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Wie den Schoß unfruchtbar machen – über das Versagen im Umgang mit Rechten

Die Diskussion um den Umgang mit Rechtsradikalen ist insbesondere seit dem Aufkommen und wachsenden Erfolg der AfD recht prominent im gesellschaftlichen Diskurs. „Mit Rechten reden“ – oder nicht – ist ein allseits bekanntes Schlagwort geworden. Wie man jetzt mit der AfD und Einzelpersonen genau verfährt ist eine nicht immer einfach zu beantwortende Frage. Die Frage stellt sich allerdings schon etwas länger, Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ kann als Türöffner für den heute noch aktuellen Diskurs bezeichnet werden. Hierbei spielt die SPD-Mitgliedschaft Sarrazins die entscheidende Rolle. Wäre sein Buch von einem NPD-Funktionär oder beim Kopp Verlag erschienen, es hätte niemanden außerhalb kleiner rechtsradikaler Kreise interessiert. Wenn ein Rechter ein rechtes Buch schreibt, dann ist der Inhalt erwartbar. Mit dem Parteibuch der SPD und der Vergangenheit als Finanzsenator in Berlin war Sarrazin aber mit dem Gütesiegel der bürgerlichen „Mitte“ versehen und theoretisch ja sogar so was wie ein Linker.

Allein durch diesen Umstand konnte das Buch bei einem renommierten Verlagshaus erscheinen, welches mehr Mittel und Wege für das Marketing zur Verfügung hat. Außerdem konnte man „Deutschland schafft sich ab“ als Skandalbuch eines Politikers verkaufen, der jetzt endlich mal die Wahrheit auftischt, auch wenn das Establishment diese nicht hören will. Gegen diese Kombination aus gefühlten Wahrheiten und Rebellenpose konnte man anschreiben wie man wollte, mit Logik und Argumenten kam man dem nicht bei. Wer liest denn schon ernsthaft ein Buch und prüft dann selbstständig die Argumente und Fakten nach, um sich dann ein fundiertes Urteil über den Inhalt zu erlauben? Eben. Mit „Deutschland schafft sich ab“ wurde eine für die breite Öffentlichkeit neue Sprache in den Mainstream eingeführt. Der Historiker Volker Weiß hat dazu geschrieben und das genau analysiert. Wer mehr dazu wissen möchte, kann dies in seinem Buch „Deutschlands Neue Rechte. Angriff der Eliten – Von Spengler bis Sarrazin“ nachlesen.

Worum geht es, was läuft falsch?

 

In der Wochenzeitung Die Zeit ist vergangene Woche in der Reihe 10 nach 8 ein Text von Verena Weidenbach erschienen, der sich auch mit dem Thema des Umgangs mit der AfD beschäftigt. Vorweg: Der Artikel ist sehr gut und eine unbedingte Leseempfehlung. Er unterscheidet sich wohltuend von anderen Artikeln, da er eine klare Position vertritt und zu erkennen gibt, dass Weidenbach tatsächlich Ahnung von der Materie hat. Sehr oft hat es nämlich den Anschein, dass Personen über Antifaschismus (hier im Sinne des allgemeinen Kampfes gegen Rechtsradikale in allen Betätigungsfeldern zu verstehen) und die politische Rechte schreiben, die keine oder nur sehr rudimentäre Erfahrung und Sachkenntnis in dem Bereich haben. Es ist ja erst einmal nicht verwerflich, wenn Personen sich nicht auskennen. Zum Problem wird es dann, wenn man sich ohne Kenntnis des konkreten Gegenstandes ein Urteil erlaubt und dieses dann auch noch der breiten Öffentlichkeit präsentieren kann.

Viele der Diskussionsbeiträge zum Thema „Mit Rechten reden“ und „Umgang mit Rechten/der AfD“ lesen sich sich so, als ob die für den Beiträge verantwortlichen Person nichts über konkrete antifaschistischer Arbeit und die dazugehörenden Probleme wissen. Auch eine Kenntnis rechter und rechtsradikaler sowie politikwissenschaftlicher Theorien und Begriffe allgemein ist oft schmerzlich zu vermissen. Das trifft nicht nur auf Journalist*innen zu, wiegt hier aber schwerwiegender. Dies soll an drei Beispielen genauer ausgeführt werden. Als erstes dient ein relativ bekanntes Zitat Bernd Höckes aus einer Rede im Jahr 2018:

«Wir werden die Macht bekommen – und dann werden wir das durchsetzen, dann werden wir das durchsetzen, was notwendig ist, damit wir auch in Zukunft noch unser freies Leben leben können. Dann werden wir nämlich die Direktive ausgeben, dass am Bosporus mit den drei großen M – Mohammed, Muezzin und Minarett – Schluss ist.»

Wessen Theorie ich nicht kenn…

 

In Bento, dem Portal des Spiegels für Jüngere, wird daraus dann, dass „er nach einer Machtübernahme der AfD in Deutschland auch vor der Türkei nicht haltmachen will. Den Islam wolle er dem Land dann verbieten.“  In der Welt wird fabuliert, dass „ihn auch Muslime am Bosporus fürchten“ müssen. Was beiden Autoren hier fehlt, ist die Kenntnis von Carl Schmitts Begriff des Politischen. Dieser ist einer der wichtigsten Einflüsse auf das politische Denken der Rechten und bildet die Grundlage für den Ethnopluralismus. Kurz gesagt, es geht um die räumliche Trennung von in sich geschlossenen politischen Einheiten. Höcke will also nicht der Türkei den Islam verbieten, er will den Islam und seine Anhänger*innen bis zum Bosporus räumlich begrenzen. Für ihn stellt der europäische Kontinent eine christliche Einheit dar, die man in dieser Form auch erhalten muss. Die Konsequenzen für den bereits historisch Jahrhunderten inklusive Islam multikonfessionellen Balkan sind interessanterweise niemandem eine Erwähnung wert.

Die fehlende Kenntnis der ideologischen und weltanschaulichen Grundlage führt dann zu einer inhaltlichen Verfälschung und wird an die Lesenden weitergegeben. Die Funktion der Journalistin, das Gesagte möglichst korrekt einzuordnen und kontextuell dem möglicherweise unwissenden Publikum aufzubereiten, ist hier vollständig abhanden gekommen und wird sogar in das Gegenteil verkehrt, da man Ver- statt Aufklärung liefert. Fehler wie diese sind symptomatisch für den deutschen Journalismus und demzufolge auch für den öffentlichen Diskurs.

Es ist erstaunlich, wie unpräzise mit Begriffen aus den Sozialwissenschaften und der politischen Ideengeschichte umgegangen wird. Ein prominentes Beispiel ist Ulf Poschardt, Chefredakteur der Welt-Gruppe. Seit fast 30 Jahren ist er in journalistischen Toppositionen beschäftigt und versagt regelmäßig an simpelsten Themen. Die G20-Proteste waren für ihn „Faschismus von links“ und Hamburg wurde zum „Bürgerkriegsgebiet“. Beides ist so offenkundig hirnrissig, dass man sich gar nicht erst zu einer Erwiderung herablassen möchte. Es gibt nur zwei Erklärungsmöglichkeiten:

1. Poschardt weiß, dass er die Begriffe falsch benutzt und insbesondere den Faschismusbegriff gegen jedwede halbwegs vernünftige Faschismustheorie einsetzt. Er entscheidet sich bewusst dagegen, verfälscht und lügt.

2. Er hat keine Ahnung, was diese Begriffe bedeuten.

Beide Optionen sind für eine Person in seiner Position eigentlich untragbar und zeugen in jedem Fall davon, dass ihm die fachliche Kompetenz fehlt, die sein Posten eigentlich erfordern sollte. Da wir von der Welt-Gruppe reden, ist diese Art von Hufeisenverfälschung hingegen sogar exakt die Art von Qualifikation, die es für den Job braucht.

Handzahme Uninformiertheit – leichtes Spiel für Rechtsradikale

 

Ein Beispiel, bei dem sich sowohl fachliche Inkompetenz und völliges Unvermögen im Umgang mit Rechtsradikalen finden, ist das Interview mit im ZDF Morgenmagazin mit Jörg Meuthen nach dem Terroranschlag von Halle. Mit zahnlosen Fragen über bestimmte Formulierungen Höckes versuchte man Meuthen beizukommen, der diese weitestgehend ignorierte und die bekannte Opferrolle darbot. Scharfe Nachfragen gab es nicht, die fünf Minuten ließen eh keine Zeit um Meuthen ernsthaft in eine Ecke zu drängen. Aus journalistischer Sicht war dieses Interview eine Vollkatastrophe und Blamage. Dabei hätte man, wenn man schon einem rechtsradikalen Spitzenpolitiker Sendezeit einräumt, ihn mit seinen eigenen Aussagen konfrontieren können.

Dem ZDF Morgenmagazin lagen garantiert die Aussagen des Halleattentäters aus dem Video und dem Manifest vor, waren diese doch schon am selben Abend mit ein wenig Recherche zu finden. Wenn wir das schaffen, dann auch ein Großbetrieb wie das ZDF. Es war bekannt, dass der Attentäter an die jüdische Weltverschwörung und den gesteuerten Bevölkerungsaustausch glaubt. Nicht nur gibt es dazu aus den Reihen der AfD unzählige zustimmende Aussagen, Meuthen selber hat sich diesbezüglich mehrfach selber geäußert. In einem Facebookpost führte er aus, wie George Soros die Flüchtlingsströme nach Europa lenken würde und was die SPD damit zu tun hat. Der sonst üblicherweise lautstark von AfD-Mitgliedern verbreitete Verschwörungsmythos des gesteuerten Bevölkerungsaustauschs wurde hier rot angepinselt und somit zur jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung light.

Man konnte also wissen, mit wem man es zu tun hat und das Meuthen selbst ideologischer Wegbereiter der Weltsicht ist, die zwei Menschen in Halle das Leben kostete und fast zu einem Massaker in der Synagoge führte. Und da wir vom ZDF Morgenmagazin reden, kann man dieses Wissen erwarten. Es handelt sich schließlich nicht um einen alleine betriebenen Youtube-Channel, sondern um eine der Flagschiffsendungen eines Senders mit einem Umsatz von über 2 Milliarden Euro jährlich. Für gute Rechercheleute bleibt aber wohl nicht viel übrig. Meuthen konnte sich relativ gefahrenfrei durch ein zahnloses Kurzinterview navigieren. Erkenntnisgewinn: Null

Die journalistischen Versäumnisse im Umgang mit Rechten haben dazu geführt, dass dieses Jahr die ARD-Talkshows „hart aber fair“ mit Frank Plasberg, „Maischberger“ und „Anne Will“ sowie die ZDF-Sendung “ Maybrit Illner“ den Negativpreis „Die goldene Kartoffel“ erhalten haben. Wohl verdient, wie nicht nur das (nicht mit dem Preis bedachte) Morgenmagazin mit dem Meuthen-Interview zeigte. Sandra Maischberger lädt anlässlich des AfD-Parteitags in Braunschweig Meuthen als Gast ein, um über den Kampf von „Moderaten“ und „Radikalen“ in der Partei zu sprechen. Ohne die Sendung gesehen zu haben, lässt schon die Ankündigung Schlimmstes befürchten.

Keinen Plan, aber Hauptsache irgendwas mit Populismus und Extremismus

 

Ein wirklich eklatantes Problem stellt die offenkundige Begriffslosigkeit dar. Man versteckt diese hinter der Nutzung einiger Schlagwörter, mit denen man meint den Gegenstand korrekt erfasst zu haben und muss sich nicht mit lästigen Fragen über die korrekte Begriffsverwendung rumschlagen. Die am häufigsten benutzten Begriffe sind dabei rechtspopulistisch und rechtsextrem. Was genau diese Begriffe jetzt inhaltlich bedeuten, wird dabei selten klar und eigentlich auch nie erklärt. Man geht davon aus, alle wüssten schon, was gemeint ist. Nun handelt es sich dabei aber um Begrifflichkeiten, die man tunlichst unterlassen (rechtsextrem) oder nur sehr begrenzt (rechtspopulistisch) verwenden sollte.

Mit dem Begriff des Rechtsextremismus verwendet man einen Begriff des Verfassungsschutzes, gegründet von Exnazis und Antikommunisten, welcher der Extremismustheorie entstammt. Diese ist in den Sozial- und Politikwissenschaften aus gutem Grund kaum in Verwendung, der ihr Erklärungsgehalt sehr marginal ist und zudem eine ideologische Ordnung der politischen Landschaft vornimmt, welche statt auf Inhalte auf (vermeintliche) Äußerungsformen zurückgreift. Mehr dazu kann man hier nachlesen: https://rambazamba.blackblogs.org/2018/02/15/die-extremismustheorie-urspruenge-inhalt-und-konsequenzen/. Wer das Denken des Verfassungsschutzes nicht reproduzieren will, sollte daher diesen Begriff aus dem Wortschatz streichen. Beim Begriff des Populismus handelt es sich nicht direkt um einen extremismustheoretischen Ausdruck. Er wird in den Sozialwissenschaften häufiger verwendet, konzentriert sich aber ebenso wie der Extremismusbegriff vor allem auf die Form, nicht auf den Inhalt. So kommt es dann zustande, dass Rechts- und Linkspopulismus und -extremismus häufig im selben Atemzug genannt und gedacht werden, ohne das es um konkrete Inhalte ginge. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der ständige Vergleich von den Aussagen einer AfD-Person und gleichklingenden Formulierungen Hitlers oder einer anderen Nazigröße, wobei es den Vergleichen in der Regel ausschließlich um die Form, also die Formulierung, geht, und eher selten um das inhaltlich damit Ausgedrückte. Wie man den Populismusbegriff mit Bedacht auf seinen beschränkten Erklärungsgehalt einsetzt, kann man in einem Artikel von Floris Biskamp im Katapult Magazin sehen.

Form vs. Inhaltslosigkeit und Sachunkenntnis

 

Dieses Konzentrieren auf die Form ist dann auch einer der großen Schwachpunkte im Umgang vieler Medien mit Rechten, sowie allgemein im öffentlichen Diskurs. Wenn man vorrangig auf das wie achtet, und nur rudimentäre Kenntnisse über rechte Weltanschauungen und Theoriegebilde hat, kommen solche eklatanten Fehler wie bei der eingangs aufgezeigten Fehlinterpretation Höckes raus. Wie soll man denn argumentativ etwas entgegensetzen, wenn man das Gesagte kaum verstehen und ideengeschichtlich einordnen kann? Selbstverständlich ist es zu viel verlangt, von allen Journalist*innen eine umfangreiches Kenntnis rechter Ideologien zu erwarten. Man darf aber erwarten, dass etablierte Medien mit entsprechender Vernetzung und Budget über Kontakte verfügen, die sich wirklich mit dem Thema auskennen. Warum hat das ZDF kein zentrales Rechercheteam zur radikalen Rechten? Mit nur fünf Personen hätte man ein ausreichend großes Team, um eine Datenbank zu erstellen und aktuelle Entwicklungen im Auge zu behalten, so dass sämtliche Sendungen darauf zurückgreifen könnten. Bei der gesellschaftlichen Relevanz des Themas sind fünf Festanstellungen bei einem Jahresbudget von zwei Milliarden sicherlich drin.

Neben dem Fokus auf das Formale fällt zudem eine oftmals schlechte Kenntnis von Äußerungen jenseits prominenter Reden oder Aussagen auf. Gaulands Vogelschiss und seine Boatengäußerungen sind bekannt, seine Rede in Schnellroda dagegen findet keine Beachtung. Dabei stellt er dort in der Keynote Winterakademie 2019 des IfS ganz klar sein antisemitisches Weltbild unter Beweis und aktualisiert die antisemitische Chiffre des wurzellosen Kosmopoliten in die Jetztzeit. Auch Meuthen und Weidel haben dort geredet und rechtsradikaler als in dieser sich als Kaderschmiede des Rechtsradikalismus verstehenden Institution geht es in Deutschland kaum.

