukács weiterentwickelte. Um sich selber Dinge in gesellschaftlichen Zusammenhängen zu verstehen und sich die Welt zu erklären, bildet man eine eigene Weltanschauung aus. Diese beinhaltet auch eine Erklärung von Widersprüchen, welche man sich selber verständlich macht. Beeinflusst wird man dadurch maßgeblich durch das private und das gesellschaftliche Umfeld. Man ist sich bestimmter Widersprüche möglicherweise theoretisch bewusst, übergeht sie aber einfach oder liest sie anders. Ziel ist dabei, die Grundprämissen des eigenen Weltbildes nicht korrigieren zu müssen. Diesen Vorgang nennt man auch Rationalisieren, weil man sich unlogische Dinge selber rational verklärt.

Zu einem gewissen Grad machen wir das alle, insbesondere im Kleinen. Niemand ist frei davon, sich das Dasein in dieser Gesellschaft dadurch ein wenig zu einfacher zu gestalten und sich nicht den ganzen Tag an allen Widersprüchen den Kopf zu zerbrechen. Ab einem gewissen Grad fängt es aber an problematisch zu werden. Irgendwann wird der Widerspruch zu groß. Von einem geschlossenen Weltbild spricht man dann, wenn man die Realität immer weiter der Erklärung anpasst und die Ereignisse dieser Welt immer verzerrter wahrnimmt.

Das offensichtliche Beispiel sind hier Personen, die Verschwörungsmythen anhängen. Wenn die Juden die Welt im geheimen kontrollieren, kann das mit dem Holocaust ja gar nicht stimmen und der wurde nur als perfider Trick erfunden, um die Menschen noch weiter zu knechten und im Griff zu haben! Alle Beweise des Gegenteils werden dann als Teil des Verschwörungsmythos in diesen integriert und somit für die betreffende Person rationalisiert. Man macht sich die Welt dann so, dass sie zur eigenen Weltanschauung passt. Ab einem gewissen Punkt ist dieser Rationalisierungsprozess so weit fortgeschritten, dass die Person nicht mehr für rationale Argumente und logische Herleitungen erreichbar ist. Das Weltbild ist dann in sich geschlossen und erklärt alles aus sich selbst heraus – auch wenn die Realität eine ganz andere ist. Q-Anon ist dafür aktuell das prominenteste Beispiel.

Oury Jalloh – Das war Mord!

Oury Jalloh – ein Name, der ein Fingerzeig ist, ein Fingerzeig auf einen Justizskandal, auf institutionellen Rassismus, auf Bullengewalt und auf die Gleichgültigkeit einer breiten Masse der Bevölkerung, die weiß, dass der/die Mörder noch heute in ihrer Mitte ist/sind. Jalloh lebte damals seit 4 Jahren als geduldeter Asylsuchender in Deutschland.

7. Januar 2005, Deussauer Polizeigewahrsam, Zelle 5, rechtswidrig dort festgehalten
Da wurde Oury Jalloh ermordet, fixiert auf einer schwer entflammbaren Matratze. Noch bevor die Tatortarbeiten begannen, gaben Beamten vorschnell ihre Thesen zum Besten, Jalloh habe sich selbst angezündet. Wenn einem der Arsch auf Grundeis geht… Ein Feuerzeug am Tatort war nämlich nicht zu finden.

Im Laufe der polizeilichen Untersuchungen wurden dann erstmal schön die „Beweise“ zurechtgelegt, so z. B. Feuerzeugrest, die dann drei Tage später angeblich doch noch in der Zelle gefunden worden seien, aber aus unerfindlichen Gründen erst 2012 untersucht wurden und weder Spuren von Jallohs Kleidung, Matratze oder DNA aufwiesen.
Die nächsten Jahre waren durchzogen von verschwundenen und manipulierten Beweismitteln, widersprüchlichen ZeugInnenaussagen und einer Vertuschung in Zusammenarbeit von Bullerei und Justiz.
2014 rollte die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau den Fall neu auf. Die Todesursache sollte nun endgültig geklärt werden. Ein neues Gutachten musste her. Dieses kam zu dem Schluss, dass die Beteiligung Dritter, sprich eine Fremdeinwirkung in irgendeiner Form, als wahrscheinlich betrachtet werden muss. Auf Basis dieses Gutachtend ließ die Staatsanwaltschaft den Brand simulieren, um einen möglichen Tathergang sowie zeitliche Abläufe zu rekonstruieren.
Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg entzog der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau 2017 den Fall und gab ihn weiter nach Halle. Das zuvor erstellte Gutachten ist nie veröffentlicht worden. Noch im Oktober 2017 wurde das Verfahren von Halle dann fügsam eingestellt.
Als einen Monat später durch das Magazin Monitor Infos der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau veröffentlicht wurde, war nachdrücklich klar: Oury Jalloh starb mit hoher Wahrscheinlichkeit durch Fremdeinwirkung. Dies zeigten mehrere Gutachten zu Brandschutz, körperlicher Verfassung und der chemischen Reaktionen von Stoffen am Tatort. Es war nicht mehr von der Hand zu weisen, dass Jalloh vor dem Feuer schwer misshandelt wurde und mindestens handlungsunfähig wenn nicht schon tot war, so sah es auch der leitende Staatsanwalt aus Dessau-Roßlau. Er nannte sogar mögliche Verdächtige der Dessauer Bullen.

So grotesk es für Außenstehende klingen mag, es gelang der zuständigen Staatsanwaltschaft in Halle, die Einstellung des Verfahrens beizubehalten. Kein Wunder, wusste sie doch die Politik hinter sich.
Ein Untersuchungsausschuss, den Die Linke initiieren wollte, wurde vom Landtag Sachsen-Anhalt entweder abgelehnt (AfD) oder die Fraktionen enthielten sich (CDU/SPD/Grüne).
Ein Klageerzwingungsverfahren der Angehörigen von Oury Jalloh wurde 2019 gegen die mutmaßlich an dem Mord beteiligten Bullen vom Oberlandesgericht Naumburg ebenfalls abgelehnt.
All dies zu vergessen, gar zu verleugnen, wäre eine Beleidigung seines Andenkens.

Das ist unser Rechtsstaat. Ein Bullenstaat, der durch und durch rassistisch ist. Der Angehörige von Mordopfern verhöhnt. Der die Staatsbüttel schützt. Der ihnen einen Freischein gibt für jedwedes Unrecht bis hin zu Mord. Ein Vertuschungsapparat, an dem das Blut Unschuldiger klebt.

Oury Jallohs Fall zeigt auf besonders grausame und perfide Weise, dass Recht und Gerechtigkeit nicht dasselbe sind.

Oury Jalloh ist kein Einzelfall. Mehr als ein Dutzend Menschen kamen auf mysteriöse Weise im Polizeigewahrsam ums Leben. Auch bei ihnen gab es keine Aufklärung, keine Gerechtigkeit. Zwei starben im selben Dessauer Polizeirevier. Die Polizei vertuscht im großen Stil und der Staat zeigt keinen Aufklärungswillen. Es sind halt Menschen, die sie nicht interessieren. Geflüchtete, Obdachlose, Migranten, etc. Aber wir vergessen eure Schweinereien nicht und werden euch zur Rechenschaft zwingen.

Oury Jalloh – Das war Mord!

[Sophie Rot]

Interview mit dem Kollektiv „IfS dichtmachen“

Was war der Anlass für die Gründung eures Kollektivs?
 
Zum Anlass der „Sommerakademie“ 2016 des sogenannten „Instituts für Staatspolitik“ in Schnellroda haben sich Aktivist*innen aus dem Saalkreis und aus Halle getroffen, um den ersten Gegenprotest zu planen und durchzuführen. Nach den ersten paar Demonstrationen erschien es uns dann sinnvoll, dem Ganzen auch einen Rahmen zu geben, also eine Gruppe zu gründen, in der weitere Leute aus der Region aktiv werden können.
 
Das IfS wurde im Jahr 2000 gegründet, Antaios und Sezession folgten 2002 und 2003. In welcher Form gab es in der Zwischenzeit Proteste und Aufklärung über Schnellroda in der Region?
 
Wir demonstrieren, wie gesagt, seit September 2016 zu jeder größeren Veranstaltung des „IfS“ bzw. des Verlags Antaios (insbesondere zu den „Winter- und Sommerakademien“). Davor gab es keine organisierten Proteste. Allerdings wissen wir, dass die Anwesenheit der Kubitscheks und ihre politische Tätigkeit seit den ersten größeren Medienberichten zur „Neuen Rechten“ dort schon kritisch diskutiert wurde und auch auf Ablehnung stieß. Es gab also auch vor unserem Engagement Konfliktpunkte bzgl. der faschistischen Agitation im Ort.
 
Welche Relevanz für die radikale Rechte hat Kubitschek mit seinen Plattformen?
 
Kubitschek ist mit seiner Verlagsgruppe (Ellen Schenke, Benedikt Kaiser) ein Stichwortgeber und ein Anheizer. Er ist zwar weit davon entfernt, der große „intellektuelle Strippenzieher“ hinter der AfD zu sein, als der er sich gerne ausgibt oder von diversen Jouralist*innen ausgegeben wird, aber wenn er eine Parole ausgibt, dann wird diese von den „Identitären“, von „Ein Prozent für unser Land“ und auch von manchen AfD-Hetzer*innen aufgenommen und mit voller Überzeugung als neuste brillante Erkenntnis aus Schnellroda vertreten. Auch wenn man das nicht überschätzen darf, stiften Kubitscheks Plattformen also eine gewisse Einheit in Teilen der extremen Rechten, bringen die Vernetzung der Menschenfeind*innen voran und sorgen für den akademischen Anstrich, der aus der Perspektive vieler Medien aus Nazi-Kameradschaftern plötzlich „identitäre Hipster“ macht – auch wenn der Schein da inzwischen endlich gebrochen scheint. Auch wenn die Bedeutung Kubitscheks etwa für die AfD, wie bereits erwähnt, nicht so bedeutend ist wie Kubitschek dies gerne verlautbart, ist darauf hinzuweisen, dass er es war, der einen Tag nach Höckes „Dresdner Rede“ in der Sezession die Verteidigungslinie vorgab. 
 
Was sind die wichtigsten regionalen und überregionalen Vernetzungen von Schnellroda?
 
Also regional möchten wir vor allem darauf hinweisen, dass sich das „IfS“ offensichtlich hervorragend mit der klassischen Neo-Nazi-Szene in Sachsen-Anhalt versteht. Es wurden mehrmals Nazis aus dem weiteren Umland beobachtet, die „das Schäfchen“ (den Veranstaltungsort der „Akademien“) während unserer Demonstrationen auf Befehl von Kubitschek „schützen“ sollten – d.h. davor standen und gepöbelt haben. Bundesweit spielt für die Schnellroda-Gruppe die AfD die größte Rolle: Während man sich früher immer als außerparlamentarisch präsentiert hat, ist man heute absolut auf AfD-Kurs und prügelt sich mit anderen Rechtsextremen um die parlamentarischen Fleischtöpfe. Deshalb waren 2019 auch gleich Alexander Gauland und Alice Weidel als „Stargäste“ auf den „Akademien“, während ansonsten eigentlich nur das Stammpersonal heranzitiert wurde. Über Deutschland hinaus fügt sich das „IfS“ in ein Netzwerk der europäischen extremen Rechten ein, wobei man von einem osteuropäischen Schwerpunkt ausgehen kann, da bereits Faschisten aus Ungarn, Serbien und Kroatien anwesend waren und Kubitschek dort auch schon auf Tour war.
 
Welche unmittelbaren Auswirkungen bzw. welche Wirkmacht auf die nähere Umgebung sind aus eurer Sicht feststellbar seit sich Schnellroda zu einer auch bundesweit relevanten rechtsradikalen Plattform entwickelt hat?
 
Als unmittelbarste Auswirkung ist sicher das sog. „Haus der Identitären Bewegung in Halle“ zu verstehen, dessen gewählter Standort ja unter anderem auf die Nähe zu Schnellroda zurückzuführen ist. Ansonsten lässt sich der Einfluss eher punktuell fassen, etwa wenn bestimmte Kreistagsabgeordnete Kontakte zu Kubitschek pflegen oder die Vermittlung von „Identitären“ oder dem „IfS“ nahestehenden Faschisten als Mitarbeiter von Landtags- oder Bundestagsabgeordneten.
 