Süßer die Schellen nie klingen

 

Was den Artikel in der Zeit von ganz vielen anderen Artikeln abhebt, ist die Detailkenntnis des rechtsradikalen Spektrums. Hier ist eine Person, namentlich Verena Weidenbach, die sich mit den Originalquellen beschäftigt hat und somit nicht auf die üblichen Diskursmanöver der Rechten hereinfällt. Wie so etwas aussehen kann, hat der bereits erwähnte Volker Weiß vorgemacht. Bei einer Fachtagung in Halle ist auch der Faschist Tillschneider von der AfD anwesend und versucht nach Ende von Weiß‘ Eröffnungsvortrag, diesem ans Bein zu pinkeln. Tillschneider stellt sich in eine angeblich demokratische Tradition der „Konservativen Revolution“ aus Weimarer Zeiten bis heute. Weiß ist Historiker und kennt daher vermutlich die Publikationen der 20er besser als Tillschneider selber und zerlegt diesen dementsprechend mit seiner Replik:

„Die Autoren, auf die man sich in Schnellroda [dort sitzt das Institut für Staatspolitik, Anm. d. V] beruft, haben die Demokratie, die Weimarer Demokratie, verachtet. Und das haben sie immer wieder gesagt, geschrieben und betont. Die können Sie jetzt nicht plötzlich demokratisch vereinnahmen. Dafür hätte Sie Ernst Jünger ausgelacht, Oswald Spengler hätte Sie ausgelacht, Moeller van den Bruck hätte Sie ausgelacht.“

Tillschneider, Faschist und einflussreicher Politiker in der Landes-AfD, kann dem nichts entgegensetzen. Er weiß ja selber, was diese Leute geschrieben haben. Und er weiß auch, dass Volker Weiß ihm das jederzeit nachweisen kann. Dieses mag Störmanöver bei Anne Will oder Frank Plasberg funktionieren, die vermutlich noch nie den Namen Moeller van den Bruck gehört haben und auch inhaltlich wenig zum Thema sagen können. So wie Weiß hier Tillschneider zerlegt hat, so kann man dann auch tatsächlich mit Rechten reden. Man darf ihnen nur nicht die Initiative überlassen und muss sich fachlich gut auskennen. Und vor allem kommt es auf das Setting an.

Mit Rechten kann man nicht reden – Frankfurter Buchmesse 2017

 

Negativbeispiele dafür, wie man es nicht tun sollte, lieferte die Frankfurter Buchmesse. Wer auch immer auf die Idee gekommen ist, 2017 den Antaios Verlag von Kubitschek direkt neben die Amadeu-Antonio-Stiftung und die Bildungsstätte Anne Frank zu platzieren, muss ordentlich am Klebstoff geschnüffelt haben. Der Gedanke war vermutlich, dass man die Rechtsradikalen durch das Fachpersonal direkt nebenan entschärfen könne. Wer sich auch nur ein wenig mit dem Konglomorat von Götz Kubitschek auskennt (Antaios, Sezession, IfS, Ein Prozent) und seinem Umfeld auskennt, weiß, dass das keine gute Idee ist. Dem geistigen Ziehvater der Identitären geht es ja nach eigenem Bekunden nicht um Dialog und Diskurs, sondern um deren Zerstörung. Worauf Weidenbach in ihrem Zeit-Artikel auch verweist. Folgerichtig machten verurteilte rechtsradikale Gewalttäter Stress und es kam zu Tumulten, bei denen sich die Rechten fast nach Belieben selber in Szene setzen konnten. All das wäre vermeidbar gewesen. Man hätte nur mal die Leute fragen müssen, die sich mit Kubitschek auskennen.

Auf ganz grandiose Art und Weise ist dann auch Daniel-Pascal Zorn gescheitert. Dieser ist Autor des programmatischen Buches „Mit Rechten reden“. Genau das hatte er vor und begab sich auf der Buchmesse in eine Diskussion mit Martin „Lichtmesz“ Semlitsch, Autor bei der Sezession und ebenfalls ideologischer Vordenker der Identitären. Man weiß nicht genau, um was es in dem Gespräch ging. Was man aber weiß, ist die publikumswirksame Inszenierung dieses Gesprächs von Seiten Semlitschs. Dieser veröffentlichte schlicht ein Bild in den sozialen Netzwerken, welches ihn im Gespräch mit einem Autor zeigt, der gerade in allen Feuilletons besprochen wird. Was hat dieses Reden mit einem Rechten also gebracht? Eine willkommene Möglichkeit der Selbstinszenierung als akzeptabler Gesprächspartner. Was hat es nicht gebracht? Irgendwas im Kampf gegen rechts. Da kann man schon mal klatschen für das selbsternannte Fachpersonal für reden mit rechts.

Unkenntnis und Professuren schließen sich nicht aus

 

Aktuell macht ein Buch von Cornelia Koppetsch die Runde, populärwissenschaftlich aufbereitete Soziologie liegt im Trend. In ihrem Buch versucht sie zu erklären, warum die AfD gewählt wird. Den großen Aufschrei gibt es jetzt darüber, dass sie fachlich unsauber gearbeitet hat und Quellenangaben nicht oder nur lückenhaft liefert. Eine wirkliche inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Buch findet kaum statt, obwohl oder gerade weil es durch die Feuilletons gejagt wird. Man muss sich nämlich schon mit rechter Theorie und Ideengeschichte auskennen, um so ein Buch inhaltlich bewerten zu können. Eine Fachkenntnis über rechte Akteur*innen und Orgas wäre auch nicht schlecht, ebenso wie eine gewisse Vorbildung in den Sozialwissenschaften. Anderweitig gerät man in die Gefahr, das Buch einfach nur zu paraphrasieren und keiner kritischen Überprüfung zu unterziehen. Wie soll das auch gehen, ohne Fachkenntnis? Nur weil eine Person einen akademischen Titel hat, muss sie noch lange nicht richtig liegen. So ist das auch bei Koppetsch der Fall. Ihr Anspruch einer „theoriegeleiteten Empathie“ kippt vom sozialwissenschaftlichen Erklären und Verstehen ins Verständnis ab. Koppetsch übernimmt die Feindbilder der Rechten und macht die dann für den Aufstieg der Rechten verantwortlich. Dass es sich dabei um eine kaum kaschierte antisemitische Chiffre (kulturkosmopolitische Elite) handelt, merkt sie wohl selbst überhaupt nicht mehr. Koppetsch hat null Ahnung von Rechtsextremismusforschung. Sie rezipiert zwar zum Beispiel Weiß und Julian Bruhns, das war es dann aber auch schon. Keine Rechercheseiten, keine Betroffenen kommen zu Wort, es ist eine bloße Wiedergabe des AfD-Sprechs mit gelegentlich halbherzigen Distanzierungen.

Exemplarisch für völlige Inkompetenz mit großem Titel steht auch Ulrike Guérot, Professorin für europäische Politik und Demokratieforschung. Die behauptete in Bezug auf den AfD-Hardliner Kalbitz, dass nur demokratische Parteien und Personen zu Wahlen in Deutschland zugelassen würden. Diese Professorin! für Demokratieforschung kennt offenbar ihr eigenes Fachgebiet nicht und hat vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Verbotsantrag bezüglich der NPD noch nichts gehört. Das höchste Gericht hat der NPD attestiert, im Wesenszug nationalsozialistisch zu sein. Verboten wird sie nicht, weil sie so marginal ist, dass sie keine ernsthafte Gefahr für die demokratische Grundordnung darstellt.

Gern genommene Entschuldungsmodelle

 

Wenn man den öffentlichen Diskurs verfolgt, dann hat man oft den Eindruck, man ist eher darum bedacht die Probleme und Ursachen woanders zu verorten, als sich und das eigene (auch weltanschauliche) Umfeld kritisch zu betrachten. Vielleicht haben gerade deshalb populär-soziologische Bücher aktuell Konjunktur. Sie liefern Erklärungsmodelle, die oftmals sogenannte Theorien mittlerer Reichweite sind. Dabei wird nicht das gesamte Gesellschaftsmodell untersucht und erklärt, stattdessen nimmt man sich bestimmte Teilaspekte vor. Koppetsch zum Beispiel arbeitet genau in diesem Feld. Sie will nicht die gesamte Gesellschaft und politische Landschaft (v)erklären, sie will den Erfolg der AfD erläutern. Praktischerweise ist eine Theorie mittlerer Reichweite aber immer noch so abstrakt, dass sich Individuen nicht unmittelbar davon angesprochen fühlen müssen. Was kann man als einzelner Mensch denn schon gegen gesellschaftliche Prozesse tun? Und so drängt sich der Eindruck auf, dass solche Theorien vorrangig deshalb prominent aufgegriffen werden, weil sie eine Entschuldungsmöglichkeit liefern.

Außerdem bieten diese Theorien den Vorteil, dass man sich nicht im Bereich der konkreten Bekämpfung von Rechtsradikalen die Hände schmutzig machen muss. Ja, diese Schicht der Kosmopoliten (hallo antisemitische Trope) ist bei Koppetsch halt in seiner Gesamtheit Schuld. Da muss man nicht in Güstrow oder Halle nachfragen, was denn die konkreten Probleme mit Rechtsradikalen vor Ort sind, und welche konkreten Maßnahmen denn helfen, welche nicht und was für Hilfe man leisten sollte. Man kann die Problematiken fein säuberlich von sich wegschieben und in die abstrakte Ebende der gesellschaftllichen Prozesse auslagern. Denn auch das zeichnet den öffentlichen Diskurs sehr oft aus: Diejenigen, die aktiv gegen Faschos, Nazis, Hools und Rechtsradikale aktiv sind, bekommen kaum Gehör. Sie könnten das betrügerische Selbstbild der Mehrheitsgesellschaft zerstören, dass man ja mit Rassismus, Antisemitismus und dergleichen nichts zu tun hat. Antisemit*innen sind immer die anderen, aber nie ein Augstein, ein Blüm, ein Todenhöfer, ein Dehm oder ein Gauland. Es ist nie das eigene Umfeld, welches die Probleme bereitet. Und vor allem sind es nie die eigenen Positionen und das eigene Verhalten, welche mitunter ursächlich für bestimmte Probleme sind. Ein Plasberg oder eine Maischberger werden von sich ganz sicher behaupten, entschieden gegen rechts agiert zu haben und mit dem Aufstieg und der Normalisierung Rechtsradikaler nichts zu tun zu haben.

#dankeantifa und militant – so geht guter Widerstand

Würde man Antifaschist*innen und Initiativen gegen rechts denn mal zuhören, müsste man auch das hohe Ross des Pazifismus verlassen und seine eigene moralische Überlegenheit der Frage der Effektivität unterordnen. (Mehr zur Gewaltfrage hier: https://rambazamba.blackblogs.org/2019/01/17/die-gewaltfrage/) Es urteilen sehr oft Leute über Antifaschismus, die sich mit dem Feld inhaltlich gar nicht auskennen. Konkrete Vorschläge werden nie unterbreitet, Sitzblockaden dagegen sind dann fast schon der neue Faschismus von links. Wer sich in der Antinaziarbeit auskennt weiß, dass man mit Rechten nicht redet. Dabei ist ja auch nicht gemeint, dass man sich nie mit Einzelpersonen unterhält oder Bildungsarbeit mit gefährdeten Person betriebt, man kann durchaus Individuen durch einen längeren Diskussionsprozess in ihren Ansichten entschärfen oder auch ganz aus der rechten Szene rausholen. Nur passiert so was nicht in der Öffentlichkeit und nicht bei Personen und Gruppen, die ein gefestigtes rechtes Weltbild aufweisen. Mit einem Semlitsch braucht man nicht reden, der ist durch und durch Faschist, lebt ganz gut davon und wird sich auch nicht in seinen Ansichten ändern. Sobald es sich um Situationen handelt, in denen Rechte im Diskurs normalisiert werden – egal ob öffentlich, politisch oder privat – wird nicht mit ihnen geredet. Sie sind raumgreifend und wenn man ihnen die Möglichkeit zur Raumnahme bietet, dann werden sie diese ergreifen. Also muss man ihnen so konsequent es geht alle Räume versagen. Und zwar mit allen erforderlichen Mitteln.

Wer sich die Geschichte faschistischer Gruppen und Bewegungen anschaut, wird zu dem Schluss kommen müssen, dass es zwangsläufig zu einer Form der potentiell gewalttätigen Konfrontation kommen muss. Nur massiver Gegendruck und aktive Gegenraumnahme schaffen es, faschistische Bewegungen kleinzubekommen. Und zwar auf allen Ebenen. Wenn man sich das Viersäulenkozept der NPD anschaut, dann findet man dort den Kampf um die Parlamente, die Köpfe, die Straße und den organisierten Willen. Und in allen Bereichen muss der Faschismus bekämpft werden: Als Partei, im Weltanschaulichen und im Diskurs, auf der Straße und organisatorisch. Wenn Staat und das, was man als Zivilgesellschaft bezeichnet, dies nicht oder nur unzureichend leisten, muss der Antifaschismus notwendigerweise eigenständig so gut es geht diese Schwachstellen ausfüllen. Auf den Staat ist dabei nie Verlass, im Zweifelsfall muss man gegen ihn arbeiten. Und insbesondere das konservative Bürgertum hat sich in den letzten 100 Jahren regelmäßig zum Steigbügelhalter rechtsradikaler Bewegungen und Diktaturen gemacht. Die Diskussion in Thüringen zeigt aktuell wieder deutlich, dass diese Gefahr nicht historisiert werden kann, sie ist aktuell wie eh und je.

Was den Artikel von Verena Weidenbach auszeichnet ist, dass sie das weiß. Sie spricht zwar nicht dafür aus, Nazis so lange zu Kantholzen, bis sie keine Lust mehr aufs Nazisein haben. Aber sie weiß, dass man Rechtsradikale politisch und gesellschaftlich niemals in einen Dialog oder in einen Diskurs einbinden darf. Würden Staat und Zivilgesellschaft dies konsequent schaffen, es wäre viel weniger militanter Antifaschismus notwendig.

Rechtsradikale Ideologien im Wandel der Zeit

Ein wichtiger Aspekt im antifaschistischen Aktivismus ist die Auseinandersetzung mit rechtsradikalen Ideologien. Man sollte sich zumindest grob im Dickicht rechter Ideologien auskennen und halbwegs sicher durch unterschiedliche Argumentationsmuster navigieren können. Damit lassen sich nicht nur Fragen beantworten, warum man im Wahl-o-mat mehr prozentuale Übereinstimmung mit der NPD als mit der AfD hat (die NPD hat mehr sozialere Forderungen als die im Grundsatzprogramm wirtschaftsfreundlich ausgerichtete AfD). Es lassen sich Anknüpfungspunkte an andere Ideologien finden, man lernt viel über die Ideengeschichte politischer Theorie und schärft auch das eigene Verständnis der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhänge. Und so ganz nebenbei verschafft man sich gutes Rüstzeug für Agitation und politische Debatten. Dabei begegnet man oft einer Art von Argumentation, die den Faschismus und Nationalsozialismus historifizieren oder rechtsradikale Ansichten dadurch nichtig machen wollen, dass man ja in einigen Punkten nicht so sei wie die Nazis.

„Fast niemand will heute alle Juden umbringen, es können also keine Nazis sein!“
„Die AfD kann gar nicht rechtsradikal sein, die haben mit Alice Weidel eine lesbische Frau als Fraktionsvorsitzende und Frauke Petry war auch Parteichefin!“
„Ich hab ausländische Freunde, ich kann nicht rechts sein!“

Interessanterweise gibt es auch immer wieder Personen mit eigentlich gutem Fachwissen, die eine strikte Linie der Historifizierung fahren. Dies passiert oft als Abwehr auf einen zu lax verwendeten Faschismus- oder Nationalsozialismusbegriff. Die AfD ist nicht die neue NSDAP, da gibt es einige bedeutende Unterschiede. So schreibt das Parteiengesetz der BRD bestimmte Organisationsformen vor und ein offen verfassungsfeindliches Grundsatzprogramm würde zum Verbot der Partei führen. Auch fehlt eine parteieigene Straßenmiliz, die regelmäßig politische Gegner*innen zusammenschlägt und ermordet. Es sind nicht alle Personen Nazis, die sich für noch strengere Zuwanderungsgesetze aussprechen. Oft wird im Gegenzug dann aber vergessen, dass die AfD die momentan größte rechtsradikale Kraft in Deutschland ist und mit der FPÖ eine rechtsradikale Partei in Österreich an der Regierung beteiligt ist. Der Fehler liegt hier in der Grundannahme, eine Ideologie habe sich exakt so zu zeigen wie im Jahr xyz und ist für immer und ewig unveränderlich. Dabei müssen auch rechtsradikale Ideolgien auf Veränderungen in Wirtschafts, Gesellschaft und (Geo-)Politik eingehen, wenn sie überhaupt die Möglichkeit haben wollen erfolgreich zu werden.