In welcher Form seid ihr aktiv, wie klärt ihr auf?
 
Wir bringen jährliche Reader raus, in denen wir die Redebeiträge unserer Demonstrationen und unsere Recherchebeiträge sammeln und dazu ein kleines Fazit verfassen, um über unsere Arbeit zu informieren. Darüber hinaus schreiben wir auch Blogeinträge zu aktuellen Themen rund um die „Neue Rechte“ und bringen demnächst einen Schnellroda-spezifischen Newsletter heraus, der auch an die Anwohner*innen des Dorfes gehen soll. Prinzipiell versuchen wir, unsere Demonstrationen immer mit der Information an die Bevölkerung zu verbinden und starten dementsprechend auch immer mit einem Infostand vor der Demo. Darüber hinaus versuchen wir, uns auch kritisch mit der Ideologie der „Neuen Rechten“ und speziell des „IfS“ auseinandersetzen und bieten Vorträge zu dem Themenbereich an.
 
Merkt ihr, ob und wenn ja in welcher Form sich der Protest in Schnellroda gegen die Akademien auswirkt?
 
Immer wieder konnten die Akademien durch unseren Protest nicht in der geplanten Form stattfinden, da die Rechten sich nicht selten von unserer reinen Anwesenheit haben ablenken lassen. Wir können darüber hinaus bei Kubitschek und seinen Anhänger*innen eine gewisse Resignation beobachten: Während man 2016 noch auf „Defend Schnellroda“ machte, versucht man nun sehr aggressiv so zu tun, als wären wir gar nicht da. Trotzdem verwenden die „Sezession“ und andere Schmierblätter aber immer noch Artikel auf uns, in denen erklärt wird, wie egal wir Kubitschek sind. Wir glauben, dass unsere Demonstrationen dementsprechend dazu beitragen, die Attraktivität der „Akademien“ zu schmälern und dass die Rechten sich inzwischen überlegen müssen, wen sie da einladen und wen nicht.
 
Gab es bereits Bedrohungssituationen und/oder Auseinandersetzungen zwischen euch und AkteurInnen des Schnellroda-Netzwerks?
 
Es gibt immer wieder „aufklärende“ Artikel und Tweets aus dem Umfeld von Schnellroda, die unseren „Linksextremismus“ oder unsere Unterstützung durch diese oder jene vermeintlich super-wichtige Institution „aufdecken“ sollen. Was da dann berichtet wird, ist zwar immer öffentlich einsehbar, aber mit welcher Selbstüberschätzung so getan wird, als hätten die Faschos eine ernsthafte Recherche vorgelegt, ist ganz amüsant. Trotzdem birgt das natürlich auch eine Bedrohungssituation: Die in solchen Berichten namentlich genannten Mitstreiter*innen sollen dem rechtsextremen Mob vorgeworfen werden und auch wenn es oft nicht funktioniert, wissen wir ja inzwischen leider alle, zu was ein digitaler Shitstorm werden kann. Darüber hinaus gab es auf den vergangenen Demonstrationen von uns immer wieder Pöbeleien durch die Faschist*innen. Sie fanden oftmals ihr Akademieprogramm so langweilig, dass sie lieber Stress an unseren Infoständen gemacht und sich sonstwie daneben benommen haben. Insbesondere die „Identitären“ bauen unheimlich gerne Drohkulissen auf und kokettieren mit ihren Gewalttaten, die sie öffentlich dann wieder leugnen.
 
Die IB in Halle hat kürzlich die Aufgabe des Hauses in der Adam-Kuckhoff-Straße 16 bekannt gegeben (wie ernst das real genommen werden muss, wird sich zeigen). Generell sind bei der IB fortwährend Anzeichen des Zerfalls festzustellen. Damit neigt sich ein Aktions- und Bewegungsexperiment Kubitscheks dem Ende entgegen. Was könnte eurer Ansicht nach darauf folgen oder neu gestartet werden?
 
Es bleibt zunächst zu konstatieren, dass die „IB“ zwar offiziell aus dem Haus ausgezogen ist, jedoch weiterhin Kader im Haus wohnen. Auch Antaios und EinProzent betreiben dort weiterhin ein Büro. Derzeit scheinen jedoch Ressourcen und Ideen zu fehlen selbstständig zu agieren. Den Auszug der IB würden wir dahingehend interpretieren, dass versucht wird Druck und somit auch Aufmerksamkeit vom Haus zu nehmen. Man muss daher aufpassen und weiterhin wachsam bleiben, ob es ihnen gelingt, das Haus effektiv nutzen zu können. Die identitäre Ortsgruppe scheint ja ein Revival der „Kontrakultur Halle“ zu versuchen. Dass das für die Gruppe zum Erfolg führt, darf aus unserer Sicht jedoch bezweifelt werden.
 
Anfang Oktober 2019 gab es das versuchte Massaker in der Synagoge in Halle, bei dem ein Rechtsradikaler zwei Menschen erschoss. Als Motivation nannte er typische Elemente rechtsradikaler Ideologien wie z. B. eine sogenannte Umvolkung oder jüdische Weltverschwörung, Feminismus als Zerstörer der Nation/des Volkes: Finden sich diese Inhalte und wenn ja in welchem Umfang auch in den Veröffentlichungen aus Schnellroda wieder? 
 
Der Verlag Antaios fällt seit Jahren dadurch auf, dass er Bücher verlegt, auf die sich Rechtsterroristen aktiv beziehen. Im Verlagsprogramm findet sich das Standardwerk zum „Großen Austausch“ von Renaud Camus, Texte des Bloggers „Fjordman“, an dem sich Anders Behring Breivik orientiert hat und auch das Buch, welches beim Komplizen des Lübcke-Mörders gefunden wurde – in einer Hasstirade gegen Walter Lübcke wurde dessen Name markiert. Zu diesem Thema gab es auch einen Redebeitrag von uns bei der Demonstration gegen die „Sommerakademie“ 2019 den wir aufgrund der Aktualität noch mal für den Anfang Januar erscheinenden Schnellroda-Newsletter aufgearbeitet haben. Natürlich wäre es falsch, das „IfS“ direkt mit dem Anschlag in Halle in Verbindung zu bringen, was jedoch nicht bedeutet, dass es im Umkehrschluss nichts damit zu tun hat. Neben den Bezügen zur publizierten Literatur des „Antaios-Verlages“ bleibt festzuhalten, dass an der „Sommerakademie“ 2019 Kader der „Reconquista Germanica“ teilnahmen, die sich in ihrem „meme-war“ auf dieselben Imageboards wie der spätere Attentäter bezogen.
 
Wie kann man euch vor Ort oder von außerhalb am besten unterstützen?
 
Wir freuen uns in erster Linie über Teilnehmer*innen auf unserer Demo am 11.01. in Schnellroda (oder den nächsten Demonstrationen). Ansonsten finden wir es auch wichtig, dass unsere Inhalte weiter verbreitet werden und dass Menschen das Problem in Schnellroda auf dem Schirm haben. Dazu bieten wir auch Vorträge an.
 
Von wo kann man eure Materialien und Rechercheergebnisse beziehen?
 
Unsere Broschüren erscheinen kostenfrei als PDF auf unserem Blog. Dort stellen wir auch zeitnah Redebeiträge und Analysen online. Ansonsten folgt uns am besten auf Facebook und Twitter. Auf Anfrage verschicken wir auch unser Infomaterial.
 
Welche anderen Anlaufstellen bzw. Materialien zu dem Kubitschek-Komplex könnt ihr empfehlen? 
 
Grundsätzlich möchten wir auf die Rechercheergebnisse von „Sachsen-Anhalt rechtsaußen“ verweisen, in denen viele Informationen zu den Akteur*innen des „IfS“ und der Verstrickung in andere Milieus dokumentiert sind. Allgemein zur „Neuen Rechten“ finden wir die Bücher von Volker Weiß sowie die verschiedenen Publikationen zur Identitären Bewegung empfehlenswert. Das „IfS“ selber scheint ein wenig ein blinder Fleck in einer kritischen Publizistik zu sein, die genannten Empfehlungen reißen das „IfS“ immer nur am Rande an. Wir hoffen daher auch, mit unseren Broschüren und Analysen zu weitgehender kritischer Auseinandersetzung mit der Ideologie und dem Wirken des „IfS“ anzuregen und eine Grundlage dafür bereitzustellen.
 
Welche rechtsradikalen Aktivitäten abseits von Schnellroda und der IB gibt es in Halle und der Region?
 
Es gibt im Saalekreis und in Halle über die sogenannte „Neue Rechte“ hinaus einige klassische Neo-Nazis, rechtsextreme Hooligans und andere gewaltbereite Faschist*innen. Am bekanntesten sind dabei wahrscheinlich die Aufmärsche des Hetzers Sven Liebich, die er regelmäßig in Halle stattfinden lässt. Zwar ist sein Publikum seit Jahren sehr klein, aber er verbreitet beständig faschistische Propaganda, stört Veranstaltungen und stachelt sein Gefolge zur Gewalt an, während Polizei und Justiz scheinbar keinen allzu großen Handlungsbedarf sehen. In der Region kam es vor allem zwischen 2015 und 2017 zu größeren Neonazi-Demos in Querfurt, Bad Lauchstädt, Merseburg, Eisleben und weiteren Orten. Die Oraganisator*innen haben sich jetzt aber anderen Betätigungsfeldern zugewandt wie Kampfsport und Rechtsrock.
 
In welcher Form werdet ihr von Stadt/Land und Zivilgesellschaft unterstützt oder behindert? 
 
Wir haben einige zivilgesellschaftliche Unterstützer*innen aus Halle und der Region, die unsere Veranstaltungen entweder begleiten, bewerben oder materiell supporten. Immer wenn wir aktiv auf Organisationen zugekommen sind, haben wir positives Feedback bekommen. Allerdings würden wir uns natürlich auch wünschen, dass noch mehr antifaschistische, zivilgesellschaftliche Gruppen von sich aus in Schnellroda oder der Umgebung aktiv werden. Von offizieller Seite sieht es da aber deutlich schlechter aus: Ohne jedes Argument stellt der Verfassungsschutz des Landes Sachsen-Anhalt Mutmaßungen in seinem Bericht darüber an, ob wir „extremistisch beeinflusst“ wären. Und die Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen im Saalekreis ist auch eher schwierig. Aber das sind wahrscheinlich Sachen, die inzwischen fast jede antifaschistische Gruppe treffen.

Erich Mühsam – Ein Nachruf

Erich Mühsam – in der Nacht vom 09. auf den 10.07.1934 im KZ Oranienburg von der SS gequält und ermordet.
Unbeugsam bis zum Schluss!
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Als Anarchist lehnte Erich Mühsam jede Herrschaft über sich und die Gesellschaft ab. Er war maßgeblich am Ausruf der Münchner Räterepublik beteiligt und engagierte sich bei der KPD-nahen Organisation Rote Hilfe Deutschlands für politische Gefangene. 1930 wurde er Mitglied der anarcho-syndikalistisch organisierten Freien Arbeiter Union Deutschlands (FAUD) und 1932 erschien im Fanal, einer anarchistischen Zeitung, deren Herausgeber Mühsam selbst war, seine programmatische Schrift „Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat. Was ist kommunistischer Anarchismus?“.
Er war einer derjenigen, der schon früh immer wieder vor der Gefahr des heraufziehenden Faschismus gewarnt hatte. Für die Nazis war er eine Projektion ihres Hasses sowohl optisch wie auch in seiner Denkweise und seinem Handeln. Ein Jude, der mit seinem zerzausten Bart und der gekrümmten Nase dem nahe kam, was sie in ihrer verblendeten Ideologie der Rassenlehre als das „typisch Jüdische“ gekennzeichnet hatten. Ein Utopist, Intellektueller, Menschenfreund, Staatsfeind, Agitator und Revolutionär. So verkörperte er alles, was die Nazis verabscheuten.
Er gehörte daher zu den frühen Opfern des NS-Regimes. Mit den Worten „Dieses rote Judenaas muss krepieren“, hatte Goebbels selbst Mühsams Ermordung befehligt (Vgl. Maußner, Hanne/Schiewe Jürgen (Hrsg.): Erich Mühsam. Trotz allem Mensch sein. Gedichte und Aufsätze. Stuttgart 2003).

Am 27.02.1933 brennt der Berliner Reichstag. Noch vor Ort im brennenden Gebäude wird Marinus van der Lubbe verhaftet. Er erklärt sich für den Brand alleinig verantwortlich mit dem Ziel, die deutsche Arbeiterschaft zum Widerstand gegen die faschistische Machtergreifung mobilisieren. Doch Göring stellt die Brandstiftung als Verschwörung der KPD dar und lässt noch in dieser Nacht eine große Zahl politischer GegnerInnen inhaftieren.
Am Tag darauf wird die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ erlassen, der Freischein für die Verfolgung politischer GegnerInnen des NS-Regimes. Nun entstanden die ersten Konzentrationslager.

Erich Mühsam versuchte zwar noch zu entkommen, doch auch er wurde in der Nacht des Reichstagsbrands verhaftet und in der 16 Monate andauernden „Schutzhaft“ bis zu seinem Tod von den Nazis immer wieder schwer misshandelt, gefoltert und gedemütigt. Sein Tod sollte schließlich als Suizid inszeniert werden, aber Mühsam machte ihnen einen Strich durch die Rechnung.

Am 06.07. wurde die Leitung des KZs Oranienburg einer anderen SS-Einheit überstellt und am Abend des 09.07. wurde Erich Mühsam zum Gespräch gerufen. Als er zurückkam, teilte er seinen Mithäftlingen mit, es sei von ihm verlangt worden, dass er sich erhängt, doch er weigerte sich. Noch in derselben Nacht holten ihn die SS-Leute ab. Am nächsten Morgen fanden seine Mithäftlinge den grausam verschandelten Leichnam aufgehängt im Abort.
Die Schlagzeilen lauteten: „Der Jude Erich Mühsam hat sich in der Schutzhaft erhängt“.

Seine Mithäftlinge dementierten öffentlich diese Verleumdung, sodass internationale Medien über Erich Mühsams Tod als das berichteten, was er war: Ein politischer Mord des Nazi-Regimes.
Mühsams Tod erregte großes Aufsehen und war ein früher und sehr eindringlicher Fingerzeig auf die terroristischen Taten der Nazis, doch ein gesellschaftlicher Aufschrei war auch schnell wieder vergessen und verhallte im Nichts.

Erinnern wir uns an seine Botschaft:

Freiheit in Ketten

Ich sah der Menschen Angstgehetz;
ich hört der Sklaven Frongekeuch.
Da rief ich laut: Brecht das Gesetz!
Zersprengt den Staat! Habt Mut zu euch!
Was gilt Gesetz?! Was gilt der Staat?!
Der Mensch sei frei! Frei sei das Recht!
Der freie Mensch folgt eignem Rat:
Sprengt das Gesetz! Den Staat zerbrecht! –
Da blickten Augen kühn und klar,
und viel Bedrückte liefen zu:
Die Freiheit lebe! Du sprichst wahr!
Von Staat und Zwang befrei uns du! –
Nicht ich! Ihr müsst euch selbst befrein.
Zerreißt den Gurt, der euch beengt!
Kein andrer darf euch Führer sein.
Brecht das Gesetz! Den Staat zersprengt! –
Nein, du bist klug, und wir sind dumm.
Führ uns zur Freiheit, die du schaust! –
Schon zogen sie die Rücken krumm:
O sieh, schon ballt der Staat die Faust! …
Roh griff die Faust mir ins Genick
des Staats: verletzt sei das Gesetz!
Man stieß mich fort. – Da fiel mein Blick
auf Frongekeuch und Angstgehetz.
Im Sklaventrott zog meine Schar
und schrie mir nach: Mach dein Geschwätz,
du Schwindler, an dir selber wahr!
Jetzt lehrt der Staat dich das Gesetz! —
Ihr Toren! Schlagt mir Arm und Bein
in Ketten, und im Grabverlies
bleibt doch die beste Freiheit mein:
die Freiheit, die ich euch verhieß.
Man schnürt den Leib; man quält das Blut.
Den Geist zwingt nicht Gesetz noch Staat.
Frei, sie zu brechen, bleibt mein Mut –
und freier Mut gebiert die Tat!

(Quelle: Sammlung 1898-1928, J. M. Spaeth Verlag, Berlin, 1928)

Edit: Mühsams Frau Zenzl versuchte seinen politischen, literarischen Nachlass zu retten und flüchtete trotz vorangegangener Warnungen ihres Mannes in die Sowjetunion. Er hatte sie gewarnt, weil Stalin schon zuvor AnarchistInnen als konterrevolutionär verhaften und teilweise umbringen ließ. Und natürlich konnte Stalin mit Mühsams Schriften nichts anfangen. 18 Jahre, bis 1955, verbrachte Zenzl Mühsam im Gulag und starb 1962 in Ost-Berlin. Erich Mühsams Anarchismus wurde von der DDR totgeschwiegen.

So wurde sein Leben grausam beendet von den Nazis, sein Andenken von ihnen beschmutzt und sein Vermächtnis von der DDR missachtet.
Doch wir erinnern uns heute an einen wahren Antifaschisten.

[Sophie Rot]

„Antifa ist Rechtsschutzversicherung“ – Interview mit Mensch Merz

Die Gruppe „Von nichts gewusst“ betreibt sowohl einen eigenen Blog als auch den Twitteraccount @menschmerz und gibt Vorträge. Spezialisiert hat sie sich auf die Identitäre Bewegung, ist aber auch zu anderen Themen des radikal rechten Spektrums mit einem profunden Wissen ausgestattet. Bereits im letzten Jahr hatten wir einb Interview vor der erfolgreich blockierten Demonstration der Identitären Bewegung in Berlin veröffentlicht. Nach gut einem Jahr gibt es wieder reichlich Gesprächsstoff, allen voran durch die von der Gruppe geführten Prozesse gegen rechte Medien und die FPÖ-Beteiligung an der Regierung in Österreich.
 
1. Gratulation erst einmal von unserer Seite aus zum gewonnenen Prozess gegen EinProzent. Worum genau ging es dabei?
 
Interviews mit schlechten Nachrichten zu beginnen ist wirklich nicht toll, aber: Wir haben nur einen ersten Teilerfolg gegen „EinProzent“ errungen. Das Landesgericht in Wien hat uns Recht gegeben. Allerdings ist das Urteil wegen der anstehenden Berufung vor dem Oberlandesgericht nicht rechtskräftig.
Doch worum ging es uns: Ausgangspunkt in dem konkreten Prozess war ein Artikel auf der Plattform von „EinProzent“. In diesem wurde Jerome unterstellt maßgeblich an schweren Ausschreitungen gegen das identitäre Hausprojekt in Halle beteiligt gewesen zu sein und mit seinen Vorträgen eine Art „geistiger Brandstifter“ dessen zu sein. 
Uns ging es nicht nur um die Beseitigung des konkreten Artikels – der im Besonderen für Jerome durchaus starke Konsequenzen hatte – sondern auch darum, dass wir uns als Linke, die konsequent von den unterschiedlichsten rechten Medien angegriffen und verleumdet werden, nicht alles gefallen lassen müssen. Und dass es Wege gibt, sich juristisch dagegen zu wehren und den Rechten Grenzen aufzuzeigen. 
 
 
2. Ein Prozent hat, wie du sagst, Rechtsmittel eingelegt, der Prozess wird also in der nächsthöheren Instanz verhandelt. Außerdem steht im Juni noch ein zweiter Prozess gegen Info Direkt an. Was genau wollt ihr damit erreichen?
 
Natürlich wollen wir gewinnen 🙂 Abseits dessen ist aber ein wichtiger Teil unsrer aktuellen Strategie, dass wir eine möglichst breite Öffentlichkeit mit diesen Prozessen erreichen wollen. Wir wollen auf die systematische Dimension dieser Hetzkampangen der Rechten hinweisen, die in Österreich längst Alltag sind. Dazu versuchen wir das Interesse von Pressevertreter*innen zu erreichen, wir halten aber auch Vorträge und schreiben selbst Texte, in denen wir unsere Erfahrungen reflektieren und in Verbindung mit den Erfahrungen anderer Personen, die schon solche Klagen geführt haben, setzen. Wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass solche Prozesse nicht nur durchaus sinnvoll sein können, sondern auch, dass sie zumeist eine sehr große Belastung für das Umfeld und die (politischen) Gruppen der klagenden Menschen sind. Belastungen, die wir aber solidarisch meistern können.
 
3. In aktuellen Vorträgen wird von euch über Anti-Antifa-Strategien von rechten Akteur*innen aufgeklärt, ihr selber seid auch Ziel davon. Die Prozesse sind eine Gegenwehr gegen rechtsradikale Verleumdungskampagnen. Wie gehen Rechte, vor allem über ihre eigenen Medien und Plattformen, vor und warum haben sie damit durchaus Erfolg?
 
Grundlegend ist es wichtig zwischen Österreich und Deutschland zu differenzieren. In Österreich ist die Situation in Angesicht von großen rechtsextremen Medien, wie unzensuriert, und kleineren – aber sehr stark in der Szene verankerten -, wie InfoDirekt, durchaus nochmal eine andere und durchaus „schlimmere“. Jedoch können wir in Deutschland allen voran in Bezug auf die AfD und außerparlamentarische Organisationen und Vereine, wie Pegida und EinProzent beobachten, dass es auch in Deutschland mittlerweile sehr starke rechtsextreme Stimmen gibt. 
 
Die Frage, warum solche personenfixierten Hetzkampangen Erfolg haben, ist nochmal schwieriger zu beantworten. Einer der Gründe, den wir immer wieder sehen, ist der, dass diese Artikel den Hass, der die Ideologie der extremen Rechten fundamental prägt, konkreten Personen zuordnen. Deswegen sind Hetzartikel gegen weibliche Personen meist auch nochmal viel krasser, weil sich dort dann nicht nur der Hass auf alles „Linke“ entladen kann, sondern auch noch die Misogynie der Rechten Raum findet. Die Artikel zu Sarah Rambatz bilden hierbei wohl traurige Höhepunkte. Die Ideologie der Rechten läuft am Ende immer auf die physische Eliminierung derer hinaus, die nicht in ihr Welt passen oder sich diesem fügen wollen. Diese Umstand manifestiert sich immer in der Rezeption der personenfixierten Hetzartikel. Denn immer sind die Ergebnisse schrecklichste Gewaltdrohungen, Aufrufe zum sexuellen Missbrauch oder gar Mord. Immer! 
 
Und in ganz bitterer Art und Weise ist grade diese Rezeption ein Erfolg. Denn welcher Mensch möchte sowas über sich lesen? Wer hat keine Angst, wenn online Tag für Tag Leute darüber diskutieren, wann und wie sie dich am besten zu Hause abpassen können? Einschüchterung wirkt. Erst recht, wenn wir uns anschauen, wieviele Tote und schwerst verletzte Menschen durch extrem Rechte seit 1945 verursacht wurden.
 
Ein anderer Moment für den Erfolg ist eng geknüpft an diesen, zum Teil auch von breiten gesellschaftlichen Schichten vertretenen Hass auf alles „Linke“. Es ist das bürgerliche Auftreten und die bürgerliche Inszenierung der extrem rechten Medien. In Österreich wird das Magazin „Info Direkt“ zum Beispiel nicht durchweg als rechtes Pamphlet erkannt, sondern Menschen nehmen die Berichte für bare Münze. Jerome wurde so zum Beispiel bei Vorstellungsgesprächen für Projekte auf die Artikel über ihn angesprochen. 
 
Es wird immer gefordert, dass Jugendliche mehr Medienbildung erhalten müssen. Das gilt wohl, grade auch, wenn es darum geht reaktionäre Quellen kritisch zu lesen, für große Teile der Gesamtbevölkerung.
 
4. Was schlagt ihr vor? Wie kann man sich schützen und dagegen vorgehen?
 
Es klingt nach einer alten Binsenweisheit. Aber allein unsere Erfahrungen während der bisherigen Prozesse haben wieder einmal gezeigt: Bildet Banden! 
 