Rechts ist rechts ist rechts ist rechts

 

Die Begriffe rechts, links und Mitte/Zentrum sind äußerst ungenau und nicht wirklich trennscharf. Außerdem ändern sich die Ansichten dessen, was man mit dem jeweiligen Wort bezeichnet durchaus im Laufe der Zeit. In den USA würde man das Grundsatzprogramm der CDU vermutlich als sozialistisch oder gar kommunistisch bezeichnen, weil die Begriffe dort ganz anders verwendet werden als hier. Momentan machen zum Beispiel immer wieder Umfragen die Runde, dass Millenials mehrheitlich für den Sozialismus seien. Schaut man sich dann aber mal genau an, welche Forderungen dahinter stehen, stellt man fest, dass es sich um klassisches sozialdemokratisches Denken handelt und der kollektive Besitz der Produktionsmittel in der Regel nicht gemeint ist. Was ist denn nun aber links und was ist rechts?

Für beide Begriffe lässt sich nur eine Grobdefinition aufstellen. Und diese dreht sich um den Begriff der Gleichheit. Linke Theorien und Ideologien setzen auf eine möglichst gleiche Betrachtung oder Behandlung von Menschen und versucht Marker sozialer Ungleichheit wie Geschlecht, regionale Herkunft und Elternhaus so gut es geht zu bekämpfen. Es geht nicht um vollständige Gleichheit des Individuums, es geht um das Ignorieren vorhandener Unterschiede und das Eliminieren der Auswirkungen natürlicher Ungleichheit. Rechte Ideologie dagegen setzt gegenteilig auf das Bewahren oder gar das Verstärken vorhandener Ungleichheit. Setzten sich Linke dafür ein, dass Personen egal welchen Geschlechts gleich behandelt werden, weisen Rechte den Geschlechtern unterschiedliche Rollen zu und wollen eine Ungleichbehandlung. Wie genau jetzt diese Ideologien der (Un-)Gleichbehandlung aussehen ist die Frage der konkreten Ideologie. Als weitere Oberkategorie neben links und rechts als Grobverortung erweist sich vor allem die Unterteilung in Links- und Rechtsradikalismus als sinnvoll. Das Wort radikal leitet sich lateinischen Wort radix, Wurzel, ab. Deshalb heißt das Ziehen der Wurzel in der Mathematik auch radizieren und auf dem Taschenrechner oder in Rechenprogrammen findet man die Wurzelfunktion oft unter dem Kürzel „rad“ wieder. Angewandt auf politische Theorie bedeutet linksradikal zu sein dann, dass man die Gesellschaft von der Wurzel auf, also radikal, verändern möchte. Man will nicht nur punktuelle Veränderungen vornehmen, sondern Staat, Gesellschaft und Politik auf völlig neue Grundfesten stellen bezehungsweise so weit verändern, dass ein neuer Begriff zur Bezeichnung notwendig wird. Analog gilt dies auch für Rechtsradikale. Diese Begriffe sind insofern sinnvoll, da sie einen Wirkungsanspruch markieren. Sprich: Ließe man Links- oder Rechtsradikalen freie Hand, sie würden das jetzige System abschaffen, nicht nur modifizieren.

Die Zäsur der Moderne

 

Das klassische Links-Rechts-Spektrum hat ihren Ursprung in der Sitzordnung des französischen Parlaments während der Revolution 1789. Rechts der Mitte saßen die Royalisten, links die Republikaner. Die Einteilung entspringt also der Geburtsstunde der bürgerlichen Gesellschaft. Die Französische Revolution ist einer wenigen konkret greifbaren Momente, die den Wandel der feudalen Gesellschaftsordnung hin zur Moderne charakterisieren. Dieser Wandel vollzog sich dann im Laufe des 19. Jahrhunderts in ganz Europa und wälzte die bis dahin bekannte Ordnung vollständig um. Die bisherige Ständegesellschaft löste sich auf, mit ihr auch das alte Verpflichtungs- und Absicherungssystem, die Geldwirtschaft weitete sich aus, mit der Durchsetzung der Lohnarbeit wurde der Alltag der Menschen in bisher unbekannter Weise mathematisiert, Wissenschaft und Industrialisierung gingen Hand in Hand mit einem steten Wachstumsoptimismus einher, die Nationalstaaten bildeten sich und noch vieles mehr.

Als Reaktion auf diese tiefgreifenden Veränderungen bildete sich eine neue Wissenschaft heraus, die zum Ende des 19. Jahrhunderts als Soziologie ihren bis heute gültigen Namen bekommen sollte. Menschen begannen damit die Veränderungen um sie herum zu beschreiben, zu kategorisieren, zu systematisieren und lieferten Erklärungsversuche für das, was passierte. Der Wandel wurde aber nicht nur kritiklos hingenommen. Personen wie Marx, Engels, Proudhon oder Bakunin entwickelten teilweise radikale Kritiken an den Zuständen, es kam zu Massenverelendungen und modernen Formen der Sklaverei in den Fabriken, ganz zu schweigen von der realen Sklaverei in den Kolonien und in den USA. Aber nicht nur von linker Seite gab es diese Kritik, die sich vor allem darauf bezog, dass die Losung „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ nur für wenige Menschen zutraf und Frauen komplett ignorierte. Der zusehende Verlust des ständischen Systems und der feudalen Produktionsweise rief auch Personen auf den Plan, die eben genau dies zurückhaben wollten. Manche nur in Teilen, andere vollständig.

Die Deutschwerdung

 

Im deutschsprachigen Raum bildete sich die Gegenbewegung zur Moderne in der Romantik. Der Wissenschaftlichkeit stellte man eine Mystifizierung der Welt entgegen, der Rationalität und der Logik das gefühlsbetonte Empfinden. Weltschmerz, Innerlichkeit und die Überhöhung der Natur kennzeichneten die radikale Ablehnung des modernen, städtischen Lebens. Ausläufer dieser fundamentalistischen Abkehr finden sich in den Schriften Wagners oder in Gedichten Georges wieder. Mit dem Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und der Niederlage gegen Napolein war zudem 1806 der zumindest ideell noch vorhandene politische Zusammenhang von etwas Deutschem verschwunden. Als Reaktion darauf wurde der Volksbegriff mythologisiert und als Kernelement der Deutschen ausgemacht.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts fanden zudem verstärkt rassebiologische Theorien Einzug in den Volksbegriff und wandelten diesen in einen völkischen um. Hier werden bestimmte Elemente der Moderne nicht abgelehnt. Im Gegenteil, man bediente sich der Erkenntnisse der Wissenschaft und begründete mit ihnen die Überlegenheit der nordischen Rasse oder des deutschen Volkes. Beim rassebiologischen Volksbegriff machten verschiedene Theorien die Runde, teilweise stand man sich auch in den Positionen gegenüber. Wer die Überlegenheit der nordischen Rasse annahm, erklärte damit mehr oder weniger direkt Personen aus dem südlichen deutschsprachigen Raum für unterlegen. Andere wiederum sahen den Adel als genetisch bevorteilt an, der von Natur aus zu Höherem bestimmt sei und über Fähigkeiten verfüge, über die andere Schichten oder Stände nicht verfügten. Es sei daher nur richtig, wenn man das Ständesystem weiter aufrecht erhält und dem Adel Rechte einräumt, die man anderen Ständen verwehrt. Die Maßnahmen zur Aufrechterhaltung beziehungsweise Züchtung genetisch möglichst reiner Menschen waren dann aber doch wieder gleich. Heiratsverbote und -anreize innerhalb bestimmter Gruppen, Sterilisierung als degeneriert angesehener Personen, in letzter Konsequenz Ausrottung schwacher Elemente, insbesondere der Juden. Man betrachtete den Menschen als züchtbar wie den Hund und zeigte keine Gnade mit den als unwert betrachteten Menschen.

Die größte politische Veränderung stellte die Gründung des Kaiserreiches 1870/71 dar. Der deutschsprachige Raum war vorher durch Fürstentümer gekennzeichnet, wobei sich Preußen, Sachsen und Bayern den Königstitel verliehen haben und die Habsburger Lande immer noch vom Kaiser beherrscht wurden. Ein wirkliches Einheitsgefühl gab es bis dahin nicht, man führte oft Krieg gegeneinander und die preußische Expansionspolitik bereitete Vielen Kopfschmerzen. Die alte Ordnung wurde dann mit Vereinigung von oben beendet und mit der sogenannten kleindeutschen Lösung ein Reich ohne die Habsburger Lande gegründet. Das Kaiserreich wurde ein semiabsolutistischer Staat und die erste wirkliche Nation im deutschsprachigen Raum. Man behielt die Ständeordnung bei und zementierte sie im preußischen Zensuswahlrecht, welches als Vorbild galt. Jubilierte einerseits die radikale Rechte über die neue Großmacht im Zentrum Europas, so missfielen ihr aber auch viele Dinge. Juden wurden die gleichen Rechte zugesprochen und viele Verbände setzten sich für ein Ende der Judenemanzipation ein. Auch die von oben forcierte Industrialisierung traf nicht überall auf Gegenliebe, insbesondere in den ländlichen Regionen, die stark durch das Bauerntum geprägt waren. Dennoch musste sich die radikale Rechte auf die neuen politischen Umstände einlassen, ob sie wollte oder nicht.

Die Mobilisierung aller Kräfte

Was man in Bezug auf die politische Landkarte im Kaiserreich aber nicht vergessen darf ist, dass eine aus heutiger als radikale Rechte zu bezeichnende politische Strömung durch die Hohenzollernmonarchie direkten Zugriff auf den Staatsapparat hatte. Wir haben es mit einer nationalistischen Erbmonarchie zu tun, welche insbesondere unter Kaiser Wilhelm II chauvinistische Auswüchse annahm. Man stütze sich auf das Militär, verfolgte Linke, unterdrückte Katholiken, sicherte sich noch ein paar Kolonien (in denen man Aufstände teilweise genozidal niederschlug), verwehrte Frauen Rechte und Teilhabe. Wilhelm II selber äußerte sich immer wieder antisemitisch und rassistisch, drohte damit Linke im Falle von Streiks niederschießen zu lassen und stellte sich gegen einen gesellschaftlichen Liberalismus. Das Kaiserreich blieb eine ständische Gesellschaft mit moderner, sprich kapitalistischer, Wirtschaftsweise. Trotzdem verstand sich Wilhelm II zuvorderst als Kaiser aller Deutschen und machte die Judenemanzipation nicht rückgängig, so antisemitisch er auch selbst gewesen sein mag. Zudem war er zwar rassistisch, aber nicht rassebiologisch. Er sprach oft von Völkern und ihren Eigenschaften, an verschiedenen Aussagen lässt sich aber nachvollziehen, dass er Völker nicht im völkisch-rassischen Sinne verstand. Er setzte sie mehr oder weniger mit dem Staatsvolk gleich, also der Bevölkerung innerhalb eines staatlichen Territoriums. Daher war die offizielle Politik des Kaiserreiches auch nationalchauvinistisch, nicht völkisch.

Den größten Einfluss auf die Entwicklung der radikalen Rechten in Deutschland sollte Wilhelm II jedoch mit seinen Reden zum Kriegseinstieg Deutschlands 1914 haben. In den Balkonreden beschwor er die Einheit des deutschen Volkes und stellte das Volkskollektiv als über allem stehendes verbindendes Element dar: „Kommt es zum Kampf, so hören alle Parteien auf! Auch Mich hat die eine oder die andere Partei wohl angegriffen. Das war in Friedenszeiten. Ich verzeihe es heute von ganzem Herzen! Ich kenne keine Parteien und auch keine Konfessionen mehr; wir sind heute alle deutsche Brüder und nur noch deutsche Brüder.“ Neben den Reden war es insbesondere das Momentum der Generalmobilmachung, welcher im kollektiven Gedächtnis das ganze Land ergriff und alle zu einer Einheit verband. Dieser Mythos von 1914 wird bis heute von der radikalen Rechten vertreten, auch gegen historisch gesicherte Tatsachen wie Massenproteste und fehlenden Enthusiasmus großer Bevölkerungsschichten.

Der Erste Weltkrieg sollte der erste große Krieg der Moderne werden, standen sich hier doch die industrialisierten Großmächte Europas direkt gegenüber. Was war nun das Besondere, zumindest in der Lesart der radikalen Rechten? Es zog nicht eine Armee für den Kaiser in die Schlacht, hier kämpfte das gesamte deutsche Volk mit all seinen Kräften für seinen Erhalt. Das Fronterlebnis wurde zu einer „Sozialismus der Schützengräben“ verklärt. Unabhängig vom Geburtsstand oder der Herkunft konnte man sich hier für Volk und Vaterland verdient machen. Unter dem Trommelfeuer von Artillerie, Maschinengewehren und Giftgasangriffen waren alle gleich und der Mann fand zu seiner Bestimmung des heldenhaften Kampfes für eine größere Sache zu sich selbst. An der Heimatfront hatten auch alle ihren Dienst zu tun. Frauen füllten Positionen, die durch die an die Front berufenen Männer nicht mehr besetzt waren. Das gesamte Reich agierte als Einheit für den Sieg. Ungeschlagen an der Front wurde der Sieg durch den Dolchstoß der verhassten Linken verhindert, außerdem sei der Siegeswille an der Heimatfront nicht stark genug gewesen. Die Mobilisierung aller Teile des Volkes war nicht gut genug gewesen. Trotz technischem und industriellem Fortschritt verlor das deutsche Volk den Krieg durch einen Mangel an inneren Werten. So die Kurzform des späteren Mythos.

Die Verklärung war einerseits eine taktische. Die Generalität wusste sehr wohl, dass der Krieg nicht zu gewinnen war und das Reich spätestens nach dem Kriegseintritt der USA zu vielen und starken Gegnern gegenüberstand und wirtschaftlich am Ende war. Der Dolchstoß war erfunden, der Kieler Matrosenaufstand nur das Resultat eines Befehls der Admiralität mit allen Schiffen auszulaufen und in einem letzten ehrenhaften Gefecht gegen das Vereinigte Königreich unterzugehen. Später war man dann aber so klug die Kapitulationsverhandlungen die SPD-geführte Übergangsregierung führen zu lassen. Dadurch war man offiziell fein raus und konnte das eigene Ansehen unbeschadet retten, indem man alle Schuld auf die bürgerliche Regierung abwälzte und den Dolchstoß von links erfand. Andererseits war die Verklärung der Kriegserlebnisse der Startpunkt vieler neuartiger rechtsradikaler Ideologien. Arthur Moeller van den Bruck entwickelte das Vokabular der folgenden Jahre und veröffentlichte eines der einflussreichsten Bücher der Zeit: Das Dritte Reich. Anstatt auf eine ständische Gesellschaft zu bauen war jetzt die mythisch überhöhte Volksnation das Ziel. Es sei die historische Bestimmung des deutschen Volkes in einem metaphysischem Reich aufzugehen, dies sei die einzige ihm angemessene Staatsform. Die Mobilisierung aller Kräfte sollte in den folgenden Jahren diverse Ideologien beeinflussen und dann schlussendlich im Totalen Krieg des Nationalsozialismus seinen Höhepunkt finden.

Radikalisierung

 

Die Zwanziger sollten sich als fruchtbare Zeit für rechtsradikale Ideologien erweisen. Mit der Weimarer Republik hatte man einen gemeinsamen, verhassten Feind, die bürgerliche Demokratie verachtete man zutiefst. Die literarische Verwertung seiner Kriegstagebücher und sein politisch-publizistisches Engagement machten ernst Jünger zu einem Star der radikalisierten Rechten, der aus seiner politischen Gesinnung keinen Hehl machte: „Ich hasse die Demokratie wie die Pest.“ Befreit von den Fesseln der Monarchie und des preußischen Nationalismus alter Art verarbeitete man die Ereignisse und Erlebnisse rund um den Ersten Weltkrieg zu immer neuen Theorien. Angestachelt durch den Sieg der Faschisten in Italien sah man auch im Deutschen Reich die Zeit für eine moderne Diktatur gekommen. Im Laufe der Jahre entwickelte sich der vorherrschende Konservatismus der Kaiserzeit zu nationalrevolutionären Ideologien. Man konnte gar nicht mehr radikal genug sein, hierzu auch noch mal Ernst Jünger: „Wir können gar nicht national, ja nationalistisch genug sein.“ Viele einflussreiche Namen dieser Zeit haben bis heute eine unmittelbare Relevanz für die radikale Rechte, nicht nur in Deutschland: Arthur Moeller van den Bruck, Ernst Jünger, Carl Schmitt, Edgar Julius Jung, Oswald Spengler, Thomas Mann (welcher sich ab 1922 zusehends hin zu einem Demokraten entwickelte), Ernst von Salomon, die Strasser-Brüder, Joseph Goebbels, Adolf Hitler, Erich Ludendorff, Alfred Hugenberg.

Die einzelnen Theorien unterschieden sich teilweise beträchtlich, jedoch aktualisierte man vorhandene Ideologien um die Erkenntnisse des Ersten Weltkriegs. Ähnlich wie es Linksradikale schon seit Jahrzehnten versuchten, setzte man jetzt zusehends auf eine revolutionäre Massenbewegung um die Republik zu stürzen. Eine wichtige Rollen spielten dabei die protofaschistischen Freikorps und Soldatenverbände wie der Stahlhelm, in denen sich viele der über zehn Millionen Soldaten nach Kriegsende organisierten. Die Freikorps arbeiteten nach Kriegsende mit der SPD-geführten Regierung zusammen und schlugen für diese linksradikale Revolutionsbestrebungen in den Jahren 1918-1923 nieder. Ähnliche Gruppen gab es auch in Italien und aus diesen männerbündischen Veteranentrupps sollten sich dann diejenigen Mussolinis besonders hervortun und innerhalb weniger Jahre die Macht übernehmen können. Der Stahlhelm, welcher als bewaffneter Straßenarm der DNVP gelten kann, gab eine eigene Publikation heraus (in der unter anderem Ernst Jünger veröffentlichte) und kam in Spitzenzeiten auf etwa 500.000 Mitglieder. Zum Vergleich: Der Alldeutsche Verband, einer der einflussreichsten rechtsradikalen Verbände im Kaiserreich, kam inklusive Doppelmitgliedschaften aus anderen Verbänden in Spitzenzeiten auf maximal 100.000 Personen – die nicht paramilitärisch organisiert waren. Man muss sich diese Dimensionen vor Augen führen um den Zeitenwechsel innerhalb der radikalen Rechten zu begreifen. War im Kaiserreich eine Beeinflussung der Politik hauptsächlich über Interessensverbände möglich und sämtliche polizeiliche und militärische Gewalt fest in staatlicher Hand, standen jetzt auf einmal Millionen ausgebildeter Soldaten mit Fronterfahrung zur Verfügung, von denen große Teile das neue System ablehnten und in paramilitärischen Strukturen organisiert waren. Allein dieser Umstand verlangte eine theoretische und strategische Weiterentwicklung bisheriger Ideologien.

Weiterhin großen Einfluss übten sozialdarwinistische und rassebiologische Theorien aus. Der Antisemitismus hatte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als neuartiges Ressentiment gegen die Moderne herauskristallisiert und mit völkischen Ideen bis zur Maximalforderung der Judenvernichtung gesteigert. Die Fantasie eines genetisch reinen und gesunden Volkskörper fand weiterhin einflussreiche Anhänger*innen – Männer wie Frauen arbeiteten an diesem Ziel und bildeten Vorstufen der Lebensborneinrichtungen der Nazis. Das völkische Denken löste zusehends das alte ständegesellschaftliche Denken ab und erzeugte eine ideologische Mischform aus Ablehnung und Befürwortung der Moderne. Diese ist keine Neuerung der Zwischenkriegszeit und war so auch schon im Kaiserreich anzutreffen. Auf der einen Seite befürwortete man den wissenschaftlichen, technologischen und wirtschaftlichen Fortschritt und zeigte sich hier ausgesprochen modern. Auf der anderen Seite lehnte man die gesellschaftliche Moderne ab und suchte das Bauertum zu erhalten. Außerdem präsentierte man sich in Teilen kritisch gegenüber dem Kapitalismus und wollte bestimmte Ausprägungen bekämpfen. Die bekannte Einteilung in raffendes und schaffendes Kapital geht zurück bis weit 19. Jahrhundert. Neu war allerdings, dass man sich auch um das Proletariat bemühte und versuchte mit gewissen sozialen Forderungen dort Stimmen abzugreifen. Dabei hatte man einen schwierigen Balanceakt zwischen altem Kapital, Kleinbürgertum, Bauernverbände und dem Proletariat zu meistern, denn die jeweiligen Einzelinteressen widersprachen sich oft. Da man aber das gesamte deutsche Volk zu mobilisieren versuchte, konnte man nicht einfach große Bevölkerungsschichten ignorieren. Programmatisch sind hier die Reden Hitlers von 1930 bis 1933 zu nennen, die oft von Strasser geschrieben wurden und den großen Stimmenzuwachs der NSDAP mit ihren sozialeren Profil im Vergleich zum Beispiel zur DNVP begründen. Ebenfalls neu war die Verbindung des völkischen Denkens mit dem revolutionären Ansatz, was sich dann schlussendlich in der Nazizeit zu einem neuen Gesellschaftssystem zusammenführen sollte.

Der Holocaust und der Zweite Weltkrieg

 

Nachdem die Nazis in den Jahren 1932 und 1933 in die höchsten Staatsämter der Weimarer Republik gelassen wurden und man Hitler zum Reichskanzler ernannte, hatte die radikale Rechte wieder unmittelbaren Zugang zu allen Machtressourcen. Diese wurden umgehend eingesetzt um mögliche Widerstände innerhalb des Reiches auszuschalten: Linke, Linksliberale, Bürgerliche, Gewerkschaftler*innen, Wissenschaftler*innen, Künstler*innen – sie alle wurden unterdrückt, verfolgt, außer Landes getrieben oder ermordet. Doch auch innerhalb der radikalen Rechten wurde hart durchgegriffen. Im Zuge des fingierten Röhmputsches wurden Strasser und Jung ermordet, andere rechte Vordenker versuchte man in das System einzubinden oder stellte sie kalt. Die größten Kopfschmerzen bereitete der radikalen Rechten aber die Kompromisslosigkeit der Nazis. Sie gingen den Weg ihrer Ideologie so konsequent, wie es in den zwölf Jahren ihrer Herrschaft überhaupt möglich war, und hinterließen einen zerstörten Kontinent, über 40 Millionen Tote in Europa und dem schlimmsten Verbrechen des Menschen am Menschen in der bisherigen Geschichte, den Holocaust. Das Deutsche Reich wurde vollständig besetzt und im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg hat die Zivilbevölkerung die Folgen des von ihm unterstützten und akzeptierten Wahns direkt zu spüren bekommen. Bis heute opfert man auf rechter Seite herum und versucht sich als wahres Opfer des Krieges zu inszenieren.

Jetzt waren die Folgen und die Verbrechen der Nazizeit so riesig, dass sich eine positive Bezugnahme darauf praktisch mit Kriegsende sofort erledigte. Man war in den Folgejahren damit beschäftigt die eigene Haut zu retten und nicht auf den Schirm der Entnazifizierung zu kommen, die in der sowjetischen Besatzungszone erheblich konsequenter durchgeführt wurde als in den alliierten Zonen, Österreich ließ man gar ganz in Ruhe. Doch nicht nur das eigene Wohlergehen waren der Grund dafür, der totale Wahn der NS-Ideologie gipfelte in der totalen Niederlage. Worauf soll man sich da noch positiv beziehen? Man hatte bis zur letzten Patrone gekämpft, mit dem Volkssturm alt und jung in den aussichtslosen Kampf geworfen und mit brutalster Sklaverei Menschen zu Tode geschunden oder gleich vergast. Die bisher radikalste Ideologie hatte voll und ganz verloren, das geliebte und geheiligte Deutschland war besetzt und zerstört. Eine Möglichkeit war sich politisch neu zu organisieren und wie nach dem Ersten Weltkrieg die neue Republik von innen zu bekämpfen. Die Sozialistische Reichspartei wurde jedoch 1952 als Nachfolgepartei der NSDAP verboten und die Besetzung durch die Alliierten verhinderte ähnliche Strategien wie in den 20ern.

Einen anderen Weg ging Armin Mohler, der aus der Schweiz ins Deutsche Reich geflohen war und vergeblich versuchte sich bei der Waffen-SS zu melden. Dieser wurde nach dem Krieg für ein paar Jahre Privatsekretär Ernst Jüngers und erstellte ein Kompendium rechtsradikaler Ideologien der Zwanziger Jahre, welches er „Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932“ nannte. Ursprünglich seine Dissertation, erweiterte er diese zum Buchformat in etlichen Aufgaben. Mohler hatte ein klares Ziel: Eine Abspaltung des Nationalsozialismus von anderen nationalrevolutionären Ideologien, um diese dann als unbefleckt von den Naziverbrechen präsentieren zu können. Historisch haltbar ist davon nichts, aber um historische Richtigkeit ging es auch nicht. Mohler wollte unterschiedliche Ideologien, die aus der selben Ecke wie der Nationalsozialismus kommen, als Anknüpfungspunkte in die Post-NS-Zeit retten. Deshalb warf er alles in einen Topf und präsentierte teilweise gegenläufige Ansichten als Teil einer großen Denkschule und unterschlug sämtliche Verbindungen zum Nationalsozialismus. Ernst Jünger hatte sich zum Beispiel noch vor Kriegsbeginn freiwillig zur Wehrmacht gemeldet und Carl Schmitt arbeitete dem Regime offen zu.

Antiliberalismus und der Antikommunismus als Brücke ins liberale Lager

 

Wichtig beim Verständnis der radikalen Rechten ist, dass diese nicht isoliert in einem luftleeren Raum entsteht und ohne jegliche Außenkontakte wie von sich selbst existiert. Die radikale Rechte ist Teil der Gesellschaft, zeitweise hatte sie auch die Macht inne und war somit das, was man per inhaltsentkernten Extremismustheorie als „Mitte der Gesellschaft“ bezeichnen würde. Im Kaiserreich und während des Nationalsozialismus waren rechtsradikale Ideologien gesellschaftlich vorherrschend und dominant. Eine konstante im rechtsradikalen Denken ist die Ablehnung gesellschaftlichen Liberalismus und des universalistischen Anspruches liberaler Ideologie – auch wenn dieser in der Praxis nur partikular vertreten wird. Die allgemeinen Menschenrechte galten nicht für die Sklav*innen oder in den Kolonialgebieten. Die Ablehnung sitzt tief und bis heute finden sich immer wieder Verweise auf die Jahreszahlen 1789 und 1968, welche das alte Europa und seine Völker zerstören würden. In einigen Lesarten wird dann auch noch die radikale Linke mit Kommunismus und Anarchismus dem Liberalimus zugeschlagen. In ihnen sieht man die höchste Stufe der Gleichmacherei, verbunden mit der zugespitzten Annahme, man wolle alle Menschen vollständig gleich machen. Ein Graus für Personen, denen die Betonung von Unterschieden der zentrale politische Anspruch ist.

Interessanterweise teilt man die Ablehnung der radikalen Linken dann aber auch wieder mit den Liberalen. Insbesondere der Wirtschaftsliberalismus ist hier problemfrei anschlussfähig an rechtsradikale Ideologien. Warum? Man fürchtet die Änderung der Besitzverhältnisse, schließlich haben radikale Linke den Anspruch die Produktionsmittel zu kollektivieren. Und der Wirtschaftsliberalismus muss auch nicht mit einem sozialem Liberalismus einhergehen. Im Kaiserreich setzte man auch die kapitalistische Produktionsweise durch, der Staat förderte massiv die Industrialisierung, trotzdem blieb es ein konservativer Ständestaat. Wirklich in Angst und Schrecken versetzte die bürgerliche Welt dann die erfolgreiche Oktoberrevolution, mit der vorher niemand wirklich gerechnet hatte. Über Jahrzehnte hatte man die sozialrevolutionären Bestrebungen in Europa und in den USA mehr oder weniger erfolgreich unterdrücken können. Man hatte zwar Angst der anarchistischen Propaganda der Tat zum Opfer zu fallen, als herrschende Klasse sah man sich aber nicht unmittelbar in Gefahr.

Die Machtübernahme der Bolschwiki war ein Schock. Im daraufhin ausbrechenden russischem Bürgerkrieg entsandte die Entente unter Führung von Frankreich, dem Vereinigten Königreich und den USA Truppen nach Russland. Man wollte Kriegsgüter sichern, die man dem zaristischen Russland als Unterstützung hat zukommen lassen, vor allem wollte man aber den Kommunismus verhindern. Eine erfolgreiche kommunistische Revolution sah man als reale Gefahr an, könnten sich doch auch andere revolutionäre Bewegungen zum Aufstand entschließen. Diese Annahme sollte sich auch in Teilen als richtig herausstellen, insbesondere das Deutsche Reich und Italien waren gegen Kriegsende und in den Nachkriegsjahren von revolutionären Bestrebungen und Massenstreiks betroffen. Und das mit weitreichenden Konsequenzen.

Die Angst vor einem linksradikalen Umsturz war so groß, dass weite Teile des Bürgertums bereit waren mit radikal rechten Kräften zu kooperieren und ihnen Macht zu übertragen. Das Gespenst ging wieder einmal um in Europa. In Deutschland schloss die SPD mit der Generalität und mit den Freikorps einen Pakt zur Niederschlagung linker Proteste. Nach der Bewilligung der Kriegskredite 1914 der zweite Großverrat der SPD an den eigenen Genoss*innen. Die prominentesten Opfer sind Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, weniger bekannte der Anarchist Gustav Landauer und der Kommunist Eugen Levinè. Die letztgenannten waren am Versuch der Münchner Räterepublik beteiligt. Bei der Niederschlagung der Räterepublik war unter anderem der spätere SA-Führer Ernst Röhm beteiligt, der für die Ermordung Luxemburgs und Liebknechts mit Rückendeckung von Noske und Ebert (beide SPD) verantwortliche Offizier Waldemar Pabst beteiligte sich 1920 am rechtsradikalen Kapp-Putsch. Auch in Italien bot sich die aufkommende faschistische Bewegung Mussolinis als Kampfbund gegen den Kommunismus an und erhielt Unterstützung diverser Industrieller, da man so die ständigen Streiks brechen wollte. Die bürgerlich-konservativen Kräfte hatten eine solche Angst vor der radikalen Linken, dass sie mutwillig die radikale Rechte hofierten, sie als kontrollierbar ansahen und als Werkzeug gegen die Linke einsetzen wollten oder deren Treiben als kleineres Übel akzeptierten. Die Unfähigkeit des klassischen Liberalismus, die Gefahr des Faschismus zu erkennen und zu bekämpfen, sollte später den Zweiten Weltkrieg und de Holocaust mitbedingen und die offene rechte Flanke dieser Ideologie brutal offenlegen.