Vielfach zielen die Taktiken der extremen Rechten daraufhin ab, einzelne Personen anzugreifen, sie zu separieren und dann fertig zu machen. Es ist wohl am allerwichtigsten starke solidarische Gruppen gegen diese Angriffe zu formen. Solche Prozesse, wie in unserem Fall, sind alleine gar nicht finanzier- und machbar. Die Wichtigkeit füreinander da zu sein und niemanden allein zu lassen, wird wohl immer wichtiger. Auch, weil in diesen Gruppen Erfahrungen verarbeitet, ausgearbeitet und geteilt werden können.
Und abgesehen davon, nur um das kurz anzureißen: Techniken wie Datenverschlüsslung, Aussageverweigerung, Umgang mit Repressionsbehörden uvm. werden in Zeiten wie diesen umso wichtiger. Also: Informiert euch! 
 
5. Auffallend ist in diesem Zusammenhang auch die Differenzierung im rechten Spektrum. In den letzten Jahren sind diverse Plattformenentstanden, seien es Facebookseiten, Twitteraccounts, Blogs, Onlinemagazine oder klassische Printmedien. Einige sind an Parteien oder Organisationen angeschlossen, so zum Beispiel die Sezession an das IfS (Instut für Staatspolitik) und unzensuriert.at mit enger Verknüpfung an die FPÖ. Der Gründer des völkischen Magazins „Blaue Narzisse“ bringt jetzt ein völkisches Wirtschaftsmagazin auf den Markt. Trotz einiger inhaltlicher Differenzen lässt man sich größtenteils in Ruhe. Wie seht ihr diese Entwicklung?
 
 
Diese Entwicklung ist ja durchaus nicht neu. Schon in den 1990er Jahren hatte Phänomene, die wir unter dem Label „Neue Rechte“ zusammenfassen, durchaus Erfolge zu verbuchen. Es gab dann halt nur eine längere Flaute und in diese sind dann Projekte, wie die vom IfS initiierte „Sezession“ gestoßen. Aber schon früh haben sich auch Medien, wie das von Menzel gegründete Projekt „Blaue Narzisse“ um zielgruppengerechte Onlineangebote bemüht. Es ist glaub ich wichtig auf diese längere Genese hinzuweisen und nicht alles als etwas abzutun, was in den letzten 3-5 Jahren entstanden ist.
 
Dennoch und das skizziert ja auch die Frage: Durch Soziale Medien wie Twitter, Facebook & Co. hat das alles natürlich nochmal einen enormen Auftrieb erlebt. Grade auch, weil es der extremen Rechten in den letzten Jahren mit der enorm starken Fixierung auf das Narrativ „Europa verteidigen!“ gelungen ist, eine Punkt zu finden, der durchaus in der Lage ist, starke Gräben zumeist kurzzeitig als Nebenbaustelle zu betrachten. Jedoch scheint es wichtig auch hier zu sagen: Das ist natürlich keine ewig währende Einheit. Immer wieder zeigen sich ja tiefe Risse. Sowohl in der Ideologie, als auch allen voran organisatorisch. 
In Österreich können wir schon lange eine enge Kooperation zwischen parl. Extremer Rechter, in Form der FPÖ, und Organisationen der außerparlamentarischen Rechten beobachten. Auch in Deutschland verstärkt sich durch die AfD diese Kooperation. Organisationen bekommen so Geld, rechte Personen Jobs, Institute werden gegründet, parlamentarische Anfragen können gestellt werden und vieles mehr. 
 
Das sind zwar alles in allem Entwicklungen, die nicht gänzlich neu sind. Fakt ist aber, dass sie aktuell extrem hohe Wirkungen gesellschaftlicher Gestaltungsmacht zu entfalten wissen. Und das ist durchaus eine Entwicklung, die nicht nur wir als äußert bedrohlich empfinden. 
 
6. Sowohl die AfD in Deutschland als auch die FPÖ in Österreich sind zentrale Bausteine im rechten Sektor. Die FPÖ ist inzwischen erneut in der Regierung und (ehemalige) Neonazis bekleiden Regierungsämter und arbeiten in den Ministerien. Innenminister Kickl hat mit einer loyalen Spezialeinheit den Verfassungsschutz raiden lassen. Welche Auswirkungen hat die ÖVP-FPÖ-Koalition auf die Gesellschaft?
 
Natürlich ist die Koalition zwischen ÖVP & FPÖ auf der Bundesebene wirklich enorm wichtig und auch äußert schnell und hart in der Umsetzung ihrer bisherigen politischen Agenden. Wichtig erscheint aber aus unserer Perspektive diese Fokussierung etwas aufzubrechen. Auch auf Landesebene gibt es in Österreich allerlei reaktionäre Koalitionen. Und immer wieder zeigt sich – aktuell auch in Wien – dass grade die SozialdemokratInnen immer noch stark gespalten sind in der Frage, wie sie denn nun mit den extrem Rechten umgehen sollen. Im Zweifel aber – so scheint es bisher zumindest – wird am Ende dann mit ihnen koaliert und versucht ihre Themen zu besetzen. Eine fürchterliche Strategie. 
 
Auf der anderen Seite aber hat die FPÖ seit Jahren sehr viel Mitspracherecht auf Ebene der Gemeinden und grade für kleinere lokale emanzipatorische Projekte, oder auch zum Beispiel Projekte der Jugendarbeit, hat dies seit Jahren bereits auswirken. 
Es ist falsch, die aktuelle Situation in Österreich nur auf die Koalition im Bund zu reduzieren. In diesem Land liegt noch viel, viel mehr im Argen. 
 
7. Wie macht sich das für Antifaschist*innen bemerkbar? Nimmt die Repression zu?
 
Grade im System der österreichischen Justiz befinden sich seit eh und je viele Menschen aus völkischen Burschenschaften. Auch die Polizei hat eine große Mehrheit in ihren Einheiten die sich politisch auf Seiten der FPÖ verorten. Der Umgang mit und gegen Antifaschist*innen war also schon vor dieser Koalition nicht so wirklich toll. Es sei hier nur an den Prozess gegen Josef erinnert der damals schon eine Farce war. 
 
Dennoch, dass sich sowohl das Innenministerium, als auch das Verteidigungsministerium in der Hand eines blauen Ministers befinden ist stark zu kritisieren. Dass mit Kickl eine Person zum Innenminister berufen wurde, der vorher immer wieder durch schlimmste Äußerungen und einen politischen Hardliner-Kurs aufgefallen ist, macht die Sache nicht unbedingt besser. 
 
Ob Repression wegen dem allein zunimmt ist an dieser Stelle schwer zu beantworten. Wichtiger ist wohl der Punkt, dass viele Ländern – grade innerhalb der europäischen Union – aktuell ihre Polizeieinheiten hochrüsten und immer mehr die Grenzen zwischen Militäreinheiten & PolizistInnen verschwimmen. Immer mehr und immer härter werden diese Einheiten dann auch eingesetzt. Es sei hier nur an die Tage von G20 erinnert, als österreichische und deutsche Spezialeinheiten die Schanze gemeinsam räumten. Die zunehmende Repression gegen widerständige Gruppen muss eher in dieser europäischen Dimension als Trend betrachtet werden. 
 
8. Relativ überraschend wurden führende Mitglieder der Identitären Bewegung Ziel von Hausdurchsuchungen und Ermittlungen. In den letzten Wochen lief es nicht unbedingt gut. Sellner wurde zwei Mal die Einreise nach Großbritannien verwehrt, die geplante Demo in Berlin wurde wegen finanzieller Probleme im Zusammenhang mit den Ermittlungen in Österreich noch nicht angemeldet. Wie ist der Status Quo der IB?
 
Es gibt derzeit gegen die „Identitäre Bewegung Österreich“ mehrere Ermittlungen. Eine – und in diesem Rahmen wurden die Hausdurchsuchungen durchgeführt – ist wegen dem Verdacht auf Verstöße gegen das Finanzstrafgesetz. Es wird hier davon ausgegangen, dass die verschiedenen Vereine der IB und der Versandhandel „Phalanx Europe“ Steuern hinterzogen haben. Andere Anschuldigen betreffen die Gründung einer kriminellen Vereinigung und Verhetzung. Hiervon sind diverse Führungskader und einige Sympathisanten betroffen. Wobei die hier vorgenommene Trennung so von der Staatsanwaltschaft aufgebracht wurde. Zur Zeit werden die verschiedenen Ermittlungen immer in einen Topf geworfen. Grade auch von den „Identitären“ selbst, die in den letzten Wochen immer mehr versuchen die wohl ziemlich sicher anstehenden Prozesse zur großen „Kadershow“ umzufunktionieren. Hierbei haben sich zuletzt allen voran Martin Sellner und Patrick Lenart hervorgetan. Die „Identitären“ scheinen – zumindest in Form ihrer Kader – die höchstmögliche mediale Aufmerksamkeit generieren zu wollen. Das mit dem Paragraphen bezüglich der Bildung einer kriminellen Vereinigung ein in Österreich durchaus Umstrittener ihnen auch in die Hände spielt, muss hier wohl nicht weiter ausgeführt werden.
 
Beachtenswert ist, dass es ihnen bislang durchaus gut gelingt den Fokus auf ihre Themen zu lenken. So ist zum Beispiel ihre internationale Vernetzung bislang kaum im Blickfeld der Medien und auch das Netzwerk, indem sie sich bewegen, wird fast gar nicht genauer betrachtet. Es bleibt zu hoffen, dass sich das noch im Verlauf ändern wird. Jedoch – und das zeichnet sich bereits jetzt ab – die derzeitigen Ermittlungen schränken die „Identitären“ stark ein. Sie können grade keine anderen Themen setzen und andere Projekte gehen zwangsläufig im Schatten eines möglichen Verbots unter. Die Frage ist wohl, wie sich die anderen Gruppen, allen voran in Deutschland und Frankreich dazu positionieren werden. Diese ganzen Dynamiken sind jetzt noch gar nicht abzusehen und einzuschätzen. 
 
Was aber bislang bleibt ist die traurige Erkenntnis, dass Österreich in der Auseinandersetzung mit der extremen Rechten weiterhin auf juristische Repression zu setzen scheint. Dass in Österreich grade aber zivilgesellschaftliche und demokratiestärkende Projekte mehr als bitter notwendig sind, geht bereits aktuell vollkommen unter. Solange Organisationen nur verboten werden, sich aber keine Projekte finden, die mit den Menschen arbeiten, die sich von solchen Ideologien angesprochen werden, werden sich immer wieder neue Organisationen gründen. Juristische Repression allein wird hier wenig ändern. Wenn sie denn überhaupt gelingt. Vielleicht stehen die „Identitären“ auch am Ende als große Sieger dar. 
 
9. Den Anspruch, eigenständig eine Bewegung darzustellen, hat die IB im deutschsprachigen Raum offensichtlich aufgegeben. Man fügt sich stattdessen in die Mosaikrechte ein und begnügt sich mit der Rolle eines(pseudo)aktivistischem Posterboys. Andererseits bemüht man sich immer noch um Immobilien und Stützpunkte. Welche Bedeutung hat die IB realpolitisch?
 
Die „Identitären“ sind ein wichtiger Teil der außerparlamentarischen Rechten in Deutschland und Österreich. Punkt. Klar, gemessen an ihrem eigenen Anspruch sind sie natürlich gescheitert. Aber wieviele neonazistische Gruppen wollten das 4. Reich aufbauen? Da hat auch kein Mensch immer gesagt: Oh, ihr seid gescheitert. Es ist aktuell viel wichtiger einerseits genau zu beobachten, wie sich die „Identitären“ weiterentwickeln, anderseits wo und wie sie ihre Leute in anderen Organisationen positionieren. Die „Identitären“ sind (immer noch) hervorragend vernetzt. Und das sogar durchaus sehr breit. Grade in Deutschland sind sie in einlösbarer Teil des großen Netzwerks rund um Götz Kubitschek und das IfS. Einige ihrer Kader sind immer noch wichtige Stimmen im rechten Diskurs und aktuell sind es eben die „Identitären“ die durch die Repression zu den großen „Märtyrern“ der Szene gemacht werden. Was eventuell ihre Position auch innerhalb der Szene nochmal stärken könnte. 
 