Der Antisemitismus und die jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung

 

Auf die Oktoberevolution reagierte die radikale Rechte aber auch in ideologischer Weise und passte den Antisemitismus den neuen Begebenheiten an. Bereits 1903 waren die gefälschten „Protokolle der Weisen von Zion“ in Russland erschienen und dokumentierten eine angebliche Verschwörung des Judentums zur Kontrolle der Welt. Die Protokolle bündelten eine Vielzahl vorhandener antisemitischer und antijudaistischer Ressentiments der Zeit und machte sie in relativ kompakter und für geneigte Person in glaubhafter Form weiterverbreitbar. So zeigte sich der us-amerikanische Großindustrielle Henry Ford (ja genau, der Autohersteller) so begeistert von den Protokollen, dass er ein darauf basierendes Buch in Großauflage verbreiten ließ und zum Teil beim Kauf eines Autos als Geschenk des Hauses mitgab. Mit dem Sieg der Bolschewiki wurden diese umgehend in das Hirngespinst der Weltverschwörung integriert, der kommunistische Anspruch der Weltrevolution bot dafür einen idealen Ansatzpunkt. Das Resultat war dann die jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung, welche als Ziel die Zerstörung der westlichen Zivilisation hatte und alle Völker der Erde unterjochen und zersetzen wollte. Zusammen mit schon vorher vorhandenen genozidalen Äußerungen in Richtung der Juden entfalteten die Protokolle und die jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung einen Radikalisierungssog des Antisemitismus, dessen Resultat, der Holocaust, bekannt ist. Der Antisemitismus als modernes Ressentiment gegen die Juden führt in letzter Konsequenz immer zu einer Vernichtungslogik, da man das Jüdische als zersetzend, parasitär, zerstörend ansieht – für alle Länder der Erde.

Die Niederlage des Dritten Reiches hinterließ einen sprichwörtlichen Trümmerhaufen. Ein ganzer Kontinent war zerstört worden über 40 Millionen Menschen gestorben und der Wahn der nationalsozialistischen Vernichtungsideologie musste von allen politischen Theorien in irgendeiner Form berücksichtigt werden. Die sich als Nachfolge der NSDAP verstehende Sozialistische Reichspartei (SRP) war offen nationalsozialistisch und strebte offiziell eine Lösung der Judenfrage an – mit anderen Mitteln als in der Nazizeit. Sie wurde 1952 als erste Partei in der Zeit der Bundesrepublik verboten. Das Verbot betraf nicht nur die SRP, es waren auch alle Untergruppierungen und Nachfolgeorganisationen betroffen. Dieses konsequente Verbotsrecht war eine Antwort des bürgerlichen Staatsrechts auf die NS-Zeit, welches die BRD als „wehrhafte Demokratie“ konzipierte. Die Deutsche Reichspartei (DRP), welche sich in eine ideengeschichtliche Traditionslinie der DNVP stellte, blieb bundesweit irrelevant, schaffte es aber in zwei Landesparlamente. Hier wollte man das Kaiserreich wieder herstellen, mindestens in den Grenzen von 1937, und verweigerte einer Aufarbeitung der Nazizeit vollständig. Stattdessen präsentierte man eine neue, spezifisch deutsche Form des Antisemitismus: den sekundären oder auch Schuldabwehrantisemitismus. So sprach man von der Auschwitzlüge und war generell nicht gewillt auch nur ansatzweise ein Schuldeingeständnis abzugeben. Die stete Relativierung des Holocaust und der Verbrechen der Nazizeit ist ein bis heute beliebtes Unterfangen insbesondere der deutschen Rechten, findet sich aber auch im bürgerlichen Spektrum bei steten Hufeisenwerfen die DDR oder Sowjetunion bzw. „den Kommunismus“ als mindestens genauso schlimm darzustellen wie die Nazizeit, da man sich hier auf die Sowjetunion als Hauptschuldige einschießen konnte, während man beim NS die gesamtdeutsche Bevölkerung als schuldig betrachten müsste. Man wälzt die Schuld auf Akteure außerhalb ab. Die jüdisch-deutsche Publizistin fasst den Komplex der Schuldabwehr wie folgt zusammen:

„Es scheint, dass die Deutschen uns Auschwitz nie verzeihen werden.Das ist ihre Krankheit, und sie verlangen verzweifelt nach Heilung. Aber sie wollen sie leicht und schmerzlos. Sie lehnen es ab, sich unters Messer zu legen, das heißt: sich der Vergangenheit und ihrem Anteil daran zu stellen“

Neben diesem Komplex musste auch die Staatsgründung Israels verarbeitet werden. Mit Unterstützung der Sowjetunion konnte im sogenannten Gründungskrieg Israel gegen den Widerstand sämtlicher umliegender arabischen Staaten und unter strikter Nichteinmischung der Briten (die zuvor das Gebiet verwaltet hatten) gegründet werden. Die Juden hatten jetzt einen eigenen Schutzraum, den sie verteidigen konnten. Nach Jahrhunderten, in denen man als Gruppe dem Wohlwollen der jeweiligen Länder und Gesellschaften ausgeliefert war, konnte man sich jetzt selbst verteidigen. Der rechte Antisemitismus antwortete darauf zweierlei. Entweder lehnte man den Staat Israel ab, da die Endlösung der Judenfrage damit nicht zu vereinbaren war. Oder man war für Israel und ganz besonders dafür, dass alle Juden nach Israel gehen. Man sah bzw. sieht Israel als Mittel zum Zweck an, ein judenfreies Deutschland oder Österreich zu bekommen. Damit schließt man an Ideen wie den Madagaskarplan an, bei dem die NS-Administration ins Auge gefasst hatte, alle Juden nach Madagaskar auszusiedeln.

Der zweite Weg war der des Antizionismus. Anstatt gegen jüdische Personen oder Gruppen zu hetzen, machte man jetzt stellvertretend gegen den Schutzraum der Juden mobil. Der Antisemitismus hat sich auf die geopolitische Situation nach 1948 eingestellt. Mit dieser Haltung sollte die radikale Rechte jedoch nicht allein bleiben, insbesondere nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 stimmte die radikale Linke international in den Antizionismus ein. Die Sowjetunion hatte zwischenzeitlich die Unterstützung Israels beendet, da man keinen realsozialistischen Satellitenstaat installieren konnte, und sich auf die Seite der arabischen Staaten gestellt. Dabei lässt sich bis heute eine teilweise Übernahme von Slogans und Inhalten beobachten. So marschiert die NPD mit „Nie wieder Israel!“-Sprechchören auf und Neonazis solidarisieren sich mit dem „Widerstand des palästinensischen Volkes“. Neben dem Antizionismus findet sich moderner Antisemitismus auch im Ressentiment gegen Einzelpersonen. War lange Zeit der inzwischen verstorbene Rockefeller Zier antisemitischen Hasses, hat inzwischen George Soros diesen Platz eingenommen. Martin Sellner, Führungskader der Identitären, schafft es zum Beispiel ein aufklärendes Video über die jüdische Weltverschwörung zu drehen, behauptet dann aber an anderer Stelle, Soros würde alle Häfen bezahlen das von der IB gecharterte Schiff während der katastrophalen Mittelmehraktion nicht einlaufen zu lassen. Auch AfD und FPÖ schießen mit antisemitischen Stereotypen gegen Soros, den Antisemitismus lässt sich die radikale Rechte eben nicht wegnehmen.

Die 68er bis heute

 

Wirklich Schwung in die rechtsradikale Bude brachte aber erst der soziale Umbruch, den man heute als 68er-Bewegung bezeichnet. Antiautoritäre Proteste wendeten sich gegen den saturierten Wohlstandskonservatismus der Nachkriegszeit und forderten eine Liberalisierung der Gesellschaft und Teilhabe aller an dieser ein. Hauptsächlich war dieser Umbruch ein linksliberaler mit Ausläufern in den Linksradikalismus, hinterließ aber auch in der Rechten bleibende Spuren. In Frankreich orientierte sich ein Alain Benoist an linken Theorien, insbesondere an Schriften Antonio Gramscis, verband diese mit dem Begriff des Politischen von Carl Schmitt und erarbeitete Konzepte wie das der Metapolitik (im linken Sprachgebrauch mit dem Bereich des Vorpolitischen vergleichbar). Auch Schriften wie das situationistische Manifest übten einen Einfluss, ebenso der Antikolonialismus. Hier konzentrierte man sich auf den Aspekt der Selbstbestimmung aller Völker, welche frei von Beeinflussung ihre als natürlich angesehenen Eigenarten ausleben sollten. 1973 führte Henning Eichfeld hier das Konzept des Ethnopluralismus ein, welches bis heute in abgewandelter Form großen Einfluss ausübt und zum Beispiel das politische Leitbild der Identitären ist.

Anstatt auf klassisch rechtsradikale Rassenlehre zu setzen war auf einmal von der Vielfalt der Völker die Rede, welche es zu bewahren gelte. Mit solchen Konzepten trug man auch dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand Rechnung, der inzwischen festgestellt hat, dass es keine unterschiedlichen menschlichen Rassen gibt. Ebenfalls orientierte man sich immer stärker in eine kulturalistische Richtung um. Anstatt von Rassen und Genmaterial zu sprechen, stand nun die Kultur eines Volkes als verbindendes Merkmal ganz oben. Dabei kämpfte man vor allem gegen den (Kultur-)Bolschewismus, der vom Osten her die westliche Welt bedrohte, und gegen den Liberalismus, der die natürliche Ordnung der Völker von innen heraus bedrohe. Mit dem Ende der Diktaturen in Spanien, Portugal und Griechenland verloren auch die letzten rechten Regime die Macht und die bürgerliche Idee von 1789 schien endgültig gesiegt zu haben.

In der Bundesrepublik musste man sich auch zusehends mit den Realitäten der postnazistischen Welt anfreunden. An oberster Stelle standen kriegsrevisionistische Forderungen, die Teilung Deutschlands sollte beendet werden. Auch die Verluste der Ostgebiete akzeptierte man nicht und erkannte den Vertrag über die Oder-Neiße-Linie nicht an. Hier lag man auf Linie mit den Vertriebenenverbänden, welche eine Kontinuität rechtsradikaler Ansichten aus der Nazizeit in der Bundesrepublik hinein darstellen und als grundsätzlich CDU-nah einzuordnen waren. Als unterhaltsame Randnotiz sei hier auf Solidarisierungen maoistischer Gruppen mit den Vertriebenenverbänden in den 70ern verweisen, da man im Sowjetimperialismus einen gemeinsamen Feind hatte. Wie stark kriegsrevisionistische Ansichten in diesen Verbänden vertreten waren zeigen die Videos vom Schlesiertreff 1995, als der CDU-Gesandte Wolfgang Schäuble den Anwesenden mitteilt, dass man die Oder-Neiße-Linie akzeptieren müsse und die Realpolitik der letzten 50 Jahre nicht umdrehen kann.

Zeichen der Zeit

 

Ganz einfach: rechtsradikale Ideologien ändern sich. Schon 1930 waren die Ansichten radikalen Rechten nicht identisch mit denen von 1830. Genauso wenig müssen heutige Rechtsradikale exakt das Gleiche wie 1930 sagen, um rechtsradikal zu sein. Es ist ein gefährlicher Trugschluss anzunehmen, dass sich diese Ideologien nicht aktualisieren. Bestimmte zentrale Punkte mögen sich nicht oder nur marginal ändern, andere müssen sich aber notgedrungen aktuellen Gegebenheiten anpassen. Nehmen wir zum Beispiel den Versuch der Historifizierung des Nationalsozialismus, in dem man sagt, ein Bernd Höcke könne keine Nazi sein, da er keinen Lebensraum im Osten fordert. Dies war unbestritten eine zentrale Forderung der Nazis seinerzeit. Nur ist es heute schlichtweg unrealistisch, dass Deutschland in einem Angriffskrieg gegen Polen, Ukraine, Weißrussland, Tschechien, Slowakei und Russland auch nur den Hauch einer Chance auf einen Sieg hätte. In den 20er-Jahren konnte man das zumindest halbwegs als realisierbar ansehen, hatte das Deutsche Reich ja noch Ostpreußen, Hinterpommern und Schlesien und nur das semistabile Regime in Polen und die Sowjetunion als Gegner*innen im Osten wobei letztere auf keinerlei Unterstützung anderer europäischer Staaten hoffen konnte. Eine Forderung nach Lebensraum im Osten ist daher indiskutabel. Forderungen von vor 90 Jahren können offensichtlich nicht eins zu eins heute aufgestellt werden. Viel mehr sollte man sich anschauen wie sich eine nationalsozialistische Ideologie unter heutigen realpolitischen Umständen präsentieren würde und dies dann mit dem Auftreten eines Höcke vergleichen.

Auch in Sachen Patriarchat sind rechtsradikalen Ansichten gewisse gesellschaftliche Grenzen gesetzt. Die Frauenemanzipation der letzten 100 Jahre hat die Gesellschaft radikal geändert. Wollte man die Uhren jetzt wieder zurückdrehen steht vor dem riesigen Problem, dass der Kapitalismus sich inzwischen auf Frauen am Arbeitsmarkt eingestellt hat. Insgesamt gibt es heute in der BRD genauso viele zu leistende Arbeitsstunden wie in den 60ern. Nur sind inzwischen viel mehr Personen auf dem Arbeitsmarkt, was einen Anstieg billiger Arbeitskräfte im Prekär- und Teilzeitbereich bewirkt hat. Will man jetzt die Frauen wieder aus dem Arbeitsmarkt rausdrängen, müsste man einerseits fehlende Arbeitskräfte kompensieren, auf die die Industrie eingestellt ist. Und andererseits müsste man auch das Lohngefüge derart umgestalten, dass es wieder flächendeckend Einversorgerhaushalte geben kann. All dies ist mit Unsummen an finanziellem Aufwand verbunden und entsprechende Bemühungen dürften auch in der Wirtschaft nicht auf viel Gegenliebe stoßen, da diese höhere Löhne zahlen müsste. Die Emanzipation der Frauen lässt sich also nicht einfach wieder vollständig umkehren und auf den Stand von 1913 zurücksetzen.

Herbert Kickl, der Bonapartismus und was passiert wenn Rechtsradikale in bürgerliche Ämter kommen

„Ich glaube immer noch, dass der Grundsatz gilt, dass das Recht der Politik zu folgen hat, und nicht die Politik dem Recht.“ – Herbert Kickl, österreichischer Innenminister, in der Sendung „Report“ vom ORF2 am 22.01.2019

Seit etwas mehr als einem Jahr ist die schwarz-blaue Regierung in Österreich an der Macht. Die unter Sebastian Kurz wieder stärker dem klassischen Konservatismus zugewandte ÖVP ist eine Koalition mit der rechtsradikalen FPÖ eingegangen und hat den ehemaligen Neonazi Strache zum Vizekanzler gemacht. Innenminister wurde der FPÖ-Politiker Herbert Kickl. Dieser hat sich jetzt in einer Sendung des ORF2 mit dem hier wiedergegebenen Zitat zu seiner politischen Einstellung geäußert. Insgesamt gibt es zwei Interviewsegmente mit ihm, das Zitat fiel im zweiten. Es lohnt sich beide anzuschauen und zu analysieren, wie Kickl agiert und was er genau sagt.

Im ersten Interviewteil fällt auf, dass er völlig ohne Not auf die Dissertation des Wiener Bürgermeisters und Landeshauptmanns Michael Ludwig von der SPÖ zu sprechen kommt. Diese stammt aus dem Jahr 1992 und behandelt die Staatspartei der DDR, die SED. Warum er das tut ist offenkundig: Er will Ludwig als Kommunisten darstellen und alte antikommunistische Ressentiments gegen ihn Stellung bringen. Dies funktioniert auch in Österreich immer noch hervorragend, besser gar als in Deutschland. Man könnte in gleicher Weise auf Strache zu sprechen kommen, der sich zu diesem Zeitpunkt auch immer noch in offen neonazistischen Kreisen bewegte und nur ein paar Jahre zuvor an Wehrsportübungen teilnahm. Aber das würde ein Kickl als unlauteres Argument bezeichnen.

Neben diesem offenen Antikommunismus ist aber insbesondere Kicks Verständnis von Politik interessant. Es nicht unbedingt überraschend, ist Kickl doch ein Rechtsradikaler. Es ist deshalb interessant, weil es einen Blick auf offene rechtsradikale Rhetorik in einer Machtposition eines bürgerlichen Rechtsstaats wirft – und mit welchem Anspruch Rechtsradikale diesen umbauen wollen. An mehreren Stellen weist Kickl darauf hin, dass er ja nur den Willen der Bevölkerung umsetzen würde oder dessen Ängste ernst nähme. So zum Beispiel bei der Erhöhung der Polizeistellen. Er macht ein vermeintliches erhöhtes Sicherheitsbedürfnis aus, welchem man damit Rechnung trage. Ähnlich argumentiert er bei geplanten Änderungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht. Es sei des Volkes Wille. Woher das ausgemachte Unsicherheitsgefühl kommt, ob es einen realen Kriminalitätsanstieg gibt und ob neue Regelungen und Polizeikräfte überhaupt notwendig sind, interessieren ihn nicht.

Ganz offensichtlich wird sein unverhohlener Machtanspruch dann in dem hervorgehobenen Zitat. Und Kickl hat in gewisser Weise auch recht. Das Recht folgt politischen Grundsatzentscheidungen über die Ausrichtung des Staats- und Gesellschaftssystems. Das Kaiserreich, die Weimarer Republik, das Dritte Reich, die DDR und die BRD sind alles Rechtsstaaten – nur eben mit unterschiedlichen Rechtssystemen. Und dieses sieht in einer semiabsolutistischen Monarchie anders aus als in einer bürgerlichen Demokratie oder in einem NS-Staat.

Kickl hat jetzt die Sonderrolle als rechtsradikaler Politiker das Amt des Innenministers eines bürgerlichen Staates inne zu haben. Und er interessiert sich nicht für bürgerliche Rechtsnormen. Stattdessen setzt auf die bonarpatistische Karte, auf einen Protofaschismus, der sich populistischer Mittel bedient, um die Autokratie oder Diktatur per Zustimmungswerten direkt von der Bevölkerung bestätigen zu lassen, ohne das dieses ein Mitsprache- oder freies Wahlrecht hätte. Dieses protofaschistische System wurde unter Louis Bonaparte, besser bekannt als Napeleon III, praktiziert und durch Marx und Engels beschrieben. Und den Grundsätzen genau diesem Systems folgt Kickl. Moderner Bonapartismus ist nicht vollständig deckungsgleich mit dem Original, immerhin müssen den politischen Ereignisse der letzten 150 Rechnung getragen werden.

Und Kickl tut dann eben das, was ein Rechtsradikaler so tut. Er gibt ganz offen zu sich nicht an das bürgerliche Recht halten zu wollen. Stattdessen soll das Recht seiner rechtsradikalen Ideologie folgen, die Legitimation dafür zieht er aus dem ausgemachten Volkswillen. Wie die Volksabstimmung zum Rauchverbot in Gaststätten zeigt, ist die FPÖ aber nur gewillt dies zu tun, solange es nicht gegen die eigenen Wünsche und Vorstellungen geht. Was Kickl angeht so ist er schonungslos offen. Wenn man ein wenig Ahnung von politischer Theorie hat und genau zuhört, was er sagt, dann liegt die antibürgerliche Agenda offen da. Er sagt ja wortwörtlich, dass ihn bürgerliches Recht nicht interessiert. Er ist ja auch kein bürgerlicher Politiker.

Hier zeigt sich wieder einmal deutlich, auf welche Weise man Rechtsradikale bekämpfen muss. Man darf ihnen keinerlei Möglichkeit zum Ausleben und zum Handeln getreu ihrer Ideologie geben. Und man muss sie daran mit allen notwendigen und angebrachten Mitteln hindern. Kommen sie sogar in Machtpositionen, werden sie diese auch dazu nutzen ihre Ideologie umzusetzen. Rechtsradikale haben keine Kompromissfähigkeit, sie lehnen den bürgerlichen Staat ab und werden ihn zerstören, wenn man ihnen die Gelegenheit dazu gibt.

AfD fordert Antifaverbot – lustig oder nicht?

Fünf Abgeordnete der AfD fordern ein Verbot „der Antifa“ als terroristische Vereinigung. Auf den ersten Leser mag man da sehr belustigt sein, schließlich gibt es nicht „die Antifa“ und erst recht keine Vereinigung, die man verbieten könnte. „Antifa“ ist erst einmal nur ein Wort, welches alle Personen für sich deklarieren können und welches inhaltlich auch davon abhängt, was man denn jetzt genau als faschistisch ansieht. Je nach Auslegung und Lesart fallen da ganz unterschiedliche Inhalte drunter und selbst die AfD könnte sich – einer kruden Logik folgend – als antifaschistisch bezeichnen, da sie ja gegen „Linksfaschismus“ vorgeht. Was sie ja auch tatsächlich manchmal tut, Bernd Höcke lies seine Folgschaft auf einer Demo „Nazis raus!“ in Richtung des Gegenprotests brüllen.

Und nicht nur ist Antifa ein ziemlich unscharfer Begriff, es gibt auch schlichtweg keine Vereinigung, die man als „die Antifa“ verbieten könnte. Mal von der persönlichen Wertschätzung abgesehen, haben wir überhaupt nichts mit der Zecko zu tun und die autonome antifa w (die in Wien ja eh nicht von einem deutschen Verbot betroffen wäre) nichts mit der Hipster Antifa Greifswald. Es gibt keine personellen Überschneidungen und keinerlei koordiniertes gemeinsames Handeln. Rein juristisch gesehen, ist ein Verbot von DER Antifa schon mal gar nicht möglich. „Was für Hohlfritten!“ mag die geneigte Aktivistin jetzt denken. „Die sind ja so blöd und können nicht mal Gesetze verstehen!“ Doch, können sie. Und die Verbotsforderung geschieht nicht ohne Grund. Sie fügt sich ein in eine elementare Strategie der AfD und weiter Teile der Rechten.

 

 

Äußerer und innerer Feind

 

Um diese zu verstehen, muss man sich Teile der Ideologie anschauen, die in der AfD vertreten wird. Vom nationalkonservativen bis hin zum vollfaschistischen Flügel werden Teile oder gleich die komplette Konzeption der bürgerlichen Gesellschaft abgelehnt. Der große Feind sowohl des klassischen Konservatismus als auch des Faschismus sind der Liberalismus und der mit ihm verbundene Universalismus. Diese sind nicht mit nationalistischen oder völkischen Gesellschaftskonzeptionen unvereinbar und gehören somit bekämpft. Hinzu kommt die Notwendigkeit klarer Feindbilder und zwar mindestens zweier: des inneren und des äußeren Feindes. Schaut man sich faschistische und nationalistische Ideologien an, findet man immer klare Feinmarkierungen, gegen die es das eigene Zwangskollektiv zu verteidigen gilt.

Einmal nach außen hin, um innerhalb der Bevölkerung eine gewisse Einheit herzustellen. Sehr anschaulich war dies 1914 zu beobachten, als es auf einmal keine Parteien, sondern nur noch Deutsche gab. Aber nicht nur in Deutschland, in allen beteiligten Ländern war das nationale Kollektiv auf einmal wichtiger als alles andere. Und dann braucht man noch einen inneren Feind, der das Kollektiv von innen heraus zu zerstören sucht und somit harte Repressionsmaßnahmen rechtfertigt, mit denen praktischerweise mehr oder weniger alle kritischen Stimmen unterdrückt werden können. Hilfreich ist hier ein Blick auf den Carl Schmitts Begriff des Politischen. Dieser Betrachtung folgen viele im rechten Spektrum.

Und wie sieht das nun bei der AfD aus? Der äußere Feind ist klar: Generell alles, was man als kultur- oder volksfremd definiert, ganz speziell natürlich der Islam. Der innere Feind stellt dagegen der schon genannte Liberalismus dar, die bürgerliche Gesellschaft an sich. Und daher ergibt es aus Sicht der AfD auch Sinn, wenn man von CDU bis TOP Berlin alles in ein Linkskartell einsortiert. Die bürgerlichen Parteien wollen völlig überraschend eine bürgerliche Gesellschaft und streiten sich über die genaue Ausrichtung dieser. Linksradikale Kräfte wollen über die bürgerliche Gesellschaft hinaus und die mehr oder weniger erreichte rechtliche Gleichberechtigung auch in eine gesellschaftliche Gleichstellung aller erweitert sehen. Freiheit und Gleichheit eben nicht nur auf dem Papier, sondern auch im realen Leben. Nicht nur ein rechtlicher, sondern auch ein materieller Universalismus. Beides geht natürlich für Personen überhaupt nicht, die die bürgerliche Gesellschaft ablehnen. In der krassesten Form nimmt dieses antiliberale Ressentiment die Form von Verschwörungstheorien an und gipfelt im Antiamerikanismus und in der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung.

 

Gezielter Realitätsverlust

 

Man weiß in der AfD natürlich, dass es „die Antifa“ als solche nicht gibt, man braucht sie als ideellen Gegner, an dem man sich unermüdlich abarbeiten kann. Man braucht sie als Verkörperung des inneren Feindes, als ideale Projektionsfläche. Daher gibt man dieser Projektionsfläche möglichst großen Einfluss, damit die dagegen zu unternehmenden Gegenmaßnahmen auch besonders radikal sein können. Wenn man dies weiß, verwundert es auch nicht weiter, wenn im Bundestag SPD, Grüne und Linkspartei wider jeder Realität als parlamentarischer Arm der Antifa bezeichnet werden. Die jetzige Verbotsforderung zeigt auch sehr gut, wohin die Reise mit AfD geht. Solange es um die Bekämpfung eines politischen Gegners geht, muss man es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen. Hauptsache der Gegner ist bekämpft. Ob das nun rechtsstaatlich passiert oder nicht, ist unerheblich.

Bereits jetzt übt die AfD massiven Druck auf linke Projekte aus und nutzt das System der kleinen Anfragen, um an Informationen zu kommen und (mögliche) Zusammenhänge aufzuzeigen. Man bringt sich bereits jetzt gegen den inneren Feind in Stellung und versucht die gesellschaftliche Stimmung dahingehend zu beeinflussen, dass mehr Leute diese Ansichten teilen und schärfere Maßnahmen fordern. Damit wird schon einmal vorbereitet, was dann bei angestrebter Machtübernahme mit radikaleren Mitteln und Zugriff auf den Staatsapparat durchgeführt werden soll: Eine Säuberungswelle all dessen, was man als links ausmacht. Die Verbotsforderung mag daher skurril klingen und zur allgemeinen Belustigung beitragen. Den ernsten Hintergrund dieser Angelegenheit darf man aber nicht ignorieren. Selbst wenn es auch noch in weiter Ferne liegt, dass die AfD ihre Säuberungspläne tatsächlich in die Tat umsetzen kann.

Die konstant erhobenen Angriffe auf Antifaschist*innen und Linke haben zudem eine nicht zu unterschätzende Scharnierfunktion, um die AfD anschlussfähig an Konservative und Wirtschaftsliberale zu halten. In Dessau arbeitete man zusammen, um Feine Sahne Fischfilet einen Auftritt im Bauhaus zu verhindern. Als Resultat bedankten sich dann Nazis mit einem Banner vor dem Bauhaus für diesen erfolgreichen Kampf gegen links. Über den Kampf gegen links ist die AfD in der Lage, sehr viel größere gesellschaftliche Kreise anzusprechen, als es ihre Wahlergebnisse wiedergeben.

Die AfD und der Versuch der Bewegungspartei

Seit ihrer Gründung befindet sich die AfD auf einem steten Rutsch hin zu einer rechtsradikalen und völkischen Partei. Inzwischen können weite Teile und ganze Landesverbände ohne größere Problematiken als klar faschistisch bezeichnet werden. Mit Höcke und Poggenburg sitzen zwei Personen im Bundesvorstand, die zudem Rassebiologie offen nach außen vertreten und inhaltlich sowie rhetorisch eine moderne, modifizierte Form des Nationalsozialismus darstellen können. Wie keine zweite Partei ist die AfD zudem darum bemüht eigenständige Demonstrationen und Veranstaltungen auf die Straße zu bringen. Die Linkspartei ist zwar auch sehr oft an Demonstrationen beteiligt, vor allem aber bei Gegenprotesten zu finden. In den letzten Wochen zeigt sich dagegen, dass die AfD bundesweit offen mit faschistischen und neonazistischen Gruppen kooperiert um Demonstrationen abzuhalten oder für sie zu mobilisieren

Berlin

 

Zuerst wäre da der sogenannte „Marsch der Frauen“ in Berlin 17.02.2018. Dieser wurde von der AfD-Politikerin Leyla Bilge angemeldet und massiv von der AfD und deren Umfeld beworben. Damit verfolgt die AfD eine ähnliche Strategie wie die NPD mit ihren „Nein zum Heim“-Demos 2013 und 2014. Diese wurden unter einem Tarnslogan (eben „Nein zum Heim“) angemeldet, waren also auf den ersten Blick nicht der NPD zuzuordnen. Die komplette Infrastruktur und das Personal waren von der NPD oder aus dem unmittelbaren Umfeld. Zur AfD-Demo in Berlin mobilisierten die faschistische Organisation „Ein Prozent“ aus dem Umfeld von Götz Kubitschek sowie die faschistische Identitäre Bewegung (sowohl auf den eigenen Seiten als auch über die Tarnkampagne „120 db“, welche aber direkt von der IB stammt). Personelle Unterstützung kam unter anderem von Lutz Bachmann und Pegida, es gab mehrere Livestreams von der Veranstaltung. Ebenfalls war Eric „Graziani“ Grünwald vor Ort, der schon bei den rechtsradikalen „Merkel muss weg“-Demos und den neonazistischen „Hand in Hand“-Demos als Redner beteiligt war. Das Publikum des Frauenmarsches bestand dementsprechend auch aus einem klassisch völkischen, faschistischen, neonazistischen, antifeministischen und männerdominierten Personenspektrum.

Gestern fand in Berlin die bis dato letzte Ausgabe der „Wir für Deutschland“-Demonstrationen statt, die 2016 und 2017 unter dem Slogan „Merkel muss weg“ firmierten. Bereits am 05.11.2016 hatte Roland Ulbrich von der „Patriotischen Plattform“, einem faschistischen Flügel der AfD, auf einer der Demos gesprochen. Das Berliner AfD-Mitglied Heribert Eisenhardt ist zudem sehr wahrscheinlich Administrator oder Redakteur der „Wir für Deutschland“-Facebookseite bzw. war es zeitweise. Zu der gestrigen Demo am 03.03.2018 rief die sächsische AfD-Politikerin Uta Nürnberger zur Teilnahme auf und redete zusammen mit wieder Roland Ulbrich (AfD) und Madeleine Feige (ehemals AfD und Initiatorin der „Wellenlänge“-Sachen im Raum Dresden) auf der Veranstaltung. Dort wurden Hitler- und Kühnengrüße gezeigt, es gab offenen Antisemitismus und Verschwörungswahn zu sehen.

Kandel und co

 

Am selben Tag, also dem 03.03., fand in Kandel ein rechtsradikaler Aufmarsch statt. Anlass war die Ermordung einer Fünfzehnjährigen durch ihren Exfreund, was durch Umstand, dass der Exfreund als Flüchtling nach Deutschland gekommen ist, instrumentalisiert wurde. Selbst gegen die Eltern der Ermordeten wurden Drohungen von rechter Seite ausgesprochen. Zu dem Aufmarsch mobilisierten neben diversen neonazistischen und kameradschaftlichen Gruppen die Neonaziband „Kategorie C“ und auch die AfD. Diese hatte den Fall medial maximal zur Selbstdarstellung ausgeschlachtet und zu diversen völkisch geprägten Veranstaltungen dort aufgerufen. Um die 2000 Rechtsradikale folgten dem Aufruf und wurden mehrfach gewalttätig gegen Anwohner*innen und Gegendemonstrant*innen, es gab mehrere Verletzte. Die Szenen erinnern teilweise an die erste Hogesa-Demo in Köln im Herbst 2014. Vor Ort waren auch mindestens 15 Abgeordnete der AfD.