Auf der anderen Seite: Die aktuelle Taktik sich in Städten mittels Immobilien Stützpunkte zu schaffen und dort aktiv zu werden ist doch durchaus erfolgreich. Natürlich: An das große Vorbild „Casa Pound“ reicht das bei weitem nicht heran. Aber eine Situation wie in Halle, bei der dauerhaft eine Gefahr für Menschen von den dort festsitzenden Rechten ausgeht, ist schon krass. Und sie dort wegzukriegen ist äußert schwierig, wie aktuell alle Bemühungen vor Ort zeigen. Natürlich muss sowas immer auch in Relation gesehen werden. Nazis haben schon vor Jahrzehnten ganze Stadtteile terrorisierst. Neu ist das alles nicht. Aber: Die „Identitären“ werden wohl erstmal bleiben.
 
10. Seit unserem Interview im letzten Jahr hat sich die IB verstärkt auf Kampagnen konzentriert, die nicht mit dem klassischen Corporate Design versehen worden sind. Zum Beispiel die krachend gescheiterte Defend Europe-Aktion, die immer noch nicht veröffentlichte Patriot Peer-App (für die aber fleißig Spenden gesammelt wurde), die antifeministische Plattform „radikal feminin“ und die Kampagne „120db“. Warum verzichtet man auf das eigene Design und haben diese Kampagnen irgendwelche Erfolge vorzuweisen?
 
Anders als in Österreich wurden die „Identitären“ in Deutschland von Beginn an viel stärker in der Auseinandersetzung als „rechtsextrem“ bezeichnet & beschrieben. Das hat es ihnen von Beginn an durchaus schwer gemacht ihre Botschaften medial breiter zu streuen. In Österreich hat dieses semantische Verwirrspiel von ihnen ja jahrelang funktioniert. Das Corporate Design deswegen leicht zu verändern (wie bei Defend Europe) oder ganz wegzulassen (wie bei 120db) ist deswegen nur logisch. Das Ziel der „Identitären“ war immer an größere gesellschaftliche Debatten anzudocken und – nicht nur ihrer Logik folgend – gelingt sowas eben besser, wenn nicht von Anfang an feststeht, wes Geistes Kind du bist.
 
Fakt ist aber auch, dass die „Identitären“ sich in den letzten Jahren durchweg mit ihren Projekten übernommen haben. Apps, wie „Patriot Peer“, sind ein Projekt für ein mittelgroßes Unternehmen. Nicht sowas wie die „IB“. Auch bei „Defend Europe“ sind die Kosten ja explodiert und wären nicht amerikanische Gelder so stark geflossen, wäre die ganze Aktion sicherlich ziemlich schnell vorbei gewesen. Auch in kleineren Rahmen finden sich immer wieder dubiose Spendensammlungen, die dann irgendwie „verschwinden“.
 
Dennoch: Für ihre Zielgruppe sind die Aktionen bislang immer große Erfolge gewesen. Und das gilt es zu beachten: Aktionen richten sich ja nicht nur – wenn auch bei den „Identitären“ dominierend – an eine „Outgroup“, sondern sie haben für die Gemeinschaft auch immer formende Momente. So groß das Debakel der 120db Aktionen war: Diese Aktionen haben schon für ein neues Selbstbewusstsein bei den weiblichen Kadern gesorgt. Und aktuell wird zum Beispiel die Wiener Ortsgruppe der „IB“ sehr stark von weiblichen Kadern, die an dieser Aktion beteiligt waren, „wiederbelebt“. 
 
11. Viele rechtsradikale Orgas vernetzen sich inzwischen international. Ein Ideen- und Gedankenaustausch ist nicht neu, so haben Autoren wie Schmitt und Mohler international Einfluss ausgeübt und ein Franzose wie Benoist hat mit seinem Konzept der Metapolitik wiederum Personen in Deutschland und Österreich beeinflusst. Die unmittelbare Zusammenarbeit von antimodernen und faschistischen Gruppen und Parteien in diesem Ausmaß ist dagegen recht neu. Welche Gefahr geht davon aus?
 
Diese Frage vermischt einige Bereiche, die zwar alle miteinander verknüpft sind, aber dennoch getrennt werden sollten. Extrem Rechte Gruppen in Europa hatten immer schon, zum Teil außerordentlich, gute Kontakte untereinander. Es wird zwar immer so getan, als sei diese „Internationalität“, zum Beispiel bei den „Identitären“ was Neues. Mit Blick auf Netzwerke, wie „Blood & Honour“ können wir aber leicht sehen, dass solche Netzwerke die extreme Rechte in den letzten Jahrzehnten immer schon maßgeblich geprägt haben.
 
Aktuell erleben wir aber, dass Ideen, die Armin Mohler einst unter der „konservativen Revolution“ ideologisch motiviert subsummierte und die eigentlich vielmehr eine antiemanzipatorische Konterrevolution beschreiben, immer stärker gesamtgesellschaftliche Rezeption erfahren. Mit der AfD ist eine Partei in Deutschland groß geworden, deren Teile sich radikal völkisch verorten und in Österreich ist mit der FPÖ eine Kraft an der Macht, die in allen ausländischen Medien durch die Bank weg als rechtsextrem eingestuft wird. Auch in anderen Ländern, wie Polen, Ungarn, Tschechien uvm. sind die Autoritären in Positionen, die ihnen ermöglichen Gesellschaft radikal umzuformen. Letztlich haben wir es hierbei immer mit AntidemokratInnen zu tun. Ihr Ziel ist immer die Exklusion von Menschen und der Teilhabe von Menschen an Gesellschaft. Und hier ist auch die große Gefahr zu sehen. 
 
Neben all den direkten Übergriffen die Ideologien der Rechten zur Folge haben, erleben wir grade in vielen Staaten die Beseitigung emanzipatorischer Werte und Standards, für die in den Jahren zuvor hart gekämpft werden musste. Und diese Maßnahmen treffen Menschen hart. Geflüchtete, Menschen ohne Obdach, ohne Bildung, LGBT und so viele mehr. Letztlich muss klar sein: Diese Politik tötet. Abschiebungen nach Afghanistan töten, das Ausschalten von Hilfsorganisationen tötet. Das Einstellen von Winterpakten tötet. 
 
12. Wie wird sich eurer Meinung nach die radikale Rechte in Deutschland und Österreich in den nächsten Jahren aufstellen und welchen Einfluss kann sie ausüben?
 
Grade in Deutschland ist wohl die AfD einer der wichtigsten Player. Hier gilt es weiterhin genau zu beobachten, wer für sie arbeitet, wohin die Gelder fließen und wer mit ihnen kooperiert. Egal ob auf Landes- oder Bundesebene. Grade die anstehende Stiftung der AfD im Bund wird hierbei sicherlich „interessant“. Auch die diversen außerparlamentarischen AkteurInnen, wie EinProzent, IfS & Co. werden sicherlich dafür sorgen, dass sie weiterhin als Teil wahrgenommen werden und ihr Stück vom Kuchen bekommen. 
Jedoch haben grade die riesigen Neonazifestivals zuletzt auch gezeigt, dass der organisierte Neonazismus immer noch brandgefährlich ist in Deutschland und längst nichts, was eins nicht mehr beachten braucht. Hier gilt es wohl ebenso hinzuschauen.
 
In Österreich ist eine der großen Fragen, wie sich die Regierungsbeteiligung der FPÖ auswirken wird. So sind ja die völkischen Burschenschaften durch die Vernetzung mit der FPÖ mal wieder stärker auch in den Fokus staatlicher Repression gekommen. Die „Identitären“ scheinen aktuell darunter zu leiden, dass ihre Anliegen fast gänzlich von der FPÖ abgedeckt werden. Wie die AkteurInnen mit der Dominanz der FPÖ umgehen wird sich zeigen.
Jedoch und davon ist fest auszugehen: Die Vernetzung zwischen beiden Ländern wird wohl eher zu- als abnehmen. Grade die Gruppen rund um EinProzent, InfoDirekt, IfS & Co. haben in diese Vernetzung sehr viel Arbeit und Geld gesteckt und es ist wohl davon auszugehen, dass das weiter fortgesetzt wird. 

 

14. Und zum Abschluss: Wie geht es der Erdbeere?

 
Die Erdbeere ist immer noch sauer, dass sie beim Prozess gegen EinProzent nicht als Zeugin aufgerufen wurde. Es ging ja sehr viel um sie und ihre Postings in den sozialen Netzwerken. Sie hatte extra ein 3-seitiges Manifest verfasst: „Warum die fotosynthetische Revolution nur antifaschistisch sein kann“ und wollte dies eigentlich verlesen. Zum Glück ist es dazu nicht gekommen! 
Aber sonst geht es ihr gut. Derweil arbeiten wir beide fleißig an unserem neuen Vortragsformat. Hier wird die Erdbeere verschiedene Passagen aus den Büchern führender „Identitärer“ analysieren und kommentieren.

Die Banalität der Mitte

VON ERICH SCHWARZ

Zentrist*innen betonen gerne, wie schlimm doch beide Seiten sind. Ob man einen Genozid begehen will oder einen verhindern will, ist laut ihnen irgendwie das selbe.

Der Extremismus der Mitte zeigt sich hier besonders stark. Während Flüchtlingsheime brennen, muss die bürgerliche Mitte natürlich über Zuzugsbegrenzungen für Flüchtlinge diskutieren. Dahinter steht eine schweigende Zustimmung zum rassistischen Normalzustand in Deutschland.

Gegen die AfD zu sein ist ja irgendwie noch cool. Die unsägliche „87%“- Kampagne, durch die jede*r Deutsche, der die CDU oder andere ähnlich „progressive“ Parteien gewählt hatte, zum Gegenpol wurde, ist da nur die Spitze des Eisbergs. Hauptsache nicht die AfD gewählt. Horst Seehofer ist ja eigentlich ein toller Kerl.

In der Mitte ist es sicher. Da kann man aus einer „sicheren“ Position heraus Antifa und Neonazis gleichzeitig verurteilen. Dass man sich dann zum Anwalt für Neonazis macht, wird gerne übersehen. In der Regel werden eben nicht mehr eigentliche Grundregeln der Menschlichkeit beachtet.

Wenn Menschen im Meer sterben, hat die Mitte damit kein Problem. Passiert ja nicht in ihrem Vorgarten. Sie haben zwar dafür gestimmt, dass ein Spahn oder andere Frontex verstärken sollen, aber das kratzt ihr Gewissen nicht. Lieber auf die „Extremist*innen beider Seiten“ schimpfen. Die sind ja das eigentliche Problem. Nicht etwa breite Bevölkerungsschichten, die sich mit den Rechten solidarisieren.

Die AfD und der Versuch der Bewegungspartei

Seit ihrer Gründung befindet sich die AfD auf einem steten Rutsch hin zu einer rechtsradikalen und völkischen Partei. Inzwischen können weite Teile und ganze Landesverbände ohne größere Problematiken als klar faschistisch bezeichnet werden. Mit Höcke und Poggenburg sitzen zwei Personen im Bundesvorstand, die zudem Rassebiologie offen nach außen vertreten und inhaltlich sowie rhetorisch eine moderne, modifizierte Form des Nationalsozialismus darstellen können. Wie keine zweite Partei ist die AfD zudem darum bemüht eigenständige Demonstrationen und Veranstaltungen auf die Straße zu bringen. Die Linkspartei ist zwar auch sehr oft an Demonstrationen beteiligt, vor allem aber bei Gegenprotesten zu finden. In den letzten Wochen zeigt sich dagegen, dass die AfD bundesweit offen mit faschistischen und neonazistischen Gruppen kooperiert um Demonstrationen abzuhalten oder für sie zu mobilisieren

Berlin

 

Zuerst wäre da der sogenannte „Marsch der Frauen“ in Berlin 17.02.2018. Dieser wurde von der AfD-Politikerin Leyla Bilge angemeldet und massiv von der AfD und deren Umfeld beworben. Damit verfolgt die AfD eine ähnliche Strategie wie die NPD mit ihren „Nein zum Heim“-Demos 2013 und 2014. Diese wurden unter einem Tarnslogan (eben „Nein zum Heim“) angemeldet, waren also auf den ersten Blick nicht der NPD zuzuordnen. Die komplette Infrastruktur und das Personal waren von der NPD oder aus dem unmittelbaren Umfeld. Zur AfD-Demo in Berlin mobilisierten die faschistische Organisation „Ein Prozent“ aus dem Umfeld von Götz Kubitschek sowie die faschistische Identitäre Bewegung (sowohl auf den eigenen Seiten als auch über die Tarnkampagne „120 db“, welche aber direkt von der IB stammt). Personelle Unterstützung kam unter anderem von Lutz Bachmann und Pegida, es gab mehrere Livestreams von der Veranstaltung. Ebenfalls war Eric „Graziani“ Grünwald vor Ort, der schon bei den rechtsradikalen „Merkel muss weg“-Demos und den neonazistischen „Hand in Hand“-Demos als Redner beteiligt war. Das Publikum des Frauenmarsches bestand dementsprechend auch aus einem klassisch völkischen, faschistischen, neonazistischen, antifeministischen und männerdominierten Personenspektrum.

Gestern fand in Berlin die bis dato letzte Ausgabe der „Wir für Deutschland“-Demonstrationen statt, die 2016 und 2017 unter dem Slogan „Merkel muss weg“ firmierten. Bereits am 05.11.2016 hatte Roland Ulbrich von der „Patriotischen Plattform“, einem faschistischen Flügel der AfD, auf einer der Demos gesprochen. Das Berliner AfD-Mitglied Heribert Eisenhardt ist zudem sehr wahrscheinlich Administrator oder Redakteur der „Wir für Deutschland“-Facebookseite bzw. war es zeitweise. Zu der gestrigen Demo am 03.03.2018 rief die sächsische AfD-Politikerin Uta Nürnberger zur Teilnahme auf und redete zusammen mit wieder Roland Ulbrich (AfD) und Madeleine Feige (ehemals AfD und Initiatorin der „Wellenlänge“-Sachen im Raum Dresden) auf der Veranstaltung. Dort wurden Hitler- und Kühnengrüße gezeigt, es gab offenen Antisemitismus und Verschwörungswahn zu sehen.

Kandel und co

 

Am selben Tag, also dem 03.03., fand in Kandel ein rechtsradikaler Aufmarsch statt. Anlass war die Ermordung einer Fünfzehnjährigen durch ihren Exfreund, was durch Umstand, dass der Exfreund als Flüchtling nach Deutschland gekommen ist, instrumentalisiert wurde. Selbst gegen die Eltern der Ermordeten wurden Drohungen von rechter Seite ausgesprochen. Zu dem Aufmarsch mobilisierten neben diversen neonazistischen und kameradschaftlichen Gruppen die Neonaziband „Kategorie C“ und auch die AfD. Diese hatte den Fall medial maximal zur Selbstdarstellung ausgeschlachtet und zu diversen völkisch geprägten Veranstaltungen dort aufgerufen. Um die 2000 Rechtsradikale folgten dem Aufruf und wurden mehrfach gewalttätig gegen Anwohner*innen und Gegendemonstrant*innen, es gab mehrere Verletzte. Die Szenen erinnern teilweise an die erste Hogesa-Demo in Köln im Herbst 2014. Vor Ort waren auch mindestens 15 Abgeordnete der AfD.

Ähnliches ist auch schon in Cottbus passiert, als sich die regionale AfD zur Unterstützung der dortigen rechtsradikalen Demos entschieden hat. Für das Frühjahr hat die AfD zudem eine Demo im Regierungsviertel in Berlin geplant, genauere Details sind noch nicht bekannt. Außerdem wurde heute bekannt, dass die AfD das Kooperationsverbot mit Pegida aufgehoben hat, welches vorher eh schon mehrfach prominent unterlaufen wurde. Die Stoßrichtung dabei ist klar: Die AfD will sich als Bewegungspartei des völkisch-nationalistischen Flügels auf den Straßen etablieren. Dies ist ein notwendiger Schritt und zugleich Konsequenz aus dem unverhohlenen Machtanspruch, den weite Teile erheben. Man will eben nicht „nur“ die Regierung übernehmen, man will eine reaktionäre Wende der Gesellschaft einleiten und Deutschland wieder zu einer völkischen Nation machen, ganz im zeitgemäßen Sinne von Arthur Moeller von den Brucks und dessen Ideal eines dritten Reiches.

Vier Säulen für den Sieg

 

Zur Einordnung der aktuellen Strategie lohnt es sich einen Blick auf das Viersäulenmodell der NPD zu werfen: Kampf um die Straße, Kampf um die Köpfe, Kampf um die Parlamente und den Kampf um den organisierten Willen. Mit diesem wollte sich die NPD die Macht im Land holen, was bekanntlich mit ihrer Bedeutungslosigkeit scheiterte. Die AfD hat nun aber ungemein mehr Erfolg – und das mit teilweise keinen Unterschieden was Personal und Positionen angeht. Man darf davon ausgehen, dass die AfD tatsächlich an der Machtübernahme im Land plant. Personen wie Höcke oder Poggenburg lassen an den entsprechenden Ambitionen schließlich keinen Zweifel. Höcke spricht immer wieder von der AfD als Bewegungspartei und der letzten sowie einzigen Chance zur Rettung Deutschlands. Der Kampf um die Straße ist da selbstverständlich ein elementarer Teil.

Höcke selbst organisiert in Erfurt immer wieder Demonstrationen, die zeitweise über 4.000 Leute gezogen haben. Die AfD als Partei hat auch schon eine Demo in Berlin mit 3.000 Teilnehmenden organisiert, fürs Frühjahr ist wie gesagt die nächste angesetzt. Zusätzlich kooperiert man mit der Identitären Bewegung, die sich selbst wider der Realität als Bewegung bezeichnet und ansieht und hauptsächlich aktionistisch ist. Jetzt sammelt man sich noch Pegida ein und ruft zu diversen rechtsradikalen Aufmärschen auf oder organisiert sie gleich selbst. Die AfD versucht sich als bundesweite Klammer für das rechtsradikale Spektrum zu etablieren und unterschiedliche regionale Initiativen und Strukturen in ihr Netzwerk einzugliedern oder zumindest ins Umfeld zu bringen.

Prognose

 

Daher ist davon auszugehen, dass in Zukunft noch mehr offen rechtsradikale und neonazistische Veranstaltungen von der AfD veranstaltet werden (ob offen oder unter einem Tarnnamen) und weitere regionale Events eine Mobilisierung durch die AfD oder ihr unmittelbares Umfeld bekommen. Hilfreich ist hier der Umstand, dass die AfD einzelne Abgeordnete Beiträge mit Sharepics erstellen lässt und diese dann auf den Landesseiten, der Bundesseite oder auf den Seiten einzelner bekannter AfD-Mitglieder teilen kann. Auf Facebook und Twitter hat man zudem ein verlässliches Netzwerk an Supportern, die einen Teil der Mobilisierungsarbeit bereitwillig übernehmen.

Die Extremismustheorie – Ursprünge, Inhalt und Auswirkungen

Der politische Diskurs in Deutschland wird seit Jahrzehnten von der Extremismustheorie bestimmt. Aufbauend auf die Totalitarismustheorie wurde mit ihr der Kampfbegriff „Extremismus“ geschaffen, später politikwissenschaftlich legitimiert und ist bis heute Basis für Behörden und Geheimdienste in Deutschland. Die Extremismutheorie beruht ausschließlich auf formalen, nicht auf inhaltlichen Kategorien und ist seit ihrer Entstehungszeit massiven Konjunkturen unterworfen. Ihr Einfluss ist in sämtlichen Medien nachzuvollziehen und wirkt sich massiv auf die Betrachtung politischer Thematiken aus. Im Folgenden soll dargelegt werden, wie die Extremismustheorie entstanden ist, welche Zielsetzungen damit einhergehen und wie sie auf das politische Geschehen einwirkt.

Ausgangspunkt – die französische Revolution  

 

Der Extremismustheorie liegt eine eindimensionale Betrachtung des politischen Spektrums zugrunde. Dieses bildete sich während der Anfangszeit der französischen Revolution heraus und bestimmt bis heute die Denkweise politischen Handelns. In der verfassungsgebenden Nationalversammlung positionierten sich die Abgeordneten nach ihrer politischen Ausrichtung. Rechts saßen die Royalisten und links saßen die Vertreter der neuen, noch zu formenden bürgerlichen Republik. Wichtig ist hier anzumerken, dass es sich bei der französischen Revolution um den Übergang von einem absolutistischen Staat mit feudalistischer Gesellschaft hin zu einem bürgerlichen Verfassungsstaat handelt, wie er bis heute als Idealbild westlicher Staaten und Gesellschaften betrachtet wird. Die Bezeichnungen verfestigten sich im Laufe der Jahrzehnte und wurden um eine ausgleichende Mitte erweitert. Der Ursprung der Termini „links“, „rechts“ und „Mitte“ im politischen Sinne liegt im Umbruch der Revolutionsjahre beginnend 1789 und der Sitzordnung im Nationalkonvent.

Viele politische Theorien und Ideologien von heute gab es damals noch nicht. Insbesondere politische Forderungen, die heute als „links“ gelten, haben ihren Ursprung in der Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft und der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, die mit ihr gemeinsam Einzug hielt und die Gesellschaft massiv in der Struktur änderte. Sozialistische, kommunistische (später als marxistisch bezeichnet) und anarchistische Ideen beginnen ab den 1820ern an Popularität zu gewinnen, vor allem ab 1840 durch Veröffentlichungen von Proudhon, Marx, Engels und Bakunin. Dennoch hat sich das „Links-Mitte-Rechts-Schema“ fest im politischen Diskurs verankert. Wer sich heute für einen bürgerlichen Verfassungsstaat in Richtung der BRD einsetzt, wäre 1789 ganz weit links gewesen.

Totalitarismustheorie – der italienische Kampf gegen Faschismus und Kommunismus

 

Mit diesem eindimensionalen Politikverständnis konnte dann in Italien die Totalitarismustheorie entstehen, welche den direkten Vorläufer der Extremismustheorie darstellt. Nach dem Ende des ersten Weltkriegs war Italien ein instabiler Staat, unterschiedlichste Gruppierungen versuchten die Macht im Staat zu erlangen.

Trotz großer Kriegsanstrengungen und hoher Verluste bekam der italienische Staat nach Kriegsende nur einen kleinen Teil der Gebiete zugesprochen, die er sich erhofft hatte. Als Sieger aus den politischen und gesellschaftlichen Spannungen ging der Bennito Mussolini hervor, der schließlich die konstitutionelle Monarchie in den Jahren 1922 bis etwa 1928 in einen faschistischen Staat umwandelte. Er prägte den Begriff des Faschismus in seiner heutigen Bedeutung und lieferte die Grundlage (sowohl ideologisch als auch organisatorisch) für alle folgenden faschistischen Bewegungen und Regime.

Das System, welches Mussolini zu etablieren gedachte, wurde vom Italiener Giovanni Avendola als totalitär bezeichnet. Der Begriff wurde dann ausgearbeitet, damit er anschlussfähig an liberale und (national)konservative Spektren war. Ziel war es, die beiden großen Gegenspieler der Zeit – Kommunismus (in Form der Bolschwiki in Russland) und Faschismus – gleichermaßen zu diskreditieren. Ausgangspunkt der Analyse war hier der „totale“ Anspruch auf Staat und Gesellschaft. Alles solle von der Ideologie durchdrungen werden. Welche das nun sei, ist der Theorie egal. Eine der bekanntesten literarischen Auseinandersetzungen mit dem totalitären Ansatz liefert George Orwell mit „1984“.

Die eindimensionale Einteilung in links (Kommunismus), rechts (Faschismus) und Mitte (alles dazwischen) bot hier die praktische Grundlage, um zwei inhaltlich völlig verschiedene ideologische Richtungen gleichzeitig zu stigmatisieren. Dabei war die „Mitte“ hier nicht gleichbedeutend mit dem, was heute als „Mitte“ verstanden wird. Dort fanden sich auch reaktionäre, nationalistische, christlich-fundamentalistische und royalistische Kreise. Auch in Deutschland wurden das bolschewistische Regime in Russland und das faschistische Regime in Italien gleichgesetzt. Federführend ist hier der Sozialdemokrat Kautsky zu nennen, ein früher Kritiker des Bolschewismus. Die SPD beging ihren zweiten Hochverrat an der eigenen Sache und bediente sich der monarchistisch-nationalistischen Freikorps um linksrevolutionäre Bestrebungen niederzuschießen. Bekannteste Opfer davon sind Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und die Münchner Rärerepublik. Zudem verband sich in Deutschland schnell die Angst vor dem Bolschewismus mit dem grassierenden Antisemitismus und wurde dann zur jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung. Einem Wahn, den hauptsächlich die Nazis unentwegt verbreiteten.