Ähnliches ist auch schon in Cottbus passiert, als sich die regionale AfD zur Unterstützung der dortigen rechtsradikalen Demos entschieden hat. Für das Frühjahr hat die AfD zudem eine Demo im Regierungsviertel in Berlin geplant, genauere Details sind noch nicht bekannt. Außerdem wurde heute bekannt, dass die AfD das Kooperationsverbot mit Pegida aufgehoben hat, welches vorher eh schon mehrfach prominent unterlaufen wurde. Die Stoßrichtung dabei ist klar: Die AfD will sich als Bewegungspartei des völkisch-nationalistischen Flügels auf den Straßen etablieren. Dies ist ein notwendiger Schritt und zugleich Konsequenz aus dem unverhohlenen Machtanspruch, den weite Teile erheben. Man will eben nicht „nur“ die Regierung übernehmen, man will eine reaktionäre Wende der Gesellschaft einleiten und Deutschland wieder zu einer völkischen Nation machen, ganz im zeitgemäßen Sinne von Arthur Moeller von den Brucks und dessen Ideal eines dritten Reiches.

Vier Säulen für den Sieg

 

Zur Einordnung der aktuellen Strategie lohnt es sich einen Blick auf das Viersäulenmodell der NPD zu werfen: Kampf um die Straße, Kampf um die Köpfe, Kampf um die Parlamente und den Kampf um den organisierten Willen. Mit diesem wollte sich die NPD die Macht im Land holen, was bekanntlich mit ihrer Bedeutungslosigkeit scheiterte. Die AfD hat nun aber ungemein mehr Erfolg – und das mit teilweise keinen Unterschieden was Personal und Positionen angeht. Man darf davon ausgehen, dass die AfD tatsächlich an der Machtübernahme im Land plant. Personen wie Höcke oder Poggenburg lassen an den entsprechenden Ambitionen schließlich keinen Zweifel. Höcke spricht immer wieder von der AfD als Bewegungspartei und der letzten sowie einzigen Chance zur Rettung Deutschlands. Der Kampf um die Straße ist da selbstverständlich ein elementarer Teil.

Höcke selbst organisiert in Erfurt immer wieder Demonstrationen, die zeitweise über 4.000 Leute gezogen haben. Die AfD als Partei hat auch schon eine Demo in Berlin mit 3.000 Teilnehmenden organisiert, fürs Frühjahr ist wie gesagt die nächste angesetzt. Zusätzlich kooperiert man mit der Identitären Bewegung, die sich selbst wider der Realität als Bewegung bezeichnet und ansieht und hauptsächlich aktionistisch ist. Jetzt sammelt man sich noch Pegida ein und ruft zu diversen rechtsradikalen Aufmärschen auf oder organisiert sie gleich selbst. Die AfD versucht sich als bundesweite Klammer für das rechtsradikale Spektrum zu etablieren und unterschiedliche regionale Initiativen und Strukturen in ihr Netzwerk einzugliedern oder zumindest ins Umfeld zu bringen.

Prognose

 

Daher ist davon auszugehen, dass in Zukunft noch mehr offen rechtsradikale und neonazistische Veranstaltungen von der AfD veranstaltet werden (ob offen oder unter einem Tarnnamen) und weitere regionale Events eine Mobilisierung durch die AfD oder ihr unmittelbares Umfeld bekommen. Hilfreich ist hier der Umstand, dass die AfD einzelne Abgeordnete Beiträge mit Sharepics erstellen lässt und diese dann auf den Landesseiten, der Bundesseite oder auf den Seiten einzelner bekannter AfD-Mitglieder teilen kann. Auf Facebook und Twitter hat man zudem ein verlässliches Netzwerk an Supportern, die einen Teil der Mobilisierungsarbeit bereitwillig übernehmen.

AfD und Islamismus

In Berlin gab es im Zuge des Jahrestag des islamistischen Anschlags auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz drei verschiedene Veranstaltungen. Die NPD hatte sich angekündigt, dagegen gab es eine Kundgebung mit antifaschistischer Beteiligung. Schon länger angekündigt war eine Kundgebung vom Bündnis Berlin Gegen Islamismus, welche vermutlich eine größere Vereinnahmung durch reaktionäre und nationalistische Kräfte verhindern sollte. Um diese Veranstaltung gibt es nun etwas Knatsch, denn es waren mehrere AfD-Abgeordnete anwesend. Aus antifaschistischer Sicht ist das natürlich enttäuschend, denn mit solchen Personen will man nichts zu tun haben, man besucht höchstens mal ihre Büros klandestin. Dies wollen wir mal als Anlass nehmen, ein paar Worte zu diesem ganzen Komplex zu äußern.

Die Kundgebung in Berlin

Grundsätzlich haben wir es bei der Veranstaltung mit einem bürgerlichen Bündnis zu tun, einen militanten Eindruck hinterlassen weder Präsentation noch Redner*innenliste. Dort finden sich dann durchaus kritische Personen wie Hartmut Krauss (seine Position in Sachen Flüchtlinge und Zuwanderung liest sich stark nach einem Nutzenprinzip für die deutsche Wirtschaft, danke nein) und umstrittene wie Justus Wertmüller, Unterstützung kommt dann aber auch von grundlegend stabilen Leuten wie Stephan Grigat. Einem solchen Bündnis ist nicht vorzuwerfen, wenn sich Personen ins Publikum stellen, die man nicht unbedingt da haben will, und diese nicht von der Kundgebung entfernt werden. In den Redebeiträgen wurde sich dazu auch explizit geäußert und Position gegen die AfD bezogen, Partei- oder sonstige Orgafahnen und -schilder waren nicht gestattet. Mitglieder der faschistischen Identitären Bewegung versuchten eine Aktion mit Schildern, wurden dann aber wohl umgehend entfernt. Die AfD-Leute fielen auch nicht weiter auf, sie waren einfach nur da. Angesichts der Umstände einer bürgerlichen Kundgebung gegen Islamismus und in Gedenken an die Opfer vom Anschlag aus dem Vorjahr ist das also durchaus mit Bauchschmerzen zu vertreten.

Auf der Seite versucht man sich gegen Querfrontanschuldigungen zu verteidigen und verweist auf das JFDA – Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus, welches die Kundgebung begleitet hatte und die Veranstaltung in Schutz nimmt. Unter genau diesem Post findet sich dann aber einiges an offen reaktionären und AfD-bewerbenden Kommentaren, wo auch nicht durch die Seite gegenkommentiert wird. Hier ist zumindest die Social Media-Arbeit sehr schwach. Denn es gibt folgende Kommentare zu lesen:

„Wer den Kampf gegen den Islam(ismus) ernst nimmt, kann sich nicht gleichzeitig gegen die AfD stellen, die – ob es einem passt oder nicht – die einzige Opposition in diesem Land ist, die sich diesbezüglich eindeutig und klar positioniert hat: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“.“

„Die Juden in Deutschland werden mehrheitlich auch noch begreifen, dass die AfD die einzige parlamentarische Kraft ist, die vor allem auch ihre Interessen vertritt. Die Frage ist nicht ob, sondern nur wann…“

„Warum kann man nicht die AfD entweder aussen vor lassen – oder aber klar sagen, dass es die einzige Partei (!)ist, die diese Positionen in die Parlamente bringt; gleichwohl aber im Osten auch mehrere unappetitliche Gestalten mitschleppt, mit denen man nix zu tun haben will.“

„Berlin Gegen Islamismus, „Rechts“ ist eine absolut legitime, systeminhärente demokratische Position in jeder parlamentarischen Demokratie seit der französischen Revolution. Die politische Rechte als „Nazi“, „faschistisch“ etc. pp. zu diffamieren, oder ihr die Teilnahme am demokratischen System verweigern zu wollen, oder ihr gar das Existenzrecht selbst absprechen zu wollen, ist nicht nur ideengeschichtlich und normativ de facto falsch, sondern auch originär antidemokratisch und verfassungswidrig.
Indem ihr genau das tut, unterstützt ihr unmittelbar die Positionen und den Machtzuwachs genau jener tatsächlich faschistoiden Ideologie, die ihr vorgebt zu bekämpfen – genauso wie ihr damit jener nicht minder totalitaristisch orientierten politischen Ideologie recht gebt, die heutzutage den Westen ergriffen hat und für Import und Ausbreitung von Islam, Islamismus und Antisemitismus direkt verantwortlich ist.
Solcherart gestaltet ist euer Protest nichts weiter als eine Farce.“

„Man muß hoffen und darauf hinwirken, daß die Veranstalter ihre irrationalen Berührungsängste gegenüber AfD, IB und anderen Islamkritikern ablegen werden.“

„Jemanden mit der AfD Keule zu überziehen ist praktisch, denn so muss man über den eigentlichen Inhalt nicht mehr reden und ist Teil des mutigen „Widerstands“.“

Das Angehen gegen die AfD war dabei übrigens der einzige leider unerfreuliche Fehler, denn die AfD ist die Partei des politischen Realismus aus der Mitte dwr Gesellschaft – genau wie Ihr!
Alles anndere ist Propaganda und schadet der gemeinsamen Sache.

Als positives Herausstellungsmerkmal die Positionierung gegen die AFD zu erwähnen finde ich unpassend bzw lästig. Wer mantramäßig seine politische Korrektheit beteuert und sich völlig überflüssig von gewichtigen Verbündeten abgrenzt, der wird scheitern.

Auch wenn Wertmüller kommentiert, dass man sich nicht immer rechtfertigen müsse, steht die Seite nun einmal öffentlich für ein neues Bündnis und muss auch entsprechend administriert werden. Sich in hier nicht zumindest mit einem Kommentar gegen offenes Anbandeln mit faschistischen Akteuren auszusprechen ist schwach. Und langfristig dann auch der Grund, warum man sich eventuell mit Vorwürfen konfrontiert sieht, man sei rechtsoffen oder grenze sich nicht stark genug ab. Die Basics von Öffentlichkeitsarbeit sollte man verstehen und umsetzen, wenn man sich in die Öffentlichkeit stellt. Dazu gehört auch eine entsprechende Administration der Seite, egal wie wenig man das mag oder nicht. Wenn man solchen Kommentaren nicht offen entgegentritt, dann werden mehr dieser Art folgen.

Der Sündenfall für die Ottologiekritik

Bei einem Redner der Veranstaltung wird die Sache dann noch mal abstruser. Amed Sherwan ist ein Flüchtling aus dem Irak, wurde dort gefoltert und engagiert sich gegen Islamismus. Auf seinem Profil verteidigt er die Veranstaltung gegen einen Artikel der taz, die die Veranstaltung als krude und unentschlossen gegenüber den anwesenden AfD-Mitgliedern und der IB beschreibt. Sherwan widerspricht dieser Darstellung weist darauf hin, dass es sehr wohl offene Ansagen in Richtung der AfD gegeben hat und er selber Opfer rassistischer Beleidigungen ist: „Einer der Redebeiträge war von mir und darin habe ich mich unmissverständlich gegen einen Generalverdacht gegen alle Muslime ausgesprochen und beschrieben, wie selbst ich als Ex-Muslim rassistische Terrorunterstellungen erlebe. Ich habe daher aus guten Gründen keinen Kontakt zu AfD’lern und nicht wissen können, dass sich welche im Publikum befinden.Für mich haben AfD’ler genau so wenig bei einer Veranstaltung für ein friedliches Miteinander zu suchen, wie verfassungsfeindliche Islamisten.“

Und was passiert nun bei ihm? Personen aus dem besonders polemischen ideologiekritischen Sektor fallen ein und kritisieren Sherwan unter diesem und einigen weiteren Posts. Ottologiekritik in Vollendung. Anstatt sich mit Sherwan gegen den taz-Artikel und die aus ihrer Sicht ungerechtfertigte Kritik zu stellen, wird Sherwan dafür kritisiert, dass er sich offen gegen die AfD ausspricht. Dabei fallen dann Aussagen wie folgende:

„Beleg mal das mit dem Antisemitismus. Soweit ich weiß, ist die AfD Israel wohlgeneigter als der Rest.“

„Islamkritik ist für dich also keine Frage der objektiven Wahrheit, sondern der Gesinnung. Statt im Ton des Entrüsteten a priori Einverständnis einzufordern, könntest du auch die Punkte zum Islam im Parteiprogramm der AfD lesen. Da hat diese Partei nun einmal Recht und jedes heite noch erbsthaft ab der Revolution interessierte Individuum kann sie unterschreiben. Damit steht die AfD in der politischen Öffentlichkeit der Bundesrepublik allein da.“

„Der postnazistische Charakter der SPD ist anders als der der AfD, während die SPD auf ein antinational dominant deutsches Expansionsstreben setzt, möchte die AfD die Wiedererlangung deutscher Souveränität, was keinesfalls edler, jedoch um eines vernünftiger und zudem weit weniger perfide ist.“

Personen, die sich natürlich niemals in AfD-Nähe wissen wollen, verteidigen diese auf einmal vehement und unter völliger Verblendung von Tatsachen. Zum einen wird tatsächlich der Antisemitismus der AfD mit dem Hinweis auf deren Israelsolidarität in Frage gestellt. Als ob sich Antisemitismus allein auf diese Frage reduzieren ließe. Dass es AfD-Mitglieder gibt, die die Protokolle der Weisen von Zion benutzen, man allenthalben antisemitische Verschwörungstheorien wie von der Umvolkung oder den gelenkten Flüchtlingsströmen bedient, ständig den Puppenspielerantisemitismus vom bösen System bedient, welches alles kontrolliere, Geschichtsrevisionismus, deutsche Ideologie und so weiter – alles scheint egal, man hat sich ja schließlich mal israelsolidarisch geäußert. Das Petry und Pretzell nicht mehr zur Partei gehören wird dann auch gnädig übersehen.

Zum anderen wird dann immer und immer wieder auf das Parteiprogramm der AfD verwiesen, dieses sei ja doch ganz ok in etlichen Punkten. Dabei ignoriert der geneigte Ottologiekritiker dann auch geflissentlich, dass weite Teile der Partei eine ganz andere Agenda fahren und sich immer wieder viel radikaler äußern, als es da Parteiprogramm hergibt. Sozialdarwinisten wie Höcke und Poggenburg (welcher sich auch mal um die Souveränität Deutschlands und die Bilderberger kümmern will) interessiert doch nicht, was im Programm steht. Wer die ganze Zeit vom Volkstod redet, möchte doch nicht den Islam als Religion oder Ideologie kritisieren. Auch zu lesen sind Versuche, die AfD aus einer faschistischen Kontinuität zu nehmen und nicht als rechtsradikal einzustufen. Nationalsozialismus und Faschismus werden historisiert, gerade so als ob diese Ideologien kein zeitgemäßes Update bekommen könnten. Dies ist völliger Unfug, niemand würde behaupten Sozialismus gibt es nicht mehr, weil der Ostblock untergegangen ist. Und so verteidigen hier Personen die AfD gegen eine Person, welche eine Veranstaltung gegen Islamismus gerade vor AfD-affinen Vorwürfen in Schutz nimmt. Kannste dir nicht ausdenken. Wie steht es nun aber um die AfD und die Kritik am Islamismus oder dem Islam insgesamt? Und warum ist es schlichtweg nicht möglich, dass die AfD (oder Mitglieder der AfD) eine wirklich konsequente Kritik in diesen Bereichen hinbekommen?

lslamismus und Faschismus

Der Grund ist relativ einfach und stellt dann auch sofort klar, warum man sich niemals mit reaktionären Kräften gegen reaktionäre Kräfte stellen kann. Islamismus, wie wir ihn im Iran, bei der Hamas, der Hezbollah oder beim IS beobachten können, hat viele Gemeinsamkeiten mit Faschismus. Dazu hatten wir vor Kurzem auch mal getwittert. Der Kniff dabei ist, eine aktuelle Faschismusdefinition zu nehmen, die auch auf  den historischen Faschismus, die sogenannte Neue Rechte und damit auf weite Teile der AfD zutrifft, und diese dann mit islamistischer Ideologie zu vergleichen. Und siehe da, die Gemeinsamkeiten sind so weit vorhanden, dass man durchaus auch von Islamfaschismus reden kann. Dabei ist die konkrete Ausprägung selbstredend unterschiedlich in den einzelnen Punkten, keine Frage.