Die Totalitarismustheorie orientiert sich dabei alleinig an der organisatorischen Ausprägung von Staat und Gesellschaft, nicht an den ideologischen Ausrichtungen. Durch die Doppelstrategie gegen Bolschewismus/Kommunismus auf der einen und den Faschismus auf der anderen Seite fand die Theorie schnell größeren Anklang in den bürgerlichen Gesellschaften. Auch in den USA, wo ab 1935 eine erste wissenschaftliche Kategorisierung des Totalitarismusbegriffes vorgenommen wurde und 1939 ein erster Totalitarismuskongress stattfand.

Der Erfolg der Totalitarismustheorie in den westlichen Staaten lässt sich durch die historischen Umstände erklären. Im Laufe des 19. Jahrhunderts hatten sozialistische, kommunistische und anarchistische Kräfte großen Einfluss innerhalb der Gesellschaften durch den organisierten Arbeitskampf erlangt. Der Erfolg war so groß, dass z. B. im Deutschen Reich erst die Sozialistengesetze zur Repression erlassen wurden, Bismarck dann wegen der Unmöglichkeit der Unterdrückung die Sozialgesetzgebung einführte. Seine Hoffnung, so den Einfluss der Gewerkschaften zu verringern, erfüllte sich nicht. Gewerkschaften und Parteien organisierten sich zudem international. Mit dem Sieg des Bolschewismus in Russland war nun erstmals eine kommunistische Gruppe an der Macht. Die bestehenden bürgerlichen und konstitutionell-monarchistischen Systeme fürchteten, dass das internationale Proletariat dem Beispiel Lenins folgen und eine Weltrevolution beginnen würde. Aus diesem Grund griffen dann auch die Staaten der Entente in den russischen Bürgerkrieg ein. Mussolini auf der anderen Seite schaffte es in Italien, die nationalistischen Kräfte zu bündeln und seinerseits die Macht im Staat zu erlangen. Daran orientierten sich dann wiederum andere Kräfte in anderen Ländern, am bekanntesten Hitler in Deutschland, aber auch Personen wie Mossley im britischen  Empire.   

Für die bestehenden Systeme gab es also zwei konkrete Gefahren:

den Bolschewismus/Kommunismus und den Faschismus. Die Totalitarismustheorie erfasst praktischerweise beide, weshalb sie von bürgerlichen Kräften als auch Royalisten gefördert wurde. Auch das Narrativ, die Weimarer Republik sei durch einen Zangengriff aus Kommunismus und Faschismus untergegangen, führt den Tenor der Totalitarismustheorie fort. Dabei werden hier einerseits beide Ausrichtungen als gleich dargestellt und es findet auch eine Entschuldung der Kräfte statt, die nicht faschistisch waren, aber mit der NSDAP kooperierten oder größere ideologische Überschneidungen hatten. Die Vertreter der sogenannten „konservativen Revolution“, monarchistische und nationalistische Kreise seien hier genannt. So waren es nicht kommunistische Kräfte, die Hitler zur Regierungsverantwortung verhalfen, sondern von Papen und die DNVP. In der allgemeinen Erzählung wird aber auch immer der KPD eine Schuld am Untergang der Weimarer Republik und dem Aufstieg Hitlers gegeben, den bürgerlichen Kräften aber eher selten.

Entwicklung hin zum Extremismusbegriff in der BRD 

 

Während des Zweiten Weltkriegs verlor die Totalitarismustheorie dann kurzzeitig an Bedeutung. Schließlich brauchte man die Sowjetunion als Partnerin im Kampf gegen Japan. Mit Beginn des Kalten Krieges wurde die Theorie wieder bedeutsamer. teilte sich die Welt nun in den bürgerlich-kapitalistisch ausgerichteten Westen und den realsozialistischen Ostblock. In der BRD entwickelte sich aus der Totalitarismustheorie im Laufe der Zeit die Extremismustheorie. Um ein weiteres Scheitern ähnlich der Weimarer Republik zu verhindern, wurde zu Beginn der BRD das Konzept der „wehrhaften Demokratie“ entwickelt. Der Staat soll durch seine Organe dazu in der Lage sein, den Verfassungsstaat und die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ gegen später als extremistisch bezeichnete Bestrebungen zu verteidigen, die die parlamentarische Demokratie grundlegend außer Kraft setzen oder abschaffen wollen – von außen oder innen. Anfänglich war der Begriff „radikal“ in den Behörden gebräuchlich, wie man unter anderem an dem „Radikalenerlass“ sieht. Dieser traf mehrheitlich linksorientierte Personen.

Behörden und Geheimdienste wurden jedoch mit Personen besetzt, die z.T. tragende Rollen im NS-Staat inne hatten. Als exemplarisches Beispiel sei hier der BND angeführt, der aus der Organisation Gehlen hervorging. Reinhard Gehlen, erster Präsident des BND, war Wehrmachtsoffizier und integrierte diverse ehemalige NS-Kader in die neuen Behörde. Auch beim Verfassungsschutz und dem BKA wurden ehemalige NS-Kader tätig. Eine umfassende Aufklärung über die eigene Vergangenheit blieb oberflächlich und der Feind stand, wie schon ein paar Jahre zuvor, im Osten und war kommunistisch.

Der Begriff des „Extremismus“ wurde erstmals im Verfassungsschutzbericht im Jahr 1973 als Verwaltungsbegriff eingeführt und hat sich aus dem zuvor und bis heute gebräuchlichen „Radikalismus“ entwickelt. Das Wort „radikal“ leitet sich vom lateinischen Wort für Wurzel ab: radix. Im politischen Kontext bedeutet das, dass die Gesellschaft von Wurzel auf, also grundlegend, verändert werden soll. Daher könnte man auch radikal demokratisch sein, wenn man in einem autokratischen Staat lebt. Mit Extremismus wird hingegen eine bestimmte Ausprägung beschrieben. Dieses Extrem stelle den äußeren Rand des radikalen Spektrums dar dar, welches sich vom Zentrum immer weiter entfernt hat. Eine konkrete Aussage über einen gesellschaftlichen Anspruch ist hier schon nicht mehr gegeben. Ab den 1980er Jahren wurde der Begriff Extremismus nachträglich mit politikwissenschaftlichen Definitionen versucht, zu legitimieren. Zunächst gab es eine Negativdefintion. Federführend waren dabei Uwe Backes und Eckhart Jesse. Durch eine Negativdefinition wird Extremismus als das Gegenteil bestimmter Eigenschaften definiert. Später kamen dann Positivdefinitionen hinzu, welche Merkmale aufstellen, die Extremismus selbst erfüllt.

Negativdefinition

 

Hier wird die Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates als zentrales Merkmal genommen. Der demokratische Verfassungsstaat ist durch Gewaltenteilung, Individualität, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus und Volkssouveränität definiert. Extremismus wäre nach Backes die Ablehnung dessen und der allgemeinen Normen und Regeln des modernen demokratischen Verfassungsstaates. Es werden negative Positionen zu bestimmten Merkmalen als ausschlaggebend für die Etikettierung als Extremismus genommen. Warum diese Normen und Merkmale abgelehnt werden, ist für die Definition irrelevant. Die Form ist ausschlaggebend, nicht der Inhalt – ein Element, das schon die Totalitarismustheorie prägte.

Positivdefinition 

 

Im Gegensatz zur Negativdefinition werden hier Merkmale aufgestellt, die Extremismus von sich aus erfüllt. Dadurch ist diese Definition exakter, ändert aber nicht das Grundproblem. Zu den Merkmalen von Extremismus zählen nach Backes Absolutheitsansprüche (offensiv und defensiv), Dogmatismus, Utopismus oder kategorischer Utopie-Verzicht, Freund-Feind-Stereotype, Verschwörungstheorien, Fanatismus, Aktivismus. Nach Armin Pfahl-Traughber sind es: exklusiver Erkenntnisanspruch, dogmatischer Absolutheitsanspruch, essentialistisches Deutungsmonopol, ein deterministisches Geschichtsbild, eine identitäre Gesellschaftskonzeption (Forderung nach politischer Homogenität) und das Denken in kompromisslosen Gegensatzpaaren.

 

Das Kernproblem

 

Grundlegend haben wir hier das Problem, dass der derzeitige Verfassungsstaat als sogenannte Mitte angenommen wird. Diese gesellschaftliche Mitte ist aber einerseits nicht fest definiert und andererseits auch nur als Ideal postuliert. Nehmen wir die Bundesrepublik im Jahr 1950: Frauen dürfen nur mit Erlaubnis des Ehepartners arbeiten, ausgelebte Homosexualität steht unter Strafe, Vergewaltigung in der Ehe ist straffrei, Umweltschutz kaum ein Thema, Aufarbeitung der NS-Vergangenheit findet nur oberflächlich statt, man wollte die deutschen Ostgebiete zurückhaben. All das war die „Mitte“ der Gesellschaft. Heute wäre man mit diesen Forderungen reaktionär, damals mit heute völlig selbstverständlichen Forderungen kein Teil der gesellschaftlichen Mitte gewesen.

Das Problem der Extremismustheorie ist, dass sie ein eindimensionales Politikverständnis hat. Es gibt eine Mitte und von dieser kann man sich entfernen. Je weiter man dies tut, desto extremistischer wird man. Und es wird als Mitte schlichtweg als die jetzige Ordnung genommen. Wichtig ist dabei der Umstand, dass der Begriff vom Verfassungsschutz verwendet wurde, bevor er in der Politikwissenschaft definitorisch auftaucht. Einige Politikwissenschaftler (es waren alles Männer) haben sich in den Dienst des Verfassungsschutzes gestellt und einen von ihm benutzten Begriff nachträglich mit einer Legitimation zu versehen versucht. Der Verfassungsschutz wiederum hat einen Begriff verwendet und eingeführt, für den es keine politikwissenschaftliche Definition gab. Es kann sich also aus politikwissenschaftlicher Sicht nur um eine Nachpräzisierung handeln, keine freie Forschung, da der Begriff schon durch den Verfassungsschutz vordefiniert wurde. Sehen wir uns sowohl die Positiv- als auch die Negativdefinitionen des Extremismusbegriff an, fällt eine Parallele zur vorher erläuterten Totalitarismustheorie auf.

Und zwar weisen beide Definitionsarten keinerlei inhaltliche Betrachtungen auf. Nehmen wir den Punkt „Ablehnung des Verfassungsstaates“. Eine faschistische Ideologie lehnt den Verfassungsstaat ab, weil sie ein hierarchisches Ein-ParteienSystem mit Führerprinzip anstrebt, einen ethnisch reinen und gesunden „Volkskörper“, ein militaristisches System und eine möglichst große Aufhebung der Individualität zur Stärkung der über allem stehenden Volksgemeinschaft. Eine anarchokommunistische Ideologie lehnt den bundesrepublikanischen Verfassungsstaat ab, weil er die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaftsordnung zementiert und das Eigentum schützt. Enteignungen von großem Kapital- und Immobilienbesitz sind ausgeschlossen. Der deutsche Nationalstaat darf nicht aufgelöst werden, eine basisdemokratisch kommunalverwaltete Regionalstruktur und eine Auflösung der kapitalistischen Produktionsweisen sind nicht möglich. 

Laut Extremismustheorie sind beide ideologischen Richtungen extremistisch und bedürfen keiner weiteren inhaltlichen Auseinandersetzung. Eine direkte Folge davon ist, dass in der breiten Öffentlichkeit nur ein rudimentäres Verständnis politischer Ideologien und Termini vorliegt. Weite Teile der Medienlandschaft affirmieren zum einen die viel zu simple links-Mitte-rechts-Einteilung und dazu Extremismustheorie. Anarch@a, Kommunist*innen, Stalos, Faschos, Neonazis, religiöse Fundis – sie alle sind gleichermaßen extremistisch und werden somit für die uninformierte Öffentlichkeit gleichgesetzt. In der Politikwissenschaft ist die Extremismustheorie wegen ihrer fehlenden inhaltlichen Aufarbeitung von Ideologien und der unmittelbar positiven Affirmation des bundesrepublikanischen Verfassungsstaates sehr umstritten und findet kaum größere Verwendung.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass die Verwendung der Extremismustheorie aus sehr vielen sehr guten Gründen zu vermeiden ist. Wann immer Personen dies tun, liegt vermutlich fehlendes Grundwissen politischer Ideologien vor. Von der Seite staatlicher Behörden stellt dies kein Problem dar, denn so werden unliebsame gesellschaftliche Strömungen gleichermaßen diskreditiert. Also was tun? Nennt die Kinder doch einfach beim Namen. Nationalismus, Faschismus, Antifeminismus und so weiter und so fort. Je präziser die Begriffsverwendung ist, desto schwieriger ist es auch, gegen diese argumentativ vorzugehen. Der Extremismusbegriff auf der anderen Seite ist wiederum sehr einfach auszuhebeln.

AfD im Bundestag: 8 Dinge, die du jetzt tun kannst

Ja, die AfD ist jetzt im Bundestag. Und mit ihr viele Rechtsradikale und Faschist*innen Menschen – die vom Rest der Partei toleriert werden. Die AfD ist eine faschistoide Partei. Das ist bitter, denn es ist das Ergebnis einer demokratischen Wahl. Die BRD hat in ihrer antifaschistischen Funktion auf die Gesellschaft offensichtlich versagt.

Man muss die Wahl und ihr Ergebnis als Weckruf sehen und anfangen, sich zu engagieren – was viele tun. Daher geben wir ein paar Tipps, wie ihr sinnvoll mit dem Kampf gegen rückständiges Gedankengut und für eine bessere Gesellschaft beginnen könnt.

1. Rote Hilfe beitreten

Machen wir uns nichts vor – im Kampf gegen faschistisches Gedankengut passieren auch mal Dinge, die nicht unbedingt mit der aktuellen Gesetzgebung im Einklang sind. Die Polizei sowie die Staatsanwaltschaften sind zudem dafür bekannt, es ihrerseits auch nicht immer so genau mit den Gesetzestexten zu nehmen und verteilen gerne mal Anzeigen, von denen sie vorher wissen, dass sie nicht zu einer Verurteilung führen. Der Staatsapparat kann sich das leisten, für Einzelpersonen ist das eine große Belastung.

Und genau hier kommt die Rote Hilfe ins Spiel. Sie ist der Rechtsbeistand für genau solche Fälle und trägt auch gerne mal die Hälfte der Prozesskosten. Sie kümmert sich um Personen, die auf einer Demonstration festgenommen wurden (zum Beispiel wegen einer friedlichen Sitzblockade) und wartet vor der Gefangenensammelstelle, bis alle draußen sind. Mit Kaffee und Keksen. Dafür braucht sie aber Geld. Mit einer Mitgliedschaft kannst du ganz praktisch dazu beitragen, dass aktiven Leuten in Not geholfen wird – und eventuell auch dir einmal, wenn du friedlich an einer Sitzblockade teilnimmst.

2. Kampfsporttraining

Dein erster Impuls wird vielleicht sein: „Aber ich will doch nur friedlich was gegen Faschos machen!“ Es wird auch niemand von die verlangen, in die nächste Nazikneipe zu rennen und eine Schlägerei anzufangen. Selbstverteidigung ist einfach eine sehr sinnvolle Sache. Du lernst dich und deinen Körper besser kennen, machst etwas für deine Fitness und triffst andere Leute. Die positiven Effekte von Sport sind in unzähligen Studien nachgewiesen, unter anderem führt sportliche Betätigung zu einer erhöhten Ausschüttung von Glückshormonen. Natürlich lernst du auch dich zu verteidigen – und das ist immer praktisch, auch ohne gewalttätige Neonazis im Hinterkopf. Die es aber auch gibt. Denn Rechtsradikale zeichnen sich auch durch physische Übergriffe auf sämtliche Personen aus, die nicht rechtsradikal sind. Wenn es dann mal dazu kommen sollte, bist du vorbereitet. Es ist auch völlig ok, wenn du verschiedene Sachen ausprobierst, wichtig ist aber ein Straßenfokus. Und vielleicht gibt es sogar ein linkes Gym bei dir in der Nähe – praktisch für weitere Kontakte.

3. Zeitung lesen

Wissen ist Macht. Diesen Spruch hast du bestimmt schon tausend Mal gehört. Aber da ist was dran. Vor allem wenn es um politisches Engagement geht, sollte man sich mit den ganzen Begriffen schon ein bisschen auskennen. Außerdem ist es super praktisch, wenn du anderen Leuten genau erklären kannst, warum Höcke ein Faschist ist, Feminismus überhaupt nichts Schlimmes bedeutet, was Dialektik eigentlich ist und wie Deutschland seine wirtschaftliche Macht zum Nachteil ärmerer Länder ausspielt. Zu all diesen Themen (und natürlich zu vielen weiteren) wurde schon eine Menge Bücher geschrieben. Die haben aber in der Regel den Nachteil, sehr anspruchsvoll und wortgewaltig zu sein, und eventuell auf aktuelle Entwicklungen nicht mehr genau zu passen.

Und genau dafür gibt es Zeitungen. Diese haben unterschiedliche Schwerpunkte und Ausrichtungen, liefern aber an sich einen guten Einstieg ins politische Tagesgeschäft. Ob du dir ein (Probe)Abo holst, erst mal die online kostenlos verfügbaren Artikel anschaust oder mal am Kiosk zugreifst, ist ganz dir überlassen. Falls es eine Tageszeitung sein soll, empfehlen wir das Neue Deutschland. Die hat sich in den letzten Jahren ganz ordentlich gemacht und ist dem direkten Konkurrenten, der Taz, durch ihre klarere Ausrichtung überlegen und verzeichnet weniger Totalausfälle in Artikelform. Soll es inhaltlich etwas anspruchsvoller sein, gerne auch mit konstruktiver Kritik gewürzt, ist die wöchentlich erscheinende Jungle World die erste Adresse. Hier gibt es auch immer wieder Sachen zum Islamismus zu lesen. Etwas theoretischer geht es dann in der monatlich erscheinenden Konkret zu, auch die Analyse & Kritik ist mal einen Blick wert.

4. Know your Nazis

Es ist wichtig, sich mit den problematischen Gruppen und Personen in deiner Nähe auszukennen. Genauso wie es auch wichtig ist, sich überregional über aktuelle Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten. Man muss ja schließlich wissen, mit was man es zu tun hat. Auf Deutsch erscheinen regelmäßig zwei antifaschistische Zeitungen, die sich speziell auf das nationalistische Geschehen konzentrieren: das Antifa Infoblatt und der Rechte Rand. Dort sind Hintergundartikel, Analysen und Recherchen zu finden. Im Laufe der Zeit solltest du auch in verschiedene Faschismustheorien reinschauen, um diesen genau ausmachen zu können.

Neben diesen Zeitungen solltest du schauen, ob du regionale Bündnisse und Strukturen hast. Auf Facebook lässt sich das leicht finden. Dort hast du auch noch weitere Infoseiten, die täglich Nachrichten aus dem linken Aktivismus teilen und teilweise auch selber schreiben. Dazu zählen zum Beispiel Antifa Info & Mobilisierungen, We’re Watching You, Aus der Geschichte nichts gelernt und All Fascists Are Bastards. Auch bei der Antifa Kampfausbildung geht es gesitteter zu, als der Name es vermuten lässt. Dazu gibt es dann immer diverse regionale Recherchestrukturen wie zum Beispiel die Recherche Nord oder Antifa Recherche Wien, die sich auf regionale Strukturen spezialisieren. Wichtig ist eigentlich nur, dass du dich informierst.

5. Support your local Antifa

In jeder Stadt/Region gibt es lokale Bündnisse und Strukturen bzw. Antifagruppen. Schau einfach online nach, was es in deiner Nähe so gibt. Ein bundesweiter Anlaufpunkt ist zum Beispiel die Interventionistische Linke. Vielleicht bist du aber auch eher an antirassistischen oder feministischen Gruppen oder an Stadtteilinitiativen interessiert, auch da gibt es sicherlich Sachen für dich. Schau dir die Angebote in Ruhe an und melde dich eventuell bei den Gruppen via FB. Vielleicht bieten diese offene Treffen oder sogenannte Antifa-Cafés an. Dort kann man sich mit Leuten treffen und vernetzen. Sei freundlich und frage nach, ob es so etwas gibt. Leider sind einige Gruppen nach außen hin sehr verschlossen, aber lass dich davon nicht entmutigen. Es gibt immer Möglichkeiten anzufangen.

6. Bewahre deinen eigenen Kopf

Es wird immer wieder Leute geben, die scheinbar mehr Ahnung als du haben, mehr gelesen, mehr dies, mehr das, mehr jenes. Und die versuchen werden, dich zu beeinflussen. Wichtig ist dabei, dass du dein selbstständiges Denken nicht verlernst. Rechte kommen gerne mit vielen Statistiken und komischen Herleitungen her. Das klingt imposant und macht Eindruck. Wenn es dann aber darum geht, am Ende doch nur Homosexuelle ins Lager zu stecken, ist das doch alles egal.

Auch gibt es keine Säulenheiligen. Nur weil Karl Marx mal was Schlaues geschrieben hat (ziemlich viel sogar), musst du das erst mal nicht als absolute Wahrheit hinnehmen. Verstehe die Gedankengänge und Aussagen, dann kannst du sie besser greifen und einordnen. Bei der Beschäftigung mit politischen Ideologien ist es wichtig, sich zu allem eine kritische Meinung zu bewahren. Versuche dabei aber freundlich und aufgeschlossen zu sein, niemand mag penetrante Arschlöcher.

7. Vorträge besuchen. Demotrainings etc.

Eine gute Möglichkeit Leute zu treffen und was zu lernen sind Veranstaltungen wie Vorträge, Filmvorführungen oder Demotrainings. Irgendwas findet auch in deiner Nähe regelmäßig statt. Zu einem Film oder einen Vortrag kann man auch mal Bekannte mitnehmen, damit man nicht ganz alleine da ist. Dazu musst du dich natürlich etwas informieren – über lokale Seiten und Twitteraccounts zum Beispiel. Da gibt es dann die ganzen Infos zu Sachen in deiner Nähe. Vielleicht entdeckst du so auch Initiativen in deiner Nähe, von denen du gar nichts gewusst hast und kannst dort mitmachen.

8. Be active

Neben dem regelmäßigen Informieren über rechte Aktivitäten ist auch wichtig selber aktiv zu sein. dazu gehören dann banale Dinge wie durch deine Nachbarschaft zu laufen und nach rassistischen Stickern oder Graffitis Ausschau zu halten. Diese kannst du dann entweder entfernen oder selber überkleben. Größere Dinge wie Stromkästen mit „Nazikiez“-Graffiti kannst du auch dem Energieunternehmen melden – und öffentlich Stress machen, wenn nicht darauf reagiert wird. Durch das Spazierengehen lernst du deine Ecke besser kennen und findest vielleicht raus, dass Rechte bei dir in der Nähe wohnen, weil es immer neue Sticker gibt.

Natürlich zählen dann auch Dinge wie Demoteilnahmen und Vorträge dazu. Vielleicht wirst du irgendwann mal selber Dinge organisieren wollen, für den Anfang kannst du aber in deinem direkten Umfeld vorsichtig mit politischen Themen anfangen. Auch hier mag niemand penetrante Arschlöcher. Laber deine Eltern nicht stundenlang voll, wenn es sie nur nervt und du nichts erreichst. Vielleicht gibt es Personen, die Sympathien für die AfD äußern oder ein bisschen nach Verschwörungstheorien klingen – hier kannst du ansetzen und versuchen, mit dem Wissen aus Zeitungen und Vorträgen die menschenfeindlichen Ansichten des Gegenübers auszuhebeln.