Sehen wir uns zuerst die ganzen Ismen an: Antifeminismus, Antikommunismus, Antisemitismus, Antimodernismus, Antiliberalismus. Alle diese Punkte treffen auf Faschist*innen und Islamist*innen gleichermaßen zu. Beide stellen sich gegen Feminismus, ganz offen. Die Unterdrückung der Frau ist im Islamismus viel direkter und physischer, eine Gleichstellung wollen aber beide nicht. Auch gegen den Kommunismus (bzw. alles was als links verortet wird) wird sich gerne gestellt. Es besteht zwar durchaus ein Anknüpfungspunkt über den Antiimperialismus, sofern er sich gegen die USA und Israel richtet, gegen wirklich konsequente emanzipatorische Ansichten gehen beide aktiv vor. Auch die Moderne und der für sie elementar wichtige Liberalismus finden nur Ablehnung. Man hat sich entweder in den Dienst Gottes oder der (Volks)Nation zu stellen, Individualismus und freie Entfaltung des Selbst sind nicht gestattet. Daher sehen Faschist*innen bis heute die Französische Revolution und die Islamist*innen den Westen als Feindbild an.

Ein ganz elementarer Punkt ist der Antisemitismus. In der muslimisch geprägten ist der Vernichtungsantisemitismus heute weltweit am stärksten vorhanden. In Europa und vor allem in Deutschland ist er dagegen seit 1945 aus der Mode gekommen, ist der Holocaust doch das ultimative Verbrechen des Menschen an Menschen und entsprechende Zustimmung gezwungenermaßen nicht mehr tolerierbar. Dennoch floriert der Antisemitismus, auch in der AfD. Seien es nun offene Antisemiten wie Gedeon oder das ewige Gefasel eines Systems, welches die Geschicke kontrolliere, klar antisemitische Verschwurbelungen wie Umvolkung oder Sorosplan, Hetze gegen die vermeintliche Finanzelite – es findet sich alles.

Das Zwangskollektiv über alles

Beim Punkt der Palingese wird es etwas schwieriger. Faschistische Regime zeichnen sich dadurch aus, dass einen starken und gesunden Volkskörper anstreben, der sich ganz in den Dienst der Nation stellt. Besonders in Deutschland hatte dies von Anfang an eine völkische, sprich rassenhygienische, Komponente. In anderen Staaten wie Italien oder Spanien war dies nicht so stark ausgeprägt. Im Islamismus geht man aber von einem anderen Kollektiv aus. Nicht vom nationalen oder vom völkischen, hier wird das religiöse Kollektiv, die Umma, über alles gestellt. Dieses Kollektiv konstituiert sich natürlich anders, der IS hat aber gezeigt, was passiert, wenn man sich ihm nicht fügen will. Sämtlichen radikalen Gottesstaatvorstellungen dürfte dieses faschistische Merkmal gemein sein, das Aufgehen im Kollektiv für ein mythisch überhöhtes Idealbild. In jedem Fall sollen Staat, Gesellschaft und Kollektiv zu einer Einheit verschmelzen, die dem mystifizierten Idealbild zu dienen hat.

Charakteristisch für faschistische Regime war, dass sie auf ein hierarchisches Führerprinzip setzten, der zugleich das höchste politische Amt innehatte und der Partei vorsaß, die die komplette Staatsgewalt auf sich vereinte. Blicken wir auf islamistische Organisationen, so ist auch dies dort zu finden. Egal ob Fatah oder Hezbollah, sie erheben einen totalen Anspruch auf Staat und Gesellschaft und klar hierarchisch aufgebaut. Hinzu kommt allerdings noch eine klerikale Komponente, wir haben es hier schließlich mit einem religiösen Fanatismus zu tun. Im Iran zum Beispiel die geistigen Führer im Endeffekt mehr Macht als konkrete Politiker, da sie über Wohl und Wehe von Politik und Personen entscheiden. Bei einer Partei wie der AfD ist das so natürlich nicht anzuwenden. Sie ist durch das deutsche Parteiengesetz gezwungen, bestimmte Regularien und Vorschriften einzuhalten, ansonsten dürfte sie als Partei auch nicht antreten. Sie muss sich auch offiziell zu einen Konsens des Grundgesetzes bekennen, ansonsten dürfte sie nicht zu Wahlen antreten oder würde gar verboten. Dennoch machen Einzelpersonen immer wieder klar, dass auch hier ein alleiniger Machtanspruch herrscht und autoritäre Wünsche, mal so richtig auszuräumen im Land, gibt es auch allerorten zu hören und zu lesen.

Durchzogen sind beide Ideologien auch von einer Befürwortung des Patriarchats. Nun ist unstrittig, dass im Islamismus dieses viel gewalttätiger umgesetzt wird als in faschistischen Regimen. Es sei hier nur an die Versklavung zur Massenvergewaltigung von Frauen im IS erinnert oder an drakonische Strafen für Basisdinge wie Autofahren oder kein Kopftuch tragen. Eine Befreiung der Frau von gesellschaftlichen Zwängen, welche durch den Zufall des weiblichen Geschlechts auferlegt werden,  besteht aber bei beiden kein Interesse. Im Gegenteil, tradierte Rollenbilder und damit einhergehende Unterdrückung der freien Selbstentfaltung sind im Kern beider Ideologien fest verankert. Beiden gemein ist auch die Propagierung des Männlichen, des Maskulinen, welches sich in der Jugend und im Kampf bewährt und zeigt. Dies wird als genuin männliches Betätigungsfeld angesehen, das Martyrium für das Kollektiv wird als höchste Selbstaufopferung betrachtet. Der Krieg, sei es nun im Dschihad oder gegen die Feinde der Nation, ist ein zentrales Propagandamittel und erklärtes Ziel der jeweiligen Regime.

Aber die AfD!

Es sei hier noch mal betont, dass sich die Qualität dieser Eigenschaften unterscheidet und auf keinen Fall eine Gleichsetzung stattfinden soll. Eine qualitative und quantitative Aufrechnung entsprechende Vergleiche sind hier nicht zielführend. Viel mehr geht es darum, grundlegende ideologische Parallelen aufzuzeigen. Diese Parallelen ermöglichen es dann, von einem Islamfaschismus zu sprechen und sich dabei nicht mit nationalistischen und reaktionären Kräften gemein zu machen. Schließlich treffen viele dieser Punkte auch auf sie selbst zu. Und diese Parallelen zeigen auch, warum es aus einer Partei wie der AfD keine konsequente und universalistische Kritik am Islamismus geben kann. Wer selber eine Form des Patriarchats befürwortet, wird islamistische Kräfte niemals vollumfänglich für ihr antifeministisches Agieren kritisieren können. Es ist ausgeschlossen, dass reaktionäre Personen und Kräfte eine wie auch immer emanzipatorische Kritik an Zuständen oder Ideologien hervorbringen können. Sie müssen spätestens dann damit aufhören, wenn es in die Nähe ihrer eigenen reaktionären Ansichten geht.

Zusätzlich kommt hinzu, dass die AfD und insbesondere eine Unzahl ihrer Mitglieder eine Kritik am Islamismus immer wieder mit Fremdenfeindlichkeit und Rassismus vermengen. Es sei ihnen unbenommen wirklich gegen Terroranschläge und salafistische Umtriebe zu sein – aber wer ist das denn nicht? Bei der AfD wird eine an sich völlig selbstverständliche Position als großer Tabubruch inszeniert und gleichzeitig immer wieder gegen Personen gehetzt, die nicht „deutsch“ seien. Und dieses „deutsch“ wird ganz klar völkisch verstanden, wie zum Beispiel Gauland und Meuthen klarstellten, die kaum noch Deutsche auf den Straßen zu sehen vermeinten. Aussagen aus der AfD sind eben nicht von ihrer Agenda zu trennen. So mögen einzelne Aussagen für sich genommen nicht zu kritisieren sein, so ist es die Agenda dieser Partei – und vor allem die ihrer Mitglieder – schon.

Und diese ist bekannt. Der Höckeflügel, klar faschistisch orientiert, stellt mit Gauland nun auch einen der beiden Parteivorsitzenden. Der wirtschaftsliberale, nationalistische Flügel hat den Austritt von Petry und Pretzell ohne größere Austritte überstanden – der Bruch mit den harten Faschist*innen scheint nicht in Aussicht zu stehen. So radikalisiert sich das öffentliche Auftreten der Partei immer weiter, inzwischen twittert der Faschismus mit einem „MdB“ hinterm Namen und freut sich über staatliche Zuwendungen.

Und was bleibt nun von der gesamten Angelegenheit? Zum einen die klare Feststellung, dass die AfD niemals eine konsequente Kritik am Islamismus wird liefern können. Wer auch immer das könnte, müsste die Partei umgehend verlassen. Zwischen Faschismus und Islamismus gibt es diverse ideologische Überschneidungen, so dass mit einer vernünftigen Analyse auch von einem Islamfaschismus gesprochen werden kann. Qualitativer Unterschiede der Ausprägung sollte man sich aber immer bewusst sein. Wer sich gegen die AfD oder andere faschistische und faschistoide Akteure stellt, muss sich konsequenterweise auch gegen Islamismus stellen. Und wer gegen Islamismus ist, kann sich nicht mit der AfD gemein machen oder diese verteidigen gegen vernünftige Kritik. Der Feind meines Feindes ist nicht mein Freund.

Was gilt es also zu tun? Konsequent reaktionäre und menschenfeindliche Positionen anzugreifen.

Faschismus, Raumgreifung und Untergangsrhetorik

Faschismus ist eine raumgreifende Ideologie. Er ist total im Anspruch (#nototalitarismustheorie) . Man will alles, voll und ganz. Das Radikale muss noch radikaler werden, das Radikalste nicht radikal genug – so ähnlich lautet eine wiederkehrende Formulierung in Göbbels Tagebüchern, die er dann auch in der Sportpalastrede zum totalen Krieg einbringt. Der totale Anspruch ist auch eines der Elemente, das sehr häufig nicht oder nur unzureichend verstanden wird. Wenn ein Höcke davon redet, dass die AfD von ihren schwachen Elementen bereinigt werden muss, dann ist das ein Zeichen des totalen Anspruchs.

Der totale Anspruch ist es auch, warum man Faschismus allgemein und Faschist*innen im Speziellen nicht mit Diplomatie oder Gesprächen begegnen kann. Wenn der Anspruch total ist, das Ziel ein reiner Volkskörper für die starke Volksnation und die Mission von historischer Wichtigkeit, dann kann ein*e Faschist*in nie mit einem Kompromiss zufrieden sein. Dies manifestiert sich in einem beständigen Raumgreifen. Wenn das Totalste nicht total genug ist (auch diese Formulierung verwendet Göbbels), muss das Radikale radikaler werden. Bekommt ein faschistischer Akteur einen Raum, wird dieser damit nicht zufrieden sein. Von diesem Raum aus wird sofort der nächste in Angriff genommen. Bis dann theoretisch irgendwann alle Räume komplett genommen und unter Kontrolle sind. Raum meint hier nicht ein Zimmer in einem Haus, sondern eine Entfaltungsmöglichkeit. Seien es nun eine Zeitung, Talkshows, Demonstrationen, Parlamente – alles sind Räume, die den politischen Diskurs und damit die Gesellschaft mitbestimmen.

Der drohende Untergang

Aber warum tun Faschist*innen dies? Ein grundlegendes Wesensmerkmal faschistischer Ideologie ist der stetig drohende und unmittelbar bevorstehende Untergang. Genau JETZT ist die letzte Chance, die Nation zu retten. Vor allem in Deutschland wird diese völkisch gedacht, sprich ein imaginierter ethnisch reiner Volkskörper wird als Idealtypus gesehen. Die AfD bringt diese völkische Definition wieder verstärkt auf die öffentliche Bühne. Seien es nun Aussagen über unerwünschte Nachbar*innen oder die angeblich kaum auf der Straße zu sehenden Deutschen, es geht um eine rassifizierte Sicht auf die Bezeichnung „deutsch“. Und dieses „deutsch“ ist angeblich in großer Gefahr.

Faschistische Argumentation seit Beginn durchzieht genau dieser Duktus des bevorstehenden Untergangs. Dabei geht es nicht nur einfach um die Benennung eines Problems, welches man selbst dann am besten lösen könne. Der Faschismus versucht, den vermeintlich drohenden Untergang unmittelbar spürbar zu machen. Mitglieder faschistischer Organisationen sind felsenfest davon überzeugt, dass die große Katastrophe des eigenen Volkes unmittelbar bevorsteht. Der Druck des Untergangs manifestiert sich in Wahnvorstellungen, Verschwörungstheorien und teilweise körperlich spürbarer Verzweiflung. Faschistische Vordenker und Ideolog*innen sind darauf bedacht, dem eigenen Handeln eine historische Dimension zu geben. Nicht ohne Grund wird immer wieder weit in die Geschichte zurückgegriffen. Die Identitäre Bewegung begeht nicht umsonst Jahrestage historischer Schlachten und versucht eine Kontinuität zum eigenen Agieren aufzubauen. Zum Beispiel mit der Befreiung Wiens 1683. Nicht umsonst werden immer Orte besucht, an denen historische Ereignisse stattfanden. In den Berichten darüber wird dann versucht, den Geist dieser Ereignisse lebendig und spürbar werden zu lassen. Auch Höcke tut dies gerne, wie hier in Nürnberg oder vor der Wartburg anlässlich des 200. Jahrestags des Wartburgsfests. Man kann sich in Andacht gegenüber einer großen Vergangenheit üben, sich demütig gegenüber den so empfundenen Großtaten zeigen und sich selbst dann in diese Traditionslinie stellen.

Schrecken aus Prinzip

Mit Blick auf das aktuelle Geschehen wird dann ein Schreckensszenario nach dem nächsten aufgemacht. Das Land gerät außer Kontrolle, Feminismus, Homolobby, Frühsexualisierung, rechtsfreie Stadtteile, drohender Bürgerkrieg, Überfremdung, grassierende Massenvergewaltigungen, Straßenschlachten, Besatzung, Volksaustausch, drohende Auslöschung – keine Formulierung ist zu groß, um Verwendung zu finden. Auch hier sei wieder auf Höcke verwiesen, der unter Zuhilfenahme der UN-Charta zum Völkermord fragt, ob ein solcher nicht auch durch die „Multikulturalisierung eines gewachsenen Volkes“ (gemeint ist natürlich das deutsche) stattfände. Die Identitäre Bewegung sieht sich dagegen als „Verteidiger Europas“ und macht in dem, was sie als Islamisierung sehen, den Untergang der Völker Europas aus.

Diese dystopische Einstellung ist kein Zufall und zieht sich durch die Geschichte faschistischer Bewegungen. Denn die Spürbarmachung der Untergangsangst dient dazu, die Raumgreifung, den totalen Anspruch auf Staat und Gesellschaft, mit den entsprechenden Konsequenzen zu rechtfertigen. Nur eine Wiedergeburt der Nation kann hier Abhilfe verschaffen. In Deutschland ist dies untrennbar mit dem völkischen Gedanken verbunden. Nur ein gesundes deutsches Volk sei ein starkes Volk, so die einhellige Meinung in reaktionären Kreisen. Da dieses aber von vielen Seiten bedroht würde, seien radikale Maßnahmen notwendig. Je stärker der Eifer für die heilige Volksnation ist und je eindringlicher der Untergang empfunden wird, desto drastischer fallen dann die jeweils angedachten Maßnahmen aus. Wenn der Untergang schon in den nächsten fünf Jahren stattfinden soll, hilft halt außer einem Genozid nicht wirklich viel.